160
und damit das in Aussicht stellen persönlicher Nachteile. Die Beherrschungsmittel
Bestellungsrechts- und Stimmrechtsmehrheit wirken somit personenbezogen.471
Die Kapitalmehrheit ermöglicht eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf die Organbeschlüsse.472
Eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit schafft keine aktive (Mit-)Entscheidungsmöglichkeit im Organ, versetzt aber deren Inhaber in die Position, Druck
auf die Organmitglieder ausüben zu können, um seine Interessen durchzusetzen.
Druckmittel des Inhabers der Kapitalmehrheit ist der Abzug seiner Beteiligung verbunden mit dem Entzug von Eigenkapital für das Unternehmen.
Ziel ist es nunmehr, Beherrschungs- und Kontrollmittel zu finden, die zur Ausfüllung der Generalklausel des § 6 I EBRG geeignet sind. Sie müssen den von § 6 I
EBRG vorgegebenen Rahmen - Potentialität und als Gegenstand der Einflussnahme
wesentliche unternehmerische Entscheidungsbereiche - einhalten und in Intensität
und Wirkungsweise den Beherrschungsmitteln aus den Regelbeispielen § 6 II EBRG
vergleichbar sein. Das heißt, sie müssen eine direkte oder indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf die Zusammensetzung oder Beschlüsse der Organe im kontrollierten
bzw. abhängigen Unternehmen gewähren.
Die in Betracht kommenden Beherrschungs- bzw. Kontrollmittel werden unterteilt in solche der sole control (alleinige Kontrolle, B.), der joint control (gemeinsame Kontrolle, C.)473 und der reciprocal control (wechselseitige Kontrolle, D).474 475
Sie werden auf ihre Wirkungsweise hin untersucht und die der Einflussnahmemöglichkeit zugrunde liegende Strukturveränderung betrachtet.
B. Beherrschungsmittel Teil I: Sole Control – alleinige Beherrschung
Alleinige Kontrolle ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die strategischen Entscheidungen des kontrollierten (abhängigen) Unternehmens zu bestimmen.476 Aus der Sicht des kontrollierten Unternehmens kann die
Willensbildung nicht mehr vollumfänglich autonom erfolgen.477 Die Kommission
hat in ihren Entscheidungen den Rahmen für die hierunter fallenden strategischen
Entscheidungen abgesteckt. Das sind z.B. Entscheidungen über die Besetzung der
471 Dazu schon im Kapitel 3 C I, II.
472 Siehe auch Kapitel 3 C III.
473 Die Begriffe sole control und joint control sind der Entscheidungspraxis der EU-
Wettbewerbskommission entnommen.
474 Zu diesem Begriff siehe unten D.
475 Just-in-Time-Zulieferbeziehungen, als Sonderfall der alleinigen Kontrolle, werden wegen
ihrer besonderen Bedeutung für das EBRG in Kapitel 5 gesondert behandelt.
476 S. A. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG)
Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5, Tz. 19.
477 Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, S. 69.
161
Unternehmensleitung,478 die Änderung der Kapitalanteile,479 die grundlegenden Fragen der Geschäftspolitik,480 insbesondere der Kauf/Verkauf von Unternehmensanteilen, größere Investitionsentscheidungen,481 Aufstellung von Geschäftsplänen, Einund Mehrjahresbudgets482 oder auch Lizenz- und Technologieentscheidungen,483
insbesondere bei einem Gemeinschaftsunternehmen.
I. Beherrschungs- und Kontrollmittel entsprechend der Regelbeispiele des § 6 II
EBRG
1. Stimmrechtsmehrheit
Der häufigste Fall der Erlangung der alleinigen Kontrolle ist der Erwerb einer
Mehrheitsbeteiligung (z.B. 50% + 1 Aktie); maßgeblich ist hierbei die Stimmrechtsmehrheit,484 die die Möglichkeit schafft, die Unternehmensorgane zu besetzen
und damit die Geschäftspolitik zu beeinflussen (Entscheidungen der EU-
Kommission für Wettbewerb: Mannesmann/Boge,485 Crédit Lyonnais/BFG Bank,486
Sanofi/Yves Saint Laurent487 und GEHE/OCP488) Der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung kann eine alleinige Kontrolle begründen, wenn das kontrollierende Unternehmen aufgrund einer breiten Streuung der Anteile über die Stimmenmehrheit in
der Hauptversammlung verfügt (Kommissionsentscheidungen: Société Générale de
Belgique/Générale de Banque und Arjomari-Prioux S.A./WTA) oder Stimmbindungsvereinbarungen mit anderen Unternehmen bestehen (Kommissionsentscheidung Preussag/Hapag Lloyd).
In der Entscheidung Mannesmann/Boge erwirbt Mannesmann eine 50,01% Beteiligung an Boge und damit die alleinige Kontrolle. Crédit Lyonnaise (Entscheidung
Crédit Lyonnais/BFG Bank) erwirbt 50 % + 1 Aktie an der BFG Bank. Im Fall Sa-
478 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5, Tz. 25.
479 Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Kommentar, Bd.I, Art. 3
FKVO, Rn. 56.
480 Ebenda.
481 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5, Tz. 27.
482 Ebenda.Tz. 26.
483 Ebenda. Tz. 28.
484 Siehe oben Kapitel 3 C II.
485 Kommissionsentscheidung IV/M.134, v. 23.09.1991, Tz. 5, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases/.
486 Kommissionsentscheidung IV/M.296, v. 11.01.93, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases/.
487 Kommissionsentscheidung v. 10.05.93, zu finden: www.europa.eu.int/comm/ dg04/merger
/cases/; Kurzfassung in WuW EV 2021.
488 Kommissionsentscheidung v. 30.06.1993, zu finden: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases/; Kurzfassung in WuW EV 2017.
162
nofi/Yves Saint Laurent übernahm die Elf Aquitaine-Tochter Sanofi die Unternehmen der Yves Saint Laurent Gruppe, die zu einem Unternehmen zusammengelegt
wurden. Die Anteile an dem neuen Unternehmen halten Elf Aquitaine zu 51,6 %,
Sanofi zu 32,9 % und die Yves Saint Laurent Gruppe zu 15,5 %. Die GEHE AG
(Entscheidung GEHE/OCP) erwarb 50,1 % der Aktien der OCP S.A. und erwarb
damit eine Mehrheitsbeteiligung.
a) Hauptversammlungspräsenzmehrheit
Ein Beispiel dafür bildet die Entscheidung Société Générale de Belgique/Générale
de Banque.489 Die Société Générale de Belgique (SGB) erhöhte ihre Beteiligung an
Générale de Banque (GB) von 20,94 % auf 25,96%. Die SGB wird von der Compagnie de Suez kontrolliert, die 61 % der SGB-Anteile hält. Die Kommission analysierte zunächst die Präsenz auf der Hauptversammlung der GB und projizierte die
jeweilige Beteiligung der SGB hierauf. Die 20,94 % Beteiligung der SGB ergab eine
Stimmrechtsposition (der anwesenden Stimmrechte) von unter 45 %. Die erhöhte
Beteiligung von nunmehr 25,96 % ließ erwarten, dass SGB über etwa 55 % der anwesenden Stimmrechte verfügen und damit in der Lage sein wird, die Kontrolle über
GB auszuüben. Im Fall Arjomari-Prioux S.A./WTA490 übertrug Arjomari einen gro-
ßen Teil seines Betriebsvermögens, seiner Verbindlichkeiten und Unternehmen auf
seine 100%ige Tochter Arjomari Decor S.A. Im zweiten Schritt übertrug Arjomari
seine Anteile an Arjomari Decor (99%) auf Wiggins Teape Appelton plc (WTA), im
Gegenzug erhielt Arjomari 39 % der Stammaktien von WTA. Die übrigen WTA-
Aktien sind weit gestreut; sie werden von 107.000 Kleinaktionären gehalten, von
denen keiner mehr als 4 % der Aktien hält. Die Kommission sah aufgrund des breiten Streubesitzes der WTA-Aktien den Aktienerwerb durch Arjomari (39 %) als
Erwerb der Kontrolle über WTA an.
b) Stimmbindungsverträge
In der Kommissionsentscheidung Preussag/Hapag Lloyd491 erwirbt Preussag insgesamt 99,13 % des Grundkapitals an Hapag Lloyd (HL) und erlangt damit die alleinige Kontrolle über HL. An den TUI-Gesellschaften hält die HL zu 30 % und die
WestLB, über ihre 100 %ige Tochter TCT 30 %, die Schickedanz/Quelle-Gruppe ist
zu 20 %, die Deutsche Bahn und DER Deutsches Reisebüro zu je 10 % an TUI
489 Kommissionsentscheidung v. 03.08.1993, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases/; Kurzfassung in WuW 1993, 920.
490 Kommissionsentscheidung v. 10.12.1990, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases/; Kurzfassung in WuW EV 1554.
491 Kommissionsentscheidung, IV/M.1001 v. 10.11.1997, Tz. 9,10; zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg 04/merger/cases/.
163
beteiligt. Aufgrund des Mehrheitserwerbs an der HL ist Preussag an TUI mittelbar
in Höhe von 30 % beteiligt. Durch ein vertraglich vereinbartes Weisungsrecht der
Preussag gegenüber der WestLB hinsichtlich der Ausübung der Stimmrechte, die die
WestLB in der TCT hat – das entspricht einer Stimmbindungsvereinbarung -, erlangt
Preussag die Möglichkeit, mittelbar einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Abstimmungen oder die Beschlüsse der Organe der TUI auszuüben.
