28
lischem Zivilrecht kein Schadensersatzanspruch zugestanden. Für den Court of Appeal stellte sich nun die Frage, ob der erwähnte Grundsatz des nationalen Rechts aus
Sicht des Gemeinschaftsrechts zu beanstanden sei.
II. Rahmenbedingungen einheitlicher Rechtsanwendung
Für die Frage, inwieweit einheitliche Ergebnisse bei der Anwendung des europäischen Kartellrechts durch nationale Zivilgerichte überhaupt realisierbar sind, müssen
zwei Problemkreise unterschieden werden. Erstens ist zu beachten, dass nationale
Gerichte stets in ihre nationalen Rechtsordnungen eingebunden sind. In diesen
Rechtsordnungen selbst aber existieren Rechtssätze, die grundsätzlich auf kartellprivatrechtliche Streitigkeiten Anwendung finden. Fraglich ist nun, abstrakt gesprochen, inwieweit diese Rechtssätze bei der Anwendung der Art. 81 und 82 EG Beachtung finden, inwieweit also national unterschiedliche Regelungen in das jeweilige Anwendungsergebnis hineinwirken können. Diese Frage ist von Relevanz, weil
der Umfang, in dem neben den Art. 81 und 82 EG nationale Regelungen akzeptiert
werden, darüber entscheidet, in welchem Maße der abstrakte Rechtsrahmen zwischen den Mitgliedstaaten von einander abweicht. Zweitens ist es für die Einheitlichkeit der Rechtsanwendungsergebnisse von Bedeutung, ob den mitgliedstaatlichen Zivilgerichten bei der tatbestandlichen Anwendung der wettbewerbsrechtlichen
Vorschriften Beurteilungsspielräume zustehen, aufgrund derer unterschiedliche
Anwendungsergebnisse von vornherein hinzunehmen sind.
1. Übereinstimmung des abstrakten Rechtsrahmens
Nach der Rechtsprechung des EuGH stellt das Gemeinschaftsrecht eine autonome
Rechtsordnung dar53. Gleichwohl ist die gemeinschaftliche Rechtsordnung nicht
gänzlich unabhängig von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Sie ist eng
verflochten mit den nationalen Rechtssystemen54. In den nationalen Rechtsordnungen finden sich ebenfalls Bestimmungen, die materielle wettbewerbsrechtliche Fragestellungen regeln und mit einem eigenen Geltungsanspruch ausgestattet sind.
Damit ist auch in kartellzivilrechtlichen Verfahren das Verhältnis von nationalem
und europäischem Wettbewerbsrecht zu klären. Gleichzeitig hält das geschriebene
Gemeinschaftsrecht selbst keine Rechtsvorschriften bereit, auf die bei der zivilgerichtlichen Anwendung des materiellen gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrechts zurückgegriffen werden könnte. Es bleibt daher nur der Rückgriff auf nationa-
53 EuGH, Urteil vom 5.2.1963, Rs. 26/62 – van Gend en Loos/Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1,
25.
54 G. C .R. Iglesias, NJW 1999, S. 1 ff. (8); grundlegend mit verfassungsrechtlicher Blickrichtung A. von Bogdandy, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 ff. (184 ff.);
I. Pernice, E.L.Rev. 2002, S. 511 (514); ders., in: Bieber/Widmer, S. 225 ff. (261 ff.).
29
le Regelungen, die freilich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind.
Fraglich ist, inwieweit es dennoch gemeinschaftsrechtlich geboten ist, dass die zur
Anwendung gelangenden nationalen Rechte einen einheitlichen Inhalt haben.
a) Verhältnis des mitgliedstaatlichen zum europäischen Wettbewerbsrecht
Wie bereits einleitend dargestellt, sind die Art. 81 und 82 EG unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht. Die unmittelbare Anwendbarkeit bedingt es, dass nationale
Gerichte das europäische Kartellrecht überhaupt anwenden55. Sie ist damit Vorbedingung einer zivilgerichtlichen Kartellrechtsanwendung. Sofern nationale Gerichte
bei der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts sodann vor Frage stehen,
in welchem Verhältnis dieses zum nationalem Wettbewerbsrecht steht, ist dies im
Grunde einfach beantwortet mit dem Verweis auf den Anwendungsvorrang des
Gemeinschaftsrechts56. Die Lehren von der unmittelbaren Anwendbarkeit und vom
Anwendungsvorrang zusammen genommen, bewirken, dass gemeinschaftsrechtliche
Normen nicht nur als anwendbare Normen des Mitgliedstaats überhaupt, sondern
zudem als höherrangige Normen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung anzusehen
sind57.
In bestimmten Bereichen stößt die Anwendung des Vorrangsprinzips jedoch auf
Schwierigkeiten58. Ohne die Grundsätze des Anwendungsvorrangs hier im Detail
nachzuzeichnen, sollen zwei Problemkreise herausgegriffen werden, die speziell für
den wettbewerbsrechtlichen Bereich problematisch sind. Zum einen geht es dabei
um die Frage, ob der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang – gleichsam als
Nichtanwendbarkeitsvorrang – auch einschlägig sein kann, wenn schon die wettbewerbsrechtlichen Verbote der Art. 81 Abs. 1 und 82 EG tatbestandlich gar nicht
erfüllt sind und zum anderen um die Frage des Anwendungsvorrangs bei Vorliegen
der Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG.
aa) Anwendungsvorrang bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen von Art. 81 Abs.
1 und 82 EG
Die Beantwortung der Frage, welche Konsequenzen sich aus der Lehre vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ergeben, sofern die Voraussetzungen des
55 D. Dalheimer, in Grabitz/Hilf, nach Art. 83 EG, Vorbem. VO 1/2003, Rn. 7.
56 EuGH, Urteil vom 15.7.1964, Rs. 6/64 – Costa/E.N.E.L., Slg. 1964, S. 1125 (1269 f.); Urteil
vom 17.12.1970, Rs. 11/70 – Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle,
Slg. 1970, S. 1125, Rn. 3 f.; Urteil vom 19.6.1990, Rs. C-213/89 – Queen/Factortame, Slg.
1990, S. I-2433, Rn. 18 ff.
57 J. H. H. Weiler, Yale L.J. 100 (1991), S. 2403 (2415).
58 Vgl. in diesem Zusammenhang A. Schaub, in: Hawk, Fordham Corp. L. Inst. 2001, S. 31 (37
f.).
30
Art. 81 Abs. 1 oder des Art. 82 EG bereits tatbestandlich nicht erfüllt sind, hat im
Rahmen zweier Grundannahmen zu erfolgen. Einerseits kann nicht jedes Nichtvorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einer gemeinschaftsrechtlichen Norm die
Anwendbarkeit nationalen Rechts ausschließen. Andererseits sind Fälle denkbar, in
denen die Voraussetzungen einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung zwar im
Ergebnis zu verneinen sind, dies jedoch Ausdruck einer materiellrechtlichen Wertung ist, die nicht durch nationales Recht umgangen werden soll.
Es besteht somit das Bedürfnis einer Abgrenzung der Fälle, die gar nicht in den
Anwendungsbereich der Art. 81 und 82 EG fallen, von solchen, die grundsätzlich im
Anwendungsbereich anzusiedeln sind, jedoch eine positive wettbewerbsrechtliche
Wertung treffen. Damit davon gesprochen werden kann, dass ein Verhalten in den
Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts fällt, ist zweierlei erforderlich.
Es muss erstens der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts überhaupt eröffnet sein und zweitens thematisch ein wettbewerbsrechtlich relevantes Verhalten
vorliegen. Sofern diese Bedingungen erfüllt sind, jedoch im Ergebnis eine Wettbewerbsrechtsverletzung zu verneinen ist, lässt sich hierin eine rechtliche Aussage des
Gemeinschaftsrechts selbst sehen.
Die VO 1/2003 beantwortet die aufgeworfene Frage für Art. 81 Abs. 1 EG und
Art. 82 EG unterschiedlich. Im Falle eines Nichtvorliegens des Art. 82 EG ist
durchweg, also unabhängig davon, ob dessen Anwendungsbereich in sonstiger Weise relevant ist, von der uneingeschränkten Anwendbarkeit strengeren nationalen
Rechts auszugehen. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003, wonach die
Anwendung strengerer mitgliedstaatlicher Vorschriften zur Ahndung „einseitiger
Handlungen von Unternehmen“ zulässig ist59. Was als einseitiges Verhalten in diesem Sinne gilt, ist aus Sicht des Gemeinschaftsrechts zu definieren60.
Für Art. 81 Abs. 1 EG hingegen ist nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO 1/2003 grundsätzlich davon auszugehen, dass auch das Nichtvorliegen des Tatbestands den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auslöst, dass also strengeres nationales
Recht zurückstehen muss. Bezüglich Art. 81 EG besteht die Gefahr eines Wertungswiderspruchs, wenn Verhaltensweisen die Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Verbotstatbestands nur teilweise erfüllen, nationales Recht sie
jedoch verbietet. Würde der Nichterfüllung des Art. 81 Abs. 1 EG für die Anwendbarkeit nationalen Rechts keinerlei Beachtung geschenkt, so könnte eine Vereinbarung, die zwar den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt, jedoch nach Art. 81
Abs. 3 EG von dem Verbot ausgenommen ist, im Ergebnis strenger behandelt werden als eine Vereinbarung, die erst gar nicht den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG
erfüllt, mithin also als weniger bedenklich gelten muss. Denn ersterenfalls wäre die
Anwendung strengeren nationalen Rechts kraft des Anwendungsvorrangs von Art.
81 Abs. 3 ausgeschlossen61.
59 S. Hossenfelder/M. Lutz, WuW 2003, S. 118 (121).
60 G. Hirsch, ZWeR 2003, S. 233 (244).
61 S. sogleich unter B. II. 1. a) aa).
31
Die zuvor abstrakt formulierten Abgrenzungskriterien für den Anwendungsbereich der Vorschrift – das Erfordernis eines gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalts
im Allgemeinen und eines wettbewerbsrechtlichen im Speziellen – konkretisiert die
VO 1/2003 folgendermaßen: Zur Abgrenzung des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsbereichs im Verhältnis zum mitgliedstaatlichen Recht stellt Art. 3 Abs. 1
Satz 1 VO 1/2003 auf die sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel ab62. Dies entspricht
der üblichen Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 81 EG63. Um zu ermitteln, ob es sich um ein nach Art. 81 Abs. 1 EG relevantes Verhalten handelt, muss
nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO 1/2003 zudem eine der in Art. 81 Abs. 1 EG beschriebenen Verhaltensweisen vorliegen. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, der
Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG jedoch im Übrigen zu verneinen ist, muss strengeres nationales Recht zurückstehen. Das tatbestandliche Nichtvorliegen des Art. 81
Abs. 1 EG setzt sich durch64. Der praktisch wichtigste Fall eines solchen Nichtvorliegens des Tatbestands dürfte Vereinbarungen betreffen, die unter die sog. de minimis-Bekanntmachung der Kommission65 fallen. Hierin beschreibt die Kommission
anhand von Marktanteilsschwellen Verhaltensweisen, für die grundsätzlich von
keiner spürbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs auszugehen ist. Unberührt
bleibt von den dargestellten Grundsätzen nach Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 die Anwendbarkeit von nationalen Vorschriften, die primär anderen Zwecken dienen als
das europäische Kartellrecht.
bb) Anwendungsvorrang des Art. 81 Abs. 3 EG
Die uneingeschränkte Geltung der Vorrangregel bei Vorliegen der Voraussetzungen
des Art. 81 Abs. 3 EG wurde vor Inkrafttreten der VO 1/2003 keineswegs für selbstverständlich erachtet66. Nach der weit verbreiteten sog. Zweischrankentheorie war
62 Zur weiten Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel vgl. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in
den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. Nr. C 101 vom 27.04.2004 S. 81 ff.
