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keinen Vermögenswert hat. Bevor keine Sanierungsverfügung erlassen worden ist,
ist völlig ungewiss, ob überhaupt eine Sanierung stattfinden wird. Hieran ändert
auch der bloße Erlass einer Sanierungsanordnung nicht viel. Dies ändert sich aber ab
dem Zeitpunkt, in dem die Verwaltungsvollstreckung eingeleitet wird. Wenn die
Vornahme der Ersatzvornahme angedroht und gemäß § 13 Abs. 4 S. 1 VwVG der
hiermit verbundene Kostenbetrag vorläufig veranschlagt wird, ist damit der vermögensmäßige Wert der mit der Ersatzvornahme verbundenen Kosten bestimmt worden. Nach § 13 Abs. 2 S. 1 VwVG kann die Androhung der Ersatzvornahme allerdings schon mit dem Erlass der Sanierungsverfügung verbunden werden. Sobald
also eine Sanierungsanordnung erlassen worden ist und die Verwaltungsvollstreckung durch Androhung der Ersatzvornahme eingeleitet worden ist, können die
voraussichtlichen Ersatzvornahmekosten von der Bodenschutzbehörde zur Insolvenztabelle angemeldet werden.
E) Die Freigabe des altlastenbehafteten Grundstücks durch den Insolvenzverwalter
Ein weiteres Problem, das hinsichtlich der Altlastensanierung bei Insolvenz des
Pflichtigen regelmäßig erörtert und sehr umstritten ist, ist die Freigabe des altlastenbehafteten Grundstücks aus der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter. Es
soll daher dargestellt werden, worum es sich hierbei handelt und ob dies Einfluss auf
die Verantwortlichkeit des Gesamtrechtsnachfolgers im Sinne von § 4 Abs. 3
BBodSchG hat.
Unter Freigabe versteht man die dem Insolvenzverwalter eingeräumte Möglichkeit, einen Gegenstand, der zur Insolvenzmasse gehört und dem Insolvenzbeschlag
unterliegt, in das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners zu übertragen834. Sie erfolgt durch Abgabe einer Willenserklärung an den Insolvenzschuldner.
In dieser wird erklärt, dass der Gegenstand, der freigegeben wird, auf Dauer aus der
Insolvenzmasse ausgeschieden wird. Mit dem Zugang der Willenserklärung erlischt
die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt an dem freigegebenen Grundstück. Diese
obliegt dann wieder dem Insolvenzschuldner835. Durch die Freigabe wird bezweckt,
Gegenstände aus der Insolvenzmasse herauszulösen, deren Verwertung keinen Gewinn abwerfen oder Aufwendungen zu Lasten der Insolvenzmasse erfordern würde.
Das Recht zur Freigabe eines Gegenstandes wird aus der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters über die Insolvenzmasse nach § 80 Abs.
1 InsO hergeleitet836. Wie sich aus § 32 Abs. 3 S. 1 InsO ergibt, wird das Recht zur
834 Riese/Karsten, NuR 2005, 234 (236).
835 VGH München vom 4. Mai 2005 (Az: 22 B 99.2208), zitiert nach juris, dort Rn. 48; Blum,
S. 214 mwN; Beaucamp/Seifert, NVwZ 2006, 258 (259).
836 Blum, S. 214 mwN; Häsemeyer Rn. 13.14, S. 287.
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Freigabe eines Gegenstandes vom Gesetz als bestehend vorausgesetzt837. Diese
Norm enthält Regelungen zur Stellung eines Löschungseintrags beim Grundbuchamt, wenn ein Grundstück oder ein Recht vom Insolvenzverwalter freigegeben wird.
Regelmäßig praktiziert wird die Freigabe bei Grundstücken, die in großem Umfang
mit Grundpfandrechten belastet sind838. Die Situation, dass ein Grundstück unverwertbar ist, weil es mit einem Grundpfandrecht belastet ist, ähnelt der, dass ein
Grundstück unverwertbar ist, weil es mit einer Altlast behaftet ist. Gehört ein kontaminiertes Grundstück zur Insolvenzmasse, wird der Insolvenzverwalter aufgrund
seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse zum Inhaber
der tatsächlichen Gewalt über dieses Grundstück und somit zum Sanierungspflichtigen gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG. Als Zustandsverantwortlicher ist er zur
Durchführung von Sanierungsmaßnahmen auf Kosten der Insolvenzmasse verpflichtet839. Führt er im Rahmen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis das schuldnereigene Unternehmen fort, besteht für ihn die Gefahr, dass er unter Umständen
selbst zum Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast und somit
auch aus diesem Grund sanierungspflichtig wird840. Verspricht die Fortführung des
schuldnereigenen Unternehmens keinen Gewinn, wird der Insolvenzverwalter in
vielen Fällen veranlasst sein, das altlastenbehaftete Grundstück freizugeben. Dies
böte ihm die Möglichkeit, sich seiner Stellung als Inhaber der tatsächlichen Gewalt
über das Grundstück im Sinne von § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG und damit als Sanierungsverantwortlicher zu begeben. Die Insolvenzmasse bliebe für die Befriedigung
der übrigen Gläubiger erhalten, ohne eine Beeinträchtigung durch anfallende Sanierungskosten hinnehmen zu müssen. Gleichzeitig entginge der Insolvenzverwalter
der Gefahr, aufgrund der Fortführung des Unternehmens als Verursacher einer
schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sanierungspflichtig zu werden.
Ließe man die Freigabe aus der Insolvenzmasse im Bodenschutzrecht zu, hätte
dies für die Bodenschutzbehörde zur Folge, dass sie nach der Übertragung des
Grundstücks in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners nur noch diesen als
Zustandsverantwortlichen in die Pflicht nehmen könnte und sich nicht mehr an den
Insolvenzverwalter halten könnte. Da das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners
regelmäßig sehr gering sein wird, macht dies die Heranziehung eines Zustandsverantwortlichen praktisch unmöglich. Es ist daher umstritten, ob eine Freigabe eines
kontaminierten Grundstücks aus der Insolvenzmasse zulässig ist, da eine solche zu
Lasten der Allgemeinheit ginge, an der letztlich die Kosten für die Sanierung hängen
837 BVerwG, NVwZ 2004, 1505 (1506); Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken Rn. F 26, S. 337;
Wittkowski in Nerlich/Römermann, § 80 Rn. 95.
838 Henckel in Jaeger, § 6 Rn. 17; Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken Rn. F 12,19, S. 330, 333;
Zimmermann, S. 24.
839 Versteyl in Versteyl/Sondermann, § 4 Rn. 22.
840 Wüterich in Landel/Vogg/Wüterich, § 4 Rn. 126.
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bleiben würden841.
Im Rahmen dieser Abhandlung muss zu diesem Streit allerdings nicht Stellung
genommen werden. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nämlich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen gemäß § 80
Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Dieser wird hiermit zum Inhaber der
tatsächlichen Gewalt über ein altlastenbehaftetes Grundstück und somit selbst sanierungspflichtig. Mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an den
Insolvenzverwalter geht keine Gesamtrechtsnachfolge einher842. Der Insolvenzverwalter wird nicht Gesamtrechtsnachfolger des Insolvenzschuldners, sondern verwaltet nur als Partei kraft Amtes im behördlichen Auftrag das schuldnerische Vermögen. Ist der Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Altlast sanierungspflichtig, ändert der Eintritt der Insolvenz nichts an diesem Status. Hat der
Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Tätigkeit einen Beitrag zur Verursachung
einer Altlast erbracht, so geht seine Verursacherhaftung mit der Freigabe des altlastenbehafteten Grundstücks aus der Insolvenzmasse nicht auf den Insolvenzschuldner
über. Denn bei der Freigabe findet kein Übergang von Rechten statt, sondern es fällt
nur die Verfügungsgewalt an dem freigegeben Grundstück an den Insolvenzschuldner zurück843. Die Freigabeproblematik kommt also nur hinsichtlich der Zustandsverantwortlichkeit zum Tragen, indem durch sie der Insolvenzverwalter als Sanierungspflichtiger wegfällt. Sie berührt die Frage nach der Verhaltensverantwortlichkeit des Gesamtrechtsnachfolgers gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG nicht844.
F) Fazit
Mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit befreit nach allgemeiner Ansicht nicht von
der Pflicht zur Sanierung von Altlasten. Hinsichtlich der Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Pflichtigen wurde herausgearbeitet, dass bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters dieser nicht zum Gesamtrechtsnachfolger des Insolvenzschuldners wird. Solange der insolvente Sanierungspflichtige nach § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG zur Durchführung von Sanierungsmaß-
841 Für die Zulassung der Freigabe: BVerwG, NVwZ 2004, 1505 (1506); Tetzlaff, ZIP 2001, 10
(18-20); offengelassen: BVerwG, WM 1999, 818 (820); BVerwG, ZIP 1999, 538 (540); gegen die Freigabe störender Massegegenstände: OVG Greifswald, WM 1998, 1548 (1553);
OVG Lüneburg, ZIP 1993, 1174 (1175); Schmidt, NJW 1993, 2833 (2836). Siehe zur Diskussion über die Auswirkungen der Freigabe auf die Zustandsverantwortlichkeit:
Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken Rn. F 1-F 119, S. 327-372.
842 Siehe IX. Kapitel, A.
843 Vgl. Blum, S. 214 f.
844 Blum, S. 215; Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken Rn. F 106, F 110, S. 367, 369; Wüterich in
Landel/Vogg/Wüterich, § 4 Rn. 133.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz droht dem Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Altlast eine Ewigkeitshaftung mit ruinösen finanziellen Folgen. Das Werk untersucht umfassend, inwiefern sich rechtliche Grenzen für die Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers aus Verfassungs-, Europa- und einfachem Recht ergeben. Die Anwendbarkeit von Haftungsbeschränkungen für Erben und für Gesamtrechtsnachfolger im Gesellschaftsrecht wird ebenso behandelt wie Haftungsbegrenzungen aus allgemeinen Rechtsinstituten, insbesondere Verjährung, Verzicht und Verwirkung sowie bei unzureichender staatlicher Überwachung oder im Fall der Insolvenz. Darüber hinaus bietet der Autor eine rechtspolitische Bewertung der dargestellten Rechtsprobleme und konkrete Vorschläge, wie diese durch den Gesetzgeber gelöst werden können.