2. Kapitalmehrheit
In der Regel wird die Kapitalmehrheit mit den entsprechenden Stimmrechten verknüpft sein. Beispielsweise kann in Personengesellschaften das gesetzlich vorgesehene Einstimmigkeitsprinzip (§ 119 HGB) abbedungen und das Stimmgewicht gesellschaftsvertraglich an die Kapitalbeteiligung geknüpft sein.492 Fraglich ist, ob
darüber hinaus die Kapitalmehrheit, die nicht zugleich eine Stimmrechtsmehrheit
darstellt, eine eigenständige Bedeutung haben kann.
Die Kommission will dies nicht der Erlangung der Kontrolle gleichsetzen.493 Zu
beachten ist, dass nach der Kollisionsregel in § 6 II S. 2 EBRG (Art. 3 VII EBR-
Richtlinie) der Gesellschafter, der die Kapitalmehrheit hält, seine beeinflussungsgeeignete Stellung verliert, wenn ein anderer Gesellschafter die Stimmrechts- oder Bestellungsrechtsmehrheit hat. Das Halten der Kapitalmehrheit ist dennoch im Hinblick auf das Einbringen von Eigenkapital in die Gesellschaft nicht bedeutungslos.
Der BGH stellte in seiner Entscheidung Süddeutscher Verlag/Donau Kurier494
fest, dass bei erheblicher Erhöhung der Kapitalbeteiligung die Beziehungen des
Erwerbers zur Gesellschaft intensiver werden. Dies folge aus der Erfahrungstatsache, dass eine wesentliche Erhöhung der Beteiligung das wirtschaftliche Interesse des Anteilsinhabers am Unternehmen steigert, da damit eine Steigerung der
finanziellen Chancen und Risiken einhergeht. Dem gesteigerten Interesse entspricht
eine intensivere Einflussnahme auf das Unternehmen mit der Folge einer verstärkten
Unternehmensverbindung.495
492 Siehe oben Kapitel 3 C.
493 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5, Tz. 13.
494 Entscheidung vom 27.05.1986 zu § 23 II Nr. 2 GWB a.F., WuW BGH 2276, 2282.
495 S. a. Paschke, Der Zusammenschlussbegriff des Fusionskontrollrechts, S. 66: Bei
Kapitalbeteiligungen über 25 % kann die Höhe des Kapitalanteils für den Einfluss auf das
Marktverhalten des Beteiligungsunternehmens ... von erheblicher ... Bedeutung sein.”
164
II. Beherrschungs- und Kontrollmittel auf der Grundlage von § 6 I EBRG
1. Satzungs- oder vertragsbasierte Zustimmungserfordernisse oder Vetorechte
Ein interessantes Beispiel bietet die zu dem aus Artt. 4 I und 11 I, II EBR-Richtlinie
abgeleiteten Auskunftsanspruch496 ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes „bofrost“.497 Hier hatte der Firmengründer J.B. die Unternehmen mittels
Gleichordnungs(konzern)vertrages verbunden und zusätzlich in diesem Vertrag die
Errichtung gemeinsamer Gremien, eines Lenkungsausschusses (LA) und eines Gesellschafterbeirates (GB) festgelegt. Der GB bestand aus zwei Personen: dem Gründer J.B., der ein Zweitstimmrecht besaß, sowie einer weiteren natürlichen Person.
Im Vertrag war vorgesehen, dass bestimmte unternehmenswesentliche Entscheidungen, wie Finanzierung und Investitionen sowie Auswahl und Vergütung des Führungspersonals, in den einzelnen Gesellschaften der vorherigen Zustimmung des LA
bedurften. Die diesbezüglichen Entscheidungen des LA sowie „über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehende Entscheidungen“ bedurften wiederum der
vorherigen Zustimmung des GB. Ebenso war vertraglich die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführung der einzelnen Gesellschaften vorgesehen. Die vertraglich geschaffenen Zustimmungs- und Weisungsrechte geben letztlich dem Gründer
J.B. die Möglichkeit zur direkten Einflussnahme auf wesentliche Unternehmensentscheidungen in den Organen der so verbundenen Gesellschaften.
Ein weiteres Beispiel für die Einräumung eines Zustimmungs- bzw. Vetorechts
bietet die Entscheidung CCIE/GTE.498 Die Citicorp Capital Investors Europe Limited (CCIE) hält eine Beteiligung von 19 % an der EDIL International Lighting B.V.
(EDIL). CCIE hat einen dauerhaften Sitz im Vorstand von EDIL. Zudem muss der
Vorstand der CCIE für alle wesentlichen Entscheidungen bei EDIL seine Zustimmung erteilen.499 Dieses Zustimmungserfordernis stellt ein Vetorecht dar, welchem
eine direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die Organbeschlüsse des kontrollierten Unternehmens (EDIL) zukommt. Zustimmungserfordernisse oder Vetorechte können
vertraglich oder satzungsmäßig festgeschrieben sein. Sie ändern das Gesellschaftsstatut einer unabhängigen Gesellschaft zugunsten der Einwirkungsmöglichkeit eines
anderen Unternehmens im Hinblick auf wesentliche unternehmerische Entscheidun-
496 Umgesetzt in § 5 EBRG.
497 EuGH Rechtssache C-62/99, Slg. 2001 I-2579 = AP EWG-Richtlinie Nr. 94/45 Nr. 2 =
EzA EG-Vertrag 1999, Richtlinie 94/45 EG Nr. 2 = NZA 2001, 506 = ArbuR 2002, 28 =
EuZW 2001, 275, zu finden unter: www.curia.eu.int; hierzu näher in Kapitel 8 A.
498 Kommissionsentscheidung IV/M.258 v. 25.09.1992, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
499 Diese sind im Einzelnen: Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, Vorruhestandsvereinbarungen für die Belegschaft, Kapitalausgaben, Veräußerung wesentlicher Teile des Betriebsvermögens sowie der Jahreshaushalt. Die Vertragsparteien (CCIE und die
anderen Investoren) haben sich darauf verständigt, dass dieses Vetorecht auch in den
Hauptversammlungen anzuwenden ist.
165
gen im – somit abhängigen (kontrollierten) – Unternehmen. Bildet ein Vertrag die
Grundlage des Zustimmungs- oder Vetorechts, kann dieser als Organisationsvertrag
qualifiziert werden,500 da er eine durchsetzbare Einflussnahmemöglichkeit auf wesentliche unternehmerische Entscheidungsbereiche schafft.
2. Verträge
Hierbei geht es um Verträge zwischen dem herrschenden (kontrollierenden) und
dem abhängigen (kontrollierten) Unternehmen, Verträge zwischen den Gesellschaftern eines kontrollierten Unternehmens über Vetorechte, besondere Mehrheitserfordernisse oder allgemein im Hinblick auf die Tatbestände ihrer gemeinsamen Kontrolle.501
Maßgeblich für die Eignung eines Vertrages als Kontrollmittel ist der Grad der
Abhängigkeit, den er bewirkt.
a) Organisationsverträge
Ein hohes Maß an Kontrolle bzw. Abhängigkeit verschaffen die in §§ 291, 292
AktG genannten Unternehmensverträge. Dazu gehören: Beherrschungsverträge, Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsverträge, Gewinnabführungsverträge, je nach Ausgestaltung auch Teilgewinnabführungsverträge, Gewinngemeinschaften sowie Geschäftsführungsverträge.502 Sie waren als typische Kontrollinstrumente im GWB der alten Fassung503 durch § 23 II Nr. 3 lit. a)-c) anerkannt. Die Hohe Behörde, deren Aufgabe die Beurteilung von Zusammenschlüssen
im Montanbereich nach Art. 66 § 1 EGKS-Vertrag ist, hat in ihrer Entscheidung
24/54504 in Art. 1 Nr. 3, 4 Verträge über die Geschäftsführung eines Unternehmens
und Verträge über die Bildung oder Verwendung des Gewinns als taugliche Kontrollmittel anerkannt. Dies bedeutet, dass die o.g. Verträge in den Kreis der Kontrollmittel einzubeziehen sind.
500 Dazu näher in Kapitel 7 B.
501 Dazu näher in Kapitel 4 C.
502 Immenga in: Immenga/Mestmäcker, GWB-Kommentar zum Kartellgesetz, 3. A. 2001, § 37
Rn. 38; Löffler in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9. A. 2001, Art. 3 FKVO Rn. 21; Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, S. 206 ff.; Schütz in: Gemeinschaftskommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäischem Kartellrecht, 5.Lfg. 2002,
Art. 3 FKVO Rn. 32.
503 Vor der 6. Novelle im Jahr 1998.
504 EGKS, Hohe Behörde, Entscheidung Nr. 24/54 vom 6.5.1954 betreffend die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens aufgrund des Artikels 66 § 1 des Vertrages
vom 6.5.1954, ABl. EG Nr. 009 vom 11.05.1954, S. 0345-0346.
166
Die vorgenannten Verträge werden von der herrschenden Meinung überwiegend
als Organisationsverträge qualifiziert.505 Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie
überwiegend unmittelbar satzungsändernd wirken und sämtlich die Zuständigkeitsverteilung im Hinblick auf unternehmenswesentliche Entscheidungen neu ordnen.
Beispielhaft sei hier der Beherrschungsvertrag angeführt, der ein Weisungsrecht begründet, welches in sämtlichen unternehmenswichtigen Entscheidungsbereichen
ausgeübt werden kann oder der Gewinnabführungsvertrag, der maßgeblich die Finanz- und Investitionspolitik im abhängigen Unternehmen bestimmt. Die Neuordnung der Entscheidungszuständigkeiten in einigen wesentlichen Unternehmensbereichen stellt sich als Strukturänderung dar.506 Neben diesen unmittelbar gesellschaftsrechtlichen Wirkungen können Organisationsverträge auch Leistungspflichten begründen.507 Weitere Kennzeichen sind eine meist einseitige Zweckverfolgung,
d.h. das abhängige Unternehmen wird in die unternehmensübergreifenden Zwecke
des herrschenden Unternehmens eingebunden, zudem liegt ein Machtungleichgewicht508 vor. Mit der Einbindung in die übergeordneten Zwecke des herrschenden
Unternehmens soll meist eine stabilisierende Wirkung509 erreicht werden; das spricht
wiederum für eine auf Dauer angelegte Strukturveränderung.
b) Verträge mit Organisationscharakter
Auf einer anderen vertraglichen Ebene befinden sich z.B. Just-in-Time-
Zulieferverträge. Die Spezifität des Zulieferteils determiniert die Ausgestaltung des
Zuliefervertrages.510 Zur Fertigung komplexer Baugruppen, z.B. ABS-Systeme für
Automobile, müssen häufig die Produktionsanlagen speziell für die Herstellung dieser Teile ausgerichtet werden, was einen zusätzlichen Investitionsaufwand bedeutet.
Der Zuliefervertrag enthält eine Verpflichtung zum Einrichten der Produktionsanlagen speziell für diese Lieferteile. Häufig werden seitens des Herstellers die speziellen Produktions- und Fertigungsverfahren vorgegeben. Der Zulieferer muss unter
Umständen in dem vom Hersteller vorgegebenen Rahmen zur Detailentwicklung
beitragen.
505 Stellvertretend: BGHZ 105, 324, 331 = NJW 1989, 295 (Supermarkt); BGHZ 103, 1, 4f. =
NJW 1988, 1326 (Familienheim); Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 291 Rn. 17; Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, Vorb. § 291 Rn. 156;
Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. A. 2003, § 291 Rn.25; Nagel,
DB 1988, 2291, 2293; Kohte, Betrieb und Unternehmen unter dem Leitbild des Organisationsvertrages, unveröff. Habilitationsschrift, Bochum 1988, S. 118 f., 413.
506 Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 291 Rn. 17.
507 Beispiel Beherrschungsvertrag: Befolgung der Weisungen (§ 308 II AktG) gegen Verlust-
übernahme (§ 302 AktG).
508 Kohte, Betrieb und Unternehmen unter dem Leitbild des Organisationsvertrages, S. 119.
509 Kohte, Betrieb und Unternehmen unter dem Leitbild des Organisationsvertrages, S. 413.
510 Eine Typisierung der Zulieferteile und der entsprechenden Vertragsgestaltungen findet sich
in Kapitel 5 und 7 B.
167
Die Vertragsbeziehung enthält auch Flexibilisierungsinstrumente wie Vertragsanpassungsklauseln und die Verpflichtung zur Synchronisierung von Fertigung und
Anlieferung der Teile, die wiederum eine EDV-Vernetzung der Unternehmen als
weiteren Investitionsfaktor notwendig werden lässt.
Die speziellen Vertragspflichten, die über das übliche Pflichtenprogramm von
Austauschverträgen hinausgehen, schaffen die Grundlage für eine organisatorische
Einbindung des Lieferanten in die unternehmensübergreifende Produktionsorganisation des Herstellers. Solche Verträge sind als Verträge mit Organisationscharakter
zu qualifizieren.511 Faktisch entsteht hierbei eine Organisationsherrschaft des Herstellers, die ihm eine Einflussnahme auf die Unternehmensbereiche Produktion, Investitionen/Finanzen sowie Produktentwicklung gewährt, ohne – wie bei den Organisationsverträgen – die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsordnung zu verändern.
Sie schaffen keine Weisungsrechte im Hinblick auf sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungen, aber gewähren Einflussnahmerechte in den vertraglich definierten unternehmenswesentlichen Bereichen.
c) Relationale und Austauschverträge: Liefer- und Kreditbeziehungen
Bei engen Liefer- und Kreditbeziehungen auf der Basis von Austauschverträgen bildet der „atypische“, in seinen Leistungspflichten über gewöhnliche, branchenübliche
Verträge seiner Art hinausgehende, Liefer- oder Kreditvertrag die Grundlage für eine Situation in der sich aus den besonderen tatsächlichen Umständen ein Abhängigkeits- bzw. Kontrollverhältnis entwickelt.
Strukturelle Verflechtungen, wie Bestellungsrechte über ein oder zwei Organmitglieder oder eine Minderheitsbeteiligung oder organisatorische Verflechtungen,
können – obwohl sie für sich allein kein Abhängigkeits- oder Kontrollverhältnis zu
begründen vermögen – ein Supplement sein, welches in Kombination mit dem Liefer- oder Kreditvertrag ein wirksames Kontroll- bzw. Beherrschungsmittel darstellen
können.
3. Tatsächliche Einflussgrundlagen – faktische Kontrolle
a) Personelle Verflechtungen
Von einer personellen Verflechtung kann gesprochen werden, wenn Mitglieder des
Aufsichts- oder Leitungsorgans (Aufsichtsrat, Vorstand oder Geschäftsführung) des
herrschenden Unternehmens zugleich Organmitglieder im abhängigen Unternehmen
sind (vollständige oder überwiegende Personenidentität). Eine mehrheitliche Besetzung des Leitungs- oder Aufsichtsorgans der abhängigen Gesellschaft entspricht
511 Dazu näher in Kapitel 7 B.
168
dem Beherrschungsmittel der Mehrheit der Bestellungsrechte (§ 6 II Nr.1 EBRG).
Bei nicht mehrheitlicher Besetzung müssen für die Annahme der Begründung einer
Abhängigkeit bzw. Kontrolle die übernommenen Leitungsfunktionen dann den
Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit des Unternehmens ausmachen.512
b) Wirtschaftliche Abhängigkeitsbeziehungen: relationale und Austauschverträge,
enge Liefer- und Kreditbeziehungen
Nach Ansicht der Kommission kann eine wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund von
Liefer- und Kreditbeziehungen faktisch zur Erlangung der Kontrolle führen, wenn
beispielsweise „langfristige Lieferverträge oder Lieferantenkredite in Verbindung
mit strukturellen Verflechtungen“ einen bestimmenden Einfluss gewähren.513 Sie
führt als Beispiele ihre Entscheidungen CCIE/GTE514 und Lockheed Martin Corporation/Loral515 an.
Loral ist eine 100 %ige Tochter der Lockheed Martin Corporation (LMC). In der
Entscheidung Lockheed Martin Corporation/Loral geht es um die Kontrolle eines
dritten Unternehmens, der LSCL, durch LMC über Loral. Loral hält an LSCL eine
ca. 50 %ige Kapitalbeteiligung ohne Stimmrechte, die in eine 20 %ige Stimmrechtsbeteiligung umgewandelt werden kann. Hinzukommen die Vergabe von Lizenzen
über umfassendes Know-how durch LMC an LSCL sowie das Anbieten eines umfassenden technischen Services auf unbestimmte Zeit. Nach Ansicht der Kommission genügt dies nicht zur Ausübung eines bestimmenden Einflusses der LMC über
LSCL. Mit Blick auf die Mitteilung der Kommission,516 scheint sie die hier vorliegende Kapitalbeteiligung i.H.v. 50 % nicht als ausreichende „strukturelle Verflechtung“ anzusehen.
Im Fall CCIE/GTE ging es um die Gewährung von Lizenzen und Unterlizenzen
von OSRAM, einer 100 % Tochter der Siemens AG, an EDIL, kontrolliert durch die
Citicorp, Belieferungsverträge (Belieferung mit Lampenteilen von OSRAM an
EDIL), Zugang zum technischen Know-how in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Produktion sowie betriebliche Unterstützungs- und Serviceleistungen von
OSRAM. Alle Verträge sollten eine Laufzeit von 10 Jahren haben. Zu prüfen war
zunächst, ob EDIL einer gemeinsamen Kontrolle durch Citicorp und Siemens/OSRAM unterlag. Die Vereinbarungen über die Gewährung von Know-how
512 Im Zusammenhang mit der Feststellung des Vorliegens einheitlicher Leitung für einen
Konzernsachverhalt: LG Mainz, Urt. v. 16.10.1990, AG 1991, 30, 31 (Asko/Massa).
513 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5 Fn.4, Tz. 9.
514 Kommissionsentscheidung IV/M.258 v. 25.09.1992, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
515 Kommissionsentscheidung IV/M.697 v. 27.03.1996, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
516 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5 Fn.4, Tz. 13.
169
und technischer Unterstützung bis hin zum eigenständigen Betreiben des Geschäftszweigs wurde von der Kommission nur als eine beschränkte Einflussmöglichkeit für
Siemens/OSRAM angesehen und verneinte eine bestimmende Einflussnahmemöglichkeit.
Die Hohe Behörde definiert in ihrer Entscheidung 24/54517 in Art. 1 Nr. 5 enge
Hersteller- und Lieferbeziehungen als Kontrolltatbestand, der einen Zusammenschluss begründet: „ ... Merkmale, die die Kontrolle eines Unternehmens begründen,
sind …
5. Verträge mit einem Unternehmen über die Gesamtheit oder einen erheblichen
Teil seines Bedarfs oder Absatzes seiner Erzeugnisse, soweit diese Verträge nach
Menge oder Laufzeit das Maß der handelsüblichen Beschaffungs- oder Absatzverträge überschreiten.“
In den zu Art. 66 EGKS-Vertrag ergangenen Entscheidungen stellte die Hohe
Behörde fest, dass enge Herstellungs- und Lieferbeziehungen, die erhebliche Ausmaße angenommen haben, und somit in eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit
führen, einen Kontrollerwerb begründen (Entscheidung ATH/Walzwerke Neviges518).
Auch für enge Kreditbeziehungen nahm die Hohe Behörde eine wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund einer Kreditbeziehung (Entscheidung Capito&Klein/Friedr.
Krupp 519) an. Die Fa. Friedrich Krupp hatte Capito&Klein finanzielle Unterstützung
geleistet, die sich später als uneinbringlich herausstellte. Die wirtschaftliche Entwicklung von Capito&Klein führte zu einer immer stärkeren finanziellen Anlehnung
an die Fa. Friedrich Krupp bis hin zu gemeinsamen kaufmännischen und technischen Besprechungen. Da das Unternehmen auch in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein würde, sich aus dieser finanziellen (wirtschaftlichen) Abhängigkeit zu lösen,
nahm die Hohe Behörde eine Kontrolle durch die Fa. Friedrich Krupp an. Auch
wenn, wie hier, nicht immer eindeutig ein konkreter Zeitpunkt oder ein bestimmtes
Vorgehen festgelegt werden kann, kann die Entwicklung der tatsächlichen Gesamtumstände zu einem Zustand wirtschaftlicher Abhängigkeit führen. Das belegt die
Notwendigkeit, den Begriff des Kontrollerwerbs unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gegebenheiten520 auszulegen und die Möglichkeit des Kontrollerwerbs aufgrund faktischer bzw. tatsächlicher Umstände immer auch mit in Betracht zu ziehen.
Maßgeblich sind hierbei die oben herausgearbeiteten Merkmale eines Zusammenschlusses bzw. eines Kontrollerwerbs: eine dauerhafte Strukturveränderung, die einem Unternehmen die Möglichkeit zur bestimmenden Einflussnahme auf das strategische Wirtschaftsverhalten eines anderen Unternehmens bietet.
517 EGKS, Hohe Behörde, Entscheidung Nr. 24/54 vom 6.5.1954 betreffend die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens aufgrund des Artikels 66 § 1 des Vertrages
vom 6.5.1954, ABl. EG Nr. 009 vom 11.05.1954, S. 0345-0346.
518 Hohe Behörde, Entscheidung v. 23.11.1966, 15. Gb.EGKS, Tz. 234.
519 Hohe Behörde, Entscheidung v. 10.10.1962, 11. Gb.EGKS, Tz. 352.
520 Feuring, Zusammenschlusskontrolle in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
Stahl, S. 11.
170
In der Kommentarliteratur wird ein Kontrollerwerb aufgrund enger Liefer- oder
Kreditbeziehungen überwiegend für möglich erachtet.521 Was die Einzelheiten anbelangt, zeigen sich die Befürworter uneinheitlich. Im Hinblick auf die Anforderungen, die an einen Liefervertrag als Grundlage für eine wirtschaftliche Abhängigkeit
gestellt werden, können folgende Merkmale als „kleinster gemeinsamer Nenner“
festgehalten werden: Die Lieferbeziehung oder der Kreditvertrag müssen für das betroffene Unternehmen von existentieller Bedeutung sein. Immenga522 verlangt bei
Lieferverträgen eine hohe Intensität der Geschäftsbeziehung. Indiz hierfür ist ein
hoher Anteil am Gesamtumsatzvolumen. Das Kriterium einer sehr intensiven Geschäftsbeziehung lässt sich auch auf Kreditbeziehungen übertragen. Maßpunkt hier
wäre der Anteil des bzw. der Darlehen am gesamten Fremdkapital der finanziell abhängigen Gesellschaft. Weiterhin müssen die Liefer- oder Kreditbeziehungen in ihrer Dauer über durchschnittliche Verträge dieser Art hinausgehen. Als Beispiel seien
hier Exklusivlieferverträge in der Automobilbranche genannt, die eine Laufzeit für
die Herstellung einer Modellserie haben können. Zudem ist jeweils im Einzelfall zu
prüfen, ob das wirtschaftlich abhängige Unternehmen über Geschäftsalternativen
verfügt, z.B. andere Abnehmer oder Lieferanten oder andere Kreditgeber, oder ob
ggf. eine Umstellung auf andere Produktionszweige in Betracht kommt oder ob es
sich in absehbarer Zeit neue Geschäftsfelder erschließen kann und ob für die
Überbrückungsphase Eigenkapitalreserven oder Fremdfinanzierungsmöglichkeiten
erschlossen werden können.523
Macht der jeweilige Liefer- oder Kreditvertrag einen hohen Anteil am gesamten
Liefer- oder Bezugsvolumen oder des Fremdkapitals des Unternehmens aus, sind die
Ausweichmöglichkeiten auf andere Abnehmer, Lieferanten oder Kreditgeber meist
sehr gering. Prüfungsmaßstab ist die Möglichkeit zur Durchsetzung eigener unternehmerischer Interessen durch das herrschende Unternehmen, weil es die Möglichkeit hat, die unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche im abhängigen Unternehmen zu beeinflussen. Diese sind Produktion, Finanzen, einschließlich Investitionen, Personal, Beschaffung, Absatz.524 Aus der Betrachtung dezentraler Konzernformen konnte dem Finanzbereich eine Indizwirkung beigemessen werden.
521 Dafür: Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, FKVO Art.
3 Rn. 45f., 60; Mestmäcker in: Immenga/Mestmäcker, GWB-Kommentar zum Kartellgesetz, 3. A. 2001, § 37 Rn. 40f., sowie in der 2. A. § 23 Rn. 44f.; Miersch, Kommentar zur
EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen,
1991, S. 80f.; Stockenhuber, Europäisches Kartellrecht, 1999, S. 159; Karl, Der Zusammenschlußbegriff der Europäischen Fusionskontrolle, 1996, S. 222 ff. Dagegen: Schütze in:
Gemeinschaftskommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 5. Lfg. 2002,
FKVO, Art. 3 Rn. 35.
522 Immenga in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, FKVO Art. 3 Rn.
45f.
523 Vgl. auch Stockenhuber, Europäisches Kartellrecht, 1999, S. 159.
524 In Kapitel 3 B wurde nachgewiesen, dass sich die Einflussnahme nicht auf sämtlich unternehmerische Entscheidungsbereiche beziehen muss (dafür: Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4.A. 1999, § 17 Rn. 17), sondern es im Hinblick auf die Möglichkeit
dezentraler Konzernformen ausreicht, wenn sich die Beeinflussungsmöglichkeit auf einen
171
Unter der Prämisse der Vergleichbarkeit zwischen dem Abhängigkeitsbegriff des
EBRG und dem Kontrollbegriff der FKVO lässt sich bei den von der Kommission
als Kontrollerwerb angesehenen Konstellationen eine Einflussnahmemöglichkeit auf
unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche im Sinne des Abhängigkeitsbegriffs des § 6 EBRG vermuten.
Die Kommission hat in der Entscheidung RVI/VBC/Heuliez525 die Kombination
eines Exklusivliefervertrages mit einer mittelbaren Minderheitsbeteiligung als Kontrollerwerb angesehen. In ihrer Mitteilung weist die Kommission526 wirtschaftliche
Abhängigkeitsbeziehungen auf der Grundlage von Liefer-, Kredit- oder Lizenzverträgen als kontrollbegründend aus, wenn diese mit „strukturellen Verflechtungen“
verbunden sind. Als strukturelle Verflechtungen sieht sie in Anbetracht der Entscheidung RVI/VBC/Heuliez u.a. Minderheitsbeteiligungen an, die Stimmrechte
vermitteln.527 Betrachtet man die Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp528 genauer, führte die enge finanzielle Anbindung zu gemeinsamen kaufmännischen und technischen Besprechungen und damit zu einer organisatorischen Verflechtung, die eine Beeinflussung des Wirtschaftsverhaltens
bzw. unternehmenswesentlicher Entscheidungen, insbesondere im Produktions-,529
Finanz- und Investitionsbereich ermöglichte. Denkbar wären auch personelle Verflechtungen, bei denen zwar nicht die Mehrheit der Organmitglieder bestellt werden
kann,530 aber die bestellten Personen in der Lage sind, in den Entscheidungsgremien,
nicht nur in Bezug auf den Liefer- oder Kreditvertrag, die eigenen industriellen Interessen durchzusetzen. Ein Beispiel bietet die Entscheidung der Hohen Behörde
Hoesch/Hoogovens:531 Hoogovens hielt eine Minderheitsbeteiligung i.H.v. 15 % an
Hoesch und hatte 2 Aufsichtsratssitze bei Hoesch. Das diente dem Ausbau der Zusammenarbeit, die zu einer engen Anbindung aufgrund eines Investitionsverzichts
von Hoesch in Bezug auf die Rohstahlerzeugung und Hoogovens einen Exklusivliefervertrag zur Belieferung von Hoesch mit Rohstahlerzeugnissen bescherte.
der wesentlichen unternehmerischen Entscheidungsbereiche bezieht; dafür: Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 91, 273 f.; Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 26 ff.