63 Vgl. statt vieler E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 4, Rn. 1
ff.
64 Fraglich bleibt allerdings, ob nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 strengeres nationales
Recht für einseitiges Verhalten bei einem Nichtvorliegen des Art. 81 Abs. 1 EG angewendet
werden kann, wenn dessen Anwendungsbereich nach den beschriebenen Kriterien eröffnet ist
(vgl. A. Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht Bd. 1, Art. 3 VO
1/2003, Rn. 10 m.w.N.).
65 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den
Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. Nr. C 368 vom 22.12.2001, S. 13 ff.
66 Vgl. zum Streitstand R. Bechtold, in: Niederleithinger/Werner/Wiedemann, Festschrift für
Otfried Lieberknecht, S. 251 ff; H.-J. Bunte, Das Verhältnis von deutschem zu europäischem
Kartellrecht, WuW 1989, S. 7 ff; E. Rehbinder, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift für
Ernst-Joachim Mestmäcker, S. 711 ff.; R. Walz, Der Vorrang des europäischen vor dem nationalen Kartellrecht (1994); M. Zuleeg, EuR 1990, S. 123 ff.
32
zunächst argumentiert worden, die nationalen Wettbewerbsordnungen der Mitgliedstaaten einerseits und die Wettbewerbsordnung der Gemeinschaft andererseits besä-
ßen vollkommen unterschiedliche Schutzgüter, weshalb es gar nicht zu Konflikten
der beiden Rechtsordnungen kommen könne. Beide Rechtsordnungen seien mithin
ohne Einschränkung nebeneinander anwendbar, was im Ergebnis bedeute, dass sich
das jeweils strengere Recht durchzusetzen habe67.
Dieser Auffassung erteilte der EuGH in der Entscheidung Walt Wilhelm68 eine
Absage, indem er zwar die unterschiedlichen Zielsetzungen des europäischen und
der nationalen Wettbewerbsrechte im Grundsatz anerkannte, jedoch zugleich unmissverständlich auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch im
Bezug auf Art. 81 Abs. 3 EG verwies69. Weniger deutlich äußerte er sich jedoch zu
der konkreten Gestalt des Grundsatzes im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang.
Ohne weiteres durfte davon ausgegangen werden, dass sich das Gemeinschaftsrecht
durchzusetzen hatte, wenn es strenger war als entsprechendes nationales Recht70.
Unklarheit bestand jedoch in der Frage, wie mit Fällen umzugehen sei, in denen das
Verhalten nach nationalem Recht verboten war, jedoch gleichzeitig die Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllte. Der EuGH hatte in der Walt
Wilhelm-Entscheidung pauschal formuliert, jedenfalls einer bereits ergangenen Freistellungsentscheidung sei durch nationale Stellen Rechnung zu tragen71. Damit stand
für zahlreiche Autoren fest, dass von einer verfahrensrechtlichen Lösung der Rangfrage auszugehen sei. Diese sollte darin bestehen, dass der Anwendungsvorrang für
Freistellungsentscheidungen gelten sollte, die Art. 81 Abs. 3 EG konkretisierten,
nicht aber von einem Vorrang des Art. 81 Abs. 3 EG selbst ausgegangen werden
konnte72. Weiterhin aber war unklar, ob jede beliebige Freistellungsentscheidung die
Wirkungen des Anwendungsvorrangs auslösen sollte, oder ob dies nur für bestimmte Entscheidungen der Fall sei73.
Der Meinungsstand soll hier nicht in seinen Einzelheiten dargestellt werden.
Stattdessen mag ein Blick auf den Ursprung der Diskussion genügen. Nach bisheriger Rechtslage bestand, bedingt durch das Freistellungsmonopol der Kommission,
ein grundsätzliches Dilemma, was den Vollzug der Vorschrift des Art. 81 Abs. 3 EG
67 N. Koch, BB 1959, S. 241 (245).
68 EuGH, Urteil vom 13.2.1969, Rs. 14/68 – Walt Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, 1.
69 EuGH, Urteil vom 13.2.1969, Rs. 14/68 – Walt Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, 1, Rn.
6.
70 E. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 3. Auflage, Bd. 1, Einl. F.,
Rn. 14.
71 EuGH, Urteil vom 13.2.1969, Rs. 14/68 – Walt Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, 1, Rn.
7.
72 E. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 3. Auflage, Bd. 1, Einl. F.,
Rn. 5; J. Schwarze, JZ 1996, S. 57 (62).
73 H.-J. Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, (9. Auflage), Einführung zum EG-
Kartellrecht, Rn. 78. Ausgangspunkt der Diskussion war hier die Formulierung des EuGH in
der Sache Walt Wilhelm, wonach den Gemeinschaftsbehörden „gewisse positive […] Eingriffe“ gestattet seien (EuGH, Urteil vom 13.2.1969, Rs. 14/68 – Walt Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, S. 1, Rn. 5).
33
betraf. Zwar sollte die Vorschrift des Art. 81 Abs. 3 EG, wie jede andere Vorschrift
des Gemeinschaftsrechts, nicht durch nationales Recht in Frage gestellt werden,
zugleich jedoch führte die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit zu erheblichen
Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Anliegens.
Während eine unmittelbar anwendbare Norm nichtstaatlichen Ursprungs freilich
nicht denklogisch sämtlichen, beispielsweise später erlassenen, Normen des nationalen Rechts vorgehen muss, lässt sich umgekehrt die Vorrangigkeit einer Bestimmung ohne unmittelbare Anwendbarkeit nur unter größeren Schwierigkeiten realisieren. So verwirklicht sich die Höherrangigkeit des Gemeinschaftsrechts im Wege
des Anwendungsvorrangs gerade dadurch, dass der betreffende Mitgliedstaat nationales Recht unangewendet lässt und stattdessen höherrangiges Gemeinschaftsrecht
anwendet74. Mangels Anwendungsbefugnis waren die nationalen Gerichte im Falle
des Art. 81 Abs. 3 EG jedoch gar nicht in der Lage einen, den Anwendungsvorrang
auslösenden, Konfliktfall zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht verbindlich festzustellen. Erst recht konnten sie nicht Gemeinschaftsrecht anstelle nationalen Rechts anwenden.
Dabei muss eine Unterscheidung gemacht werden zwischen der Höherrangigkeit
des Gemeinschaftsrechts in normenhierarchischer Hinsicht und dem hier gebrauchten Begriff des Anwendungsvorrangs, der eine Kollisionsregel darstellt für den Fall
von Kollisionen gemeinschaftsrechtlicher und nationaler Normen75. Die normenhierarchische Höherrangigkeit gilt unabhängig von der unmittelbaren Anwendbarkeit
einer Norm des Gemeinschaftsrechts. Jedoch verwirklicht sich die Höherrangigkeit
bei Nichtvorliegen unmittelbarer Anwendbarkeit auf andere Weise als durch den
Anwendungsvorrang im oben dargelegten Sinne, etwa durch eine gemeinschaftskonforme Auslegung oder über Staatshaftungsgrundsätze76. Demgegenüber wurde der
Höherrangigkeit des Art. 81 Abs. 3 EG dadurch Rechnung getragen, dass i.S.d. Walt
Wilhelm-Rechtsprechung die Anwendung im Einzelfall durch eine andere Stelle als
die nationalen Gerichte und Behörden, nämlich die Kommission, zu geschehen hatte. Erst die konkretisierende Entscheidung im Einzelfall konnte dann zur Beurteilung des Anwendungsvorrangs von Art. 81 Abs. 3 EG herangezogen werden.
Mit dem Übergang zum System der Legalausnahme können nationale Gerichte
die Vorschrift des Art. 81 Abs. 3 EG nun selbst anwenden, so dass es einer konkretisierenden Entscheidung nicht mehr bedarf. Sie können der Höherrangigkeit der
Norm selbst Rechnung tragen, im Wege des Anwendungsvorrangs. Wenn das Erfordernis eines Zwischenschritts somit aus der mangelnden unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 3 EG resultierte, ergibt sich umgekehrt, dass es mit dem Übergang zum Legalausnahmesystem auf diesen Zwischenschritt nicht länger ankommt.
Konsequenterweise bestimmt Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VO 1/2003, durch den die
74 Vgl. EuGH, Urteil vom 9.3.1983, Rs. 106/77 – Finanzverwaltung/Simmenthal, Slg. 1978, S.
629, Rn. 17/18, 21/23.
75 Vgl. U. Haltern, Europarecht, S. 366 ff.
76 Vgl. die eingehende Darstellung bei K. Lenaerts/T. Corthaut, E.L.Rev. 31 (2006), S. 287 (289
ff.).
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Frage des Verhältnisses von nationalem und europäischem Wettbewerbsrecht erstmals eine sekundärrechtliche Regelung erfahren hat, daher den Anwendungsvorrang
des Art. 81 Abs. 3 EG selbst, ohne dass es einer konkretisierenden Entscheidung
bedarf.
b) Konvergenz des bei der Durchsetzung anwendbaren nationalen Rechts
Indem die nationalen Zivilgerichte, wie beschrieben, kraft horizontaler unmittelbarer
Anwendbarkeit europäisches Wettbewerbsrecht selbst anwenden, greifen sie mangels eines umfassenden originären europäischen Zivilprozessrechts auf ihr nationales Verfahrensrecht zurück, soweit nicht ausnahmsweise gemeinschaftsrechtliche
Rechtssätze existieren77. Das Gemeinschaftsrecht regelt die zivilrechtlichen Folgen
einer Verletzung der Art. 81 und 82 EG nur ausschnittsweise. Nicht nur die prozessualen, sondern auch die bei der zivilgerichtlichen Anwendung des europäischen
Wettbewerbsrechts zur Anwendung kommenden materiellrechtlichen Vorschriften78
77 EuGH, Urteil vom 16.12.1976, Rs. 33/76 – Rewe/Landwirtschaftskammer, Slg. 1976, 1989,
Rn. 5; Urteil vom 16.12.1976, Rs. 45/76 – Comet/Siergewassen, Slg. 1976, 2043, Rn. 13; vgl.
