87
von Einzelentscheidungen entwickelt. Der hier gemachte Vorschlag zur näheren
Konkretisierung einer dieser Ausnahmen kann daher notgedrungen nur im Wege
einer Abwägung aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entnommen werden. Da dies
zwangsläufig nur noch relativ wenig mit konkreter juristischer Subsumtion zu tun
hat, ist es daher möglich, dass im Zuge der rechtswissenschaftlichen Diskussion
sinnvollere Vorschläge gemacht werden. Festzuhalten bleibt allerdings, dass eine
solche Diskussion unentbehrlich ist. Denn keine zeitliche Grenze für die Beendigung des durch eine unklare Rechtslage geschaffenen Schwebezustandes anzunehmen, führt zu einem nicht hinnehmbaren Verlust an Rechtssicherheit für den
Rechtsanwender. Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn man über die vorliegende
Altlastenproblematik einmal hinausdenkt und als Beispiel nimmt, dass jemand, der
Gesamtrechtsnachfolger einer anderen Person geworden ist, sich in einem anderen
Zusammenhang rechtlich beraten lassen will. Sein Rechtsvorgänger hat eine Handlung vorgenommen, die zwar heute noch als relativ ungefährlich angesehen wird,
aber möglicherweise in mehreren Jahren zur Umweltgefährdung führen könnte; sei
es im Zusammenhang mit der Gentechnik, der Atomkraft oder der Benutzung von
Handys. Als sorgfältiger Rechtsberater müsste man den Gesamtrechtsnachfolger vor
dem Hintergrund der Altlastenproblematik darauf hinweisen, dass es in der Rechtsprechung umstritten ist, ob seinem Rechtsvorgänger abstrakte Ordnungspflichten
oblagen, die auf ihn übergegangen sind. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung
hierzu existiere nicht und die höchstrichterliche Rechtsprechung habe sich nicht
eindeutig festgelegt395. Es sei aber möglich, dass eine rückwirkende Regelung in
mehreren Jahren oder Jahrzehnten ergehe. Versetzt man sich jetzt in die Lage des
rechtsuchenden Gesamtrechtsnachfolgers, wird man aufgrund dieser Aussage kaum
disponieren können und sich stark verunsichert fühlen. Dies kann nicht Ziel des
Rechts sein, dessen Aufgabe es ist, dem Bürger möglichst konkrete Orientierungspunkte für sein Handeln zur Verfügung zu stellen.
C) Zwischenergebnis
In diesem Kapitel wurde untersucht, inwiefern sich Grenzen für die Heranziehung
des Gesamtrechtsnachfolgers aus dem Verfassungsrecht ergeben. Zuerst wurde
herausgearbeitet, dass vor dem Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes und
in der ersten Zeit danach in der Literatur oftmals berechtigte Zweifel an der Kompetenz des Bundes für den Erlass des Bundes-Bodenschutzgesetzes geäußerte worden
sind. Die Diskussion um die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Bundes-
Bodenschutzgesetz hat allerdings stark an Bedeutung verloren, da die Rechtsprechung die von der Literatur geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des
Bundes-Bodenschutzgesetzes nicht aufgegriffen hat und eine bundeseinheitliche
395 BVerwG, NVwZ 2004, 1360 (1361).
88
Regelung für die Altlastenproblematik in der Sache durchaus vernünftig ist. Des
Weiteren ist es im Zuge der sogenannten Föderalismusreform zu einer Änderung der
Gesetzgebungszuständigkeit gekommen, wonach dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die gesamte Umweltmaterie zusteht.
Mittlerweile hat es sich zu einer der Hauptstreitfragen um die Verfassungsmäßigkeit des Bundes-Bodenschutzgesetzes entwickelt, ob das Gesetz im Licht von
Art. 14 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG einschränkend ausgelegt bzw. angewendet
werden muss oder ob es gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt. Hinsichtlich der ersten Streitfrage wurde auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingegangen, nach der die Belastung des Eigentümers eines
altlastenbehafteten Grundstücks mit den Kosten der Sanierung grundsätzlich auf den
Verkehrswert des Grundstücks zu begrenzen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist für die Frage, inwieweit der Eigentümer eines kontaminierten Grundstücks die mit der Sanierung verbundenen Kosten tragen muss, insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß dieser Kenntnis vom Vorhandensein der Altlast besaß. An der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist zu
kritisieren, dass sie mit Art. 14 GG und nicht mit Art. 2 Abs. 1 GG begründet wird.
Trotzdem bietet sie wichtige Anhaltspunkte für die vorliegende Fragestellung, da die
Situation des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers einer Altlast der des Eigentümers eines altlastenbehafteten Grundstücks ähnelt. Hieraus folgt, dass es dem
Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers grundsätzlich nur zumutbar ist, mit dem
Vermögen, das ihm von seinem Rechtsvorgänger zugeflossen ist, für die Kosten der
Sanierung einzustehen. Etwas anderes gilt, wenn der Gesamtrechtsnachfolger in
Kenntnis des Altlastenrisikos oder mit einem erhöhten Grad von Fahrlässigkeit das
Vermögen seines Rechtsvorgängers übernommen hat. Das genaue Maß der finanziellen Belastung, die dem Gesamtrechtsnachfolger zumutbar ist, bemisst sich in
diesem Fall anhand des Ausmaßes der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der
Verursachung der Altlast. In keinem Fall darf es aber zu einer Kostenbelastung
kommen, die zu einer Existenzgefährdung des Gesamtrechtsnachfolgers führt. Um
die Rechtslage nachvollziehbarer zu machen, wird die Ergänzung von § 24
BBodSchG um folgenden Absatz vorgeschlagen:
„(1a) Der Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers ist nach Absatz 1 insoweit nicht kostenpflichtig, als die Kosten der angeordneten Maßnahmen den Wert des im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergegangenen Vermögens übersteigen. Dies gilt nicht, wenn der Gesamtrechtsnachfolger im Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtsnachfolge das Bestehen einer
schädlichen Bodenveränderung oder Altlast kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht
gekannt hat. In diesem Fall bestimmt sich das Ausmaß seiner Kostenpflicht nach dem Grad
seiner Kenntnis oder der Kenntnis, die er hätte erlangen können. Die Heranziehung zur Tragung der Kosten der angeordneten Maßnahmen darf nicht zu einer Existenzgefährdung des
Gesamtrechtsnachfolgers führen.“
Im Weiteren wurde geprüft, ob es durch die Normierung der Sanierungsverantwortlichkeit des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers zu einem Verstoß gegen
89
das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gekommen ist. Hierbei ist zwischen
dem Fall, dass vor dem Eintritt der Rechtsnachfolge schon ein Sanierungsbescheid
gegenüber dem Verursacher erlassen wurde (der sogenannten konkreten Sanierungsverantwortlichkeit), und dem Fall, dass kein Bescheid ergangen ist (der sogenannten abstrakten Sanierungsverantwortlichkeit), zu unterscheiden. Hinsichtlich
der konkreten Sanierungspflicht wurde – entgegen der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur – die Ansicht vertreten, dass es zu einer Verschlechterung der
Rechtslage gekommen ist, da es vor dem Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes keine eindeutige Rechtsgrundlage für den Übergang einer durch einen belastenden Verwaltungsakt konkretisierten Verpflichtung auf den Rechtsnachfolger
bei Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge gab. Ebenfalls zu einer Verschlechterung der
Rechtslage ist es bei der abstrakten Sanierungspflicht gekommen. Denn vor dem
Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes oblag dem Verursacher einer Altlast
vor dem Erlass einer an ihn gerichteten Sanierungsverfügung keine eigenständige
Pflicht, Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. Es existierte also keine Pflicht, die im
Wege der Rechtsnachfolge auf den Gesamtrechtsnachfolger übergehen konnte. Die
Verschlechterung der Rechtslage stellt sich als grundsätzlich unzulässige echte
Rückwirkung dar, da durch § 4 Abs. 3 BBodSchG an den Abschluss der altlastenverursachenden Handlung, einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt, angeknüpft
wird. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Verschlechterung
der Rechtslage ausnahmsweise zulässig, wenn die Rechtslage unklar und verworren
ist, was hier der Fall ist. Dies darf aber nicht dazu führen, dass dem Normadressaten
zeitlich unbegrenzt der Vertrauensschutz versagt wird. Vorgeschlagen wird, dem
Bürger, der mit einem abgeschlossenen Sachverhalt und einer unklaren Rechtslage
konfrontiert wird, allenfalls für einen Zeitraum von zwei Legislaturperioden den
Vertrauensschutz zu versagen. Dies hat zur Folge, die Sanierungsverantwortlichkeit
des Gesamtrechtsnachfolgers für die von seinem Rechtsvorgänger herrührenden
Altlasten, deren Verursachung vor dem 10. November 1994 abgeschlossen war, zu
verneinen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz droht dem Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Altlast eine Ewigkeitshaftung mit ruinösen finanziellen Folgen. Das Werk untersucht umfassend, inwiefern sich rechtliche Grenzen für die Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers aus Verfassungs-, Europa- und einfachem Recht ergeben. Die Anwendbarkeit von Haftungsbeschränkungen für Erben und für Gesamtrechtsnachfolger im Gesellschaftsrecht wird ebenso behandelt wie Haftungsbegrenzungen aus allgemeinen Rechtsinstituten, insbesondere Verjährung, Verzicht und Verwirkung sowie bei unzureichender staatlicher Überwachung oder im Fall der Insolvenz. Darüber hinaus bietet der Autor eine rechtspolitische Bewertung der dargestellten Rechtsprobleme und konkrete Vorschläge, wie diese durch den Gesetzgeber gelöst werden können.