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men, „dass den Parteien ausgerechnet gegen Entscheidungen, die wegen des Fehlens
einer mündlichen Verhandlung besonders fehlerträchtig sind, der Rechtsschutz versagt
wird“81. Rimmelspacher fügt hinzu, dass die Einstimmigkeit ein Gesichtspunkt sei, der
sonst für die Zulässigkeit eines zivilprozessualen Rechtsmittels irrelevant sei, an der
Realität der Kollegialentscheidungen vorbeigehe und daher auch an dieser Stelle als
sachfremd nicht in die Waagschale geworfen werden dürfe. Dasselbe gelte für den
Umstand, dass Eingangs- und Berufungsgericht übereinstimmen82. Darüber hinaus
gab er in einer Vorau? age zu bedenken, dass der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 522 ZPO auf der Zulässigkeitsebene einen weitgehenden Gleichlauf zwischen den Fällen der Verwerfung durch Urteil und durch Beschluss habe herbeiführen wollen, damit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen als Revisions- oder
Beschwerdegericht die Möglichkeit erhalte, Ein? uss auf die Anwendung und Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Berufung zu nehmen. Dieser Gleichlaufgedanke habe nicht weniger Gewicht, wenn es um den Ein? uss des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung des materiellen Rechts gehe83. Entsprechende Ausführungen ? nden sich bei Lindner. Seiner Auffassung nach sind über die genannten
Kriterien hinaus auch keine anderen Gründe ersichtlich, die die verfahrensrechtliche
Schlechterstellung des Berufungsklägers rechtfertigen könnten. Insbesondere gäben
die mit dem Zurückweisungsverfahren verfolgten Ziele, eine beschleunigte Erledigung erfolgloser Berufungen zu ermöglichen und so die Rechtsmittelgerichte zu entlasten, nicht schon selbst taugliche Differenzierungskriterien ab. Der Gesetzgeber
habe vielmehr die dafür geeigneten Rechtssachen durch möglichst klare Merkmale
abzugrenzen. Vor allem dürfe er den Gerichten keine Selbststeuerung ihrer Arbeitslast
ermöglichen. Der Zugang zum Rechtsmittel wäre dann von der Arbeitsbelastung des
Spruchkörpers und nicht von allgemein gleichen, in der Rechtssache selbst liegenden
Kriterien abhängig84. Selbst Meyer-Seitz, der die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses durch das Erfordernis der Einstimmigkeit gerechtfertigt sieht, stellt
die Unanfechtbarkeit in Frage und merkt in diesem Zusammenhang an, dass bereits
ein geringfügiger Fehler bei der Kostenverteilung oder der Zinsentscheidung im erstinstanzlichen Urteil darüber entscheiden kann, ob dem Berufungsführer das Berufungshauptverfahren eröffnet wird und ob ihm durch die Nichtzulassungsbeschwerde
der Zugang zum Revisionsgericht offen steht85.
c) Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 2004
Am 1. Oktober 2004 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es nicht gegen das
Recht auf gleichen Rechtsschutz aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoße,
dass nur Beschlüsse, die eine Berufung als unzulässig verwerfen, anfechtbar seien,
81 Schneider, AnwBl 2003, 193, 194.
82 Rimmelspacher, in: MüKo-ZPO, § 522 Rdnr. 35.
83 Rimmelspacher, in: MüKo-ZPO, Aktualisierungsband § 522 Rdnr. 34.
84 Lindner, ZIP 2003, 192, 197 f.
85 Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, § 522 Rdnr. 35.