J. Temple Lang, in: Stuyck/Gilliams, Modernisation of EC Competition Law, S. 137 (137 f.).
Mit Art. 2 VO 1/2003 schreibt die Verordnung eine vereinzelte Verfahrensregelung fest, mit
der sie die Frage der Beweislast regelt. Darin wird bestimmt, was nach mitgliedstaatlichem
Prozessrecht zumeist ohnehin gilt: Jede Partei hat die ihr günstigen Tatsachen zu beweisen
(G. Hirsch, ZWeR 2003, S. 233 [241]; Begründung zum Verordnungsvorschlag, S. 16; vgl.
zum Verständnis des missverständlichen Begriffs der „Zuwiderhandlung“ in Art. 2 VO
1/2003: W. Fikentscher, WuW 2001, S. 446 [448 ff.]). Von der Regelung nicht betroffen sind
allerdings Fragen des Beweismaßes (Erwägungsgrund (5) der VO 1/2003). Damit sind nationale Beweiserleichterungen grundsätzlich denkbar (vgl. die Darstellungen der Nationalberichterstatter, in: Cahill/Cooke, The Modernisation of EU Competition Law Enforcement in
the European Union – FIDE 2004 National Reports, jeweils unter Punkt 3.3). Dies ist insbesondere für nicht an dem wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligte Unternehmen von Nutzen. Diese werden schwerlich Zugang zu den in der Sphäre der anderen Prozesspartei liegenden Beweismitteln haben. Denkbar wären hier etwa Regelungen, wonach bestimmte Tatsachen als prima facie-Beweise für einen Wettbewerbsverstoß zu werten sind (vgl. hierzu A.
Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht Bd. 1, Art. 2 VerfVO, Rn. 14).
Eine vollständige Beweislastumkehr ist jedoch mit dem Wortlaut des Art. 2 VO 1/2003 nicht
zu vereinbaren und scheidet angesichts der vorrangigen Geltung dieser Vorschrift aus (vgl. A.
Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht Bd. 1, Art. 2 VerfVO, Rn. 13;
a.A. wohl G. Hirsch, ZWeR 2003, S. 233 [242]). Auch nicht berührt werden Fragen der
Sachverhaltsaufklärung (vgl. dazu W. Kirchhoff, WuW 2004, S. 745 [750 f.]). Der beweisführenden Partei günstige Regelungen, wie die im Vereinigten Königreich möglich pre-trial discovery könnten hier Anlass für forum shopping (vgl. dazu Fn. 581) bieten (S. Kon, in: Hawk,
Fordham Corp. L. Inst. 1999, S. 233 [241]; M. Sura, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2,
Art. 2 VO 1/2003, Rn. 13). Zum Ganzen: M. M. Collins, ERA-Forum 2004-I, S. 66 ff.
78 Weder im geschriebenen Gemeinschaftsrecht noch in der Rechtsprechung des EuGH wird
eine Einteilung nationaler Vorschriften nach diesen Kriterien vorgenommen. Die hier vorgenommene Unterscheidung kann daher nicht mehr sein als eine bloße Darstellungshilfe. Als
materielles Recht sollen dabei jene privatrechtlichen Vorschriften verstanden werden, die
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sind folglich vorwiegend dem nationalen Recht zu entnehmen79. Aus der Sicht einheitlicher Anwendungsergebnisse ist es von Interesse, inwieweit Divergenzen aufgrund von Unterschiedlichkeiten der jeweiligen nationalen Vorschriften hinzunehmen sind.
aa) Systembedingte Divergenzen
Der EuGH geht im Grundsatz davon aus, das Gemeinschaftsrecht solle in allen Mitgliedstaaten „so weit wie möglich die gleiche Wirkung entfalten“80. Die Formulierung bringt ebenso deutlich das Ziel einer perfekten einheitlichen Wirksamkeit des
Gemeinschaftsrechts zum Ausdruck wie die Erkenntnis, dass der Zielverwirklichung
Grenzen gesetzt sind81. In der Rechtsprechung des EuGH ist anerkannt, dass auch
nationalen Vorstellungen gegenüber den Interessen der Gemeinschaft Rechnung zu
tragen ist. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet auch die Gemeinschaft zur Rücksichtnahme gegenüber nationalen Gestaltungsinteressen82. Es ist
demnach nicht von einem Grundsatz einheitlicher Wirksamkeit auszugehen, der sich
a priori gegenüber sämtlichen nationalen Vorstellungen durchsetzt. Es handelt sich
vielmehr um eine normative Zielvorstellung, die ihrerseits dogmatischer Konkretisierung bedarf83.
Rechte und Pflichten zwischen Einzelnen regeln, insbesondere also zivilrechtliche Ansprüche. Unter Verfahrensrecht werden diejenigen Normen verstanden, die der Durchsetzung von
Individualrechten dienen.
79 I. Brinker, IBL 2003, S. 171 ff.; M. van der Woude, in: Stuyck/Gilliams, Modernisation of EC
Competition Law, S. 41 (51).
80 EuGH, Urteil vom 14.1.1981, Rs. 819/79 – Deutschland/Kommission, Slg. 1981, 21, Rn. 10.
Vgl. weiterhin zum Erfordernis der Rechtseinheit Urteil vom 15.7.1964, Rs. 6/64 – Costa/E.N.E.L., Slg. 1964, S. 1125 (1269); Urteil vom 13.2.1969, Rs. 14/68 Walt Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, S. 1, Rn. 4; Urteil vom 22.10.1987, Rs. 314/85, Foto-
Frost/Hauptzollamt Lübeck, Slg. 1987, 4199, Rn. 15; Urteil vom 21.2.1991, Rs. C-143/88
u.a. – Süderdithmarschen/Hauptzollamt, Slg. 1991, I-415, Rn. 26; Urteil vom 5.3.1996, Rs.
C-46/93 – Brasserie du Pêcheur/Deutschland, Slg. 1996, I-1029, Rn. 33.
81 Vgl. B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 EG, Rn. 28. Der Wortlaut, wonach die einheitliche Wirksamkeit nur „so weit wie möglich“ zu verwirklichen ist, ließe zwar
die Annahme eines Prinzips einheitlicher Wirksamkeit im Sinne des Alexy´schen Prinzipienmodells zu, wie von Martin Nettesheim als mögliche Erklärungsvariante zur Diskussion gestellt (M. Nettesheim, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke, Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz,
S. 447 [464 f.]). Dann läge in dem Grundsatz ein normativer Befehl an den Rechtsanwender,
den Zielzustand einer einheitlichen Wirksamkeit zu optimieren (vgl. R. Alexy, Theorie der
Grundrechte, S. 75 ff.). Im Sinne des Kollisionsgesetzes (R. Alexy, Rechtstheorie 18 (1987),
S. 405 [414 f.]) wären Einbußen nur hinzunehmen, sofern sie durch eine Abwägung mit gegenläufigen Prinzipien geboten sind. Sofern man davon ausginge, dass letztere nur aus der
Gemeinschaftsrechtsordnung selbst folgen können, hätte dies zur Folge, dass das gesamte nationale Recht der Abwägung gemeinschaftsrechtlicher Prinzipien unterzuordnen wäre.
82 A. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EG, Rn. 8.
83 W. van Gerven, CML Rev. 2000, S. 501 (521 f.); M. Nettesheim, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke, Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, S. 447 (454 f.); vgl. zum Ganzen in
36
bb) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für das nationale Zivilverfahrensrecht
Wie einleitend erwähnt, kommt bei der Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts auf privatrechtlichem Wege nationales Zivilverfahrensrecht zur Anwendung84. Der EuGH geht dabei in ständiger Rechtsprechung davon aus, nationales
Recht dürfe bei der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht keine Unterschiede machen gegenüber der Durchsetzung gleichartigen nationalen Rechts (Äquivalenzgrundsatz)85. Ferner dürfen nationale Regelungen die Geltung des Gemeinschaftsrechts nicht übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen (Effektivitätsgrundsatz)86. Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität stellen
„grobmaschige“ Maßstäbe dar87. Ihr normativer Gehalt bedarf der Konkretisierung
im Einzelfall.
Die Frage, welche Vorgaben sich aus dem europäischen Kartellrecht für das nationale Zivilverfahrensrecht ergeben, ließe sich im weitesten Sinne als Frage des Verhältnisses zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht verstehen. Schließlich steht auf der einen Seite Gemeinschaftsrecht, die Art. 81 und 82 EG, auf der
anderen Seite das zu deren Anwendung berufene nationale Recht. Dies legt es auf
den ersten Blick nahe, vom Grundsatz des Anwendungsvorrangs auszugehen. In
diesem Sinne wird vertreten, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz dienten allein
dazu, zu ermitteln, ob überhaupt eine Kollision zwischen nationalem Recht und
Gemeinschaftsrecht vorliege. Sofern dies der Fall sei, greife auch hier der Anwendungsvorrang uneingeschränkt88. Sähe beispielsweise das nationale Recht für die
Geltendmachung eines Kartellverstoßes eine ungewöhnlich kurze Klagefrist vor, so
könnte dies gegen den Effektivitätsgrundsatz verstoßen. Damit wäre nach der erwähnten Ansicht eine Kollisionslage zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht ermittelt. Fraglich wäre jedoch dann, was sich aus dem Anwendungsverfassungsrechtlicher Perspektive, A. von Bogdandy, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 (184 ff.).
84 Vgl. zum einschlägigen Recht in Deutschland K. Schmidt, in: Ehlermann/Atanasiu, European
Competition Law Annual No. 6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law,
S. 253 ff.; in England H. Laddie, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 229 ff.; in Frankreich C. Momège/L. Idot, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6
(2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 233 ff.; in Italien G. Tesauro,
in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6 (2001) – Effective Private
Enforcement of EC Antitrust Law, S. 267 ff.
85 EuGH, Urteil vom 12.6.1980, verb. Rs. 119/79 u.a. – Lippische Hauptgenossenschaft, Slg.
1980, 1863, Rn. 10; Urteil vom 21.9.1983, Rs. 205/82 u.a. – Deutsche Milchkontor/Deutschland, Slg. 1983, 2633, Rn. 19 ff. Hinsichtlich des gerichtlichen Vollzugs EuGH,
Urteil vom 14.12.1995, Rs. C-312/93 – Peterbroeck/Belgien, Slg. 1995, I-4599, Rn. 12.
86 EuGH, Urteil vom 21.9.1983, Rs. 205/82 u.a. – Deutsche Milchkontor/Deutschland, Slg.
1983, 2633, Rn. 19 ff. Hinsichtlich des gerichtlichen Vollzugs EuGH, Urteil vom 14.12.1995,
Rs. C-312/93 – Peterbroeck/Belgien, Slg. 1995, I-4599, Rn. 12.
87 B. Hess, RabelsZ 66 (2002), S. 470 (474); vgl. auch M. Nettesheim, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke, Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, S. 447 (459 ff.).
88 W. Schröder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EG, Rn. 43.
37
vorrang ergeben sollte. Denn die Art. 81 und 82 EG treffen keinerlei Aussage zu der
Frage einer Klagefrist. Es fehlt somit an einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift,
die sich im Wege des Anwendungsvorrangs gegenüber der kurzen nationalen Frist
durchsetzen könnte.
Die Lehre vom Anwendungsvorrang ist als dogmatisches Konzept für den vorliegenden Problemkreis daher nicht einschlägig. Auch wenn es um das Verhältnis von
Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht geht und eine Lösung über den Anwendungsvorrang somit thematisch nahe liegt, lässt der aufgezeigte Lösungsansatz doch
die möglichen Konstellationen unberücksichtigt, in denen sich nationales Recht und
Gemeinschaftsrecht gegenüber stehen können. Zunächst ist es möglich, dass Normen des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts den gleichen Regelungsgegenstand haben. Sofern sie in diesem Fall unterschiedliche Rechtsfolgen vorsehen,
wird vielfach von direkten Kollisionen gesprochen89. Es liegt dann ein unmittelbarer
Widerspruch zweier für sich gültiger Rechtssätze vor. Dies ist etwa der Fall, wenn
sich nationales und gemeinschaftsrechtliches Kartellrecht gegenüber stehen. In dieser Konstellation greift der Anwendungsvorrang ohne Weiteres.
Ebenso ist es aber möglich, dass Normen des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts ganz unterschiedliche Regelungsgegenstände haben. Dies bedeutet
noch nicht, dass zwischen ihnen kein Konfliktpotential besteht. Nationale Bestimmungen können auch dann, wenn sie einen unterschiedlichen Regelungsgegenstand
betreffen, die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen, was teilweise
mit dem Begriff der indirekten Kollision umschrieben wird90. Hierbei handelt es sich
um die beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch nationales Verfahrensrecht
typische Situation. Zu vollziehende Gemeinschaftsrechtsnorm und nationales Verfahrensrecht haben völlig unterschiedliche Regelungsgegenstände, das Gemeinschaftsrecht ist jedoch in seiner Wirkung abhängig von nationalem Verfahrensrecht.
Hier liegt letztlich keine Kollision vor, weshalb der Begriff der indirekten Kollision nicht ganz zutreffend gewählt ist. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene fehlt hier
eine Normaussage, die mit der nationalen kollidieren könnte. Das Gemeinschaftsrecht ist vielmehr als unvollständig zu bezeichnen. Es hält selbst nicht die zu seiner
Wirksamkeit erforderlichen Verfahren bereit91 und muss sich so auf nationales
Recht stützen. Es ist daher nicht von einer Kollision zwischen nationalem Recht und
Gemeinschaftsrecht auszugehen, sondern von einer Wirksamkeitsbeeinträchtigung
des Gemeinschaftsrechts durch nationales Recht92, die darin besteht, dass die zur
Anwendung kommenden nationalen Regelungen die Wirksamkeit nicht ausreichend
gewährleisten oder darin, dass auf nationaler Ebene entsprechende Regelungen
gänzlich fehlen, die dem Gemeinschaftsrecht zur Wirksamkeit verhelfen könnten.
89 Vgl. dazu A. von Bogdandy/M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, (EL 7 [1994]), Art. 1, Rn. 35 f.;
K. E. Huthmacher, Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollissionen, S. 134
ff., 137.
90 Vgl. W. Schröder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EG, Rn. 43.
91 M. Nettesheim, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke, Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, S.
447 (459).
92 A. von Bogdandy/M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (EL 7 [1994]), EUV/EGV, Art. 1, Rn. 36.
38
Eine Lösung über die Grundsätze des Anwendungsvorrangs kommt hier, wie
festgestellt, nicht in Betracht. Denn ein gemeinschaftsrechtlicher Rechtssatz, der
sich im Wege des Anwendungsvorrangs durchsetzen könnte, existiert nicht93. Die
Annahme des Gegenteils würde bedeuten, dass ergänzend zur gemeinschaftsrechtlichen Norm noch sämtliche zur Durchsetzung erforderlichen Verfahrensvorschriften
in diese Norm hineingelesen würden94. Dies widerspräche jedoch der Grundaussage
des EuGH, wonach mangels gemeinschaftsrechtlicher Regelung die Gestaltung des
nationalen Gerichtsverfahrens grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist95.
Dies bedeutet freilich keine vollkommene Autonomie nationalen Verfahrensrechts, wie der gelegentlich gebrauchte Begriff der nationalen Verfahrensautonomie96 vermuten lässt. Nach Art. 10 EG sind die Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet. Die eingangs dargestellten Grundsätze der Äquivalenz und
Effektivität sind nichts anderes als Konkretisierungen dieser Verpflichtung97. Dabei
ist Art. 10 EG als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu sehen, der über
den eindimensionalen Wortlaut der Vorschrift hinausreicht und nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern, wie zuvor dargestellt, auch die Gemeinschaft zur Loyalität
verpflichtet98. Die Anwendung des Grundsatzes erfordert eine Abwägung, bei der
die verschiedenen nationalen und gemeinschaftlichen Rechtspositionen und Interessen mit einander ins Verhältnis zu setzen sind99.
Eine Abwägung im Rahmen des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit kann
nur dort unterbleiben, wo kein schützenswertes Interesse auf der einen oder anderen
Seite ersichtlich ist. Davon geht der EuGH im Zusammenhang mit dem Äquivalenz-
93 Vgl. auch T. von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 115 f.; E. Klein, in: Starck,
Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 117 (136). Etwas anderes gilt freilich, wenn sich
ein Rechtssatz erst durch Auslegung ermitteln lässt. In diesem Fall ist jedoch von einer direkten Kollision auszugehen.
94 So C. N. Kakouris, CML Rev. 1997, 1389 (1404 f.).
95 EuGH, Urteil vom 16.12.1976, Rs. 33/76 – Rewe/Landwirtschaftskammer, Slg. 1976, 1989,
Rn. 5; Urteil vom 16.12.1976, Rs. 45/76 – Comet/Siergewassen, Slg. 1976, 2043, Rn. 13.
96 EuGH, Urteil vom 7.1.2004, Rs. C-201/02 – The Queen ex parte: Delena Wells/Secretary of
State for Transport, Local Government and the Regions, Slg. 2004, Slg. I-723, Rn. 70; vgl.
zum Ganzen C. N. Kakouris, CML Rev. 1997, 1389 ff.
97 Vgl. E. Grabitz, NJW 1989, S. 1776 (1782). Als Ausdruck einer Kombination des Vorrangs
und der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrecht, des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz betrachten die Grundsätze F. G.
Jacobs/T. Deisenhofer, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6
(2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 187 (217).
98 EuGH, Urteil vom 10.2.1983, Rs. 54/81 – Luxemburg/Europäisches Parlament, Slg. 1983,
255, Rn. 37 f.; Urteil vom 15.1.1986, Rs. 52/84 – Europäische Kommission/Belgien, Slg.
1986, 89, Rn. 16; Urteil vom 22.9.1988, Rs. 358/85 u.a. – Frankreich/Europäisches Parlament, Slg. 1988, 4821, Rn. 34; Urteil vom 14.11.1989, Rs. 14/88 – Italien/Kommission, Slg.
1989, I-3365, Rn. 20; Beschluss vom 13.7.1990, Rs. C-2/88-IMM – Zwartfeld, Slg. 1990, I-
3365, Rn. 17 ff.; Urteil vom 28.2.1991, Rs. C-234/89 – Delimitis/Henninger, Slg. 1991, I-
935, Rn. 53; Urteil vom 14.7.1998, Rs. C-341/95 – Bettati/Safety Hi-Tech, Slg. 1998, I-4355,
Rn. 77.
99 A. Biondi, CML Rev. 36 (1999), S. 1271 (1282 ff.); S. Prechal, CML Rev. 1998, S. 681
(690); E. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 ff. (931).
39
grundsatz aus. Dieser ist unbedingt formuliert und impliziert, dass der EuGH ein
Interesse der Mitgliedstaaten zur verfahrensrechtlichen Schlechterbehandlung des
Gemeinschaftsrecht nicht gelten lässt. Würde nationales Recht beispielsweise für
Ansprüche auf der Grundlage des europäischen Kartellrechts eine kürzere Klagefrist
vorsehen als für Ansprüche wegen der Verletzung nationalen Kartellrechts, so würde der Äquivalenzgrundsatz verletzt, ohne dass es einer Abwägung bedürfte.
Größere Schwierigkeiten bereitet die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes.
Hier ist eine diffizile Abwägung erforderlich, bei der nationale Interessen mit denen
der Gemeinschaft im Sinne praktischer Konkordanz100 in Einklang zu bringen sind.
Dabei sind auf der einen Seite das Interesse an der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft und die Effektivität des Gemeinschaftsrechts, auf der anderen Seite insbesondere die nationale Gestaltungsautonomie zu berücksichtigen101. Bei seiner Abwägung nimmt der EuGH auf die Besonderheiten und das Gesamtsystem des nationalen Rechts Rücksicht, indem er eine nationale Vorschrift „unter der
Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens“102 bewertet. Das Streben nach
praktischer Konkordanz zwischen nationalen Interessen und Interessen der Gemeinschaft kommt in der Entscheidung Deutsche Milchkontor103 zum Ausdruck, wo der
EuGH davon sprach, der Grundsatz, dass nationale Stellen bei der „Durchführung
der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen
ihres nationalen Rechts vorgehen“, einerseits, und das Erfordernis der einheitlichen
Anwendung des Gemeinschaftsrechts andererseits müssten miteinander „in Einklang
100 Begriffsprägung durch Konrad Hesse; vgl. dazu ders., Grundzüge des Verfassungsrecht, Rn.
72.
101 A. von Bogdandy, in Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 8 und 34.
102 EuGH, Urteil vom 10.4.2003, Rs. C-276/01 – Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Rn. 66; vgl. auch
schon Urteil vom 14.12.1995, verb. Rs. 430/93 u.a. - van Schijndel/Stichting Pensioenfonds,
Slg. 1995, I-4705, Rn. 19, EuGH, Urteil vom 14.12.1995, Rs. C-312/93 – Peterbroeck/Belgien, Slg. 1995, I-4599, Rn. 14. Als absoluten Mindeststandard haben die Mitgliedstaaten dabei die Gemeinschaftsgrundrechte zu beachten (vgl. EuGH, Urteil vom
10.4.2003, Rs. C-276/01 – Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Rn. 69 ff). Schließlich handeln die
Mitgliedstaaten bei der Anwendung von Primärrecht im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts (EuGH, Urteil vom 13.7.1989, Rs. 5/88 – Hubert Wachauf/Deutschland, Slg.
2609, Rn. 19, Urteil vom 24.3.1994, Rs. C-2/92 – The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Dennis Clifford Bostock, Slg. I-955, Rn. 16), was eine Grundrechtsbindung auslöst (EuGH, Urteil vom 4.10.1991, Rs. C-159/90 – Society for the Protection of
Unborn Children Ireland/Grogan, Slg. I-4685, Rn. 31; Urteil vom 10.4.2003, Rs. C-276/01 –
Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Rn. 70; so auch Urteil vom 18.6.1991, Rs. C-260/89 – Ellinki
Radifonia Tileorasi/Dimottiki Etairia Piroforis u.a. [“ERT”], Slg. I-2925, Rn. 42); vgl. auch
die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission
und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des
Vertrags, ABl. Nr. C 101 vom 27.4.2004, S. 54 (im Folgenden: Bekanntmachung über die
Zusammenarbeit mit den Gerichten), Rn. 35; vgl. dazu auch G. C. R. Iglesias, EuGRZ 1997,
S. 289 (292 f.).
103 EuGH, Urteil vom 21.9.1983, Rs. 205/82 u.a – Deutsche Milchkontor/Deutschland, Slg.
1983, 2633, Rn. 17.
40
gebracht werden“104. Durch die Rücksichtnahme auf nationale Besonderheiten sind
von vornherein Uneinheitlichkeiten hinzunehmen, die insbesondere von der
Schutzwürdigkeit des jeweils in Rede stehenden nationalen Interesses abhängen. Die
Zurückhaltung des EuGH, in die nationalen Systemzusammenhänge einzugreifen,
geschieht so um den Preis einer nicht ganz einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten105.
In der Rechtsprechung des EuGH finden sich zahlreiche Beispiele für eine Überformung nationalen Zivilverfahrensrechts mithilfe der aus Art. 10 EG deduzierten
Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität. Während sich die dogmatische Herangehensweise hierbei stets gleicht, kann die Schärfe, mit der die Grundsätze angewandt werden erheblich variieren, je nach dem, wie sehr die jeweils in Rede stehende nationale Vorschrift einerseits die Effektivität des Gemeinschaftsrechts einschränkt und welche Bedeutung der Vorschrift andererseits im Rahmen des
nationalen Verfahrens zukommt.
In der Sache Clean Car106 übte der EuGH große Zurückhaltung gegenüber einer
nationalen Kostenregelung, derzufolge die im Rechtsstreit obsiegende Partei, die für
die Durchführung eines Vorlageverfahrens entstandenen Kosten, zu tragen hatte.
Weder Äquivalenz- noch Effektivitätsgrundsatz veranlassten ihn, die nationale Regelung in Frage zu stellen. Eine Ungleichbehandlung des Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht war nicht festzustellen. Weiterhin sah der EuGH keinen
Grund, weshalb die erwähnte Kostenregelung die Effektivität des Vorlageverfahrens
beeinträchtigen sollte107. Schließlich erfolgt eine Vorlage nicht durch die am Rechtsstreit beteiligten Parteien, sondern durch die entscheidenden Gerichte. Es ist daher
nicht ersichtlich, weshalb die Effektivität des Vorlageverfahrens durch eine entsprechende Kostenregelung gemindert werden sollte oder der Zugang zu den nationalen
Gerichten übermäßig erschwert würde.
Im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang von ganz erheblicher Bedeutung ist
die Frage, inwiefern der in den einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Form
geltende Verhandlungsgrundsatz108 die zivilgerichtliche Anwendung der Art. 81 und
82 EG einschränken darf. Dabei kann im Wesentlichen zwischen zwei Ausprägungen des Grundsatzes differenziert werden, die aus Sicht des Gemeinschaftsrechts
unterschiedlich zu bewerten sind. In seiner weniger strengen, etwa in Deutschland in
Form des Beibringungsgrundsatzes vorzufindenden Ausprägung, besagt der Verhandlungsgrundsatz, dass allein die Parteien die Tatsachen in den Prozess einführen
104 EuGH, Urteil vom 21.9.1983, Rs. 205/82 u.a – Deutsche Milchkontor/Deutschland, Slg.
1983, 2633, Rn. 17 (Hervorhebungen vom Verfasser).
105 B. Hess, RabelsZ 66 (2002), S. 470 (475); vgl. zum Ganzen A. P. Komninos, EC Private
Antitrust Enforcement, S. 147 ff.
106 EuGH, Urteil vom 6.12.2001, Rs. C-472/99 – Clean Car Autoservice GmbH/Stadt Wien und
Republik Österreich, Slg. 2001, I-9687.
107 EuGH, Urteil vom 6.12.2001, Rs. C-472/99 – Clean Car Autoservice GmbH/Stadt Wien und
Republik Österreich, Slg. 2001, I-9687, Rn. 28 ff.
108 Vgl. dazu die Länderberichte in: Cahill/Cooke, The Modernisation of EU Competition Law
Enforcement in the European Union – FIDE 2004 National Reports, jeweils unter Punkt 3.13.
41
können, über die gerichtlich zu befinden und auf die das Urteil zu stützen ist109.
Demgegenüber ist die rechtliche Würdigung des Parteivorbringens Sache des Gerichts (iura novit curia), so dass rechtliche Argumente grundsätzlich nicht von den
Parteien vorgetragen werden müssen. Anlässlich der Entscheidung des EuGH im
Zusammenhang mit einem vergleichbaren Grundsatz des niederländischen Zivilprozessrechts in der Sache van Schijndel110 zeigte dieser große Zurückhaltung gegen-
über der nationalen Regelung und entschied, dass ein nationales Gericht grundsätzlich nicht dazu verpflichtet sei, den Streitstoff von Amts wegen zu ermitteln. Dabei
maß er den hinter dem Beibringungsgrundsatz stehenden Wertungen eine gewichtige Bedeutung zu. Der Beibringungsgrundsatz sei Ausdruck des von den meisten
Mitgliedstaaten getragenen Verständnisses vom Verhältnis zwischen Staat und Individuum, schütze die Verteidigungsrechte und ermögliche einen geordneten Verfahrensablauf, insbesondere indem Verzögerungen durch nachträgliches Vorbringen
vermieden würden111.
Demgegenüber gilt der Verhandlungsgrundsatz in Zivilverfahrensordnungen mit
einem stärkeren kontradiktorischen Charakter – wie etwa in Großbritannien – grundsätzlich auch für das Vorbringen rechtlicher Argumente112. Bezogen auf die zivilgerichtliche Durchsetzung des europäischen Kartellrechts hätte dies zur Folge, dass,
selbst wenn die Vorschriften der Art. 81 und 82 EG auf der Grundlage des Tatsachenvortrags einschlägig wären, diese mangels rechtlicher Bezugnahme durch eine
der Parteien von dem Gericht nicht angewendet werden dürften. Ob ein solch weitgehendes Verständnis des Verhandlungsgrundsatzes einer Überprüfung anhand des
Effektivitätsgrundsatzes standhalten würde, ist äußerst fraglich. In der van Schijndel-Entscheidung zeigte sich der EuGH in dieser Frage noch zurückhaltend. Zwar
stellte er unmissverständlich fest, es handle sich bei den wettbewerbsrechtlichen
Vorschriften des EG-Vertrags um zwingende Vorschriften, die in den nationalen
Rechtsordnungen grundsätzliche Geltung beanspruchten. Gleichwohl beschränkte er
sich in dieser Entscheidung darauf, an den Äquivalenzgrundsatz zu erinnern, und
folgerte hieraus eine Pflicht zur Anwendung der zwingenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nur für den Fall, dass eine nationale Vorschrift die Beachtlichkeit
zwingenden Rechts vorsah. Mangels einer entsprechenden nationalen Regelung sah
er den Äquivalenzgrundsatz nicht verletzt113. Zur Vereinbarkeit mit dem Effektivi-
109 H.-J. Musielak, in: Musielak, Zivilprozessordnung, Einl. Rn. 37.
110 EuGH, Urteil vom 14.12.1995, verb. Rs. 430/93 u.a. – van Schijndel/Stichting Pensioenfonds,
Slg. 1995, I-4705.
111 EuGH, Urteil vom 14.12.1995, verb. Rs. 430/93 u.a. – van Schijndel/Stichting Pensioenfonds,
Slg. 1995, I-4705, Rn. 16 ff.
112 A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 222; Zuckerman, On Civil Procedure,
Kapitel 10, Rn. 8 ff.
113 EuGH, Urteil vom 14.12.1995, verb. Rs. 430/93 u.a. – van Schijndel/Stichting Pensioenfonds,
Slg. 1995, I-4705, Rn. 13 ff. In der Sache Eco Swiss (EuGH, Urteil vom 1.6.1999, Rs. C-
126/97 – Eco Swiss/Benetton, Slg. 1999, I-3055) bekräftigte der EuGH sein Verständnis von
dem zwingenden Charakter der Wettbewerbsregeln im Zusammenhang mit der Aufhebung
eines Schiedsspruchs, der das europäische Kartellrecht außer Acht gelassen hatte. Der EuGH
führte er aus, die Art. 81 und 82 EG zählten zum nationalen ordre public. Erneut auf der
42
tätsgrundsatz schwieg der EuGH in diesem Zusammenhang. Demgegenüber führte
der EuGH jüngst in der Sache Manfredi aus, es sei daran zu erinnern, „dass die Artikel 81 EG und 82 EG Bestimmungen sind, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen sind und von den nationalen Gerichten von Amts wegen angewandt werden
müssen“114. Angesichts dieser Formulierung ist zu erwarten, dass der EuGH in Zukunft seine Zurückhaltung aufgegeben und ohne Einschränkung von einer Pflicht
zur Anwendung des europäischen Kartellrechts ex officio ausgehen wird, sofern die
Art. 81 und 82 EG auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts einschlägig
sind.
Ergänzend tragen zur Einheitlichkeit des Rechtsrahmens auch die allgemeinen
Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts bei115. Der EuGH geht von einer Bindung der Mitgliedstaaten an die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts aus, wenn diese im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts handeln116.
Wann von einem solchen Handeln im Anwendungsbereich auszugehen ist, muss im
Einzelnen weiterhin als umstritten gelten117. Im Zusammenhang mit einem nationalen Verwaltungsverfahren hat der EuGH ausgeführt, bei der „Durchführung“ des
Gemeinschaftsrechts gingen die Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich „nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor“118. Dies gelte
indessen nur, „soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften ent-
Grundlage des Äquivalenzgrundsatzes kam er zu dem Ergebnis, eine Aufhebung des
Schiedspruchs aufgrund eines Verstoßes gegen europäisches Wettbewerbsrechts sei jedenfalls
dann erforderlich, wenn im Fall der Verletzung nationaler Rechtsvorschriften, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen sind, ebenfalls eine Aufhebung erfolgen müsse (Rn. 31 ff.).
Auch wenn in diesem Urteil eine explizite Bezugnahme auf den Effektivitätsgrundsatz erneut
unterblieb, handelte es sich um einen weiteren Schritt zur Stärkung des zwingenden Charakters der Art. 81 und 82 EG. So hielt der EuGH eine Aufhebung des Schiedsspruchs auch dann
für erforderlich, wenn das einschlägige mitgliedstaatliche Recht das eigene nationale Kartellrecht nicht zum ordre public zählte (Rn. 31). Vgl. zur Frage der amtswegigen Anwendung in
der Art. 81 und 82 EG in Schiedsverfahren T. Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, S. 5 (10 f.).
114 EuGH, Urteil vom 13.7.2006, Rs. C-295/04 u.a. – Vincenzo Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni Spa u.a., Slg. 2006, I-6619, Rn. 31 (Hervorhebung vom Verfasser).
115 Vgl. J. Baur/H. Weyer, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 EG, Zivilrechtsfolgen, Rn. 106 ff.
116 EuGH, Urteil vom 4.10.1991, Rs. C-159/90 – Society for the Protection of Unborn Children
Ireland/Grogan, Slg. I-4685, Rn. 31; Urteil vom 10.4.2003, Rs. C-276/01 – Steffensen, Slg.
2003, I-3735, Rn. 70; so auch Urteil vom 18.6.1991, Rs. C-260/89 – Ellinki Radifonia Tileorasi/Dimottiki Etairia Piroforis u.a. (“ERT”), Slg. I-2925, Rn. 42.
117 Vgl. hierzu etwa T. Jürgensen/I. Schlünder, AöR 121 (1996), S. 200 (208 ff.); M. Ruffert,
EuGRZ 1995, S. 518 (528); V. Schlette, EuGRZ 1999, S. 369 (373); A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte.
118 EuGH, Urteil vom 21.9.1983, verb. Rs. 205/82 u.a. – Deutsche Milchkontor/Deutschland,
Slg. 1983, S. 2633, Rn. 17.
43
hält“119. Von einer Durchführung des Gemeinschaftsrechts ist jedenfalls dann auszugehen, wenn nationale Stellen Gemeinschaftsrecht unmittelbar anwenden120.
Von einem Handeln im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ist bei einer
gerichtlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Zivilprozessen somit auszugehen121. Letztlich lässt sich die Einschlägigkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze
auch damit begründen, dass die Gemeinschaft bei jeder Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch Mitgliedstaaten gleichsam als Miturheberin der nationalen
Handlung in Erscheinung tritt122. Schon auf Gemeinschaftsebene müssen daher die
grundrechtlichen Gewährleistungen festgelegt werden, die bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu beachten sind123. Dieses steht demnach von vornherein unter
dem Vorbehalt dieser Grundsätze124.
Das nationale Verfahrensrecht ist somit nicht nur an den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität zu messen125, sondern muss auch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere den Gemeinschaftsgrundrechten, genügen126. Da die
allgemeinen Rechtsgrundsätze einen gemeinschaftsrechtlich definierten Inhalt besitzen, stellen sie einheitliche Maßstäbe dar. Sie bewirken somit eine weitere Annäherung der Anwendungsergebnisse.
cc) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für das nationale materielle Zivilrecht
Das Gemeinschaftsrecht regelt die Zivilrechtsfolgen von Wettbewerbsrechtsverstö-
ßen nur sehr bruchstückhaft. Allein Art. 81 Abs. 2 EG ordnet die Nichtigkeit von
Verträgen an, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen. Im Übrigen steht für das europäische Wettbewerbsrecht zwar fest, dass es Wirkungen im Verhältnis einzelner
Wirtschaftsteilnehmer und somit zivilrechtliche Wirkungen entfaltet127. Diese Wir-
119 EuGH, Urteil vom 21.9.1983, verb. Rs. 205/82 u.a. – Deutsche Milchkontor/Deutschland,
Slg. 1983, S. 2633, Rn. 17; vgl. A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, S. 40 ff.
120 EuGH, Urteil vom 13.7.1989, Rs. 5/88 – Hubert Wachauf/Deutschland, Slg. 2609, Rn. 19,
Urteil vom 24.3.1994, Rs. C-2/92 – The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food,
ex parte Dennis Clifford Bostock, Slg. I-955, Rn. 16.
121 Vgl. EuGH, Urteil vom 10.4.2003, Rs. C-276/01 – Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Rn. 71; Vgl.
dazu B. Hess, JZ 2005, S. 540 (543 f.).
122 M. Ruffert, EuGRZ 1995, S. 518 (527).
123 Vgl. V. Götz, EuR 1986, S. 29 (43 ff.); R. Streinz, in: Schweitzer, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 241 ff. (275).
124 O. Dörr, in Sodan/Ziekow, VwGO Bd. 1, EVR (1. EL Juli 1998), Rn. 426.
125 Vgl. EuGH, Urteil vom 10.4.2003, Rs. C-276/01 – Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Rn. 60 ff.
126 Vgl. EuGH, Urteil vom 10.4.2003, Rs. C-276/01 – Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Rn. 70 ff.;
vgl. auch F. G. Jacobs/T. Deisenhofer, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law
Annual No. 6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 187 (218 f.).
127 Vgl. die Nachweise oben unter A.
44
kungen bestimmt es jedoch nicht selbst, so dass auch hier ein Rückgriff auf nationales Recht erforderlich ist128.
Dies gilt zunächst für Zivilrechtsfolgen, die zwar im Zusammenhang stehen mit
der Vertragsnichtigkeit nach Art. 81 Abs. 2 EG, jedoch nicht diese selbst betreffen.
So verhält es sich mit der Frage, welche Folge eine Teilnichtigkeit von einzelnen
Vertragsbestimmungen nach Art. 81 Abs. 2 EG für die übrigen Vertragsteile hat.
Nach Art. 81 Abs. 2 EG sind grundsätzlich nur die Bestimmungen nichtig, die tatsächlich vom Verbotstatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst sind, so dass aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht grundsätzlich nur Teilnichtigkeit angeordnet ist129. Ob
die Nichtigkeit einzelner Klauseln die Gesamtnichtigkeit des Vertragswerks zur
Folge hat, bestimmt sich somit grundsätzlich nach nationalem Recht130, in Deutschland also nach § 139 BGB. Auch die Rückabwicklung nichtiger Verträge richtet sich
nach nationalem Recht131. Für Art. 82 EG sieht das Gemeinschaftsrecht eine Nichtigkeitsregelung überhaupt nicht vor. Hier richtet sich die Nichtigkeit somit vollständig nach nationalem Recht132. Auch zivilrechtliche Ansprüche aufgrund von
Verstößen gegen die Art. 81 und 82 EG folgen grundsätzlich aus nationalem
128 Welches nationale Recht zur Anwendung gelangt, bestimmt sich nach dem einschlägigen
Kollisionsrecht. Für Vertragsstreitigkeiten sind hier in den Mitgliedstaaten grundsätzlich das
Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) (BGBl. 1995 II, S. 916) oder die es inkorporierenden nationalen Vorschriften
von Bedeutung. Ab dem 17.12.2009 gilt die am 24.7.2008 in Kraft getretene Rom I-VO
(Verordnung [EG] Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008
über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. Nr. L 177 vom
4.7.2008, S. 6 ff.; vgl. dazu grundlegend T. Pfeiffer, EuZW 2008, S. 622 ff.). Deliktsrechtliche Streitigkeiten beurteilen sich ab dem 11.1.2009 nach der Rom II-VO (Verordnung [EG]
Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. Nr. L 199 vom 31.7.2007, S. 40
ff.; vgl. dazu grundlegend G. Wagner, IPRax 2008, S. 1 ff.). Soweit danach ein ausländisches
Sachrecht zur Anwendung gelangt, ist der zwingende Charakter (règles d’application immédiate) des europäischen Wettbewerbsrechts zu beachten. Vgl. eingehend Ashton, David/Vollrath, Christian, ZWeR 2005, S. 1 ff.; J. Basedow, in: Basedow, Private Enforcement
of EC Competition Law, S. 229 (237 ff.); M. Danov, E.C.L.R. 2008, S. 430 ff.; A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 239 ff.; C. Steinle/J. Hattaß, G.C.L.R. 2008, S. 57
(59 f.); D. Zimmer/A. Leopold, EWS 2005, S. 149 ff.
129 EuGH, Urteil vom 30.6.1966, Rs. 56/65 – Société Technique Minière/Maschienenbau, Slg.
1966, 281 (304); Urteil vom 13.7.1966, Rs. 56/64 – Grundig und Consten/Kommission, Slg.
1966, 321 (392 f.); Urteil vom 14.12.1983, Rs. 319/82 – Société de Vente/Kerpen, Slg. 1983,
4173, Rn. 11; Urteil vom 18.12.1986, Rs. 10/86 – VAG/Magne, Slg. 1986, 4071, Rn. 14.
130 EuGH, Urteil vom 14.12.1983, Rs. 319/82 – Société de Vente/Kerpen, Slg. 1983, 4173, Rn.
12; Urteil vom 18.12.1986, Rs. 10/86 – VAG/Magne, Slg. 1986, 4071, Rn. 15.
131 P.-C. Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Handkommentar
EUV/EGV (2. EL 1994), Art. 85, Rn. 144.
132 EuGH, Urteil vom 11.4.1989, Rs. 66/86 – Ahmed Saeed Flugreisen/Zentrale zur Bekämpfung
unlauteren Wettbewerbs, Slg. 1989, 803, Rn. 45; vgl. H. Weyer, ZEuP 1999, S. 424 (435 f.);
eingehend A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 158 ff.
45
Recht133. In Deutschland gewährt § 33 GWB Unterlassungs-, Beseitigungs- und
Schadensersatzansprüche134.
Mangels gemeinschaftsrechtlicher Regelungen stehen sich nationales Recht und
Gemeinschaftsrecht im Bereich des materiellen Rechts somit grundsätzlich im gleichen Verhältnis gegenüber, wie dies im Bereich des Verfahrensrechts typischerweise der Fall ist135. Es liegt kein Fall direkter Kollision vor, so dass der Anwendungsvorrang nicht einschlägig ist. Wie im Bereich des Verfahrensrechts, ist das Gemeinschaftsrecht vielmehr unvollständig. Aus der Rechtsprechung des EuGH ist
weiterhin nicht ersichtlich, dass die zuvor erwähnten Grundsätze der Äquivalenz
und Effektivität als speziell auf das Verfahrensrecht zugeschnittene Grundsätze zu
verstehen sind. Es handelt sich vielmehr um allgemeine Konkretisierungen des Art.
10 EG, die somit auch gegenüber nationalem materiellem Recht zur Anwendung
gelangen136. Die jüngere Rechtsprechung des EuGH stützt diese Annahme137.
Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz können zunächst Bedeutung erlangen
für Fragen, die mit der Vertragsnichtigkeit im Zusammenhang stehen. Um die Effektivität des Art. 81 Abs. 2 EG zu sichern, ist jede Form der indirekten Vertragserfüllung zu verhindern. Im Falle der Vertragsnichtigkeit sind etwa Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung ausgeschlossen138. Gleiches gilt für Vertragsstrafen
für den Fall der Nichterfüllung139. Auch bei der Frage, ob die sich aus Gemein-
133 Zu Art. 81 EG: EuG, Urteil vom 18.9.1992, Rs. T-24/90 – Automec/Kommission, Slg. 1992,
II-2223, Rn. 50; zu Art. 82 EG: H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rn.
62.
134 Bis zur 7. GWB-Novelle wurden Schadensersatzansprüche für Verstöße gegen die Art. 81
und 82 EG nach § 823 Abs. 2 BGB gewährt. Die Schutzgesetzeigenschaft der Art. 81 und 82
EG wurde hierbei bejaht, allerdings mit Einschränkungen für bestimmte Personenkreise und
Verletzungsformen (vgl. zu Art. 81 EG: H. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81
EG, Rn. 261; zu Art. 82 EG: W. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Auflage, Bd. 1, Art. 86 EG, Rn. 34). Vgl. weiterhin zur Verwirklichung der
materiellen zivilrechtlichen Wirkungen des europäischen Wettbewerbsrechts in Belgien L.
Cornelis/H. Gilliams, in: Stuyck/Gilliams, Modernisation of EC Competition Law, S. 153 ff;
in Deutschland J. Basedow, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No.
6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 137 ff.; in England J. Lever, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6 (2001) – Effective
Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 109 ff.; in Frankreich A. Winckler, in: Ehlermann /Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 119 ff.; in Italien M. Tavassi, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law Annual No. 6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust
Law, S. 147 ff.
135 Vgl. auch F. G. Jacobs/T. Deisenhofer, in: Ehlermann/Atanasiu, European Competition Law
Annual No. 6 (2001) – Effective Private Enforcement of EC Antitrust Law, S. 187 (216).
136 EuGH, Urteil vom 21.9.1983, verb. Rs. 205/82 u.a. – Deutsche Milchkontor/Deutschland,
Slg. 1983, S. 2633, Rn. 17 und 19. Vgl. auch oben bei Fn. 82; vgl. ausführlich T. Tridimas,
General Principles, S. 423 ff.
137 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297,
Rn. 29 ff. Dazu sogleich ausführlich.
138 A. Gleiss/M. Hirsch, EG-Kartellrecht, Art. 85 Abs. 2 EGV, Rn. 1719.
139 Vgl. auch A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 150.
46
schaftsrecht ergebende Teilnichtigkeit die Gesamtnichtigkeit eines Vertrags zur
Folge hat, die sich, wie soeben dargestellt, grundsätzlich nach nationalem Recht
richtet, können sich Vorgaben für das nationale Recht aus dem Effektivitätsgrundsatz ergeben. Zumindest für Vereinbarungen, die im engen Zusammenhang mit der
nach Art. 81 Abs. 2 EG nichtigen Vereinbarung stehen, ist davon auszugehen, dass
sie deren Schicksal teilen140
Eine weitere Rolle spielen diese Grundsätze, für Ansprüche, die auf eine Verletzung der Wettbewerbsregeln gestützt werden. Hier wird mangels gemeinschaftsrechtlicher Regelungen allein auf nationales Recht zurückgegriffen. Aus Gründen
der Effektivität ist von einer allgemeinen Pflicht der Mitgliedstaaten auszugehen, für
Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht Sanktionen vorzusehen141. Dabei ist ein
Mitgliedstaat bei der Wahl der jeweiligen Sanktion grundsätzlich frei142. Die horizontale unmittelbare Wirkung der Art. 81 und 82 EG erfordert jedoch, auch im Horizontalverhältnis deren Wirksamkeit sicherzustellen. Dies kann nur durch zivilrechtliche Ansprüche geschehen143.
Welch weit reichende Vorgaben der EuGH für das nationale materielle Zivilrecht
insbesondere aus dem Effektivitätsgrundsatz herleitet, dokumentiert anschaulich die
Entscheidung in der Sache Courage144. Wie einleitend dargestellt145, hatte der EuGH
hier über die Frage zu entscheiden, ob ein Grundsatz des nationalen Rechts Schadensersatzansprüche unter Kartellbeteiligten von vornherein ausschließen darf146. Er
kam nicht nur zu dem Ergebnis, dass der Effektivitätsgrundsatz einer Regelung
entgegenstehe, die allein die Beteiligung an der wettbewerbsrechtlichen Vereinbarung mit der Folge eines Anspruchsausschlusses versieht147. Er formulierte vielmehr
darauf aufbauend, es müsse grundsätzlich „jedermann Ersatz des Schadens verlangen [können], der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder
verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist“148.
140 A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 157.
141 Vgl. dazu M. Brealey/M. Hoskins, Remedies in EC Law, S. 99 ff.; C. Harlow, in: Kilpatrick/Novitz/Skidmore, The Future of Remedies in Europe, S. 69 ff.; J. Herbots, in: van Gerven/Zuleeg, Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, S. 91 ff.; F. G.
Jacobs, in: Lonbay/Biondi, Remedies for Breach of EC Law, S. 25 ff.
142 T. Eilmannsberger, CML Rev. 2004, S. 1199 (1233).
143 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, I-6297, Rn.
26; vgl. auch J. Baur/H. Weyer, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 EG, Zivilrechtsfolgen,
Rn. 100.
144 Für eine zurückhaltendere Bewertung des Urteils vgl. W. Möschel, WuW 2007, S. 483 (486).
145 S.o. B. I.
146 Entsprechendes wurde auch bislang für das deutsche Recht vertreten (K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 3. Auflage, Bd. 1, Art. 85 Abs. 2 EG, Rn. 80; so auch
E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 22, Rn. 32).
147 EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297, Rn. 24
ff.
148 EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297, Rn. 26.
Vgl. zum Ganzen ausführlich J. Balssen/I. Brinker, in: Brinker/Scheuing/Stockmann, Recht
und Wettbewerb – Festschrift für Rainer Bechtold zum 65. Geburtstag, S. 69 ff.
47
Nach dieser Formulierung scheinen im Interesse der Wirksamkeit des gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrechts weitreichende Vorgaben für die Ausgestaltung nationaler Schadensersatzansprüche gewollt. Es wäre mit dieser weiten Formulierung beispielsweise kaum vereinbar, bloß mittelbar betroffenen Dritten einen
Schadensersatzanspruch zu verwehren149. Dazu zählen etwa Verbraucher, denen
überhöhte Preise aus nicht unmittelbar vorgelagerten, sondern weiter entfernten
Wirtschaftsstufen weitergereicht werden. Weiterhin wirft die Jedermann-Formel des
EuGH neues Licht auf die bislang umstrittene Frage, ob das nationale Recht für
zivilrechtliche Schadensersatzansprüche wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens ein
Verschuldenserfordernis vorsehen darf150, oder ob ein solches der wirksamen
Durchsetzung des Kartellverbots entgegenstünde151. Ein weitgefasstes Verschuldenserfordernis, wie es § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB auch in seiner neuen Fassung für
kartellprivatrechtliche Schadensersatzansprüche vorsieht, hält den durch die Courage-Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben vermutlich nicht stand152.
Nahe liegend ist vielmehr eine Lesart, wonach grundsätzlich jeder durch eine
Wettbewerbsrechtsverletzung kausal entstandene Schaden ersatzfähig ist. Dies wird
durch das im Jahre 2006 ergangene Urteil des EuGH in der Sache Manfredi bestätigt, das ebenfalls für ein Verständnis spricht, wonach neben einem Ursachenzusammenhang allenfalls geringfügige tatbestandliche Einschränkungen mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar erscheinen153. Auch auf die Geltendmachung einer
spezifischen Rechtsgutsverletzung dürfte es danach nicht mehr ankommen154. Nach
der Rechtsprechung des EuGH ist daher zu erwarten, dass nationale Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung des europäischen Kartellrechts als reine Vermögensdelikte auszugestalten sind155.
Angesichts dieser weitreichenden Vorgaben wird vertreten, nationale Ansprüche
seien nicht nur weitgehend durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben determiniert;
letztlich folgten die zivilrechtlichen Ansprüche selbst aus dem Gemeinschaftsrecht156. Im Ergebnis würde dies eine vollkommene Vereinheitlichung des Rechtsrahmes bedeuten. Dogmatisch wird dieses Ergebnis damit begründet, ein subjektives
149 Vgl. W. van Gerven, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 19 (32 f.);
A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 202 m.w.N.; a.A. K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 3. Auflage, Bd. 1, Art. 85 Abs. 2 EG, Rn. 81;
vgl. in diesem Zusammenhang: H. Köhler, GRUR 2004, S. 99 (100).
150 T. Lettl, ZHR 2003, S. 473 (485); W. Wurmnest, RIW 2003, S. 896 (898).
151 GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, 27.10.1994, Rs. C-128/92 – Banks/British Coal,
Slg. 1994, I-1209, Rn. 53; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 315 f.
152 Vgl. hierzu auch E. de Smijter/D. O’Sullivan, European Competition Policy Newsletter 2006,
S. 23 (25).
153 EuGH, Urteil vom 13.7.2006, Rs. C-295/04 u.a. – Vincenzo Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni Spa u.a., Slg. 2006, I-6619, Rn. 61; vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.1.2007, Rs. C-
421/05 – City Motors Groep NV/Citroën Belux NV, Slg. 2007, I-659, Rn. 33.
154 Vgl. auch A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 190 ff.
155 A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 193.
156 Zum Ganzen G. Mäsch, EuR 2003, S. 825 (842); vgl. weiterhin A. P. Komninos, CML Rev.
2002, S. 447 (466 ff.); A. Winterstein, E.C.L.R. 16 (1995), S. 49 (52).
48
Recht, wie es Art. 81 EG dem Einzelnen gewährt, sei untrennbar verbunden mit dem
Vorhandensein einer entsprechenden Durchsetzungsmacht, die sich in Ansprüchen
zeige. Ohne das Vorhandensein eines entsprechenden Anspruchs könne nicht von
einem subjektiven Recht gesprochen werden. Dadurch, dass das subjektive Recht
aus dem Gemeinschaftsrecht folgt, müsse auch der entsprechende Anspruch dem
Gemeinschaftsrecht zu entnehmen sein157.
Dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen158. Zunächst ist es eine Frage der Begriffsbestimmung, was unter einem subjektiven Recht zu verstehen sei. Der Begriff
des subjektiven Rechts setzt nicht notwendigerweise das Vorhandensein von Ansprüchen voraus159. Eine emphatische Begriffsdefinition des EuGH existiert hierzu
nicht. Die Sprache des EuGH deutet vielmehr darauf hin, dass er von der Unterschiedlichkeit subjektiver Rechte und der zugehörigen Ansprüche ausgeht. Im Zusammenhang mit der Rückforderung gemeinschaftswidrig erhobener Abgaben führte er aus, „das [nationale] Recht auf Erstattung […] [sei] Folge und Ergänzung der
Rechte, die den einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zustehen“160. „[M]angels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet
[könne] diese Erstattung nur im Rahmen der materiell- und verfahrensrechtlichen
Voraussetzungen gemäß den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften verfolgt
werden“161, was bedeuten muss, dass der Anspruch aus nationalem Recht folgt.
Auch in den Sachen Courage und Manfredi hat der EuGH im Zusammenhang mit
Rechtsfragen, die dem materiellen Recht zuzuordnen sind, deutlich gemacht, dass er
davon ausgeht, diese seien im nationalen Recht angesiedelt und stünden lediglich
unter dem Vorbehalt von Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, ohne diese selbst
im Gemeinschaftsrecht zu verorten162. Und in der Sache City Motors163 aus dem
157 A. P. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, S. 167 ff. ; G. Mäsch, EuR 2003, S. 825
(845 f.).
158 Vgl. A. Albors-Llorens, CLJ, S. 38 (41); G. Betlem, CLJ 2005, S. 126 (141 ff.); T. Lettl, ZHR
2003, S. 473 (477); H. Weyer, GRURInt. 2002, S. 57 (58).
159 So ist ein subjektives Recht etwa definiert worden als rechtlich geschütztes Interesse (R. von
Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 3.
Aufl., Leipzig 1877, 3. Teil, 1. Abt., § 60, S. 327 f.; zur Kritik vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 137 ff.). Weiterhin heißt es etwa, dass eine Rechtsposition zu ihrer Absicherung
zwar eines Anspruchs bedürfe, mit diesem aber nicht vollkommen identisch sei (K. Larenz/M.
Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004, § 15, Rn. 56 f.).
160 EuGH, Urteil vom 2.12.1997, Rs. C-188/95 – Fantask/Industriministeriet, Slg. 1997, I-
06783, Rn. 38.
161 EuGH, Urteil vom 2.12.1997, Rs. C-188/95 – Fantask/Industriministeriet, Slg. 1997, I-
06783, Rn. 39.
162 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297, zur
Frage eines Anspruchsausschlusses aufgrund überwiegender Verantwortlichkeit bei einem
Wettbewerbsrechtsverstoß (Rn. 31) sowie EuGH, Urteil vom 13.7.2006, Rs. C-295/04 u.a. –
Vincenzo Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni Spa u.a., Slg. 2006, I-6619 zu der Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität eines Wettbewerbsrechtsverstoßes (Rn. 64), zur
Frage der Verjährung kartelldeliktsrechtlicher Schadensersatzansprüche (Rn. 78 ff.) und zu
der Frage, ob nationales Ansprüche, bei der zivilrechtlichen Ahndung von Kartellrechtsverstößen Strafschadensersatz vorsehen muss (Rn. 92 ff.).
49
Jahre 2007 formulierte der EuGH klarstellend, bei einem Verstoß gegen Art. 81 EG
müsse „das nationale Gericht ferner in der Lage sein, daraus die Schlussfolgerungen
nach nationalem Recht zu ziehen, und zwar sowohl für die Gültigkeit der streitigen
Vereinbarung im Hinblick auf Art. 81 EG als auch für den Ersatz des [...] möglicherweise entstandenen Schadens“164. Solange es an einem vereinheitlichenden
Rechtsakt fehlt, finden individuelle zivilrechtliche Ansprüche somit zwar ihre
Grundlage im Gemeinschaftsrecht. Ihre konkrete Ausformung ergibt sich demgegenüber aus nationalem Recht165.
Soll dennoch das zuvor beschriebene Begriffsverständnis zugrunde gelegt werden, das letztlich von der Identität, von subjektivem Recht und Anspruch ausgeht, so
wäre im Ergebnis festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH aus dem
Gemeinschaftsrecht selbst keine vollwirksamen subjektiven Rechte folgten. Zwar
geht der EuGH davon aus, das Gemeinschaftsrecht ließe für den Einzelnen Rechte
entstehen166, jedoch ergibt sich aus den weiteren Ausführungen, dass es „mangels
einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung“167 Sache des nationalen Rechts ist, die
erforderlichen Schadensersatzansprüche bereit zu halten168. Es wäre demnach davon
auszugehen, subjektive Rechte seien zwar im Gemeinschaftsrecht angelegt, entstünden allerdings erst durch die Gewährung von Ansprüchen auf Ebene der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen169. Erst recht nicht gefolgt werden kann der Aussage,
Ansprüche müssten schon deshalb aus Gemeinschaftsrecht folgen, weil der „Inhalt
eines subjektiven Gemeinschaftsrechts in der Union überall einheitlich sein“ müsse170. Dies – und damit ist auf den Ausgangspunkt zurückzuverweisen171 – entspricht
dem gemeinschaftsrechtlichen Zielzustand. Eine entsprechende normative Aussage
fehlt indessen172.
Dass dogmatisch also auch weiterhin nicht von einem originär gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch zwischen privaten Marktteilnehmern, sondern
von einer Überformung nationaler Ansprüche auszugehen ist, darf indessen nicht
über die erheblichen tatsächlichen Implikationen der Urteile Courage und Manfredi
163 EuGH, Urteil vom 18.1.2007, Rs. C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroën Belux NV, Slg.
2007, I-659.
164 EuGH, Urteil vom 18.1.2007, Rs. C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroën Belux NV, Slg.
2007, I-659, Rn. 33 (Hervorhebung vom Verfasser).
165 W. van Gerven unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen “constitutive elements”, die
sich aus Gemeinschaftsrecht ergeben und “executive elements”, die dem nationalen Recht zu
entnehmen sind (C.M.L. Rev. 2000, S. 501 [521]).
166 EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297, Rn. 23.
167 EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297, Rn. 29.
168 EuGH, Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, S. I-6297, Rn. 25
ff.
169 Vgl. auch T. Eilmannsberger, CML Rev. 2004, S. 1199 (1237); N. Reich, CML Rev. 2005, S.
35 (39).
170 G. Mäsch, EuR 2003, S. 825 (846).
171 S.o. B. II. 1. b) aa).
172 Vgl. W. van Gerven, CML Rev. 2000, S. 501 (521); vgl. zum Ganzen auch J. Baur/H. Weyer,
in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 EG, Zivilrechtsfolgen, Rn. 95 f.
50
hinwegtäuschen173. Auch wenn sich im dogmatischen Ausgangspunkt nichts ändert,
so läuft doch die Nachdrücklichkeit, mit welcher der Effektivitätsgrundsatz ins Feld
geführt wird, auf eine weitgehende Konvergenz nationaler Schadensersatzansprüche
hinaus. Im Ergebnis lässt die Jedermann-Formel kaum Spielräume für nationale
Divergenzen. Ergänzend ist schließlich auch für den Bereich des materiellen Rechts
von der Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze auszugehen. Diese wirken somit auch hier in gewissem Umfang auf die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung hin.
Freilich schlägt sich der Konvergenzdruck, dem die nationalen Rechtsordnungen
unterliegen, auch in der Gesetzgebungstätigkeit der Mitgliedsstaaten nieder. Aus
dem Blickwinkel der Rechtssicherheit ist es zu begrüßen, die Übereinstimmung mit
den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht durch eine Überformung des nationalen Haftungsregimes im Einzelfall zu erreichen, sondern durch entsprechende gesetzgeberische Anpassungen. Auch die Siebte GWB-Novelle sieht im Bereich des
Kartellzivilrechts zahlreiche Neuerungen vor, die sich an den Vorgaben der jüngeren
EuGH-Rechtsprechung orientieren174. Dies gilt zunächst für die Neufassung des § 33
GWB, von dem künftig auch Verstöße gegen die Art. 81 und 82 EG erfasst werden.
Bislang waren Schadensersatzansprüche nur über § 823 Abs. 2 BGB zu erlangen.
Um aber dem Äquivalenzgrundsatz zu genügen, war im Einzelfall die Vorschrift im
Sinne des § 33 GWB a. F. zu modifizieren. Dies bedurfte einigen dogmatischen
Begründungsaufwands175.
Weiterhin wurde in der Neufassung des § 33 GWB auf das Schutzgesetzerfordernis verzichtet. Schadensersatzberechtigt ist nunmehr jeder, der von einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten „betroffen“ ist, was jeden Marktteilnehmer mit
einschließt, der in irgendeiner Weise „durch den Verstoß beeinträchtigt ist“ (§ 33
Abs. 1 Satz 3 GWB). Mehr als das Schutzgesetzerfordernis dürfte sich das Kriterium
der „Betroffenheit“ dazu eignen, die weit reichenden Vorgaben, die aus der Jedermann-Rechtsprechung für den Kreis der anspruchsberechtigten Adressaten zu folgern sind, in das nationale Recht zu implementieren176. Ob an einem Verschuldenserfordernis festgehalten werden kann, ist, wie bereits erwähnt, fraglich.
2. Beurteilungsspielräume nationaler Zivilgerichte bei der Anwendung der Art. 81
und 82 EG
Neben der soeben behandelten Frage, inwieweit bei der zivilgerichtlichen Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts das zur Anwendung kommende nationale
173 Vgl. zur Bedeutung der Urteile Courage und Manfredi über den wettbewerbsrechtlichen
Kontext hinaus S. Drake, E.L.Rev. 2006, S. 841 ff.
174 Vgl. zum Ganzen auch R. Hempel, WuW 2004, S. 362 (367 ff.).
175 W.-H. Roth, in: Frankfurter Kommentar, Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 10 ff.
176 Vgl. zum Ganzen ausführlich J. Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, § 33
GWB, Rn. 16 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Erlass der EG-Verordnung 1/2003 hat einen Systemwechsel im Bereich des europäischen Kartellverfahrens bewirkt und den Weg für eine verstärkte private Kartellrechtsdurchsetzung geebnet. Auf der politischen Agenda der Europäischen Kommission hat die Stärkung des private enforcement weiterhin höchste Priorität. Die ersten spektakulären kartellrechtlichen Schadensersatzprozesse und die Entstehung eines kartellprivatrechtlichen Klagegewerbes in Europa markieren den Anfang einer nachhaltigen Entwicklung.
Durch die mit der Einbeziehung der Zivilgerichte verbundene Dezentralisierung des Kartellrechtsvollzugs entsteht auch das vermehrte Bedürfnis, eine einheitliche Rechtsanwendung durch die beteiligten Akteure sicherzustellen.
Das vorliegende Werk untersucht die gemeinschaftsrechtlichen Mechanismen, die der Sicherung einer einheitlichen Anwendungspraxis zwischen den Zivilgerichtsbarkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten und der Vermeidung von Entscheidungswidersprüchen zwischen den am Kartellrechtsvollzug beteiligten Akteuren im konkreten Anwendungsfall dienen.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich des Kartellrechts in einer Sozietät in Stuttgart tätig.