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§ 6 I EBRG die Generalklausel und in § 6 II EBRG die Regelbeispiele, die das Vorliegen einer beherrschenden Einflussnahmemöglichkeit (widerleglich) vermuten.36
In den Regelbeispielen des § 6 II EBRG gibt das Gesetz einzelne Beherrschungsmittel vor. Damit will der Gesetzgeber den von ihm vorgestellten „sicheren“
Anwendungsbereich37 des EBR-Gesetzes abstecken. Die Generalklausel des § 6 I
EBRG dient als Auffangtatbestand und Flexibilisierungsmoment. Ziel ist dabei eine
möglichst lückenlose Erfassung von Unternehmensverbindungen.
D. Control-Konzept in Normen des Gemeinschaftsrechts und des deutschen Rechts38
I. Europäische Betriebsrat-Richtlinie und Gesetz über die Europäischen Betriebsräte
1. Gemeinschaftsrecht: Europäische Betriebsrat-Richtlinie (94/45/EG)39
Unter Art. 2 I lit. b) der Richtlinie findet sich eine Beschreibung der „Unternehmensgruppe“ („group of undertakings“). Dies sei eine Gruppe, die aus einem herrschenden („controlling undertaking“) und den von diesem abhängigen Unternehmen
(„controlled undertaking“) besteht.
In Art. 3 gibt die Richtlinie eine Definition des Begriffs „herrschendes Unternehmen“ in der Weise, dass in Art. 3 I eine Generalklausel aufgestellt wird und diese durch Art. 3 II EBR-Richtlinie konkretisiert wird, der in Form von drei Regelbeispielen widerlegliche Vermutungen für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der
36 Art. 3 II EBR-Richtlinie und § 6 II EBRG verzichteten darauf, den Regelbeispielen eine
Fiktion beizumessen, vgl. Oetker in: Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Betriebsverfassungsgesetz Gemeinschaftskommentar, 8. A. 2005, vor § 106 Rn. 53 m.w.N.
Im Gegensatz dazu findet sich in der parallelen Methodik für das Verhältnis von § 111 Satz
1 zu § 111 Satz 3 in Satz 3 eine Fiktion dieser Nachteile bei Vorliegen der dort genannten
Arten von Betriebsänderungen, während Satz 1 in Form einer Generalklausel für eine Betriebsänderung angibt, dass diese wesentliche Nachteile für den Belegschaft oder wesentliche Teile hiervon mit sich bringen muss: vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 23. A. 2006, § 111 Rn. 42 m.w.N.
37 Vgl. die methodologische Dreiteilung in: Begriffskern = sicherer Anwendungsbereich,
Begriffshof = Randbereich („Grauzone“) und außerhalb des Begriffes liegende Sachverhalte; vgl. hierzu: Wank, Juristische Begriffsbildung; S. 25.
38 In den hier angesprochenen Gesetzen und Kommentierungen wird von herrschenden und
abhängigen, von kontrollierenden und kontrollierten „Unternehmen“ gesprochen. Das ist
jedoch unpräzise, da der Begriff „Unternehmen“ eine Sachgesamtheit von Betriebsmitteln
umfasst. Geht es jedoch um Anteilsbesitz und Einflussnahme kann dann nur der das Unternehmen betreibende Unternehmensträger, also das Rechtssubjekt (eine Gesellschaft oder
eine Einzelperson), gemeint sein (vgl. zu dieser Terminologie: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. A., § 8, S. 181 ff.). Da sich die ungenaue Formulierung „Unternehmen“ in der Gesetzessprache und den Kommentierungen durchgesetzt hat, wird sie in der vorliegenden
Arbeit beibehalten.
39 Vom 22.09.1994, ABl. EG L 254, S. 64; abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. A., S. 685 ff.
33
Generalklausel aufstellt. Nach Art. 3 I gilt als „kontrollierendes“ Unternehmen ein
Unternehmen, das z.B. aufgrund von Eigentum, finanzieller Beteiligung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben kann.40 41 Maßgebendes Merkmal ist die Fähigkeit, einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen
auszuüben.
Die Fähigkeit einen beherrschenden Einfluss auszuüben, gilt nach Art. 3 II der
Richtlinie bis zum Beweis des Gegenteils als gegeben, wenn ein Unternehmen in
Bezug auf ein anderes Unternehmen direkt oder indirekt (unmittelbar oder mittelbar):
a) die Mehrheit des gezeichneten Kapitals dieses Unternehmens besitzt (Kapitalmehrheit) oder
b) über die Mehrheit der mit den Anteilen am anderen Unternehmen verbundenen
Stimmrechte verfügt (Stimmrechtsmehrheit) oder
c) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens bestellen kann (Mehrheit der Bestellungsrechte).42
Die Formulierung „bis zum Beweis des Gegenteils“ weist auf den Charakter einer
widerleglichen Vermutung hin.
Die Bezeichnung „controlling undertaking“=„kontrollierendes“ Unternehmen
sowie dessen Ausgestaltung in den drei Kriterien, die den „dominant influence“, den
beherrschenden Einfluss umschreiben, sind dem im angelsächsischen Recht entwickelten Control-Konzept („concept of the controlling undertaking“) entlehnt.
Die Gestaltung der Definition durch Generalklausel und Regelbeispiele war ein
Vorschlag der mit der Erstellung der EBR-Richtlinie befassten Arbeitsgruppe bei
der Europäischen Kommission. Sie stellte den Mitgliedstaaten zur Wahl, ob diese in
ihre Umsetzungsgesetze zur Definition des „controlling undertaking“ allein die Kriterien des Art. 3 II der Richtlinie übernehmen oder ob sie die Regelungstechnik Generalklausel und Regelbeispiele mit Vermutungswirkung in Art. 3 I und II der Richtlinie aufnehmen. Nach Ansicht der Arbeitsgruppe habe die alleinige Übernahme der
40 Abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. A., S. 685, 688.
41 Die englische Fassung des Art. 3 I der Richtlinie lautet: „For the purposes of this Directive,
‘controlling undertaking’ means an undertaking which can exercise a dominat influence
over another undertaking (‘the controlled undertaking’) by virtue, for example, of ownership, financial participation or the rules which govern it.“
42 Die englische Fassung des Art. 3 II der Richtlinie lautet: „The ability to exercises a dominat influence shall be presumed, without prejudice to proof to the contrary, when, in relation to another undertaking directly or indirectly:
a) holds a majority of that undertaking’s subscribed capital; or
b) controls a majority of the votes attached to that undertaking’s issued share capital; or
c) can appoint more than half of the members of that undertaking’s administrative, management or supervisory body.“
34
Kriterien des Art. 3 II der Richtlinie zwar den Vorteil der Einheitlichkeit und genauen Bestimmbarkeit des kontrollierenden (herrschenden) Unternehmens, aber den
entscheidenden Nachteil, dass nicht alle denkbaren Beherrschungsformen erfasst
werden können.43 Dies kann nur die Generalklausel im Sinne des Art. 3 I der Richtlinie leisten, weshalb auch alle Mitgliedstaaten die Kombination aus Generalklausel
und Regelbeispielen in ihre Umsetzungsgesetzen übernommen haben.
Die Generalklausel in Art. 3 I der Richtlinie ist weiter als die Definition unter die
drei Kriterien des Art. 3 II,44 denn damit werden nicht nur – wie in den Regelbeispielen hervorgehoben – Beziehungen gesellschaftsrechtlich vermittelter, sondern
auch wirtschaftlicher Abhängigkeit zwischen den Unternehmen erfassbar.45
Die Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission wies darauf hin, dass innerhalb
der in Art. 3 II genannten Regelbeispiele eine Hierarchie im Sinne der Erheblichkeit
und Gewichtigkeit der einzelnen Beispiele notwendig sei.46
Durch Art. 3 VII EBR-Richtlinie werden Prioritäten gesetzt in Fällen von Normenkollisionen, die sich aus zwei Richtungen ergeben könnten. Zum einen könnte
zweifelhaft sein, welches Unternehmen als herrschendes zu betrachten ist, wenn
zwei oder mehr Unternehmen in einer Gruppe ein Regelbeispiel erfüllen und zum
anderen wenn ein oder mehrere Unternehmen mehr als ein Regelbeispiel erfüllen.
Art. 3 VII EBR-Richtlinie gewichtet das Regelbeispiel der Mehrheit der Bestellungsrechte (Art. 3 II lit. c) EBR-Richtlinie) höher als die beiden anderen und vermutet widerleglich die Fähigkeit der Ausübung beherrschenden Einflusses bei dem
Unternehmen, dem die Mehrheit der Bestellungsrechte an einem (oder mehreren)
anderen Unternehmen zusteht. Diese höhere Gewichtung des Regelbeispiels der
Mehrheit der Bestellungsrechte leuchtet auch ein, da die Kapitalmehrheit nicht immer mit einer Stimmenmehrheit verbunden sein muss und da sich der aus der Stimmenmehrheit ergebene Einfluss bei der Aktiengesellschaft deutschen Rechts erst
über Hauptversammlung und Aufsichtsrat rekrutieren muss, um auf die Willensbildung im Vorstand wirken zu können, wäre doch eine Beeinflussung durch Bestellung der Mehrheit der Vorstandsmitglieder der direktere Weg.
Art. 3 VI EBR-Richtlinie legt als Auslegungs- und Konkretisierungskriterien für
die Eigenschaft als herrschendes Unternehmen, neben der Konkretisierung durch die
Regelbeispiele in Art. 3 II EBR-Richtlinie, das Recht der Mitgliedstaaten fest. Das
war zum Zeitpunkt der Schaffung der Richtlinie aufgrund des sehr unterschiedlich
entwickelten Rechts der Unternehmensverbindungen in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht anders möglich.
Art. 3 III EBR-Richtlinie enthält eine Zurechnungsklausel für treuhänderisch gehaltene Stimm- und Ernennungsrechte.
43 Europaen Commission, Working Party of Information and Consultation of the Directive
94/45/EC, Working Document No. 27, pg. 175, 176.
44 Ebenda. Pg. 176.
45 Ebenda. Pg. 177.
46 Ebenda.
35
Das Begriffspaar „abhängige und herrschende Unternehmen“ ist dem deutschen
Recht nicht ganz unbekannt. Eine generalklauselartige Umschreibung dessen enthält
§ 17 I AktG. Zudem nimmt eine Vielzahl anderer Normen auf diese Art von Abhängigkeitsbeziehungen Bezug, so z.B. die §§ 311 ff. AktG.
2. Umsetzung in Deutschland: Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG)
Während die Europäische Betriebsrat-Richtlinie in Art. 2 I lit. b) eine Legaldefinition des Begriffs Unternehmensgruppe enthält und in Art. 3 eine Legaldefinition für
das kontrollierende Unternehmen („controlling undertaking“) gibt, ist im EBR nur
eine der Richtlinie entsprechende Definition des Begriffs herrschendes Unternehmen
zu finden (§ 6 I und II EBRG). Dabei verwendet das EBRG nicht den Begriff „kontrollierendes Unternehmen“, sondern den im deutschen Recht tradierten Begriff des
„herrschenden Unternehmens“ (vgl. § 17 AktG), obwohl in § 6 II EBRG die Kriterien des angelsächsischen Control-Konzeptes vollständig aus der Richtlinie übernommen wurden.
Die Definition des Begriffs herrschendes Unternehmen erfolgt gesetzestechnisch
per Generalklausel in § 6 I EBRG (vgl. Art. 3 I EBR-Richtlinie) und über die Vermutungswirkung von Regelbeispielen in § 6 II EBRG (vgl. Art. 3 II EBR-
Richtlinie). In § 6 I EBGR wird die Unternehmensgruppe damit umschrieben, dass
ein herrschendes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden
Einfluss auf ein anderes Unternehmen derselben Gruppe (abhängiges Unternehmen)
ausüben kann. Statt des Begriffspaares „kontrollierendes“ (=„controlling“) und
„kontrolliertes“ (=„controlled“) Unternehmen (=„undertaking“) der EBR-Richtlinie
werden in der Generalklausel des Absatzes I des § 6 EBRG die Begriffe „herrschendes“ und „abhängiges“ Unternehmen verwendet, wie sie aus dem Aktienrecht (§§
15, 17 AktG) bekannt sind. Die Definition des herrschenden Unternehmens beinhaltet in § 6 I EBRG (genau wie in § 17 I AktG) drei feststellbare Tatbestandselemente:
die beherrschende Einflussnahme, deren Potentialität („ausüben k a n n“) sowie eine
Modalitätsbestimmung („unmittelbar oder mittelbar“).47 Zur Konkretisierung der
Fähigkeit der beherrschenden Einflussnahme stellt § 6 II S.1 EBRG in Form von
Regelbeispielen widerlegliche Vermutungen auf. Die in Form von Disjunktionen
aneinander gereihten Merkmale des § 6 II S.1 Nr.1–3 EBRG entsprechen denen der
EBR-Richtlinie (Art. 3 II lit. a) – c) jedoch in anderer Reihenfolge. Der Gesetzgeber
hat ausgehend von der Regelung des Art. 3 VII EBR-Richtlinie nach der Bedeutung
der einzelnen Regelbeispielsfälle gewichtet: Der Mehrheit der Bestellungsrechte (§ 6
II S.1 Nr.1 EBRG) wird größte Bedeutung zugemessen und diese steht daher vor
Stimmenmehrheit (§ 6 II S.1 Nr. 2 EBRG) und Kapitalmehrheit (§ 6 II S.1 Nr. 3
EBRG).
47 Für das Aktienrecht § 17 AktG vgl. Rittner, DB 1976, S. 1465ff.
36
§ 6 III EBRG enthält eine Zurechnungsklausel für treuhänderisch gehaltene
Stimm- und Ernennungsrechte, die der des Art. 3 III EBR-Richtlinie entspricht.
Nach § 6 IV EBRG, in enger Anlehnung an Art. 3 IV der Richtlinie soll für Investment- und Beteiligungsgesellschaften im Sinne des Art. 3 V lit. a – c) der Fusionskontrollverordnung48 eine Charakterisierung als herrschendes Unternehmen ausscheiden.
II. Richtlinie 2001/86/EG49 und SEBG50
Art. 2 lit. c) der Richtlinie 2001/86/EG sowie § 2 III SEBG verweisen bei ihrer Definition der Tochtergesellschaft, als eine Gesellschaft, auf die eine andere Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, auf Art. 3 II EBR-Richtlinie.
Der definitorische Verweis (ausschließlich) auf Art. 3 II der EBR-Richtlinie und die
ledigliche „Anwendbarkeit“ von § 6 II EBRG (§ 2 III S. 2 SEBG) zeigt, dass dem
Gesetzgeber die europäische Dimension der zu regelnden Sachverhalte bewusst war.
Da SEBG wie auch EBRG ausschließlich europäische Sachverhalte regeln, erscheint
eine Auslegung der Begriffe Unternehmensgruppe (§ 6 EBRG) und Tochtergesellschaft (§ 2 III SEBG) im Sinne einer europäischen Sichtweise angezeigt.
III. Richtlinie über den konsolidierenden Abschluss (83/349/EWG)51 und § 290
HGB
1. Gemeinschaftsrecht: Richtlinie 83/349/EWG
Das Control-Konzept in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 83/349/EWG beinhaltet Tatbestände der Möglichkeit einer Beherrschung eines oder mehrerer Tochterunternehmen,52 die eine Konsolidierungspflicht auslösen. Hierzu gehören die Stimmrechtsmehrheit, die Mehrheit der Bestellungsrechte unter der Voraussetzung der Aktionärs- bzw. Gesellschafterstellung, das Recht, einen beherrschenden Einfluss aufgrund eines Vertrages oder einer Satzungsbestimmung ausüben zu können sowie die
48 Verordnung 139/2004/EG über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom
20.01.2004, ABl. EG 2004 L 24/1 vom 29.01.2004; diese ersetzt die Verordnung Nr.
4064/89/EWG vom 21.12.1989 (ABl. EG Nr. L 395/1 ber. ABl. EG 1990 Nr. L 257/13).
49 ABl. Nr. L 294 S. 22 ff.
50 SE-Beteiligungsgesetz, Umsetzung der Richtlinie 2001/86/EG enthalten im SE-
Einführungsgesetz vom 22.12.2004, BGBl. I S. 3675.
51 7. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 13.06.1983, ABl. EG L 193/1, umgesetzt zusammen mit der 4. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Jahresabschlussrichtlinie, RL
78/660/EWG, ABl. EG L 222/11) und 8. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Prüferbefähigungsrichtlinie, RL 84/253/EWG, ABl. EG L 126/20) im Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG
vom 19.12.1985, BGBl. I, S. 2355 ff.).
52 Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. A. 2003, Rz. 294.
37
Mehrheit der Bestellungsrechte in die Gesellschaftsorgane aufgrund einer selbst gehaltenen Stimmrechtsmehrheit oder einer Stimmrechtsmehrheit aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Aktionären bzw. Gesellschaftern ebenso unter der Voraussetzung der Aktionärs- bzw. Gesellschafterstellung.
2. Umsetzung: § 290 HGB
Der deutsche Gesetzgeber hat das Control-Konzept aus Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie
83/349/EWG in § 290 Abs. 2 HGB umgesetzt. Zugleich hat er von dem Wahlrecht
des Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 83/349/EWG Gebrauch gemacht und in § 290 Abs. 1
HGB die Konsolidierungspflicht an das Vorliegen einheitlicher Leitung im Sinne
des § 18 AktG geknüpft.53
§ 271 II HGB stellt – abweichend vom Aktienrecht (§ 15 AktG) – eine für das Bilanzrecht eigene Definition der verbundenen Unternehmen auf und bedient sich, als
Ausdruck der Ausschließlichkeit dieser Definition für das Bilanzrecht, bei dem
Verweis auf § 290 HGB nicht der aus dem Aktienrecht bekannten Terminologie von
abhängigen, herrschenden und Konzern-Unternehmen, sondern der Termini Mutterund Tochterunternehmen.
a) § 271 II i.V.m. § 290 II HGB
§ 290 II HGB knüpft an bestimmte Kontrollrechtsstellungen unabhängig von einer
einheitlichen Leitung an. Diese sind nicht etwa Regelbeispiele, die eine Vermutungswirkung für das Vorliegen einheitlicher Leitung entfalten, sondern § 290 I
HGB und § 290 II HGB sind echte Alternativen. Dabei verwendet § 290 II HGB
nicht die Termini „kontrolliertes“ und „kontrollierendes“ Unternehmen, sondern wie
in Absatz I die Termini Mutter- und Tochter-Unternehmen.
Die Kontrollrechtsstellungen nach § 290 II HGB sind im Einzelnen:
Die Stimmrechtsmehrheit nach § 290 II Nr. 1 HGB muss mehr als nur eine Anteils- oder Präsenzmehrheit sein.54
§ 290 II Nr. 2 HGB verlangt die Mehrheit der Bestellungsrechte in Bezug auf die
Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans sowie eine Gesellschafterstellung des Mutterunternehmens, für die jedoch auch eine Beteiligung ohne
Einlage genügt.55 Das betrifft die Bestellung von Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführern, geschäftsführenden Gesellschaftern, Aufsichtsräten und zum Teil in ausländischen Gesellschaften Verwaltungsräten und Beiräten sowie anderen Personen, die
ähnliche Management- oder Aufsichts- und Kontrollaufgaben übernehmen. In mit-
53 Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. A. 2003, Rz. 294 m.w.N.
54 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn. 34.
55 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn. 49.
38
bestimmten Aufsichtsräten bezieht sich die Feststellung der Mehrheit auf die Gesamtzahl aller Aufsichtsratsmitglieder.56 Die Mehrheit der Bestellungsrechte kann
sich aufgrund einer Stimmrechtsmehrheit wie auch aufgrund von satzungsmäßigen
Entsenderechten, insbesondere bei einer GmbH als kontrolliertem bzw. Tochterunternehmen, oder aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern (arg. a.
§ 290 III S. 2 HGB) ergeben.57
Die Kontrollrechtsstellung des § 290 II Nr. 3 HGB beinhaltet das Recht zur Aus-
übung eines beherrschenden Einflusses aufgrund eines Beherrschungsvertrages i. S.
d. § 291 I S.1 AktG oder einer Satzungsbestimmung. Der Wortlaut des § 291 I S.1
AktG ist zwar auf einen Beherrschungsvertrag mit einer Aktiengesellschaft oder
Kommanditgesellschaft auf Aktien als abhängigem bzw. kontrolliertem Unternehmen zugeschnitten. Ebenso ist aber der Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit
einer GmbH oder Personenhandelsgesellschaft als abhängigem bzw. kontrolliertem
Unternehmen möglich.
Die zweite Alternative, die Ausübung beherrschenden Einflusses aufgrund einer
Satzungsbestimmung, ist nicht auf das Statut einer Aktiengesellschaft beschränkt,
sondern umfasst nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch die Statuten anderer
Rechtsformen namentlich die Gesellschaftsverträge bei der GmbH und den Personenhandelsgesellschaften.58
Wegen der Gleichstellung von Beherrschungsvertrag und Satzungsbestimmung
muss die Satzungsbestimmung eine Beherrschung gestatten.59 Das ermöglicht es
beispielsweise – und wird in der Praxis auch so gehandhabt – eine GmbH bereits als
abhängiges Unternehmen zu gründen.
Bei den Kontrollrechtsstellungen des § 290 II HGB ist auf die formalrechtliche
Inhaberschaft, nicht auf die rechtliche Ausübungsmöglichkeit der Rechte abzustellen. Das ergibt sich aus der Zurechnungsklausel des § 290 III HGB. Über § 290 III
S. 2 HGB werden zu dem einem Mutterunternehmen zustehenden Rechten die Rechte anderer Gesellschafter hinzugerechnet, über die das Mutterunternehmen aufgrund
einer Vereinbarung verfügen kann.60
b) § 271 II i.V.m. § 290 I HGB
§ 290 I HGB verwendet zwar den Begriff Konzern, verweist aber nicht auf § 18
AktG, sondern stellt hingegen eigene Kriterien auf. Damit schafft er speziell fürs
Bilanzrecht einen eigenen Konzernbegriff. Hierfür verlangt er die einheitliche Leitung eines Mutterunternehmens über ein oder mehrere Tochterunternehmen sowie
56 Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 32. A. 2006, § 290 Anm. 10; Adler/Düring/Schmaltz,
Rechnungslegung, § 290 HGB Rn.46.
57 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn.47.
58 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn.58.
59 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn.59.
60 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn.30.
39
eine Beteiligung i. S. d. § 271 I HGB. Das heißt, die Inhaberschaft von Anteilen mit
der Zweckbestimmung der Herstellung einer dauernden Verbindung zu dem anderen
Unternehmen. Diese wird bei Vorliegen eines Anteilsbesitzes von mehr als 20 v.H.
widerleglich vermutet. Die Bezeichnung Mutter-Tochter-Unternehmen sowie das
Erfordernis einer Beteiligung reduzieren den Konzernbegriff des Bilanzrechts auf
hierarchisch geführte Unterordnungskonzerne,61 das meint solche des § 18 I AktG.
Die einheitliche Leitung setzt kein Weisungsrecht des Mutterunternehmens voraus,
vielmehr genügt auch ein sonstiger Einfluss auf die Geschäfts- und Unternehmenspolitik des Tochterunternehmens, auch indirekt über den Einfluss auf die Besetzung
deren Organe.62
Da § 290 I HGB die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses und eines
Konzernlageberichts in Form einer Vollkonsolidierung vorsieht, muss der Einfluss
des Mutterunternehmens auf das Tochterunternehmen dauerhaft und rechtlich gesichert,63 namentlich gesellschaftsrechtlich vermittelt, sein.
3. Andere Normen aus dem HGB
§ 271 II HGB spricht ebenso wie § 15 AktG von verbundenen Unternehmen, definiert diese aber ausschließlich zum Zwecke einer bilanzmäßigen Erfassung der Unternehmen und beschränkt diese Definition auf den Anwendungsbereich des Bilanzrechts im 3. Buch des HGB. Verbundene Unternehmen im Sinne des Bilanzrechts
sind solche, die als Mutter- oder Tochterunternehmen in den Konzernabschluss des
Mutterunternehmens einzubeziehen sind (§ 290 HGB) oder solche, die einen befreienden Konzernabschluss nach §§ 291, 292 HGB aufstellen können, aber auch solche, die nach den Vorschriften der §§ 295, 296 HGB nicht in einen Konzernabschluss einbezogen werden.
In § 290 II HGB (in Verbindung mit § 271 II HGB) findet sich eine Umschreibung des zuvor beschriebenen Control-Konzeptes. § 290 HGB wurde durch Art. 1
BiRiLiG64 ins HGB eingebracht. Die im HGB enthaltenen Bilanzierungsvorschriften
für Kapitalgesellschaften geben für das Bilanzrecht ein Stufenverhältnis der Intensität von Unternehmensverbindungen: § 271 I HGB nennt die Beteiligungen, § 311
HGB assoziierte Unternehmen, § 310 HGB Gemeinschaftsunternehmen – ohne jedoch diesen Begriff zu verwenden – und § 271 II in Verbindung mit § 290 I und II
61 Zur Einteilung der Konzernformen vgl. Gunther Teubner, Unitas multiplex, ZGR 1991, S.
189, 196.
62 Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 32. A. 2006, § 290 Anm. 6.
63 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 290 HGB Rn. 48; Schorndorfer, Verbundene
Unternehmen im dritten Buch des HGB, S. 56f.
64 Vom 19.12.85 in Umsetzung der 4. und 7. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie; 4. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie = Jahresabschlussrichtlinie v. 25.7.78 (78/660/EWG), ABl. EG
Nr. L 222 v. 14.8.1978, S. 11 ff. und die Richtlinie über den konsolidierenden Abschluss
(7. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie) v. 13.6.1983. (83/349/EWG) ABl. EG Nr. L 193 v.
18.7.1983, S. 1 ff.; zu finden bei: Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. A., S. 211ff.
40
HGB verbundene Unternehmen. Diese Termini gelten ausschließlich für das Bilanzrecht. Alle vier Definitionen setzen eine gesellschaftsrechtliche Vermittlung der Unternehmensverbindung voraus.
§ 271 I HGB definiert für das Bilanzrecht als Beteiligung Anteile an einem anderen Unternehmen(sträger), die bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch
Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenem Unternehmen zu dienen. Das
heißt, § 271 I S. 1 HGB verlangt aufgrund dieser Zweckbestimmung eine qualifizierte Form der Beteiligung. Diese Zweckbestimmung wird durch § 271 I S. 3 HGB
widerleglich vermutet, wenn ein Unternehmen mehr als 1/5 der Anteile besitzt. Die
Zweckbestimmung impliziert das Halten der Anteile, um sie unternehmerischen
Zwecken nutzbar zu machen. Diese können in der Einflussnahme auf die Geschäftsführung im Einzelnen bestehen. Es genügt aber auch, ohne eine solche Einzeleinwirkung, die unternehmensstrategische Zusammenführung der beiden Unternehmen,
die für eine gewisse Dauer bestimmte Rahmenbedingungen für die Geschäftspolitik
des anderen setzt.65
Gemäß der Definition des § 311 I S. 1 HGB liegt ein assoziiertes Unternehmen i.
