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gelten die Auslegungsgrundsätze für zweiseitige Geschäfte und empfangsbedürftige
Willenserklärungen. Demnach ist der Empfängerhorizont ausschlaggebend.143 Die
Auslegung hat sich danach zu richten, wie die Erklärung von dem konkreten Empfänger bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt zu verstehen war.
2. Satzung
a) Satzung als Quelle
Durch das Stiftungsgeschäft erhält die Stiftung eine Satzung. Die Verknüpfung zwischen Stiftungsgeschäft und Satzung erfolgt in der Regel durch eine entsprechende
Bezugnahme-Klausel im Stiftungsgeschäft.144 Die Mindestanforderungen an den Inhalt der Satzung regelt § 81 Abs.1 S.3 BGB. Demnach muss die Satzung unter anderem Regelungen über Zweck und Vermögen der Stiftung enthalten. Angesichts der
bereits im Stiftungsgeschäft getroffenen Äußerungen kann sich der Stifter insoweit
auf eine entsprechende Verweisung beschränken.145 Der Gesetzgeber hält aber weitergehende Vorgaben an die Stiftungsorgane hinsichtlich der Vermögensverwendung für dienlich. Dem Stifter steht es nach § 81 Abs.1 S.3 Nr.4 BGB ausdrücklich
frei, seine Vermögenszusage um Anordnungen etwa zur Art und Weise der Vermögenserhaltung, zur Verwendung der daraus erwirtschafteten Erträge oder zur Möglichkeit der Mittelthesaurierung in beliebigem Detaillierungsgrad zu ergänzen.146 An
die Formulierungen der etwa von den Stiftungsbehörden herausgegebenen Mustersatzungen ist er dabei nicht gebunden.147
b) Auslegung der Satzung
Die Auslegung der Satzung folgt anderen Grundsätzen als die des Stiftungsgeschäfts. Sie richtet sich etwa mit den Stiftungsorganen oder Destinatären an eine unbestimmte Zahl von Adressaten, die den Stifter als Urheber in der Regel nicht alle
persönlich gekannt haben. Aufgrund dieses Normcharakters muss die Auslegung
daher neben dem Stifterwillen auch den Vertrauensschutz des Verkehrs berücksichtigen. Folglich dürfen Umstände, die sich nicht aus dem Satzungstext selbst ergeben
143 O.Werner, FS Lübtow, S.276.
144 Formulierungsvorschlag von Hof in Münchener Vertragshandbuch, VIII.3: „Im Übrigen bestimmen sich Organisation und Rechtsstatus der Stiftung nach der beigefügten Satzung“. Vgl.
auch v.Holt/Koch, D.I.Nr.1, S.142: „... gemäß anliegender Stiftungssatzung, die Bestandteil
dieses Stiftungsgeschäfts ist“.
145 Erman-O.Werner, § 81 Rn.16.
146 BT-Drucks. 14/8765 S.10. Näher hierzu unten, S.61; siehe auch Formulierungsbeispiel für eine Stiftungssatzung im Anhang.
147 Werner/Saenger-Werner, Kap. VII Rnn.293 ff.
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oder allgemein bekannt sind, bei der Inhaltsermittlung keine Rolle spielen.148 Allein
maßgebliche Mittel dieser objektiven Auslegung sind vielmehr Wortlaut, Sinn und
Zweck sowie der systematische Bezug zu anderen Satzungsvorschriften.149 So
scheidet hinsichtlich der sich im Rahmen der Vermögensverwaltung stellenden Fragen jedenfalls der Rückgriff auf das Verhalten des Stifters vor Gründung der Stiftung aus. Hat dieser beispielsweise ein zuvor privat genutztes Wertpapierdepot von
Todes wegen auf die Stiftung übertragen und darin stets eine Aktienquote von über
50 Prozent gehalten, so kann dieser Umstand nicht zur späteren (ergänzenden) Auslegung der vermögensbezogenen Satzungsbestimmungen herangezogen werden.
aa) Verhalten des Stifters in der Stiftung als Auslegungskriterium
Etwas anderes könnte hingegen dann gelten, wenn der Stifter zunächst selbst in der
Geschäftsführung der Stiftung tätig war und während dieser Zeit die zuvor beschriebene Anlagepolitik im Grundstockvermögen verfolgte, wie sich aus den Finanzunterlagen der Stiftung erkennen lässt. – Oder dann, wenn der Stifter nach Gründung
als Organmitglied an der Erstellung einer Anlagerichtlinie mitgewirkt hat. Diese historischen Tatsachen sind zwar ebenfalls nicht aus der Stiftungssatzungs-Urkunde
selbst erkennbar. Aber die als Regelungsadressaten der betreffenden Satzungsbestimmungen klar abzugrenzenden Mitglieder des geschäftsführenden Gremiums
können sich zumindest Kenntnis von ihnen verschaffen. Anders als bei der Auslegung einer Vereins- oder Gesellschaftssatzung scheint es hier angesichts des grundrechtlich gestützten Primats des Stifterwillens und der insoweit untergeordneten
Schutzwürdigkeit des Allgemeininteresses überlegenswert, die bei der objektiven
Auslegung heranzuziehenden Auslegungsmittel um das dokumentierte Stifterverhalten als Organmitglied der Stiftung zu erweitern. Schließlich könnte ihm als Urheber
des Regelwerks auch die Auslegungs- und Anwendungsprärogative zukommen.