525 Kommissionsentscheidung IV/M.092 v. 03.06.1991, Tz. 4, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
526 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5 Tz. 9.
527 In der Entscheidung Lockheed Martin Corporation/Loral, Kommissionsentscheidung
IV/M.697 v. 27.03.1996, zu finden: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases lag eine
Kombination von Lizenzverträgen mit einer 50%igen Kapitalbeteiligung ohne Stimmrechte
vor, was nach Ansicht der Kommission für einen Kontrollerwerb nicht ausreichte.
528 Hohe Behörde, Entscheidung v. 10.10.1962, 11. Gb.EGKS, Tz. 352.
529 Die Fa. Friedrich Krupp verfolgte hierbei nicht bloße Anlageinteressen, sondern auch industrielle Interessen.
530 Das erfüllte den Beherrschungstatbestand des § 6 II Nr.1 EBRG.
531 Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften
1966/67, Tz. 226f.
172
Somit kommt den strukturellen Verflechtungen wie Minderheitsbeteiligung, organisatorische oder personelle Verflechtungen in Verbindung mit einem Liefer- oder
Kreditvertrag eine indizielle Wirkung zu, da sie in der Regel darauf angelegt sind,
eigene industrielle Interessen und nicht nur die Erfüllung der Vertragspflichten, die
in Art und Umfang oft über die gewöhnlicher Lieferverträge hinausgehen, zu verfolgen. Das lässt eine aktive Beeinflussung der oben benannten unternehmerischen
Entscheidungsbereiche, insbesondere in den Bereichen Absatz/Beschaffung und ggf.
im Finanz- und Investitionsbereich, vermuten. Ein signifikantes Beispiel bilden die
Just-in-Time-Zulieferbeziehungen. Die vertraglichen Verpflichtungen der Lieferanten gehen regelmäßig über die Lieferung von Teilen hinaus, da dem Zulieferer wegen der Spezifität und Komplexität der Zulieferteile auf der Grundlage des Vertrages
Investitionen in spezielle Produktionsanlagen abverlangt werden. Hinzu kommt,
dass der Lieferant zu einer sequenzgenauen Fertigung und Anlieferung der Teile
verpflichtet wird, was wiederum eine EDV-Vernetzung zwischen Zulieferer und
Hersteller notwendig werden lässt. Zudem wird er beteiligt am Forschungs- und Entwicklungsaufwand. Über Vertragsanpassungsklauseln wird die Vertragsbeziehung
flexibilisiert. Das kann bedeuten, dass der Hersteller den Abnahmepreis der Produkte nach unten korrigieren kann. Die Spezifität der Zulieferteile schafft eine organisatorisch-technologische Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bei der Produktentwicklung und bei den Investitionen in Produktionsmittel. Der Zuliefervertrag setzt diese
Notwendigkeit in vertragliche Pflichten um. Zudem werden vertraglich Flexibilisierungsinstrumente wie sequenzgenaue Anlieferung und Vertragsanpassungsklauseln
geschaffen. Dadurch kommt es zu einer starken organisatorischen Einbindung des
Lieferanten in die unternehmensübergreifende Planung und Produktion des Herstellers, was zu einer Fremdorganisation dieser Unternehmensbereiche beim Zulieferer
führt.532
Auch ohne ersichtliche strukturelle Verflechtung organisatorischer, personeller
oder beteiligungsmäßiger Art sind Liefer- oder Kreditverträge, die in ihren Leistungspflichten über gewöhnliche Verträge dieser Art hinausgehen und von existentieller Bedeutung für eine Vertragspartei sind, im Einzelfall daraufhin zu überprüfen,
ob dem Vertragspartner eine steuernde, aktive Beeinflussung unternehmenswesentlicher Entscheidungen in den Bereichen Produktion, Finanzen/Investitionen, Absatz/Beschaffung oder Personal möglich wird.
Dies soll am Beispiel der Entscheidung der EU-Wettbewerbskommission Warner-Lambert/Gillette533 verdeutlicht werden. Dies ist eine Entscheidung nach Artt.
85, 86 EWG-Vertrag534 vor Inkrafttreten der FKVO, bei der die Kommission den
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Gillette sowie deren Ein-
532 Das Sonderproblem der Just-in-Time-Lieferbeziehungen wird in Kapitel 5 eingehender
behandelt.
533 Kommissionsentscheidungen IV/33.440 und IV/33.486 vom 10.11.1992, ABl. 1993 L
116/21.
534 Jetzt Artt. 81, 82 EGV.
173
flussnahme auf das strategische Wirtschaftsverhalten eines anderen Unternehmens
(Eemland) festgestellt hat. Gillette hatte einen 22 %igen Kapitalanteil ohne Stimmrechte an Eemland in Form von umwandelbaren Schuldverschreibungen. Die anderen Anteilsinhaber waren eine Bank, eine Versicherung sowie eine Investorengesellschaft, ohne industrielle Interessen an Eemland. Hinzukommen verschiedene Darlehen und Finanzleistungen von Gillette an Eemland: ein Darlehen über 68,9 Mio.
USD zzgl. 6 % Zinsen; das entsprach 11, 6 % des Fremdkapitals bei Eemland. Dazu
ein Gesellschafterdarlehen i.H.v. 14 Mio.USD, eine Verpflichtung an ein drittes Unternehmen (Stora AB) 11 Mio. USD für den Verkauf des Nassrasurgeschäfts der
Marke Wilkenson Sword an Eemland zu zahlen sowie ein Schuldschein von Eemland über 6,4 Mio.USD. Die Gesamtinvestition von Gillette in Eemland belief sich
auf 96,3 Mio.USD. Um das Ausmaß der starken finanziellen Anbindung Eemlands
einschätzen zu können, muss man sie ins Verhältnis zum jährlichen Wertumsatz bei
Eemland setzen, der ca. 123 Mio. USD betrug. Die finanzielle Beteiligung Gillettes
betrug rund 4/5 des durchschnittlichen Jahresumsatzes bei Eemland. Das heißt, bei
einem durchschnittlichen Jahresgewinn von 8 % bräuchte Eemland mehr als 10
Jahre (ohne Einrechnung der Zinsen), um sich aus der finanziellen Abhängigkeit von
Gillette zu befreien. Hinzu kommt, dass zwischen den Unternehmen ein langjähriger
Vertrag über die Lieferung von Nassrasurprodukten Eemlands an Gillette besteht,
wobei Gillette der einzige Abnehmer dieser Produkte ist.535 Die Drohung mit der
Kündigung der Darlehen oder der Liefervereinbarung oder beider erwiesen sich als
äußerst effiziente Druckmittel. Die Kommission nahm eine Einflussnahme Gillettes
auf die Geschäftspolitik und das strategische Wirtschaftsverhalten bei Eemland an.
Durch die Kombination finanzieller und Lieferabhängigkeit gewinnt Gillette
Beeinflussungsmöglichkeiten in verschiedenen unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereichen, insbesondere beim Absatz und im Finanz- und Investitionsbereich.
Fazit: Auffallend bei den hier betrachteten Vertragsverhältnissen ist die überdurchschnittliche Laufzeit und Liefermenge536 bzw. das Kreditvolumen.537 Häufig
gingen auch Leistungspflichten einer Partei über die für diesen Vertragstyp gewöhnlichen bzw. branchenüblichen Pflichten hinaus.538 Ursache für das Verlangen über-
535 Zudem ist Gillette Preisführer auf dem Nassrasurmarkt, der eine oligopolistische
Marktstruktur aufweist. Eemland hat somit fast keinen Expasionsspielraum und damit
keine Chance, seinen Marktanteil auszubauen.
536 Exklusivlieferverträge in den Entscheidungen RVI/VBC/Heuliez, Kommissionsentscheidung IV/M.092 v. 03.06.1991, Tz. 4, zu finden: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases sowie ATH/Walzwerke Neviges, Hohe Behörde, Entscheidung v. 23.11.1966, 15.
Gb.EGKS, Tz. 234. sowie Hoesch/Hoogovens, Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die
Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften 1966/67, Tz. 226f.
537 Entscheidung Warner-Lambert/Gillette, Entscheidungen IV/33.440 und IV/33.486 vom
10.11.1992, ABl. 1993 L 116/21; Entscheidung Capito&Klein/Friedr. Krupp, Hohe Behörde, Entscheidung v. 10.10.1962, 11. Gb.EGKS, Tz. 352.
538 So beispielsweise bei den Just-in-Time-Liefervereinbarungen, bei denen der Lieferant zu
Investitionen in Produktionsanlagen zur Herstellung der speziellen Lieferteile sowie in eine
174
durchschnittlicher Leistungen ist ein Machtungleichgewicht zwischen den Parteien.
Häufig ist das Vertragsverhältnis für eine der Parteien von existentieller Bedeutung,
da sie, bedingt durch die besondere Spezifität der Lieferteile oder ein geringes Produktionsvolumen oder geringer Produktvielfalt, kaum Ausweichmöglichkeiten auf
andere Abnehmer hat. Machtungleichgewicht und Langfristigkeit der Vertragsverhältnisse sind Kennzeichen relationaler Verträge.539 Diese haben ihren Platz in dem
Kontinuum privatwirtschaftlicher Koordinationsformen zwischen den Austauschverträgen, da sie mehr beinhalten als den bloßen Leistungsaustausch zwischen annähernd gleichstarken Marktpartnern, und den symbiotischen Verträgen, deren Kennzeichen die Einbindung einer Partei in die unternehmensübergreifende Organisation
der anderen Partei ist.540
Im Laufe einer längerfristigen Vertragsbeziehung können Spielräume für deren
Weiterentwicklung entstehen. Dies ermöglicht dem mächtigeren Vertragspartner den
Ausbau seiner Position, indem er sich beispielsweise Aufsichtsratssitze oder die
Teilnahme an den kaufmännischen Besprechungen oder eine Beteiligung einräumen
lässt. Solche Verflechtungen ermöglichen ihm nicht nur sein Interesse an einer optimalen Vertragsdurchführung zu realisieren, sondern auch anderweitige industrielle
Interessen im anderen Unternehmen durchzusetzen. Damit wird eine Möglichkeit
zur Fremdbeeinflussung im anderen Unternehmen eröffnet, die, ohne einen genauen
Zeitpunkt festlegen zu können, de facto eine Kontrollmöglichkeit bzw. eine Lieferoder finanzielle Abhängigkeitsbeziehung entstehen lässt.
Daher bilden eine lange Laufzeit sowie überdurchschnittliche Liefermengen oder
Kreditvolumina Indizien, die eine Überprüfung der Vertragsbeziehungen auf das
Vorliegen einer Liefer- oder finanziellen Abhängigkeit rechtfertigen. Maßpunkte
hierfür sind, ob sich das Unternehmen in absehbarer Zeit aus der Vertragsbeziehung
lösen und auf andere Abnehmer, Lieferanten oder Kreditgeber ausweichen kann, ob
eine Umstellung auf andere Produktionszweige möglich ist oder ob neue Geschäftsfelder erschlossen werden können und ob für die Überbrückungsphase Eigenkapitalreserven aktiviert oder andere Fremdfinanzierungsmöglichkeiten erschlossen werden
können. Lassen sich zudem personelle oder organisatorische Verflechtungen oder
eine Beteiligung finden, ist eine Abhängigkeit bzw. Kontrolle anzunehmen. Die Beteiligung muss allerdings über bloße Anlageinteressen hinausgehend sich der
Sperrminorität541 nähern. Dies schafft eine ausbaufähige Situation, die weiter entwickelt werden kann zu einer Einflussnahmeposition auf das strategische Wirtschaftsverhalten des anderen Unternehmens.542
EDV-Vernetzung zum Zwecke kurzzyklischer Lieferabrufe verpflichtet wird. Ebenso wird
der Zulieferer am Forschungs- und Entwicklungsaufwand beteiligt. Siehe hierzu im oberen
Abschnitt sowie in Kapitel 5.
539 Hierzu Kapitel 7 B.
540 Hierzu Kapitel 7 B.
541 Bei der AG: 25 %.
542 Zur Wahrscheinlichkeit der Weiterentwicklung einer solchen ausbaufähigen Situation
(dort: Beteiligung mit 24,9 % der Stimmrechte) zum Zwecke der Erlangung einer Einfluss-
175
4. Kombinierte Formen
Hiermit sollen Sachverhalte betrachtet werden, bei denen sich die Kontrollmöglichkeit aus dem Zusammenspiel verschiedener Instrumente ergibt, die für sich genommen noch keine Einflussnahmemöglichkeit eröffnen.
a) Minderheitsbeteiligung und relationale oder Austauschverträge: Liefer- und Kreditbeziehungen
Eine interessante Entscheidung ist RVI/VBC/Heuliez.543 An Heuliez Bus (Heuliez)
sind die Holding Henri Heuliez (HHH) zu 51 % und die La Charolaise zu 49 % beteiligt. La Charolaise ist eine Mantelgesellschaft, an der Renault S.A. zu 9 % und
verschiedene Banken, die keine industriellen Interessen verfolgen, zu 91 % beteiligt
sind. Zwischen Heuliez Bus und Renault Véhicules Industriels (RVI), einer Tochter
der Renault S.A., besteht ein 10-jähriger Liefervertrag aus dem Heuliez verpflichtet
ist, ausschließlich RVI mit Karosserien für Busse zu beliefern. Die Kommission
nahm eine Mitkontrollmöglichkeit von Renault S.A. über Heuliez Bus an. Zwar war
Renault an La Charolaise nur zu 9 % beteiligt, kontrollierte La Charolaise aber dadurch, dass sie als einzige industrielle Interessen in La Charolaise verfolgte. Über
die Kontrolle von La Charolaise ist Renault mittelbar zu 49 % an Heuliez Bus beteiligt. Diese mittelbare Beteiligung in Verbindung mit dem Exklusiv-Liefervertrag
zwischen RVI und Heuliez Bus verschafft Renault eine kombinierte Mitkontrollmöglichkeit neben der Holding Henri Heuliez an Heuliez Bus.
b) Minderheitsbeteiligung, Bestellungsrechte und Zustimmungserfordernisse hinsichtlich strategischer Entscheidungen in der kontrollierten Gesellschaft
In der Entscheidung CCIE/GTE544 ergibt sich die Kontrollmöglichkeit von CCIE
bzw. Citicorp. über EDIL aus einer Kombination von einer Minderheitsbeteiligung i.
H. v. 19 %, einem Bestellungsrecht in den Vorstand sowie einem Zustimmungserfordernis seitens des Vorstandes der CCIE hinsichtlich aller wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen545 bei EDIL. Dieses Zustimmungserfordernis gewährt
nahmeposition auf das strategische Wirtschaftsverhalten eines anderen Unternehmens,
EuGH, Urteil v. 17.11.1987, NJW 1988, 3083 (Philip Morris/Rothmanns).
543 Kommissionsentscheidung v. 03.06.1991, IV/M.092, Tz. 4, www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
544 Kommissionsentscheidung IV/M.258 v. 25.09.1992, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
545 Diese sind im Einzelnen: Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, Vorruhestandsvereinbarungen für die Belegschaft, Kapitalausgaben, Veräußerung wesentlicher Teile des Betriebsvermögens sowie der Jahreshaushalt. Die Vertragsparteien (CCIE und die
176
CCIE die Möglichkeit zur direkten Einflussnahme auf die Beratungen und Beschlüsse des Leitungsorgans (vgl. Art. 3 II lit. b) FKVO). Der Sachverhalt im Einzelnen:
Gegenstand der Entscheidung war der Verkauf der gesamten Sparte „Beleuchtung
und Lampen“ durch die amerikanische GTE Corporation. Der Geschäftsbereich ist
aufgeteilt in die North American Lighting Division (NAL) und die International
Lighting Division (IL). Beide Unternehmensteile sollten zugleich an getrennte Käufer abgegeben werden.
NAL wird durch die OSRAM GmbH erworben, die eine 100 %ige Tochter der
Siemens AG ist. Käufer der IL ist die EDIL International Lighting B.V. (EDIL). Die
EDIL wird kontrolliert von der Citicorp Capital Investors Europe Limited (CCIE),
die 19 % der Anteile an EDIL hält. Die restlichen Anteile werden von einer unabhängigen Investmentbank gehalten. CCIE wird einen dauerhaften Sitz im Vorstand
von EDIL haben und den Vorstandsvorsitzenden bestimmen dürfen. Der Vorstand
der CCIE muss hinsichtlich aller wesentlichen Entscheidungen bei EDIL seine Zustimmung erteilen.546 Die CCIE ist eine 100 %ige Tochter der Citicorp.
Den Erwerb von IL durch CCIE über EDIL finanziert Siemens mit mehr als der
Hälfte als sog. Brückenfinanzierung. Siemens wird aber keine Vertretung im Vorstand von EDIL haben. Die früher bestehende Verbindung zwischen IL und NAL
soll aufrechterhalten werden. Dazu sollen zwischen EDIL und OSRAM mehrere
Vereinbarungen über gewerbliche Schutzrechte, Belieferung sowie Forschung und
Entwicklung geschlossen werden.547 So soll EDIL Zugang zum technischen Knowhow von ORSAM im Bereich Forschung und Entwicklung, Produktion und Herstellung haben. Daneben soll EDIL bestimmte betriebliche Unterstützungs- und Serviceleistungen von OSRAM gegen Kostenverrechnung in Anspruch nehmen können.
Zudem war die Gewährung exklusiver Lizenzen und Unterlizenzen auf fünf Jahre
durch OSRAM vorgesehen. Alle Vereinbarungen waren auf eine Laufzeit von zehn
Jahren geschlossen und wurden durch verschiedene Belieferungsverträge ergänzt, z.
B. durch die Verpflichtung von OSRAM, EDIL mit Lampenteilen zu beliefern bis
EDIL hierfür eigene Produktionskapazitäten stellen kann.
Die Kommission hatte zu prüfen, ob durch diese Vereinbarungen insgesamt für
Siemens/OSRAM die Möglichkeit eines bestimmenden Einflusses auf EDIL – neben Citicorp/CCIE – begründet wird. Nach Ansicht der Kommission gewähren diese
Vereinbarungen Siemens nur einen beschränkten Einfluss auf EDIL; der Einfluss ist
weder dauerhaft noch entscheidend. Die Kommission verneint daher eine Kontrolle
von EDIL durch Siemens/OSRAM. Im Ergebnis führt das jedoch zu einer Bejahung
anderen Investoren) haben sich darauf verständigt, dass dieses Vetorecht auch in den
Hauptversammlungen anzuwenden ist.
546 Diese sind im Einzelnen: Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, Vorruhestandsvereinbarungen für die Belegschaft, Kapitalausgaben, Veräußerung wesentlicher Teile des Betriebsvermögens sowie der Jahreshaushalt. Die Vertragsparteien (CCIE und die
anderen Investoren) haben sich darauf verständigt, dass dieses Vetorecht auch in den
Hauptversammlungen anzuwenden ist.
547 Kommissionsentscheidung IV/M.258 v. 25.09.1992, Tz. 11, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
177
der Kontrolle von EDIL durch Citicorp. aufgrund ihrer Minderheitsbeteiligung von
19 %, verbunden mit ihrem Vorstandssitz bei EDIL und dem Zustimmungserfordernis (Vetorecht zugunsten der CCIE) hinsichtlich aller wesentlichen Entscheidungen
bei EDIL.
c) Minderheitsbeteiligung, personelle und organisatorische Verflechtungen
In der Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens548 treffen folgende beeinflussungsgeeignete Mittel aufeinander: Hoogovens hält eine Beteiligung i. H. v.
15 % an Hoesch. Zwei Aufsichtsratssitze bei Hoesch werden vom Vorstandsvorsitzenden und einem weiteren Vorstandsmitglied von Hoogovens eingenommen; hierin
liegt eine personelle Verflechtung. Vertraglich haben sich die Unternehmen zur Zusammenarbeit verpflichtet: Hoesch verzichtet auf den Ausbau seiner Rohstahlkapazitäten (Investitionsverzicht) zugunsten eines Exklusivliefervertrages für Hoogovens. Die vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit führt faktisch zu gemeinsamen
Besprechungen und einer beständigen Abstimmung der Geschäftspolitik zwischen
den Unternehmen. Daraus ergibt sich eine organisatorische Verflechtung der Unternehmen.
In der Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp549 hatte die
Fa. Friedrich Krupp Capito&Klein finanzielle Unterstützung geleistet, die sich später als uneinbringlich herausstellte. Die wirtschaftliche Entwicklung von Capito&Klein führte zu einer immer stärkeren finanziellen Anlehnung an die Fa. Friedrich Krupp bis hin zu gemeinsamen kaufmännischen und technischen Besprechungen. Die Hohe Behörde nahm hier eine Kontrolle an, da das Unternehmen auch in
absehbarer Zeit nicht in der Lage sein würde, sich aus dieser wirtschaftlichen (finanziellen) Abhängigkeit zu lösen.
Zwischenergebnis organisatorische Verflechtungen:
Organisatorische Verflechtungen traten in den vorgenannten Entscheidungen in folgenden Varianten auf:
(a) gegenseitige Liefer- und Bezugsverträge, verbunden mit einem Investitionsverzicht seitens eines Unternehmens (Hoesch), was zu einer gegenseitigen Abhängigkeit im Bezug von Vormaterial führt (Entscheidung Hoesch/Hoogovens). Die
Grundlage hierfür bildet der Vertrag über die Zusammenarbeit der beiden Parteien. Dies führte zu gemeinsamen Besprechungen und einer beständigen Abstimmung der Geschäftspolitik zwischen den Unternehmen.
548 Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften
1966/67, Tz. 226f.
549 Hohe Behörde, Entscheidung v. 10.10.1962, 11. Gb.EGKS, Tz. 352.
178
(b) Die Nichtbeitreibbarkeit eines Kredits führte faktisch zu gemeinsamen kaufmännischen und technischen Besprechungen (Entscheidung Capito&Klein/
Friedr. Krupp).
(c) Bei den Just-in-Time-Lieferbeziehungen bildet der Vertrag die Grundlage für
die Verpflichtung des Lieferanten zu bestimmten vertragsspezifischen Investitionen, der Ausrichtung und ggf. Neuorganisation der Produktionsprozesse entsprechend der Vorgaben des Herstellers, zu kurzzyklischer Anlieferung sowie
zur Beteiligung am Forschungs- und Entwicklungsaufwand.550
III. Ergebnis
Innerhalb der Beherrschungs- und Kontrollmittel auf der Grundlage der Regelbeispiele wurden Auslegungsgesichtspunkte bei der Stimmrechtsmehrheit gefunden.
Für die Stimmrechtsmehrheit genügt eine faktische Mehrheit in der Hauptversammlung (Hauptversammlungspräsenzmehrheit), insbesondere wenn der Anteil der Aktien im Streubesitz recht hoch ist. Das herrschende Unternehmen kann die Stimmrechtsmehrheit auch durch Stimmbindungsvertrag mit einem anderen Unternehmen
erlangen.
Bei den Beherrschungs- und Kontrollmitteln, die dem offenen Abhängigkeitsbegriff des § 6 I EBRG zugeordnet werden können, konnten die folgenden typisiert
werden:
(1) Ein satzungsmäßig oder vertraglich statuiertes Zustimmungserfordernis des kontrollierenden Unternehmens bei Entscheidungen der Organe der kontrollierten Gesellschaft (Entscheidung CCIE/GTE) schafft ein rechtlich durchsetzbares Vetorecht
bzw. eine Blockierposition. Diese wirkt faktisch wie ein - ebenfalls rechtlich durchsetzbares - Weisungsrecht: Es können sämtliche Entscheidungen der abhängigen
(kontrollierten) Gesellschaft per Veto blockiert werden bis die Organmitglieder die
vom herrschenden (kontrollierenden) Unternehmen angesonnene Entscheidung treffen. Das verschafft eine starke direkte Mitentscheidungs- und Einwirkungsmöglichkeit im Hinblick auf die Beschlüsse in unternehmenswesentlichen Fragen, verbunden mit der Notwendigkeit zur Einigung.
(2) Innerhalb der Gruppe der Verträge können zunächst 3 Typen klassifiziert werden:
(a) Organisationsverträge (z.B. Beherrschungs- oder Geschäftsführungsverträge)
verändern die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsordnung und verschaffen ein
Recht zur Erteilung von Weisungen an die Organe der kontrollierten Gesellschaft und damit eine direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die Beschlüsse in der
550 Näher zu Just-in-Time-Lieferbeziehungen in Kapitel 5.
179
kontrollierten Gesellschaft. Bei Nichterfüllung der Weisungen droht den Organmitgliedern eine Schadensersatzpflicht aus Pflichtverletzung. Organisationsverträge wirken daher personenbezogen.
(b) Just-in-Time-Lieferverträge mit besonderen Merkmalen, die in Kapitel 5 als
Gruppe III und IV typisiert werden, können als Verträge mit Organisationscharakter bezeichnet werden. Sie bilden die Grundlage für Investitionsvorgaben,
Vorgaben zur Produktionsorganisation, die Beteiligung am Forschungs- und
Entwicklungsaufwand sowie kurzzyklische Lieferabrufe seitens des Herstellers
und ermöglichen somit eine direkte Beeinflussung der vertraglich abgesteckten
unternehmenswesentlichen Bereiche. Die Nichterfüllung dieser Vorgaben bedeutet eine Vertragsverletzung mit Schadensersatzpflicht des Zulieferunternehmens. Dies hat eine unternehmensbezogene Wirkung. Vereinbarte Vertragsanpassungsklauseln ermöglichen über das Druckmittel der Beendigung des für den
Zulieferer existentiell wichtigen Vertrags eine indirekte Einflussnahme. Das
Druckmittel stellt eine erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage
ggf. bis hin zu einer drohenden Insolvenz in Aussicht und hat daher ebenfalls
eine unternehmensbezogene Wirkung.
(c) Die hier untersuchten Liefer- und Kreditbeziehungen beinhalteten zum Teil atypische Nebenleistungen (Exklusivbelieferung in der Entscheidung
RVI/VBC/Heuliez; Verpflichtung zur Zusammenarbeit und den gegenseitigen
Bezug von Vormaterial mit Investitionsverzicht, Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens) und gingen somit deutlich über gewöhnliche Verträge dieser Art hinaus. Verträge mit überdurchschnittlichen und atypischen Pflichten, die von den Vertragsparteien über einen längeren Zeitraum fortentwickelt
werden, können als relationale Verträge551 charakterisiert werden. Die Kommission fordert für die Tauglichkeit wirtschaftlicher Abhängigkeit aufgrund von
Liefer- und Kreditbeziehungen das Hinzutreten struktureller Verflechtungen neben den existentiell wichtigen und in seinen Leistungspflichten überdurchschnittlichen Liefer- oder Kreditvertrag. Strukturelle Verflechtungen können
personeller (Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens) oder organisatorischer Art (Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp)
oder Beteiligungen (Entscheidung RVI/VBC/Heuliez) sein. Der Abnehmer kann
sich mittels Drohung mit der Vertragsbeendigung eine Einflussnahmemöglichkeit auf verschiedene unternehmenswesentliche Entscheidungen (so beispielsweise gemeinsame kaufmännische und technische Besprechungen in der Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp) erzwingen. Das
schafft eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf die Beschlüsse der Organe im
abhängigen (kontrollierten) Unternehmen. Deren Wirkung ist angesichts der
existentiellen Bedeutung der Verträge eine unternehmensbezogene.
551 Begriff bei Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. A. 2000,
S. 521 f.; siehe unten Kapitel 7 B.
180
(3) Die nächste Gruppe bilden tatsächliche Einflussnahmemöglichkeiten bzw. die
Formen der faktischen Kontrolle.
(a) Personelle Verflechtungen sind z.B. die Besetzung von Organämtern im abhängigen Unternehmen mit Organmitgliedern aus dem herrschenden Unternehmen.
Voraussetzung sind Bestellungsrechte, die unterhalb der Bestellungsrechtsmehrheit liegen. Sie ermöglichen partiell eine Bestimmung der personellen Zusammensetzung der Organe in der abhängigen Gesellschaft. Personelle Verflechtungen stellen meist ein Supplement zur Verstärkung einer Beeinflussungsmöglichkeit aufgrund von Beteiligungen (unterhalb der Stimmrechtsmehrheit) oder aus relationalen Verträgen (Entscheidung der Hohen Behörde
Hoesch/Hoogovens) dar. Die vom herrschenden Unternehmen entsandten Organmitglieder vermögen innerhalb des Entscheidungs- oder Aufsichtsorgans
dessen Vorschläge einzubringen. Diesen kann Nachdruck verliehen werden über
die Androhung des Abzugs der Beteiligung oder der Aufkündigung der Vertragsbeziehung. Das stellt finanzielle Nachteile für das abhängige Unternehmen
in Aussicht und wirkt daher unternehmensbezogen.
(b) Die organisatorischen Verflechtungen bei den hier untersuchten Entscheidungen
lassen sich einteilen in solche, bei denen ein Vertrag die Grundlage bildet z.B.
für gemeinsame Absprachen über Investitionen, den gegenseitigen Bezug von
Vorprodukten, die künftige Geschäftspolitik (Entscheidung der Hohen Behörde
Hoesch/Hoogovens) oder für einseitige Vorgaben seitens des Herstellers im
Hinblick auf Investitionen, die Produktionsorganisation beim Lieferanten oder
dessen Beitrag zur Forschung und Entwicklung eines neuen Produkts (Just-in-
Time-Lieferverträge552). Die vertragliche Basis verschafft Nachdruck mit einer
Schadensersatzdrohung wegen Vertragsverletzung oder mit der Aufkündigung
des Vertrages. Auf der anderen Seite finden sich organisatorische Verflechtungen faktischer Art, die durch tatsächliche Umstände entstanden sind, z.B. gemeinsame kaufmännische und technische Besprechungen aufgrund der Nichtbeitreibbarkeit eines Kredites größeren Umfangs (Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp). Druckmittel für eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf unternehmenswesentliche Entscheidungen im abhängigen
Unternehmen ist die Kündigung des Kredit- oder Liefervertrages, der für das
abhängige Unternehmen von existentieller Bedeutung ist. Die Wirkung ist demnach eine unternehmensbezogene.
(c) Die dritte Gruppe bilden die sog. wirtschaftlichen Abhängigkeiten auf der
Grundlage langfristiger Liefer- oder Kreditbeziehungen. Die Hohe Behörde definiert in ihrer Entscheidung 24/54553 in Art. 1 Nr. 5 enge Hersteller- und Lieferbeziehungen als Kontrolltatbestand, der einen Zusammenschluss begründet.
Hierunter subsumiert sie auch Kreditbeziehungen, die solche Ausmaße ange-
552 Ausführlich dazu in Kapitel 5.
553 EGKS, Hohe Behörde, Entscheidung Nr. 24/54 vom 6.5.1954 betreffend die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens aufgrund des Artikels 66 § 1 des Vertrages
vom 6.5.1954, ABl. EG Nr. 009 vom 11.05.1954, S. 0345-0346.
181
nommen haben, dass sich das finanziell abhängige Unternehmen in absehbarer
Zeit nicht aus dieser Abhängigkeit befreien kann (Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp). Nach Ansicht der Kommission554 können
wirtschaftliche Abhängigkeitsbeziehungen auf der Grundlage von Liefer- oder
Kreditverträgen eine Kontrolle begründen, wenn strukturelle Verflechtungen
hinzukommen. Strukturelle Verflechtungen können personeller oder organisatorischer Art oder Beteiligungen sein.
Bei einer langen Vertragslaufzeit sowie überdurchschnittlichen Liefermengen oder
Kreditvolumina ist eine Überprüfung auf eine Liefer- oder finanzielle Abhängigkeit
angezeigt. Prüfkriterien sind, ob sich das Unternehmen aus den Verträgen lösen
kann und ob Ausweichalternativen bestehen, so dass es sich neue Geschäftsfelder
eröffnen kann bzw. ob Eigenkapitalreserven oder andere Fremdfinanzierungsmöglichkeiten bestehen.
(4) Die letzte Untersuchungsgruppe bildeten Kombinationen aus zwei oder mehreren beeinflussungsgeeigneten Mitteln. Das sind beispielsweise Minderheitsbeteiligungen, die unterhalb der Schwelle zur Stimmrechtsmehrheit bleiben und daher nur
in Verbindung mit einem anderen beeinflussungsgeeigneten Instrument wie z.B. einem existentiell wichtigen Liefer- oder Kreditvertrag (Exklusivliefervertrag Entscheidung RVI/VBC/Heuliez) oder in Verbindung mit Bestellungsrechten und einem
Zustimmungserfordernis seitens des herrschenden (kontrollierenden) Unternehmens
in Bezug auf unternehmenswesentliche Entscheidungen (Entscheidung CCIE/GTE)
eine beherrschungsrelevante Einflussnahme ermöglichen. Bei der Kombination eines Kreditvertrages mit gemeinsamen kaufmännischen und technischen Besprechungen (organisatorische Verflechtung auf faktischer Grundlage) wird die Möglichkeit zur indirekten Einflussnahme, vermittelt durch das Druckmittel der Vertragsaufkündigung, eröffnet (Entscheidung der Hohen Behörde Capito&Klein/Friedr. Krupp). Eine Kumulation von beherrschungsrelevanten Faktoren
beinhaltete auch die Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens. Hier trafen ein Vertrag über eine Zusammenarbeit, verbunden mit gemeinsamen Besprechungen und der gegenseitige Bezug von Vorprodukten, eine Minderheitsbeteiligung (15 %) und 2 Bestellungsrechte in den Aufsichtsrat zusammen. Die vertragliche Grundlage bietet im vertraglich abgesteckten Rahmen eine direkte und darüber
hinaus, hinsichtlich anderer unternehmenswesentlicher Entscheidungen, eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit. Die Vertragsaufkündigung als Druckmittel hatte –
angesichts der gegenseitigen Abhängigkeit im Bezug von Vorprodukten, bedingt
durch einen Investitionsverzicht – eine starke und unternehmensbezogene Wirkung.
554 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 3 ff.
182
C. Beherrschungsmittel Teil II: Joint Control – gemeinsame Beherrschung
Die Erscheinungsformen der gemeinsamen Kontrolle sind dadurch gekennzeichnet,
dass eine Einflussnahmemöglichkeit nur durch Bündelung und Nutzung der gemeinsamen Macht- und Einflusspotentiale besteht.
I. Kennzeichen der Gemeinschaftsunternehmen – mehrfache Abhängigkeit
Wirtschaftliche Sachverhalte mit Unternehmenskooperationen sind außerordentlich
vielgestaltig. Die von § 6 I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie beschriebene Abhängigkeitsbeziehung zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen
ist nur die erste Ebene. Die wirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen der Unternehmen sind oft viel komplexer: Ein Unternehmen beherrscht mehrere (abhängige) Unternehmen, die abhängigen Unternehmen beherrschen wiederum
eigene Tochtergesellschaften oder zwei (oder mehr) Unternehmen üben gemeinsam
einen beherrschenden Einfluss über ein abhängiges Unternehmen aus. § 6 I EBRG
bezieht in den Begriff der Unternehmensgruppe auch mehrstufige Abhängigkeitsverhältnisse unter Verweis auf die Möglichkeit mittelbarer beherrschender Einflussnahme ein. Es ist davon auszugehen, dass die EBR-Richtlinie Joint Ventures oder
Gemeinschaftsunternehmen555 aufgrund der Nennung in Erwägungsgrund (9) einbeziehen möchte. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass zwei (oder mehr) Unternehmen gemeinsam über ein oder mehrere abhängige Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben.556
1. Rechtlich selbständige durch Abhängigkeitsbeziehungen verflochtene Unternehmen – Mehrfachabhängigkeit
Gemeinschaftsunternehmen sind Tochterunternehmen zweier (oder mehr) Mutterunternehmen, die zum Zwecke der Kooperation der Mütter gegründet oder deren Anteile erworben werden. Sie dienen dazu, Aufgaben bzw. Unternehmensteilfunktionen zum gemeinsamen Nutzen der Mütter zu erfüllen, so werden z.B. Gemeinschaftsunternehmen zu Forschungszwecken oder zur Entwicklung neuer Produkte
oder als Vertriebsorganisation gegründet.
Kennzeichen des Gemeinschaftsunternehmens ist, dass die beiden Muttergesellschaften das Gemeinschaftsunternehmen ihren Interessen im Hinblick auf die von
555 Synonym ist die Bezeichnung Joint Venture; da aber in der deutschsprachigen Literatur die
Bezeichnung Gemeinschaftsunternehmen bekannter ist, wird dieser Begriff hier verwendet.
556 Beispiele aus der Praxis der EU-Wettbewerbskommission: 2 Gemeinschaftsunternehmen in
den Kommissionsentscheidungen IV M 0072 Sanofi/Sterling Drug v. 10.06.91(Presciption
Ventures) sowie IV M 318 Thomson/Shorts v. 14.04.93, zu finden unter:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases; näher dazu in Kapitel 4 C III.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.