S. d. Bilanzrechts vor, wenn eine Beteiligung i. S. d. § 271 I HGB vorliegt und ein
maßgeblicher Einflusses auf die Geschäfts- und Finanzpolitik tatsächlich ausgeübt
wird. Dabei kommt es auf die Aktualität, nicht die Potentialität der Einflussnahme
an. Nach § 311 I S. 2 HGB wird die Ausübung maßgeblichen Einflusses vermutet
bei Innehabung von mindestens 1/5 der Stimmrechte – das ist eine höhere Graduierung als bei § 271 I S. 3 HGB, denn dieser verlangt mehr als 1/5 der Kapitalanteile.
Im Vergleich zur einheitlichen Leitung ist der maßgebliche Einfluss stets die schwächere Form der Einflussnahme; es besteht eine geringere Intensität der Einflussnahme auf die Entscheidungen im assoziierten Unternehmen.66 Die Gestaltungsmöglichkeiten der Einflussnahme sind vielfältig. Der maßgebliche Einfluss kann außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Strukturen z.B. durch den gegenseitigen Austausch
von Führungskräften, intensive Liefer- und Leistungsbeziehungen oder durch technologische Abhängigkeit ausgeübt werden.67
Die Umschreibung des Tatbestands des Gemeinschaftsunternehmens in § 310 I
HGB soll ausschließlich für das Bilanzrecht Geltung beanspruchen. Dies hat der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er keine Begriffsdefinition des Gemeinschaftsunternehmens in § 310 HGB niederlegte. Die Intensität der Einflussnahme erfüllt eine neue Stufe: die gemeinsame Führung. Sie ist ein Spezialfall des
maßgeblichen Einflusses.68 Ist die vorgesehene Dauer der gemeinschaftlichen Tätigkeit zeitlich begrenzt oder bezieht sich das Aufgabengebiet nur auf einzelne Projek-
65 Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 32. A. 2006, § 271 Anm. 3 f.
66 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 311 HGB Rn.15.
67 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung,§ 311 HGB Rn.27.
68 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 311 HGB Rn.16.
41
te, liegt kein Gemeinschaftsunternehmen vor, sondern eine Arbeitsgemeinschaft,69
denn gemeinsame Führung bedeutet nicht nur, dass die Stimmrechte annähernd
gleichgewichtig70 unter den Gesellschaftern verteilt sind,71 sondern auch, dass die
Einflussnahme – unterhalb der Schwelle der einheitlichen Leitung – dauerhaft und
auf die Willensbildungsorgane gerichtet ist.
IV. Wertpapierhandelsgesetz und Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
§ 22 III WpHG wie auch § 2 VI WpÜG definieren den Begriff „Tochterunternehmen“ zum einen über eine Bezugnahme auf die nach § 290 HGB definierten Tochterunternehmen und zum anderen – interpretationsfähig – als solche, auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann. Das bezieht einerseits den formalisierten Begriff des Tochterunternehmens aus § 290 II HGB ein, schafft aber auch eine
Öffnung für eine Interpretation der beherrschenden Einflussnahme im Lichte des
Schutzzwecks dieser Gesetze.
V. Normen aus dem Aktienrecht (§§ 15 ff. AktG)
§ 15 AktG spricht von verbundenen Unternehmen. Im Sinne des § 15 AktG sind
dies rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16
AktG), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17 AktG), Konzernunternehmen
nach § 18 AktG, wechselseitig beteiligte Unternehmen § 19 AktG sowie Unternehmen, als Vertragsteile eines Unternehmensvertrages nach §§ 291, 292 AktG sein
können.
Die Definitionen der §§ 15 – 19 AktG sind in erster Linie auf Aktiengesellschaften zugeschnitten; sie haben die Funktion von Legaldefinitionen für das Aktienrecht.72 Der Unternehmensbegriff sowie die von den §§ 15 –19 AktG aufgezeigten
Unternehmensverbindungen sind jedoch rechtsformneutral,73 das heißt, auch Unternehmen anderer Rechtsform können in der von den §§ 15 –19 AktG beschriebenen
Weise miteinander verbunden sein. Da die anderen Rechtsformen im Vergleich zur
Aktiengesellschaft in anderer Weise mitgliedschaftlich organisiert sind, können
69 J. Schneider, Konsolidierung von Gemeinschaftsunternehmen: Ein Beitrag zu § 310 HGB,
BB 1987, S.158, 159.
70 Nicht nur 50:50; auch 40:40:20 oder ?:?:? nach: Adler/Düring/Schmaltz, § 329 AktG
S. 41 Rn. 22.
71 R. Schorndorfer, Verbundene Unternehmen im Dritten Buch des HGB, S. 55.
72 Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. A. 1999, Vor § 15, Rn. 50.
73 Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 15, Rn. 6 und § 16, Rn. 3; Koppensteiner in: Kölner
Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 15, Rn. 30; Windbichler in: Großkommentar
zum Aktiengesetz, 4. A. 1999, Vor § 15, Rn. 53.
42
Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten auftreten, denn die Zusammenfassung von Unternehmen in einer Gruppe ist keine aktienrechtsspezifische Erscheinung. Alle als Unternehmensträger geeigneten rechtlichen Einheiten können dabei
vertreten sein.74
VI. Die Zusammenschlusskontrolle nach europäischem und deutschem Recht
Das europäische Kartellrecht ist im Wesentlichen auf drei Säulen errichtet. Diese
sind das Kartellverbot in Art. 81 EGV i.V.m. Art. 1 der VO Nr. 17/62,75 das Verbot
der Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung in Art. 82 EGV i.V.m. Art. 1
der VO Nr. 17/62 sowie die Zusammenschlusskontrolle, die in der Fusionskontrollverordnung (im Folgenden: FKVO)76 ihren Ort hat.
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit Wesen und Struktur von Unternehmensgruppen, so dass hier die Normierungen des Kartellverbots und der
missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung außer Acht bleiben können. Genauere Betrachtung hingegen verdient die Norm des Art. 3 der Fusionskontrollverordnung, die Zusammenschlusstatbestände umschreibt.
1. Gemeinschaftsrecht: Art. 3 Fusionskontrollverordnung (VO 139/2004/EG)
Der Zusammenschlussbegriff des Art. 3 I FKVO kennt zwei Zusammenschlusstatbestände: die Fusion (Art. 3 I lit. a FKVO) und den Erwerb der Kontrolle über ein
Unternehmen (Art. 3 I lit. b, II FKVO).
a) Fusion
Eine Fusion im Sinne von Art. 3 I lit. a) FKVO liegt dann vor, wenn zwei oder mehr
bisher unabhängige Unternehmen ihr Vermögen verschmelzen, wobei mindestens
eines von ihnen seine Rechtspersönlichkeit aufgibt.77 Kennzeichnend für die Fusion
ist die Verschmelzung der Unternehmen zu einer wirtschaftlichen und rechtlichen
Einheit.
74 Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. A. 1999, Vor § 15, Rn. 16.
75 Verordnung Nr. 17/62 des Rates: EGKS Durchführungsverordnung zu den Art. 85 und 86
des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 6. Februar 1962 (ABl.
Nr. 13/204), (BGBL. 1962 II S. 2024).
76 Verordnung 139/2004/EG über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen v.
20.01.2004, ABl. EG 2004 L 24/1 vom 29.01.2004 ersetzt die Verordnung Nr.
4064/89/EWG vom 21.12.1989; eine Kommentierung findet sich u. a. in: Langen/Bunte,
Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9. A. 2001.
77 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung
(EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen,
ABl. EG 1998 C 66/5 vom 2.3.1998.
43
In dieser Arbeit sollen Unternehmensgruppen untersucht werden, mithin Unternehmensverbindungen, die die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Partizipation er-
öffnen, aber noch zu keiner rechtlichen Einheit verschmolzen sind. Dies ist der Fall,
wenn ein Unternehmen ein anderes kontrolliert: die Unternehmen werden von
selbstständigen Rechtspersonen (Unternehmensträgern) getragen, das kontrollierte
Unternehmen ist jedoch in seinen wirtschaftlichen Entscheidungen nicht mehr autonom. Ein Grund den zweiten Zusammenschlusstatbestand des Kontrollerwerbs (Art.
3 I lit. b FKVO) im Anschluss näher zu beleuchten. Im Zusammenhang mit dem
Verlust wirtschaftlicher Selbständigkeit hat sich die Figur der wirtschaftlichen Fusion entwickelt.78 Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass zuvor wirtschaftlich voneinander unabhängige Unternehmen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in der Weise zusammenlegen, dass eine wirtschaftliche Einheit entsteht, ohne dass sie dabei ihre
Rechtspersönlichkeit aufgeben.79 Dafür kommen insbesondere vertragliche Vereinbarungen in Betracht, mit denen sich die beteiligten Unternehmen einer gemeinsamen wirtschaftlichen Leitung unterstellen,80 beispielsweise durch Einführung eines
gemeinsamen Gremiums oder die Verpflichtung zu gemeinsamer Geschäftspolitik.
Voraussetzung ist eine auf Dauer angelegte einheitliche Leitung, Gleichrichtung der
wirtschaftlichen Interessen sowie abgestimmte geschäftspolitische Entscheidungen.
Weitere Kriterien können ein interner Gewinn- und Verlustausgleich zwischen den
so verbundenen Unternehmen und ihre gesamtschuldnerische Haftung nach außen
sein. Die faktische Verschmelzung kann durch eine Kapitalverflechtung untermauert
werden.81 Der Begriff der wirtschaftlichen Fusion ist jedoch mit beträchtlichen Unsicherheiten verbunden.82 Die Abgrenzung zwischen dem Tatbestand einer wirtschaftlichen Fusion (Art. 3 I lit. a FKVO) und dem des Erwerbs gemeinsamer Kontrolle (Art. 3 I lit. b FKVO), das meint, dass zwei (oder mehrere) Unternehmen gemeinschaftlich ein oder mehrere Unternehmen kontrollieren, ist nicht ganz unproblematisch. In den Entscheidungen der Wettbewerbskommission werden die Kriterien
für die Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher Fusion (Art. 3 I lit. a FKVO) und dem
Erwerb gemeinsamer Kontrolle über ein oder mehrere Unternehmen nicht immer
deutlich. Solche Grenzfälle bilden die Kommissionsentscheidungen Renault/Volvo,83
AG/Amev84 und RTZ/CRA.85 Hierauf soll in Kapitel 4 D der Arbeit detaillierter ein-
78 Vgl. hierzu: Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997,
FKVO, Art. 3, Rn. 16.
79 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung
(EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen,
ABl. EG 1998 C 66/5 vom 2.3.1998, Rn. 7.
80 Ebenda.
81 Ebenda.
82 Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, FKVO, Art. 3, Rn.
19.
83 Kommissionsentscheidung IV/M.0004, v. 7.11.1990, Tz. 4 ff., zu finden
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
84 Kommissionsentscheidung IV/M.018 v. 21.11.1990, Tz. 2, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
44
gegangen werden. Vorab lassen sich folgende Anhaltspunkte für eine Grenzziehung
aus den Kommissionsentscheidungen herausarbeiten: Werden Tochterunternehmen
ausgegründet, an der die Mutterunternehmen (paritätisch) beteiligt sind und auf die
das operative Geschäft übertragen wird – so im Fall AG/Amev – liegt eine gemeinsame Kontrolle über die Tochterunternehmen vor. Im Fall Renault/Volvo, bei dem
die beteiligten Unternehmen wechselseitig Beteiligungen i.H.v. 45 % aneinander
halten und gemeinsame Entscheidungsgremien für die unternehmensstrategischen
Entscheidungen geschaffen wurden, nahm die Kommission das Vorliegen gemeinsamer Kontrolle im Sinne des Art. 3 I lit. b FKVO an,86 wohingegen sie in der Entscheidung RTZ/CRA, bei der vertragliche Vereinbarungen über gemeinsame Entscheidungsgremien und Gleichstellung der Anteilseigner die Grundlage der Zusammenarbeit bilden, von einer wirtschaftlichen Fusion nach Art. 3 I lit. a) FKVO ausging.
b) Erwerb der Kontrolle über ein Unternehmen Art. 3 I lit. b) und 3 II FKVO
Art. 3 I lit. b) FKVO gibt den Erwerb der Kontrolle über ein Unternehmen als Zusammenschlusstatbestand an und eine allgemeine Umschreibung dessen Mittel.
Die Ausübung der Kontrolle über ein anderes Unternehmen ist aus dem im angelsächsischen Recht entwickelten Control-Konzept ins europäische Recht übernommen worden und spiegelt sich außer in der FKVO noch in einigen anderen europäischen Richtlinien wieder, so z.B. in der Europäischen Betriebsrat-Richtlinie
(94/45/EG), in der 7. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über den konsolidierenden
Abschluss (83/349/EWG) sowie in der Transparenz-Richtlinie (88/627/EWG).
Als „kontrollierende“ Subjekte beschreibt Art. 3 I lit. b) FKVO Einzelpersonen
oder Personenmehrheiten, einzelne oder mehrere Unternehmen. Das impliziert die
Möglichkeit gemeinsamer Kontrolle durch mehrere Unternehmen bzw. mehrere
Einzelpersonen (sog. joint control). Die Formulierung „eine oder mehrere Personen,
die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren“ gibt einen Hinweis darauf,
wie der Begriff des Unternehmens im Sinne der FKVO verstanden werden soll: Unternehmenseigenschaft haben nur solche natürlichen Personen, die in mehreren kontrollierten Unternehmen wirtschaftliche Interessen verfolgen und in Folge dessen,
die Gefahr einer Beeinflussung der unternehmensstrategischen Entscheidungen im
kontrollierten Unternehmen besteht.87
In Art. 3 I FKVO erfolgt eine allgemeine Umschreibung des Kontrollerwerbs
durch den Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, durch Vertrag oder in
sonstiger Weise. Diese wird durch Art. 3 II FKVO konkretisiert um die Wirkung,
85 Kommissionsentscheidung IV/M.660 v. 7.12.1995, Tz. 5 ff., zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
86 A. A. Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, FKVO, Art.
3 Rn. 18.
87 Zum Unternehmensbegriff näher unter Kapitel 2 B.
45
die diese Handlungen erzielen müssen, namentlich die Erlangung der Kontrolle über
ein anderes Unternehmen. Die Definition des Kontrollerwerbs erfolgt somit über die
Vorgabe einer Auswahl an möglichen Kontrollmitteln und einer Vorgabe betreffend
die Intensität der Kontroll- bzw. Einflussmittel durch die Formulierung „die Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszu-
üben“ (Art. 3 II FKVO). Darin steckt die Potentialität der Einflussnahme („ausüben
kann“) sowie der Begriff des „bestimmenden“ Einflusses.
Art. 3 II 2. Halbsatz FKVO fokussiert die Mittel der Einflussnahme in Form von
Regelbeispielen auf den Erwerb von Eigentums- oder Nutzungsrechten an der Gesamtheit oder an Teilen des Vermögens des („kontrollierten“) Unternehmens – das
entspricht der Formulierung „Erwerb von Vermögenswerten“ in Absatz I – sowie
auf Rechte und Verträge, die einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Beratungen oder Beschlüsse der Organe des Unternehmens gewähren. Das
umfasst auch die in Absatz I beispielhaft gegebene Aufzählung „Erwerb von Anteilsrechten, ..., durch Vertrag oder in sonstiger Weise“. Welcherlei Rechte und Verträge einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des kontrollierten Unternehmens vermitteln, soll an dieser Stelle nur kurz erläutert werden; eine detaillierte
Auseinandersetzung mit den Einflussgrundlagen wird in Kapitel 4 und 5 vorgenommen.
Nach Art. 3 II lit. a) FKVO kann die Ausübung bestimmenden Einflusses gegeben sein, wenn ein Unternehmen Eigentums- oder Nutzungsrechte an der Gesamtheit oder Teilen des Vermögens des anderen Unternehmens (z.B. auch Betriebsteile)
erwirbt. Zu den Rechten, die einen bestimmenden Einfluss gewähren, gehört insbesondere der Anteilserwerb. Diesbezüglich kennt die FKVO (im Gegensatz zu § 37
GWB) keine festen Beteiligungsgrößen oder Prozentanteile. Hier ist die Norm bewusst offen gehalten, so dass nicht nur der Erwerb der Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit erfassbar sind, sondern auch z. B. Minderheitsbeteiligungen in Kumulation
mit anderen Einflussnahmemitteln, die die von Art. 3 II FKVO vorausgesetzte Wirkung der Möglichkeit der Ausübung bestimmenden Einflusses über das andere Unternehmen erzeugen können. Art. 3 II FKVO setzt somit auf eine Gesamtbetrachtung. Dabei ist nur der Erwerb des Vollrechts, also das Einrücken in die Gesellschafterstellung, maßgebend.88
Weitere Rechte, die einen bestimmenden Einfluss gewähren, werden ersichtlich,
wenn man von der beabsichtigten Wirkung der Einflussnahme auf die Zusammensetzung, Beratungen, Beschlüsse der Organe des kontrollierten Unternehmens, ausgeht. Der Begriff „bestimmender Einfluss“ entstammt der Regelung in Art. 66 § 1
EGKSV und wird seit der grundlegenden Entscheidung der Hohen Behörde vom
6.5.1954 Nr. 24/5489 im Montanbereich dahin ausgelegt, dass die unternehmerische
88 Immenga/Mestmäcker, GWB-Kommentar zum Kartellgesetz, 3. A. 2001, § 37 Rn. 15.
89 EGKS-Amtsblatt 1954 (ABl. EG Nr. 009) vom 11.05.1954, S.345; aus der Entscheidung
24/54 der Hohen Behörde: „Die Tatbestandsmerkmale, die die Kontrolle eines Unternehmens begründen, sind folgende Rechte oder Verträge, wenn sie, einzeln oder zusammen,
unter Berücksichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die Möglichkeit ge-
46
Entscheidungsgewalt ganz oder teilweise einem Dritten übertragen ist und damit die
Willensbildung im Unternehmen nicht mehr autonom erfolgt. Das bedeutet, die von
Art. 3 II lit. b) FKVO erfassten Rechte und Verträge müssen dem kontrollierenden
Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, auf den Willensbildungsprozess in den Organen des kontrollierten Unternehmens Einfluss auf die geschäftspolitischen, unternehmensstrategischen Entscheidungen zu nehmen. Solche Rechte sind beispielsweise satzungsmäßig eingeräumte Rechte zur Bestellung einzelner Organmitglieder
oder der Besetzung der Entscheidungsgremien oder aber auch die statuarische Einräumung von Vetorechten für bestimmte strategische Entscheidungen zugunsten des
kontrollierenden Unternehmens. Bei den von Art. 3 II lit. b) FKVO erfassten Verträgen ist die Wirkungsweise der Einflussnahme eine Beeinflussung der Willensbildung in den Organen. Gegenstand der Einflussnahme sind die geschäftspolitischen
Entscheidungen. Beispiele solcher Verträge sind: die in den §§ 291, 292 AktG enthaltenen Unternehmensverträge (Beherrschungsvertrag, Gewinnabführungsvertrag,
Gewinngemeinschaft), Stimmbindungsverträge, Verträge über ein Stimmenpooling
und im Bereich der gemeinsamen Kontrolle zweier Unternehmen über ein oder mehrere Unternehmen: Joint Venture Verträge (Shareholder Agreements) über die (paritätische) Besetzung der Leitungsorgane in den Gesellschaften, über die Kreation
gemeinsamer Leitungsgremien, über die Verpflichtung zu einer gemeinsamen Geschäftspolitik oder über bestimmte Teilbereiche der Zusammenarbeit ebenso
Gleichordnungskonzernverträge (vgl. § 18 II AktG).90
Der Auffangtatbestand des Erwerbs der Kontrolle in sonstiger Weise im Sinne
des Art. 3 I FKVO dient der Sicherstellung der Lückenlosigkeit des Zusammenschlussbegriffs.91 Es ist denkbar, dass hierunter nicht nur klassisch juristisch typisierte Rechte fallen, sondern auch faktische Umstände wie beispielsweise personelle
Verflechtungen (Personenidentität in den Organen), (faktische) Einflussnahmen auf
die Zusammensetzung von Unternehmensorganen sowie wirtschaftliche Abhängigwähren, die Tätigkeit eines Unternehmens auf dem Gebiete der Erzeugung, der Preise, der
Investierungen, der Versorgung, des Absatzes oder der Verwendung des Gewinns zu bestimmen:
1. Eigentum oder Nutzungsrechte an der Gesamtheit oder an Teilen des Vermögens eines Unternehmens;
2. Rechte oder Verträge, die Einfluss auf die Bestellung, die Entscheidungen oder Beschlüsse der Organe eines Unternehmens gewähren;
3. Rechte oder Verträge, auf Grund deren eine Person, allein oder zusammen mit anderen, die Geschäfte eines Unternehmens führen kann;
4. Verträge mit einem Unternehmen über die Bildung oder Verwendung seines Gewinns;
5. Verträge mit einem Unternehmen über die Gesamtheit oder einen erheblichen Teil
seines Bedarfs oder Absatzes seiner Erzeugnisse, soweit diese Verträge nach Menge
oder Laufzeit das Maß der handelsüblichen Beschaffungs- oder Absatzverträge überschreiten.“
90 Eine detaillierte Untersuchung der Vertragstypen wird in Kapitel 4 erfolgen.
91 Vgl. Löffler in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht,
9. A. 2001, FKVO Art. 3 Rn. 22.
47
keiten aufgrund langfristiger Liefer- und Bezugsverträge92 oder auch aufgrund der
Einbindung in Netzwerke (Franchising, Just-in-Time-Zulieferverträge93). Ausnahmsweise kann eine rein wirtschaftliche Abhängigkeit faktisch zur Erlangung der
Kontrolle führen, wenn beispielsweise langfristige Lieferverträge oder Lieferantenkredite in Verbindung mit strukturellen Verflechtungen einen bestimmenden Einfluss gewähren.94
Da Potentialität der Ausübung bestimmenden Einflusses genügt („ausüben
kann“), bedeutet dies, dass es ins Ermessen des kontrollierenden Unternehmens gestellt ist, wann und mit welcher Intensität es die Kontrolle über das andere Unternehmen ausübt. Das wiederum impliziert, dass es für den Kontrollerwerb nach Art.3
I lit. b), II FKVO genügt, wenn vom kontrollierenden Unternehmen punktuell (also
nicht permanent und nicht in allen Bereichen) Einfluss auf den Willensbildungsprozess im kontrollierten Unternehmen genommen wird.95
Art. 3 IV FKVO benennt explizit eine Form der Ausübung gemeinsamer Kontrolle zweier (oder mehrerer) Unternehmen über ein anderes (kontrolliertes)
Unternehmen: das Gemeinschaftsunternehmen. Dabei ist der Zusammenschlusstatbestand des Kontrollerwerbs nur dann erfüllt, wenn das gemeinsame Unternehmen
funktional und wirtschaftlich selbständig lebensfähig ist. Das heißt, die Gründerunternehmen dürfen das Gemeinschaftsunternehmen nicht nur Hilfsfunktionen ihrer
eigenen geschäftlichen Tätigkeit erfüllen lassen, sondern es muss in der Lage sein,
mit eigenen Produkten am Markt aufzutreten (sog. Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen).96
Art. 3 V FKVO widerlegt die durch die Regelbeispiele in Art. 3 II aufgestellte
Vermutung der Möglichkeit der bestimmenden Einflussnahme für Versicherungsgesellschaften, Kredit- und Finanzinstitute.
2. Deutsches Recht: § 37 I GWB
Das GWB hat sich bei der Fassung seiner Kontrolltatbestände (§ 37 I Nr.2 GWB) in
vollem Umfang an Art. 3 II FKVO angelehnt. Beide fusionskontrollrechtliche Normierungen bestehen aufgrund unterschiedlichen Marktbezuges nebeneinander.
92 Str.; zu letzterem: Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997,
FKVO, Art. 3 Rn. 29, 45, 46.
93 Eine genaue Analyse erfolgt in Kapitel 5.
94 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung
(EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen,
ABl. EG 1998 C 66/5 vom 2.3.1998. Tz. 9 unter Bezugnahme auf die Kommissionsentscheidungen Usinor/Bamesa, zu Art. 66 EGKS, siehe auch Kommissionsentscheidungen
IV/M258 CCIE/GTE v. 25.09.1992 und IV/M 697 Lockhead Martin Corporation/Loral
Corporation v. 27.03.1996, zu finden: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
95 Dazu näher in Kapitel 3.
96 Die unternehmerische Zusammenarbeit in Gemeinschaftsunternehmen wird in Kapitel 6
näher untersucht.
48
Im Gegensatz zur europäischen Zusammenschlusskontrolle kennt das deutsche
Recht nunmehr vier Zusammenschlusstatbestände. Zu den zwei aus der FKVO bekannten (Fusion, § 37 I Nr. 1 GWB und Kontrollerwerb, § 37 I Nr. 1 und 2 GWB)
kommen noch zwei hinzu, namentlich der Anteilserwerb (§ 37 I Nr. 3 GWB) sowie
ein Auffangtatbestand (§ 37 I Nr. 4 GWB). Letzterer sieht Unternehmensverbindungen mit einer Intensität unterhalb der Schwelle der Ausübung der unmittelbaren oder
mittelbaren Kontrolle vor, die aber dennoch zur Ausübung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses führen können, jedoch außerhalb eines Anteilserwerbs von
50 % bzw. 25 % liegen. Die von § 37 I Nr. 4 GWB vorausgesetzte Zusammenschlusswirkung ist ein wettbewerblich erheblicher Einfluss.
Der Zusammenschlusstatbestand des § 37 I Nr.1 GWB betrifft den Erwerb des
Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil. Der
Begriff des Vermögenserwerbs geht über den der Fusion hinaus. Diese meint eine
Verschmelzung zweier Vermögen unter Auflösung mindestens eines Rechtsträgers.
Beispiele für einen Vermögenserwerb sind der Kauf von Vermögensteilen, die Verschmelzung (i. S. d. § 2 UmwG), die (übertragende) Umwandlung (i. S. d. § 191
UmwG) sowie die Vermögensübertragung im Wege der Liquidation oder bei Auflösung eines Gemeinschaftsunternehmens.97 98 In der Regel liegt bei einem Vermögenserwerb zugleich ein Kontrollerwerb im Sinne des § 37 I Nr. 2 GWB (vgl. § 37 I
Nr. 2 lit. a) GWB „Eigentums- oder Nutzungsrechte an der Gesamtheit oder an Teilen des Vermögens“) vor.
Ebenso wie im europäischen Fusionskontrollrecht (Art. 3 I lit. b) FKVO) enthält
§ 37 I GWB einen Zusammenschlusstatbestand des Kontrollerwerbs (§ 37 I Nr. 2
GWB). Dieser bezeichnet als kontrollierende Subjekte einzelne oder mehrere Unternehmen. Damit soll ebenso wie im europäischen Recht die joint control, die Aus-
übung der Kontrolle durch zwei oder mehr Unternehmen, möglich sein. Im Gegensatz zu Art. 3 I lit. b) FKVO fehlt in § 37 I Nr. 2 GWB die Nennung von Einzelpersonen und Personenmehrheiten als kontrollierende Subjekte. Das fällt fürs deutsche
Recht weniger ins Gewicht, da in Rechtsprechung und Lehre die Unternehmenseigenschaft von Einzelpersonen anerkannt ist. Dieses kommt auch in § 37 I Nr. 3 S. 3
GWB in der Formulierung „wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist...“ zum Ausdruck.99 § 37 I Nr. 2 S. 2 GWB übernimmt inhaltlich Art. 3 II
FKVO, erläutert, auf welche Weise die Kontrolle über ein Unternehmen erworben
werden kann und eine Gesamtschau aller Umstände erforderlich macht.
Damit beschreibt § 37 I Nr. 2 GWB den Kontrollerwerb über eine abstrakt formulierte Auswahl an Kontrollmitteln und der Wirkung, die die Kontrollmittel haben
sollen: die Möglichkeit (Potentialität) der Ausübung eines bestimmenden Einflusses
97 Emmerich, Kartellrecht, 9. A. 2001, S. 283.
98 Fallbeispiel zum Rückerwerb von Vermögensteilen bei Auflösung eines Gemeinschaftsunternehmens: Kammergericht vom 8.9.1978, WuW/E OLG 2007.
99 S. a. § 36 III GWB.
49
auf die Unternehmenspolitik des kontrollierten Unternehmens. Voraussetzung ist
auch hier eine dauerhafte Beeinflussung der Willensbildung im kontrollierten Unternehmen, so dass diese nicht mehr autonom erfolgt. Diese Formulierung ist durch
die Entscheidung der Hohen Behörde Nr. 24/54100 bereits mit Inhalt belegt worden
und mit Übernahme dieser Formulierung101 in das GWB macht der Gesetzgeber
deutlich, dass er dies, ebenso wie die dazu entwickelte Rechtsprechung, auch fürs
deutsche Recht übernehmen möchte. Das Erfordernis eines bestimmenden Einflusses auf die Tätigkeit eines Unternehmens in § 37 I Nr. 2 GWB stellt im Vergleich
zum Erfordernis eines wettbewerblich erheblichen Einflusses in § 37 I Nr. 4 GWB
eine höhere Stufe der Intensität der Einflussnahme dar.
Mittelbarer Kontrollerwerb ist ebenfalls von § 37 I Nr. 2 GWB erfasst. Ein solcher liegt vor, wenn zwei Unternehmen im Sinne der Verbundklausel des § 36 II
S. 1 GWB oder durch ein Kontrollverhältnis im Sinne des § 37 I Nr. 2 GWB verbunden sind und eines dieser beiden Unternehmen seinerseits ein drittes Unternehmen i. S. d. § 37 I Nr. 2 GWB kontrolliert. Damit kann das andere Unternehmen
mittelbar die Kontrolle über das dritte Unternehmen ausüben.
Der Zusammenschlusstatbestand des Anteilserwerbs im GWB ist - im Vergleich
zur alten Fassung des GWB vor der 6. Novelle im Jahr 1998 - auf die Unterfälle a)
und b) reduziert worden; § 23 II Nr. 2 lit. c). Die Mehrheitsbeteiligung i. S. d. § 16
AktG wird nunmehr von § 37 I Nr. 2 bzw. § 37 I Nr. 3 a) GWB abgedeckt. § 37 I
Nr. 3 S. 3 GWB übernimmt den bisherigen § 23 II Nr. 2 S. 3 GWB a.F.; jedoch entfiel dessen Qualifikation als Legaldefinition des Gemeinschaftsunternehmens, da
Beteiligungen an einem Gemeinschaftsunternehmen nicht nur im Wege des Anteilserwerbs, sondern auch durch Kontrollerwerb erfolgen können.102
Der frühere § 23 II Nr. 2 S. 4 GWB a.F. ist gestrichen worden, wonach es als Zusammenschluss galt, soweit dem Anteilserwerber eine Rechtsstellung verschafft
wurde, die bei der Aktiengesellschaft ein Aktionär mit mehr als 25 v.H. des stimmberechtigten Kapitals innehatte. Die vom frühren § 23 I Nr. 2, 4 GWB a.F. erfassten
Fälle – beispielsweise die Herabsetzung der Sperrminorität in Satzung oder Gesellschaftsvertrag – werden nunmehr vom Zusammenschlusstatbestand des § 37 I Nr. 2
GWB oder dem Auffangtatbestand § 37 I Nr. 4 GWB erfasst. So kann z.B. eine
Minderheitsbeteiligung dann, wenn dem Minderheitsgesellschafter zusätzliche Vetorechte hinsichtlich strategischer Entscheidungen zustehen, den Tatbestand des Kontrollerwerbs erfüllen.103
Auch bei mittelbarem Erwerb ist eine Zurechnung von Anteilen gewährleistet.
Mittelbarer Erwerb liegt vor, wenn ein Unternehmen eine Unternehmensverbindung
100 Vom 6.5.1954 betreffend die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens aufgrund des Art. 66 § 1 des Vertrages vom 6.5.1954, ABl. EG Nr. 009 vom 11.05.1954,
S.345.
101 Statt des aus § 17 AktG bekannten Begriffs des „beherrschenden Einflusses“.
102 BT-Ds. 13/9720, S.57.
103 BT-Ds. 13/9720, S.57.
50
i.S.v. § 36 II GWB zu einem anderen Unternehmen herstellt und dieses seinerseits
Anteile (i.S.v. § 37 I Nr. 3 GWB) an einem dritten Unternehmen besitzt.104
Der Zusammenschlusstatbestand des Kontrollerwerbs in § 37 I Nr. 2 GWB verlangt eine Einflussnahme des kontrollierenden Unternehmens auf den Willensbildungsprozess des kontrollierten Unternehmens. Der Zusammenschlusstatbestand des
§ 37 I Nr. 4 GWB setzt eine wettbewerblich erhebliche Einflussnahme voraus. Das
meint, eine wesentliche Einschränkung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen, in der Weise, dass die Unternehmen nicht mehr unabhängig am Markt auftreten.105 Umstritten ist, ob hierfür allein eine wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund
von Kredit- und Lieferbeziehungen genügen kann. Die Lehre orientiert sich dahin
gehend, dass eine rein wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund von Kredit- und Lieferbeziehungen für sich allein wohl nicht auszureichen vermag.
VII. Quellen des Control-Konzepts
Den Regelbeispielen des Art. 3 II der Europäischen Betriebsrat-Richtlinie (mit ihrer
Umsetzung in § 6 II EBRG), auf die die Richtlinie 2001/86/EG106 (Art. 2 lit. c)) sowie das SEBG (§ 2 III) verweisen, sowie der Richtlinie 83/349/EWG107 (mit der
Umsetzung in § 290 HGB) liegt das Konzept des „controlling undertaking“ zugrunde,108 das aus dem angelsächsischen Recht bekannt ist. Das Control-Konzept ist wesentlicher Bestandteil des Rechts der Unternehmenskonzentration in Großbritannien
und Irland.109 Auf der Ebene des europäischen Rechts hat es bereits im EGKS-
Vertrag110 Art. 66 § 1 Eingang gefunden.
Nach englischem Recht besteht eine Unternehmensgruppe („group of companies“) aus einer Muttergesellschaft (holding oder parent company) und ihren Toch-
104 Vgl. auch Ruppelt in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9. A. 2001, GWB, § 37 Rn. 38.
105 Regierungsbegründung 1989, S.20 zum Entwurf des 5. GWB-Änderungsgesetz, BT-
Ds.11/4610, S. 20; Ruppelt in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9. A. 2001 § 37 Rn. 52.
106 Richtlinie des Rates vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG L 294/22.
107 Richtlinie über den konsolidierenden Abschluss, ABl. EG 1983 L 193/1.
108 European Commission, Working Party on Information and Cosultation - Transposition of
Directive 94/45/EC, Working Paper pg. 175 ff.
109 In Großbritannien: Companies Act 1985, section 736 in der Fassung des Companies Act
1989 section 129 und 144 I, siehe hierzu: D.D. Prentice in: Eddy Wymeersch (Hrsg.),
Groups of Companies in the EEC, S. 279, 288 sowie Jura Europae, Company Law, Vol.
IV, Chap. 90.70 und 91.70. Für Irland: § 155 Companies Act 1963, siehe hierzu: Michel,
Gesellschaftsrecht in Irland, 1996, S. 82 f. sowie Jura Europae, Company Law, Vol. IV,
Chap. 80.70 und 81.70.
110 Vom 18.4.1951, BGBl. 1952 II S. 445, 447, zuletzt geändert durch Vertrag von Amsterdam
vom 2.10.1997, Bek. v. 6.4.1999, BGBl. 1999 II S. 296.
51
tergesellschaften (subsidiaries). Das Control-Konzept definiert, wann ein Unternehmen als herrschendes Unternehmen zu qualifizieren ist, weil es die Möglichkeit hat,
auf ein anderes Unternehmen (abhängiges oder kontrolliertes Unternehmen) einen
beherrschenden Einfluss (die Kontrolle) auszuüben.
Nach Companies Act 1985 section 736, konkretisiert durch sec. 736 A Companies Act 1985, dieser wurde eingefügt durch sec. 144 I Companies Act 1989, ist eine
Gesellschaft Muttergesellschaft einer anderen Gesellschaft, ihrer Tochtergesellschaft, wenn die Muttergesellschaft
a) die Mehrheit der Stimmrechte in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft hält, oder
b) Gesellschafterin der Tochtergesellschaft und berechtigt ist, Direktoren der
Tochtergesellschaft zu bestellen und zu entlassen, die eine Stimmrechtsmehrheit
innerhalb des Gremiums halten, oder
c) Gesellschafterin der Tochtergesellschaft ist und allein oder aufgrund eines Vertrages mit anderen Anteilseignern eine Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft hält, oder
d) die über eine dritte Gesellschaft (Tochtergesellschaft) Anteile an einer weiteren
Gesellschaft (Enkelgesellschaft) hält.111
Hinzukommen für das Recht der Rechnungslegung zwei weitere Kontrolltatbestände
aus sec. 258, 260 II Companies Act 1985, in Umsetzung der 7. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über den konsolidierenden Abschluss:112 das Recht einen beherrschenden Einfluss ausüben zu können aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder
einer Satzungsbestimmung113 sowie die Ausübungsmöglichkeit beherrschenden Einflusses auf faktischer Grundlage bzw. die gemeinschaftliche Führung114 von Mutterund Tochterunternehmen.
Das englische Recht kennt somit sechs Kontrolltatbestände:
a) die Stimmrechtsmehrheit,
111 Die englische Fassung lautet:
„... a group of companies comprises a holding or parent company and its subsidiaries. A
company is the holding company of another company, which is its subsidiary, if either:
(a) the holding company holds a majority of the voting rights at general meetings of the
subsidiary, or
(b) the holding company is a member of the subsidiary, and is entitled to appoint or dismiss directors of it who hold a majority of the voting rights exerciable at its board
meetings, or
(c) the holding company is a member of the subsidiary, and controls alone or by agreement with other shareholders a majority of the voting rights exerciable at the subsidiary’s general meetings, or
(d) the holding company is the holding company of a third company which is the holding
company of the subsidiary (e.g. sub-subsidiaries, sub-sub-subsidiaries).”
112 Vom 13.6.1983, ABl. EG L 193/1.
113 Vgl. im deutschen Recht als Umsetzung der 7. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie § 290 II
Nr. 3 HGB.
114 Terminologie nach Jura Europae, Vol. IV, Chap. 90.70 pg. 3.
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b) die Mehrheit der Bestellungsrechte,
c) die Stimmrechtsmehrheit aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern,
d) mittelbare Kontrolle durch mehrstufige Unternehmensverbindungen sowie
e) die Ausübung beherrschenden Einflusses aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder einer Satzungsbestimmung oder
f) auf faktischer Grundlage bzw. bei einheitlicher Führung oder Leitung.
Das irische Recht nennt in § 155 Companies Act 1963 folgende Kontrolltatbestände:115
a) die Muttergesellschaft hält mehr als die Hälfte des Nennwertes des Gesellschaftskapitals;
b) die Muttergesellschaft übt mehr als die Hälfte der Stimmrechte in der Tochtergesellschaft aus;
c) die Muttergesellschaft ist Gesellschafterin der Tochtergesellschaft und kann die
Zusammensetzung des Leitungsorgans (board of directors) der Tochtergesellschaft kontrollieren;
d) die Muttergesellschaft ist Gesellschafterin einer Zwischengesellschaft, die wiederum Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft ist.
Nach § 155 Abs. 2 Companies Act 1963 ist die Kontrolle der Zusammensetzung des
Leitungsorgans (c) dann anzunehmen, wenn die Muttergesellschaft ohne Zustimmung eines Dritten alle oder die Mehrzahl der Direktoren bestimmen und abberufen
kann. Das ist dann der Fall, wenn ihr Einverständnis für die Berufung eines Direktors zwingend erforderlich ist oder wenn seine Berufung automatisch seiner Bestellung als Direktor der Muttergesellschaft folgt.
Im deutschen Recht findet sich der Kontrolltatbestand der Mehrheit der Bestellungsrechte im Gesetz über die europäischen Betriebsräte (§ 6 II Nr.1 EBRG), in
§ 290 II Nr. 2 HGB, der über § 22 III WpHG auch im Wertpapierrecht Anwendung
findet, sowie im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen innerhalb des § 37 I
Nr. 2 lit. b) GWB. Der Kontrolltatbestand der Stimmrechtsmehrheit ist in § 6 II Nr.2
EBRG, in § 290 II Nr.1 HGB, auf den § 22 III WpHG für das Wertpapierrecht verweist, und in § 37 I Nr. 2 lit. b) GWB zu finden. Diese zwei Kontrolltatbestände finden sich einheitlich in allen deutschen Gesetzen, die entweder in Umsetzung einer
EU-Richtlinie (EBRG, § 290 HGB, WpHG) oder in Anlehnung an Normen des EU-
Rechts (z.B. § 37 I GWB und Art. 3 FKVO) in den letzten Jahren umgesetzt oder
neu gefasst wurden. Der jeweils dritte Kontrolltatbestand in den benannten Gesetzen
ist unterschiedlich ausgestaltet: das klassische Control-Konzept des englischen
Rechts gibt hierfür die Stimmrechtsmehrheit aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern vor. Dieser Kontrolltatbestand fand sich im deutschen Recht
nur in § 22 III Nr. 3 WpHG in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung.
115 Michel, Gesellschaftsrecht in Irland, 1996, S. 82 f.
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Entsprechend zu den §§ 290 und 271 HGB, die eine Umsetzung der 7. Gesellschaftlichen Richtlinie über den konsolidierenden Abschluss sind, finden sich im
Recht der Rechnungslegung der Kontrolltatbestand der Ausübung beherrschenden
Einflusses aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder einer Satzungsbestimmung.
Damit wird auf bekannte konzernrechtliche Formen zurückgegriffen: den Beherrschungsvertrag nach § 291 I AktG sowie der Beherrschung aufgrund von Satzungsbestimmungen wie sie beispielsweise bei der Gründung einer GmbH als abhängiger
Gesellschaft verwendet werden.
§ 6 II Nr. 3 EBRG nennt als dritten Kontrolltatbestand die Innehabung der Mehrheit des gezeichneten Kapitals. Das war durch Art. 3 II Nr.1 der Richtlinie über die
Europäischen Betriebsräte vorgegeben. Das Halten der Kapitalmehrheit muss nicht
zugleich auch eine Stimmrechtsmehrheit beinhalten, so dass dieser Kontrolltatbestand gegenüber den zwei anderen (Mehrheit der Bestellungsrechte, Stimmrechtsmehrheit, § 6 II Nr. 1 und 2 EBRG) ein Kontrolltatbestand einer schwächeren Form
ist. Dem entspricht auch das EBRG, indem es unter den einzelnen Kontrolltatbeständen gewichtet, § 6 II Satz 2 EBRG.
E. Schlussfolgerungen
I. Formelle versus materielle Begriffsbildung
In der Terminologie des EBRG wird die Unternehmensgruppe aus herrschenden und
abhängigen Unternehmen gebildet. Herrschafts- und Abhängigkeitsbeziehungen
zwischen den Unternehmen sind das Band, das sie zu einer Gruppe verbindet. Der
Begriff der Abhängigkeit wird zum qualifizierenden Merkmal.
Um die eine Unternehmensgruppe konstituierenden Abhängigkeitsverhältnisse
möglichst breit zu erfassen, bedient sich Art. 3 EBR-Richtlinie und ebenso § 6
EBRG in Absatz I einer Generalklausel, die die Abhängigkeitsbeziehung mit der
Möglichkeit einer beherrschenden Einflussnahme auf das abhängige Unternehmen
umschreibt. In Absatz II werden Regelbeispiele mit Vermutungswirkung für eine
beherrschende Einflussnahme aufgestellt. Diese Regelbeispiele verkörpern das oben
beschriebene Control-Konzept.
Die zuvor vorgenommene Betrachtung der Normen, die das Control-Konzept
beinhalten, ergab, dass es sowohl Normen gibt, die gesetzliche Pflichten an das Vorliegen bestimmter Kontrolltatbestände anknüpfen (z.B. die Konsolidierungspflicht in
§ 290 II HGB), aber auch solche, bei denen die Kontrolltatbestände als Regelbeispiele mit Vermutungswirkung einer generalklauselartigen Definition den gesetzgeberisch vorgestellten „sicheren“ Anwendungsbereich markieren (z.B. Art. 3 EBR-
Richtlinie und § 6 EBRG; aus der Fusionskontrolle Art. 3 FKVO, § 37 I Nr. 2
GWB; aus dem deutschen Gesellschaftsrecht: § 17 AktG). Da das Recht der Rechnungslegung eine unkomplizierte zweifelsfreie Feststellbarkeit der Konsolidierungspflicht durch den Rechtsanwender erfordert, ist im Rechnungslegungsrecht ein for-
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References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.