Allerdings ist der Stifterwille nicht per se und in jeder Ausprägung geschützt. Wie
oben festgestellt, umfasst der grundrechtliche Schutz primär die Errichtungs- und
Regelungsfreiheit. Der Stifterwille kann daher nur in der Ausprägung berücksichtigt
werden, wie er zum Gründungszeitpunkt in der Stiftungsverfassung seinen Niederschlag gefunden hat. Nachträgliche Willensänderungen des Stifters haben keinen
Einfluss mehr auf das Leben und Wirken der Stiftung. Um von vorneherein auszuschließen, dass der Stifter seinen im Stiftungsgeschäft geäußerten Willen im Nachhinein durch abweichendes Verhalten "verfälscht", können seine späteren Aktivitäten als Organmitglied bei der objektiven Satzungsauslegung keine Rolle spielen.
148 Erman-Palm, § 133 Rn.37 für die Vereins- und AG-Satzung; Staudinger-Singer, § 133 Rn.72.
149 BGHZ 123, 347 (350), für den körperschaftsrechtlichen Teil einer AG-Satzung; vgl. auch
O.Werner, Stifterwille, S.249 f.
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bb) Gesetzeswortlaut als Auslegungskriterium
Praktische Bedeutung bei der Auslegung von Stiftungssatzungen kann auch der historisch-kritische Umgang mit Anlagerestriktionen erlangen. Zahlreiche Stiftungen
geben an, satzungsmäßig auf eine mündelsichere Anlage festgelegt zu sein.150 Bei
einem Teil von Ihnen dürften die betreffenden Satzungsbestimmungen darauf zurückzuführen sein, dass der Stifter die zum Errichtungszeitpunkt bezüglich des Stiftungsvermögens geltenden Gesetzesvorschriften oder Musterformulierungen der
Stiftungsbehörden in die Satzung übernommen hat, weil er davon ausging, dass eine
davon abweichende Satzungsregelung ohnehin nicht möglich sei. Nachdem sich
mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass sich diese Anlageform zum langfristigen Vermögenserhalt nicht eignet,151 und die entsprechenden Vorschriften aus
allen Landesgesetzen entfernt sind, stellt sich die Frage, ob die betroffenen Stiftungen dennoch an die Satzungsvorgabe der Mündelsicherheit gebunden sind.
Zumindest in den Fällen, in denen die Satzungsregelung mit der damaligen Gesetzesregelung wortidentisch ist, muss eine abweichende Regelung zulässig sein.
Zwar liegt der historische Gesetzeswortlaut trotz seiner satzungsmäßigen »Kopie«
an sich außerhalb der Satzungsurkunde. Im Rahmen der objektiven Auslegung können jedoch auch Umstände herangezogen werden, die allgemein erkennbar sind.152
Die Identität zwischen Satzungs- und historischer Gesetzesregelung erfüllt dieses
Kriterium, da sie grundsätzlich von jedermann nachvollzogen werden kann. Weiterhin müssten die Fälle, in denen sich der Stifter bewusst für die Mündelsicherheit
entschieden hat, von denen zu trennen sein, in denen tatsächlich nur aufgrund einer
gewollten Gesetzeskonformität der Wortlaut in die Satzung übernommen wurde. Zur
Klärung dieser Frage kann die im Rahmen der objektiven Auslegung ebenfalls zulässige systematische Bezugnahme auf andere Satzungsvorschriften dienen. Lässt
sich dem Regelungskontext entnehmen, dass es dem Stifter auf eine möglichst langfristige Aufrechterhaltung der Stiftungstätigkeit ankam und stehen keine Umschichtungsverbote entgegen, so muss der heutige Satzungsinterpret zum Ergebnis gelangen, dass der Stifter die nach aktuellen Erkenntnissen geeignetste und nach aktuellem Recht zulässige Vermögensanlage zur Erreichung dieses Zieles wollte. Indizien
dafür könnten zum Beispiel die Anordnung einer möglichst umfangreichen Rücklagenbildung oder die Zulässigkeit von Zustiftungen sein. Ein starres Festhalten am
historischen Wortlaut wäre in diesen Fällen mit dem Primat des Stifterwillens nicht
in Einklang zu bringen.153
150 Vgl. unten, S.54.
151 Grundlegend Carstensen, Vermögensverwaltung, S.167 ff.
152 Staudinger-Singer, § 133 Rn.72.
153 So im Ergebnis auch Werner/Saenger-Werner, Kap.VII Rn.317
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cc) Stiftungsgeschäft als Auslegungskriterium
Fraglich ist vor dem Hintergrund der objektiven Auslegung weiterhin, ob der Inhalt
des – regelmäßig in einer separaten Urkunde niedergelegten – Stiftungsgeschäfts zur
Auslegung der Satzung herangezogen werden darf. Für die Vereinssatzung etwa ist
anerkannt, dass Umstände aus ihrer Entstehungsgeschichte nicht als Interpretationshilfe zulässig sind.154 Im Bereich der Vermögensverwaltung der Stiftung dürfte sich
diese Frage vor allem im Hinblick auf die ergänzende Satzungsauslegung stellen. In
den Fällen, in denen der Stifter auf eingehendere Satzungsregelungen zur Vermögensverwendung verzichtet hat, sind die Stiftungsorgane gezwungen, diese Lücken
im Wege der ergänzenden Satzungsauslegung zu schließen. Häufige Beispiele hierfür sind folgende Entscheidungen:
• Soll der Vermögenserhalt oder die Zweckverwirklichung Vorrang haben, wenn sich nicht beide Ziele gleichwertig erfüllen lassen?
• Dürfen bestimmte Vermögenswerte umgeschichtet werden, und wenn ja,
unter welchen Voraussetzungen?
• Dürfen durch Umschichtung realisierte Gewinne ausgeschüttet oder
müssen sie thesauriert werden?
Zulässig ist der Rückgriff auf den Inhalt der das Stiftungsgeschäft enthaltenden Urkunde jedenfalls dann, wenn die Satzung ausdrücklich darauf Bezug nimmt und sein
Inhalt verfügbar ist. Dies ergibt sich aus dem stiftungsrechtlichen Grundprinzip, dass
der Stifterwille die wichtigste Richtschnur der Rechtsanwendung ist. Hiermit wäre
es nicht in Einklang zu bringen, wenn nicht alle verfügbaren Quellen des Stifterwillens zu seiner Ermittlung herangezogen würden. Im Hinblick auf das Schutzbedürfnis des Rechtsverkehrs bestehen in diesen Fällen auch keine höheren Anforderungen
als bei der reinen Satzungsinterpretation. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass
der Inhalt des Stiftungsgeschäfts in diesem Kontext seinerseits nicht als einseitige
Willenserklärung auszulegen ist, sondern wie die Satzung normativ, das heißt ebenfalls nur nach dem Wortlaut, wie er in der Urkunde niedergelegt ist und wie ihn ein
objektivierter Betrachter verstehen darf.
Auch in den Fällen ohne eine ausdrückliche Verweisung der Satzung auf das Stiftungsgeschäft kann dieses zur Satzungsauslegung herangezogen werden. Außerhalb
des Stiftungsrechts ist anerkannt, dass lückenhafte Satzungsregelungen zu einem
konsistenten Ganzen zu ergänzen sind.155 Dies muss erst recht für die Stiftung gelten, da Stiftungsgeschäft und Satzung in einem gemeinsamen Entstehungsakt verbunden sind.156 Der Satzung ist dabei von vorneherein keine abschließende sondern
154 Reichert, Kap. 4.5, Rn.400.
155 Vgl. z.B. BGH NJW-RR 1990, 226 (227). Hier bezieht die Kammer den Inhalt einer vor Gesellschaftsgründung abgeschlossenen „Grundsatzvereinbarung“ zur Auslegung des Gesellschaftsvertrags mit ein.
156 Vgl. die Formulierung des § 81 Abs.1 S.3 BGB: „Durch das Stiftungsgeschäft muss die Stiftung eine Satzung erhalten …“.
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eine ergänzende Regelungsfunktion zugedacht. So heißt es in der Begründung zur
Neufassung des § 81 Abs.1 S.3 BGB:157 »Die nach Nummer 3 erforderlichen Bestimmungen über den Zweck der Stiftung ergänzen die grundsätzliche Zweckbestimmung im eigentlichen Stiftungsakt« und »Die gemäß Nummer 4 in die Satzung
aufzunehmende Regelung über das Vermögen ergänzt die Vermögenszusage durch
Verfügungen des Stifters«. Ausgerechnet in den beiden wichtigsten Regelungsbereichen Zweck und Vermögen steht die Satzung also nicht für sich, sondern bezieht
sich inhaltlich auf außerhalb ihrer selbst liegende Aussagen. In diesem Punkt unterscheidet sich die Stiftungssatzung signifikant von der Satzung eines Vereins oder einer AG.
Um den Stifterwillen erschöpfend zu erschließen, ist bei der Satzungsauslegung
folglich auch das Stiftungsgeschäft heranzuziehen, da nur beide gemeinsam eine
einheitliche Willensäußerung des Stifters darstellen. In diesem Kontext wird es seinerseits wiederum nicht als Willenserklärung sondern im Hinblick auf den Verkehrsschutz als Norm interpretiert. Für die (ergänzende) Auslegung vermögensbezogener Satzungsregelungen kann das Stiftungsgeschäft in der Praxis einige wichtige Anhaltspunkte liefern. Ist darin beispielsweise anders als in der Satzung die Zusammensetzung der ursprünglichen Vermögensausstattung detailliert aufgeführt und
besteht es in erster Linie aus Immobilien, Sachwerten oder Unternehmensbeteiligungen, so könnte dies im Einzelfall ein Indiz dafür sein, dass das Vermögen nicht
in seinem Wert, sondern nach Möglichkeit in seiner Zusammensetzung zu erhalten
ist.158 Lässt die Satzung eine Umschichtung nicht ausdrücklich zu, so ist folglich bei
der Veränderung des Grundstockvermögens Zurückhaltung geboten.
3. Anlagerichtlinie
Angesichts des weiten Gestaltungsspielraumes, den die Gesetze dem Stifter diesbezüglich lassen, wird verschiedentlich die Aufstellung von Anlagerichtlinien159 empfohlen, die seine Vorstellungen hinsichtlich der Investition des Grundstockvermögens konkretisieren.160 Dieses Vorgehen ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die
Anordnungen sehr umfänglich sind und den redaktionellen Rahmen einer Satzung
sprengen würden.161 Als Grund für die Regelung dieser Materie in einer separaten
157 BT-Drucks. 14/8765, S.10.
158 Vgl. Wigand/Theobald-Haase/Heuel/Stolte-Wigand, § 3 Rn.26.
159 Siehe auch Werner/Saenger-Fritz, Kap.IX Rnn.506 ff.
160 Schiffer, Beraterpraxis, § 6 Rn.77; Stingl, S.52; Wachter, Stiftung&Sponsoring 6/2002, Beilage Rote Seiten S.6; Fischer/Sander, S. 493 (500).
161 Gegen die Aufstellung von Anlagerichtlinien spricht nicht die zwingende Vorschrift des § 81
Abs.1 S.3 Nr.4 BGB, dass die Satzung Regelungen über das Stiftungsvermögen zu enthalten
hat. Eine Beschränkung dahingehend, dass Regelungen zum Stiftungsvermögen ausschließlich in der Satzungsurkunde zu erfolgen hätten, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen.
Dem Gesetzgeber kam es vielmehr darauf an, künftige Stifter vermehrt dazu anzuhalten, sich
diesbezüglich überhaupt einen Willen zu bilden und diesen zum Ausdruck bringen, vgl. BT-
Drucks. 14/8765 S.10. Die hier aufgeführten Beispiele sollten tatsächlich nur in der Satzung
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die jüngste Finanzkrise hat in zahlreichen Stiftungsdepots deutliche Spuren hinterlassen und die Diskussion über die konkreten Anforderungen an das Vermögensmanagement von Stiftungen neu entfacht. Dabei zeigt sich, dass zentrale Begriffe wie Vermögenserhaltung, ertragbringende Anlage oder Wirtschaftlichkeit in der Praxis nach wie vor unterschiedlich interpretiert werden.
Das Werk untersucht zunächst die bundes- und landesgesetzlichen Vorgaben zum Stiftungsvermögen, um anschließend den Gestaltungsspielraum des Stifters und des Stiftungsmanagements herauszuarbeiten. Ihnen obliegt es, die Art der Vermögensverwendung festzulegen – einschließlich des Erhaltungskonzepts. An den Anlagezielen Wert, Ertrag, Risiko und vor allem Zweck hat sich jede einzelne Anlage- und Umschichtungsentscheidung zu orientieren.
Dieses Buch enthält das rechtliche und ökonomische Basiswissen für alle Praktiker, die selbst Verantwortung für Stiftungsfinanzen tragen oder Stiftungen in Vermögensfragen beraten.
Der Autor ist im gehobenen Privatkundensegment einer großen Geschäftsbank für die Beratung von Stiftern und Stiftungen verantwortlich und verfügt über langjährige Praxiserfahrung in diesem Segment.