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Durchführung von Sanierungsmaßnahmen als grob rechtsmissbräuchlich darstellt.
Zu denken wäre zum Beispiel an eine Fallgestaltung, die von ihrem Ausmaß dem
vom Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 1996 entschiedenen Fall ähnelt, in
dem während des Ersten Weltkrieges die Verwendung giftiger Sprengstoffkomponenten zugelassen wurde, soweit es das „vaterländische Interesse“ erforderte784.
Sollte heutzutage ein ähnlicher Fall gegeben sein, so müsste man im Rahmen der
Verhältnismäßigkeitsprüfung davon ausgehen, dass eine dem Verursacher einer
Altlast erteilte Genehmigung auch für dessen Gesamtrechtsnachfolger wirkt. Denn
es wäre widersprüchlich, im Hinblick auf die Genehmigung gegen den Verursacher
einer Altlast ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht mehr vorgehen zu können, dies aber nach Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge dann gegen dessen Rechtsnachfolger zu tun.
F) Behördliche Duldung
Ein ähnliches Problem wie bei der Verwirkung und bei der Frage nach der Legalisierungswirkung einer behördlichen Genehmigung stellt sich bei der behördlichen
Duldung. Unter Duldung soll verstanden werden, dass das die Altlast verursachende
Handeln von der zuständigen Überwachungsbehörde trotz Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts unbeanstandet hingenommen wurde785.
Überwiegend wurde schon vor dem Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes die Ansicht vertreten, dass eine solche Duldung bodenschädlichen Verhaltens der Heranziehung eines Pflichtigen nicht entgegensteht, da die Abwehrbefugnisse der Bodenschutzbehörde im Allgemeininteresse beständen und deshalb grundsätzlich nicht verlustig gehen könnten786. Dem ist grundsätzlich auch unter der
Geltung des Bundes-Bodenschutzgesetzes zuzustimmen. In diesem findet sich keine
ausdrückliche Regelung, aus der die Wirkung einer solchen Duldung abgeleitet
werden könnte. § 4 Abs. 1 BBodSchG spricht eher dagegen, da hiernach jeder, der
auf den Boden einwirkt, sich so zu verhalten hat, dass schädliche Bodenveränderungen nicht hervorgerufen werden. Durch diese Norm werden also bodenschädliche
Verhaltensweisen ganz unabhängig vom behördlichen Verhalten untersagt. Auch
das Allgemeine Verwaltungsrecht gibt für die Annahme eines Rechtsinstituts der
Duldung nichts her. Dieses sieht für die Begründung schutzwürdigen Vertrauens auf
Seiten des Bürgers einen Verwaltungsakt vor. Soll zugesichert werden, dass eine
Sanierungsanordnung nicht erlassen wird, müssen die Voraussetzungen von § 38
VwVfG gegeben sein. Nach § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG muss eine solche Zusicherung
784 OVG Münster, NVwZ 1997, 507 (509 f.).
785 Kothe, VerwArch. 1997, 456 (480); vgl. Heider, NuR 1995, 335 (336).
786 Niemuth, DÖV 1988, 291 (295); Rech in Hipp/Rech/Turian Rn. 292, S. 130; Schoeneck in
Sanden/Schoeneck, § 10 Rn. 13.
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von der zuständigen Behörde erteilt werden und bedarf zu ihrer Wirksamkeit der
schriftlichen Form787. Allerdings gilt auch hier, ähnlich wie bei der Annahme einer
Verwirkung im Bodenschutzrecht, der Grundsatz, dass sich staatliches Verhalten
nicht als treuwidrig darstellen darf. Insbesondere können im Zusammenhang mit
Kriegen oder Naturkatastrophen Situationen auftreten, die es als grob unbillig erscheinen lassen, den Verursacher einer Altlast oder dessen Rechtsnachfolger in
vollem Maße zur Sanierung derselben heranzuziehen. War in einem solchen Augenblick die allgemeine Stimmung so, dass für normale Verhältnisse keine Zeit sei, so
fällt die Verursachung einer Altlast in die Sphäre der Allgemeinheit788, wenn bodenschädliches Verhalten bewusst hingenommen wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt
können dann nicht dem Verursacher oder dessen Rechtsnachfolger alleine die aus
der Beseitigung der Altlast entstehenden Kosten aufgebürdet werden. Aufgrund der
Vielfältigkeit der denkbaren Fallgestaltungen können allerdings keine für jeden
Einzelfall geltenden eindeutigen Regeln aufgestellt werden, wann genau und in
welchem Umfang duldendes staatliches Verhalten einer Heranziehung des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers Grenzen setzt. Die einzige Möglichkeit, die
Duldung der Verursachung einer Altlast zu berücksichtigen, ist die Abwägung aller
Umstände des Einzelfalls bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Ermessensentscheidung, die vor dem Erlass einer Sanierungsanordnung zu treffen
ist789. Als Vorgabe kann hier nur gemacht werden, dass die Anforderungen, um ein
duldendes Verhalten des Staates berücksichtigen zu können, sehr hoch angesetzt und
auf Extremfälle begrenzt werden müssen, um der Wertung des § 4 Abs. 1
BBodSchG gerecht zu werden. Ferner ist grundsätzlich eine ausdrückliche staatliche
Willensäußerung in Form eines Verwaltungsaktes erforderlich, um schutzwürdiges
Vertrauen auf Seiten des Bürgers zu erzeugen. Eine Grenze für die Heranziehung
zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen wird sich nur ergeben, wenn die Hinnahme der Verursachung der Altlast nach den gesamten Umständen fast der Erbringung eines Verursachungsbeitrages durch die Behörde gleichkommt790. Nimmt man
hiernach an, dass in einem solchen Extremfall die Heranziehung des Verursachers
zu Sanierungsmaßnahmen ausgeschlossen ist, so muss die frühere Duldung des
Verhaltens des Verursachers auch dessen Gesamtrechtsnachfolger zugute kommen
und im Rahmen der Ausübung des behördlichen Ermessens berücksichtigt werden.
Denn die Normierung des Gesamtrechtsnachfolgers als Sanierungspflichtigen im
Bundes-Bodenschutzgesetz soll das Verursacherprinzip stärken. Wo aber bereits
keine Haftung des Verursachers gegeben ist, kann auch keine zu Lasten seines
Rechtsnachfolgers nach Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge entstehen.
787 Schoeneck in Sanden/Schoeneck, § 10 Rn. 13.
788 So OVG Münster, NVwZ 1997, 507 (510) und Kothe, VerwArch. 1997, 456 (480 f.) für die
Rüstungsproduktion in Kriegszeiten.
789 Kloepfer, NuR 1987, 7 (12 f.); Schoeneck in Sanden/Schoeneck, § 10 Rn. 13 mwN.
790 So z.B. OVG Münster, NVwZ 1997, 507 (510); Schoeneck in Sanden/Schoeneck, § 10
Rn. 13.
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G) Zwischenergebnis
In diesem Kapitel wurde auf den Verzicht und auf die Verwirkung der behördlichen
Eingriffsbefugnisse zur Heranziehung des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers zu Sanierungsmaßnahmen eingegangen. Hierbei wurde zuerst der ausdrückliche Verzicht der Bodenschutzbehörde durch den Abschluss eines Sanierungsvertrages erörtert. In Bezug auf die Rechtsnachfolgeproblematik wurde herausgearbeitet,
dass ein in Form eines Sanierungsvertrages gegenüber dem Verursacher einer Altlast
erklärter Verzicht auch gegenüber dessen Gesamtrechtsnachfolger Wirkungen entfalten kann. Hieran schlossen sich Ausführungen über die Sonderform des Verzichts
für das Gebiet der neuen Bundesländer an. Als Erstes wurde hierzu festgestellt, dass
die Erteilung einer Freistellung auch die Verhaltensverantwortlichkeit erfasst, sofern
der Freistellungsbescheid nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht. Dementsprechend geht eine erteilte Freistellung mangels einer anderen Regelung mit dem Eintritt der Rechtsnachfolge auch auf den Gesamtrechtsnachfolger über.
Hiernach wurde auf das Rechtsinstitut der Verwirkung eingegangen. Dieses kann
ausnahmsweise auch im Bodenschutzrecht eine Rolle spielen. Der Erlass des Bundes-Bodenschutzgesetzes hat die Rechtslage dahingehend beeinflusst, dass seitdem
die Anforderungen an die Annahme eines Umstandsmoments als Voraussetzung für
eine Verwirkung noch restriktiver gehandhabt werden müssen als bisher. Etwas
geringere Anforderungen können im Einzelfall gelten, wenn das Umstandsmoment
daraus herrührt, dass bereits Sanierungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Sollte
einer der seltenen Fälle gegeben sein, dass die behördlichen Eingriffsbefugnisse
gegenüber dem Verursacher einer Altlast verwirkt wurden, so kommt dies auch
dessen Gesamtrechtsnachfolger zugute. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass die
mangelhafte Überwachung einer Altlast oder des sie verursachenden Verhaltens
nicht zu einem Ausschluss der Sanierungsverantwortlichkeit führt.
Im Anschluss hieran wurde auf die Problematik des Vorliegens einer behördlichen Genehmigung zum Zeitpunkt des altlastenverursachenden Handelns eingegangen. Nach der herkömmlichen Dogmatik zum allgemeinen Ordnungsrechts kann
eine Genehmigung nur dann Legalisierungswirkung entfalten, wenn behördlicherseits das altlastenverursachende Verhalten geprüft wurde und der Genehmigungsinhaber sich an den vorgegebenen Handlungsrahmen gehalten hat. Er ist
dann nicht mehr als Verursacher im Sinne des allgemeinen Ordnungsrechts anzusehen. Für schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten, die vor dem 1. März 1999
eingetreten sind, gilt dies auch noch unter dem Bundes-Bodenschutzgesetz. Eine
dem Rechtsvorgänger erteilte Genehmigung kommt auch dessen Gesamtrechtsnachfolger zugute. Bei schädlichen Bodenveränderungen oder Altlasten, die nach dem
1. März 1999 eingetreten sind, spielt das Vorliegen einer behördlichen Genehmigung nur im Rahmen der Prüfung, ob eine Sanierungsanordnung verhältnismäßig ist,
eine Rolle. Eine solche wird sich allerdings nur in Extremfällen als unverhältnismä-
ßig darstellen. In einem solchem Fall käme die dem Rechtsvorgänger erteilte Ge-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz droht dem Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Altlast eine Ewigkeitshaftung mit ruinösen finanziellen Folgen. Das Werk untersucht umfassend, inwiefern sich rechtliche Grenzen für die Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers aus Verfassungs-, Europa- und einfachem Recht ergeben. Die Anwendbarkeit von Haftungsbeschränkungen für Erben und für Gesamtrechtsnachfolger im Gesellschaftsrecht wird ebenso behandelt wie Haftungsbegrenzungen aus allgemeinen Rechtsinstituten, insbesondere Verjährung, Verzicht und Verwirkung sowie bei unzureichender staatlicher Überwachung oder im Fall der Insolvenz. Darüber hinaus bietet der Autor eine rechtspolitische Bewertung der dargestellten Rechtsprobleme und konkrete Vorschläge, wie diese durch den Gesetzgeber gelöst werden können.