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nicht aber Beschlüsse, die eine Berufung als unbegründet zurückweisen86. Diese Differenzierung überschreite nicht die dem Gesetzgeber durch das Willkürverbot gezogene Grenze. Für sie ? nde sich ein sachlicher Grund:
„Dass Berufungsverwerfungen im Rechtszug weitergehend überprüfbar sind als Entscheidungen des Berufungsgerichts über die Begründetheit einer Berufung, ist im
Rechtsmittelsystem der ZPO nicht neu. [...] Bereits vor der Zivilprozessreform sollte die
weitergehende Anfechtbarkeit von Verwerfungsentscheidungen sicherstellen, dass einer
Prozesspartei eine zweite Tatsacheninstanz gesichert ist, weil der Instanzenzug im öffentlichen Interesse geregelt ist (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Au? . [1994], § 547
Rdnr. 1 sowie § 519 Rdnr. 1). Ob eine zweite Tatsacheninstanz zu Recht verweigert
wird, soll in jedem Falle überprüfbar sein. Außerdem kann der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung von Zulässigkeitsvoraussetzungen eher für notwendig erachten als bei materiellen,
oft auf den Einzelfall oder die Tatsachenfeststellungen bezogenen Fragen. Er kann daher
eine höchstrichterliche Überprüfbarkeit jeglicher Verwerfungsentscheidung vorsehen.
Eben aus diesem Grunde hat er mit der Zivilprozessreform 2001 dem BGH die Möglichkeit eröffnet, Ein? uss auf die Anwendung und Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Berufung auch dann zu nehmen, wenn sie durch Beschluss verworfen
wird (vgl. BT-Dr 14/4722, S. 96).“
(Hervorhebung durch den Autor)
Diese Ausführungen überzeugen. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist demnach, dass der Zurückweisungsbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO anders als
der Verwerfungsbeschluss nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht anfechtbar ist. Nicht
geäußert hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 01. Oktober
2004 zu der Frage, ob die Regelung des § 522 Abs. 3 ZPO gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstößt, weil sie den Zurückweisungsbeschluss im Gegensatz zum Berufungsurteil
für unanfechtbar erklärt. Dies bemängelte Gottwald in einer Anmerkung zu der Entscheidung87.
d) Eigene Stellungnahme
Betrachtet man die bisherige Diskussion um die Vereinbarkeit der Regelung des § 522
Abs. 2 und 3 ZPO mit dem Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit, so fragt sich, ob die
einstimmige Entscheidung des Berufungsgerichts, die Übereinstimmung mit der Vorinstanz, die beabsichtigte Entlastung der Revisionsgerichte oder das Streben nach einer beschleunigten Erledigung erfolgloser Berufungen die Ungleichbehandlung des
Beschlussverfahrens im Vergleich zum Urteilsverfahren sachlich rechtfertigt. Meines
Erachtens ist keiner der genannten Gründe geeignet, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen: Die angestrebte Entlastung der Revisionsgerichte und die erhoffte Beschleunigung des Berufungsverfahrens beschreiben weniger den sachlichen Grund für die
86 BVerfG, Beschl. v. 01.10.2004 – 1 BvR 173/04 –, NJW 2005, 659 f.
87 Gottwald, FamRZ 2005, 428.
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References
Zusammenfassung
Die Abhandlung gibt Antwort auf nahezu alle Fragen, die sich bei der Anwendung der Vorschriften über die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss im Zivilprozess stellen (§ 522 Abs. 2 und 3 ZPO). Sie geht nicht nur auf die Frage der zutreffenden Auslegung des § 522 Abs. 2 ZPO ein, sondern untersucht auch die rechtstatsächliche Situation vor und nach der Einführung des unanfechtbaren Zurückweisungsbeschlusses. Anhand der Justizgeschäftsstatistiken des Statistischen Bundesamtes wird nachgewiesen, dass die Einführung des Beschlussverfahrens zu einer erheblichen Verkürzung der Verfahrensdauer geführt hat. Kritisch hinterfragt wird die Auslegung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO durch die Rechtsprechung sowie die stark unterschiedliche Praxis der Berufungsgerichte bei der Anwendung der Vorschriften über die Beschlusszurückweisung. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften wird gleichwohl nicht in Frage gestellt. Wegen des unterschiedlichen Zugangs zur Revisionsinstanz fordert der Autor allerdings die Abschaffung der Regelung des § 522 Abs. 3 ZPO über die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses.