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Betreibers ist nicht vorgesehen. Aufgrund dieser gegenüber dem Bundes-Bodenschutzgesetz engeren Fassung der Umwelthaftungsrichtlinie steht diese einer einschränkenden Auslegung des Bundes-Bodenschutzgesetzes im Lichte des Verfassungsrechts nicht entgegen.
Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Umwelthaftungsrichtlinie die Heranziehung des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers zu Sanierungsmaßnahmen
auf der Grundlage des Bundes-Bodenschutzgesetzes auch nicht untersagt, da gemäß
Art. 16 Abs. 1 Umwelthaftungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht gehindert sind,
strengere Vorschriften für die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden beizubehalten oder zu erlassen, einschließlich der Bestimmung zusätzlicher verantwortlicher Parteien.
C) Die Abfallrahmenrichtlinie
Eine weitere Vorschrift der Europäischen Union, die dem Schutz der Umwelt dient,
stellt die Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle vom 15. Juli 1975 (Abfallrahmenrichtlinie [AbfRRL])410 dar, die laut ihrer Präambel auf die Angleichung der
Rechtsvorschriften über die Abfallbeseitigung in den Mitgliedstaaten abzielt. Bis vor
kurzem verstanden die Rechtsprechung411 und weite Teile der Literatur412 die Abfallrahmenrichtlinie so, dass diese nur bewegliche Sachen erfasst und der deutsche
und der europäische Abfallbegriff übereinstimmen. Man meinte, Altlasten und
schädliche Bodenveränderungen im Sinne des Bundes-Bodenschutzgesetzes würden
durch die Richtlinie nicht erfasst werden413. Ob diese Ansicht beibehalten werden
kann, wird seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 7. September
2004414 intensiv diskutiert. In diesem hatte sich das Gericht mit einer Verunreinigung des Bodens infolge eines jahrelangen Tankstellenbetriebs in Brüssel zu befassen. Der Europäische Gerichtshof führte aus, dass nicht nur der Kraftstoff, der unabsichtlich ausgelaufen war und zu einer Verunreinigung des Untergrundes geführt
hatte, als Abfall im Sinne der Abfallrichtlinie anzusehen sei, sondern auch das kontaminierte Erdreich, das noch nicht ausgehoben worden war und mit dem Untergrund fest verbunden war415. Auf das Verhältnis der Abfallrahmenrichtlinie zur
Umwelthaftungsrichtlinie ging der Europäische Gerichtshof nicht ein.
410 ABl. EU Nr. L 194, S. 47.
411 BVerwG, NVwZ 1999, 1111.
412 Frenz, UPR 2002, 201; Kunig, NVwZ 1997, 209 (211); Versteyl, EuZW 2000, 585 (586).
413 Steiner, altlasten spektrum 2005, 100.
414 EuGH, NVwZ 2004, 1341 = ZUR 2005, 83 = EuZW 2004, 625.
415 EuGH, NVwZ 2004, 1341 (1342).
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Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs stieß auf ein erhebliches Echo
in der Literatur, die seitdem Überlegungen anstellt, ob das deutsche Bodenschutzrecht den Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie genügt oder ob dieses geändert werden muss416. Für die im Rahmen dieser Abhandlung interessierende Fragestellung
ergeben sich allerdings keine Auswirkungen. Die Abfallrahmenrichtlinie bestimmt
in Art 15:
„Gemäß dem Verursacherprinzip sind die Kosten für die Beseitigung der Abfälle zu tragen
von
– dem Abfallbesitzer, der seine Abfälle einem Sammelunternehmen oder einem Unternehmen
im Sinne des Artikels 9 übergibt,
und/oder
– den früheren Besitzern oder dem Hersteller des Erzeugnisses, von dem die Abfälle herrühren.“
Nach Art. 1b) AbfRRL bedeutet
Erzeuger: jede Person, durch deren Tätigkeit Abfälle angefallen sind (Ersterzeuger),
und/oder jede Person, die Vorbehandlungen, Mischungen oder sonstige Behandlungen vorgenommen hat, die eine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung
dieser Abfälle bewirken.
Nach Art. 1c) AbfRRL bedeutet
Besitzer: der Erzeuger der Abfälle oder die natürliche oder juristische Person, in
deren Besitz sich die Abfälle befinden.
Die Abfallrahmenrichtlinie spricht zwar vom Verursacherprinzip, nennt den Gesamtrechtsnachfolger aber nicht als Pflichtigen und trifft keinerlei Regelung zur
Rechtsnachfolgeproblematik. Durch die Bestimmung des Gesamtrechtsnachfolgers
des Verursachers als Sanierungspflichtigen in § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG geht das
Bundes-Bodenschutzgesetz sogar über die Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie
hinaus417. Es kann also im Rahmen dieser Abhandlung dahinstehen, welchen Einfluss die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ansonsten auf das deutsche Abfall- und Bodenschutzrecht hat und wie sich das Verhältnis der Abfallrah-
416 Leitzke/Schmitt, UPR 2005, 16 (18 f.); Mager, VBlBW 2005, 289 (292); Petersen/Lorenz,
NVwZ 2005, 257 (263); Riese/Karsten, ZUR 2005, 75 (79); Versteyl, NVwZ 2004, 1297
(1301), die einen Änderungsbedarf des deutschen Rechts verneinen. Bickel hält die Auswirkungen des Urteils auf das Bundes-Bodenschutzgesetz für überschaubar, sieht aber eine Erweiterung von § 18 BBodSchG für erforderlich an und hält eine Angleichung des deutschen
Abfallrechts an die Abfallrahmenrichtlinie für überlegenswert. Das Bundesumweltministerium strebt demgegenüber eine Änderung der Abfallrahmenrichtlinie an, in der auf Basis der
Rechtsprechung des EUGH die Abgrenzung zwischen Abfall und Nebenprodukt klar geregelt
werden soll, siehe BMU, Umwelt 2006, 560.
417 Riese/Karsten, ZUR 2005, 75 (79).
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menrichtlinie zur Umwelthaftungsrichtlinie gestaltet418. Abschließend ist daher festzuhalten, dass weder die geplante Bodenrahmenrichtlinie noch die Umwelthaftungsrichtlinie oder die Abfallrahmenrichtlinie einer einschränkenden Auslegung des
Bundes-Bodenschutzgesetzes entgegenstehen.
418 Ausführlich zum Verhältnis zwischen Abfallrahmenrichtlinie und Umwelthaftungsrichtlinie:
Jochum, NVwZ 2005, 140 (142 f.).
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References
Zusammenfassung
Nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz droht dem Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Altlast eine Ewigkeitshaftung mit ruinösen finanziellen Folgen. Das Werk untersucht umfassend, inwiefern sich rechtliche Grenzen für die Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers aus Verfassungs-, Europa- und einfachem Recht ergeben. Die Anwendbarkeit von Haftungsbeschränkungen für Erben und für Gesamtrechtsnachfolger im Gesellschaftsrecht wird ebenso behandelt wie Haftungsbegrenzungen aus allgemeinen Rechtsinstituten, insbesondere Verjährung, Verzicht und Verwirkung sowie bei unzureichender staatlicher Überwachung oder im Fall der Insolvenz. Darüber hinaus bietet der Autor eine rechtspolitische Bewertung der dargestellten Rechtsprobleme und konkrete Vorschläge, wie diese durch den Gesetzgeber gelöst werden können.