76
2. Zur durchschnittlichen Dauer des Beschlussverfahrens
Bislang nicht untersucht wurde die Frage, ob die Zurückweisung der Berufung durch
Beschluss die Erledigung des zweitinstanzlichen Verfahrens im Vergleich zum Urteilverfahren tatsächlich beschleunigt. Um diese Frage beantworten zu können, war es
erforderlich, eine maschinelle Sonderauswertung bei dem Statistischen Bundesamt in
Auftrag zu geben. Die Sonderauswertung hat ergeben, dass die durchschnittliche Dauer des Verfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO deutlich hinter der durchschnittlichen Dauer
des Urteilverfahrens zurückblieb, und dies, obwohl die durchschnittliche Dauer des
Urteilverfahrens im Jahr 2005 den niedrigsten Stand seit vielen Jahren erreicht hat. So
betrug die durchschnittliche Dauer des Urteilverfahrens vor den Landgerichten im
Jahr 2005 6,8 Monate, die des Beschlussverfahrens hingegen nur 4,0 Monate. Noch
gravierender fallen die Unterschiede bei dem Oberlandesgericht aus. Hier betrug die
durchschnittliche Verfahrensdauer des Urteilverfahrens 10,3 Monate, wohingegen das
Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO durchschnittlich nur 5,7 Monate dauerte. Zugleich
ist allerdings festzustellen, dass die durchschnittliche Dauer des Beschlussverfahrens
zunimmt, seit der prozentuale Anteil der Beschlusszurückweisung an den insgesamt
erledigten Berufungsverfahren ansteigt. Dies zeigen die nachstehenden Gra? ken, die
die Entwicklung der letzten Jahre widerspiegeln.
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- Landgericht -
7,4 10,7 12,12,4
46,0 39,3 34,5 32,8
6,86,7
7,17,2
4,03,93,7
3,2
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
3,0
4,0
5,0
6,0
7,0
8,0
9,0
10,0
11,0
12,0
13,0
14,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten bei Erledigung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten bei Erledigung durch streitiges Urteil
77
Die beiden Gra? ken veranschaulichen, dass der Anteil der streitig entschiedenen Berufungsverfahren seit dem Inkrafttreten der Zivilprozessreform konstant bei etwa 41,5
Prozent (Landgerichte) bzw. 46,3 Prozent (Oberlandesgerichte) lag, wobei der Anteil
des Verfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO sowohl bei den Landgerichten als auch bei den
Oberlandesgerichten im Jahr 2005 auf 12,1 Prozent gestiegen ist. Dieser Anstieg ging
mit einer Zunahme der durchschnittlichen Dauer des Verfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO
einher. Erklären lässt sich der Anstieg damit, dass immer umfangreichere Berufungsverfahren im Wege des Beschlussverfahrens erledigt werden. Nichts desto trotz sind
erhebliche Zeitersparnisse im Vergleich zum Urteilsverfahren festzustellen. Selbst bei
den Gerichten, die in den vergangenen vier Jahren überdurchschnittlich häu? g von der
Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht haben und die damit zwangsläu-
? g umfangreichere Berufungsverfahren im Wege des Beschlussverfahrens erledigt haben müssen als die übrigen Berufungsgerichte, sind erhebliche Zeitgewinne im Vergleich zum Urteilsverfahren eingetreten. Dies belegt eine Einzelbetrachtung der Berufungsgerichte, bei denen der Anteil des Beschlussverfahrens an den insgesamt erledigten
Verfahren im Durchschnitt der Jahre 2002 bis 2005 mehr als 13 Prozent, in einzelnen
Jahren sogar mehr als 20 Prozent betrug. Selbst bei diesen Gerichten war das Beschlussverfahren im Schnitt mehrere Wochen vor dem Urteilsverfahren abgeschlossen:
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- Oberlandesgericht -
8,6 11,0 12,12,4
39,5
33,7 30,3 28,5
10,3
10,6
11,4
11,0
5,7
5,3
4,8
3,8
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
3,0
4,0
5,0
6,0
7,0
8,0
9,0
10,0
11,0
12,0
13,0
14,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten bei Erledigung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten bei Erledigung durch streitiges Urteil
78
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- OLG Zweibrücken -
23,3 25,5 25,7
3,6
41,2
20,6 21,4
20,8
11,110,811,3
9,1
7,6
6,55,65,1
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- OLG Oldenburg -
20,6 22,9 22,58,8
47,8 26,5
23,4
23,8
6,4
5,4
5,45,0
3,63,12,92,6
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
79
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- Landgerichte des OLG-Bezirks Bamberg -
21,6 21,9 21,5
7,4
36,6 21,6 22,1 22,8
5,45,05,35,3
3,53,23,13,0
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- Landgerichte des OLG-Bezirks Koblenz -
16,1 19,9 17,54,8
48,9 35,0 31,7 30,1
7,97,47,48,2
3,63,43,63,6
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
80
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- OLG Rostock -
12,5 17,7
23,1
4,1
24,231,3
36,8
37,4
18,7 19,2 19,6
16,6
4,0
5,6
8,7 8,2
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- Landgerichte Schleswig-Holstein -
15,5 17,6 19,84,5
41,6 31,0
26,0 22,9
7,87,57,67,3
5,85,4
4,14,0
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
81
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- OLG Bamberg -
15,9 18,9 16,34,0
36,5
28,5 26,1
24,2
7,2
9,19,49,3
4,2
4,03,63,1
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- Landgerichte des OLG-Bezirks Braunschweig -
14,3 18,9 17,14,7
50,0
37,1 26,5 22,3
8,38,68,67,8
3,63,63,52,6
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
82
Dem Gesetzgeber ist es nach alledem gelungen, mit der Einführung des Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine beschleunigte Erledigungsmöglichkeit für Berufungsverfahren zu schaffen. Der verfahrensbeschleunigende Effekt
dürfte allerdings nicht so erheblich ausgefallen sein, dass sich die Zahl der aus sachfremden Erwägungen, d.h. aus Gründen der Vollstreckungsverschleppung eingelegten
Rechtsmittel verringert hat. Auch nach der Einführung des Beschlussverfahrens lässt
sich der rechtskräftige Abschluss des Gerichtsverfahrens durch die Einlegung einer
Berufung mehrere Monate hinauszögern. So betrug die durchschnittliche Dauer des
Beschlussverfahrens im Jahr 2005 vor den Landgerichten 4,0 Monate und vor den
Oberlandesgerichten 5,7 Monate. In einzelnen Fällen liegt die durchschnittliche Dauer des Beschlussverfahrens sogar deutlich über dem Bundesschnitt, so dass sich die
Vollstreckung nach wie vor durch die Einlegung einer Berufung in nicht unerheblichem Maße verschleppen lässt. Ungeachtet dessen fällt die Bewertung des Beschlussverfahrens positiv aus. Jedenfalls lässt sich vor dem Hintergrund des vorstehenden
Datenmaterials nicht länger anzweifeln, dass dem Zurückweisungsbeschluss eine erhebliche verfahrensbeschleunigende Wirkung zukommt und dass mit der Einführung
des Zurückweisungsbeschlusses Ef? zienzgewinne sowohl auf Seiten der Bürger als
auch der Gerichte eingetreten sind.
Durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens
- OLG Braunschweig -
15,7 17,8 17,04,4
43,7
31,5 22,9 23,2
14,2
13,0
11,8
9,7
8,07,6
6,1
4,7
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´02 ´03 ´04 ´05
Erledigungsart
in Prozent
0,0
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
16,0
18,0
20,0
Dauer
in Monaten
Sonstige Erledigungsarten
Urteil
§ 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu § 522 Abs. 2 ZPO
Ø Verfahrendsdauer in Monaten (insgesamt) zu Urteil
83
3. Zu den sonstigen Auswirkungen des Zurückweisungsverfahrens
Über die beschriebenen Folgewirkungen hinaus dürfen die sonstigen Auswirkungen,
die die Einführung des unanfechtbaren Zurückweisungsbeschlusses nach sich gezogen
hat, nicht außer Acht gelassen werden, wenn es darum geht, die Zweckmäßigkeit des
§ 522 Abs. 2 und 3 ZPO zu beurteilen.
a) Zur Zunahme der Berufungsrücknahmen
Aus der Richterschaft ist zu vernehmen, dass die Erteilung des Hinweises nach § 522
Abs. 2 Satz 2 ZPO in nicht wenigen Fällen zu einer Berufungsrücknahme führt. Träfe
dies zu, würde hierdurch eine Annahme des Gesetzgebers Bestätigung ? nden. Der Gesetzgeber war seinerzeit davon ausgegangen, dass die Hinweisp? icht der rechtsmittelführenden Partei „vermehrt“ Gelegenheit geben wird, eine kostengünstige Berufungsrücknahme in Erwägung zu ziehen230.
Ob die Erteilung eines Hinweises nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO tatsächlich zu einer
vermehrten Berufungsrücknahme führt, kann nicht mit letzter Sicherheit festgestellt
werden. Aus den Geschäftsstatistiken der Berufungsgerichte lässt sich eine solche Folgewirkung jedenfalls nicht ablesen, da dort nicht ausgewiesen ist, in wie vielen Fällen
der Berufungsrücknahme ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorausgegangen
ist. Auffällig ist jedoch, dass seit dem Inkrafttreten der Zivilprozessreform im Jahre
2002 sowohl vor den Landgerichten als auch vor den Oberlandesgerichten nicht nur
der Anteil der Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO, sondern auch der Anteil der
Berufungsrücknahmen zugenommen hat. Dies belegen die nachstehenden, auf dem
Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes beruhenden Gra? ken:
230 BT-Drs. 14/4722, S. 159.
Art der Erledigung
- Landgericht -
52,2 51,6 50,3 46,0 39,3 34,5 32,8
25,5 25,8 26,9 29,0
30,0 31,8 31,6
7,4 10,7 12,1
2,4
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
´99 ´00 ´01 ´02 ´03 ´04 ´05
Sonstige Erledigungsart
§ 522 Abs. 2 ZPO
Rücknahme
Urteil
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Abhandlung gibt Antwort auf nahezu alle Fragen, die sich bei der Anwendung der Vorschriften über die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss im Zivilprozess stellen (§ 522 Abs. 2 und 3 ZPO). Sie geht nicht nur auf die Frage der zutreffenden Auslegung des § 522 Abs. 2 ZPO ein, sondern untersucht auch die rechtstatsächliche Situation vor und nach der Einführung des unanfechtbaren Zurückweisungsbeschlusses. Anhand der Justizgeschäftsstatistiken des Statistischen Bundesamtes wird nachgewiesen, dass die Einführung des Beschlussverfahrens zu einer erheblichen Verkürzung der Verfahrensdauer geführt hat. Kritisch hinterfragt wird die Auslegung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO durch die Rechtsprechung sowie die stark unterschiedliche Praxis der Berufungsgerichte bei der Anwendung der Vorschriften über die Beschlusszurückweisung. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften wird gleichwohl nicht in Frage gestellt. Wegen des unterschiedlichen Zugangs zur Revisionsinstanz fordert der Autor allerdings die Abschaffung der Regelung des § 522 Abs. 3 ZPO über die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses.