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Sanktionsmaßnahmen ergreifen. Es kann sich dabei sowohl um öffentlich-rechtlich
als auch um privat-rechtlich organisierte Forschungseinrichtungen handeln, maßgeblich ist nach dem Gesetzeswortlaut allein, dass der betroffene Forscher dort eine
wissenschaftliche Tätigkeit ausübt.240
IV. Exkurs: Sonstige Institutionen und deren Rolle im Umgang mit
wissenschaftlichem Fehlverhalten
1. Die Praxiskomitees der Universitäten – neuere institutionsinterne
Unredlichkeitsverfahren
Einige Universitäten haben in den letzten Jahren begonnen, interne Gremien, so
genannte „Praxiskomitees“ (Praksisudvalgene), einzurichten, denen neben anderen
Aktivitäten auch die Behandlung von Fällen wissenschaftlich unredlichen Verhaltens nach universitätseigenen Verfahrensregeln übertragen ist.241 Diese Gremien
sowie deren Verfahrensordnungen sind weder in den normativen Grundlagen des
geschilderten zentralisierten Verfahrensmodells noch anderweitig gesetzlich verankert.242 Ihre Einrichtung geht auf örtliche universitätsinterne Verwaltungsregeln
zurück.243 Da die vor institutionsinternen Gremien stattfindenden Untersuchungsverfahren somit keine Funktion in dem überwiegend staatlich motivierten Verfahrensmodell übernehmen, müssen sie als abweichende dezentrale Verfahrensansätze
verstanden werden.
Die Entwicklung institutionsinterner Verfahren ist eine Reaktion auf die Verabschiedung des neuen dänischen Universitätsgesetzes (Lov om Universiteter)244,
welches den Universitäten in § 2 Abs. 2245 eine ausdrückliche Verantwortung für die
Sicherung von Forschungsfreiheit und Wissenschaftsethik auferlegt.246 So geht die
240 Um diese sprachliche Klarstellung ist der Gesetzeswortlaut gegenüber § 6 Abs. 1 Nr. 1 der
geltenden VO-DCSD ergänzt worden, weil die Information des Arbeitgebers über die Feststellung wissenschaftlicher Unredlichkeit nur dort Relevanz aufweist, wo der Inhalt der Tätigkeit Forschung ist.
241 Vgl. insbesondere die Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Universitäten
von Aarhus und Süddänemark: Aarhus Universitets regler af 29. juni 2000 til sikring af god
videnskabelig praksis, abgedruckt in: Danish Research Agency, 2000 Annual Report, The
Danish Committees on Scientific Dishonesty, S. 14 f.; Syddansk Universitets regler af god
videnskabelig praksis, af 1 november 2002.
242 Christiansen, Vortrag vom 13.11.2003, anlässlich des DFG Ombudsman Symposium am
13. November 2003 in Bonn.
243 Nach Auskunft von Prof. Palle Bo Madsen, dem Vorsitzenden des Praxiskomitees in Aarhus,
vom 12. Dezember 2003 sind die Universitätsleitungen in Dänemark berechtigt, interne administrative Regeln zu erlassen, die der Umsetzung der Ziele des Universitätsgesetzes dienen.
244 Lov nr. 403 af 28. mai 2003 om universiteter (universitetsloven).
245 § 2 Abs. 2: “Universitetet har forskningsfrihed og skal værne om denne og om videnskabsetik.“
246 Danish Research Agency, Report on the rules governing research ethics, S. 19.
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Einrichtung eines eigenen Verfahrens zum Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens im Fall der Universität Aarhus einerseits auf den Wunsch zurück, einen Zustand der Bereitschaft zum Umgang mit Fehlverhaltensfällen herstellen zu wollen.247 Andererseits – und dies dürfte ein ebenso ausschlaggebender
Grund für die Aktivitäten gewesen sein – werden Wissenschaftler der Universität
durch Fördergelder des US Public Health Service unterstützt. Um die Berechtigung
zum Empfang amerikanischer Forschungsgelder zu erhalten, war die Abfassung
eines internen Regelwerks zur Behandlung von Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens erforderlich, das den Anforderungen der Federal Regulation (42 CFR,
Part 50, Subpart A) des Public Health Service genügt.248
Die Ausarbeitung der Regeln erfolgte bei der hier exemplarisch betrachteten Universität Aarhus durch ein vom Rektor eingesetztes sechsköpfiges Ethikkomitee
(Etikudvalget) bestehend aus Repräsentanten der sechs Fakultäten der Universität,
die in der Folge auch das örtliche Praxiskomitee besetzen.249 Das Regelwerk wurde
aufgrund § 4 Abs. 1 des dänischen Universitätsgesetzes (a.F.)250 von dem Rektor der
Universität verabschiedet und trat am 1. Juli 2000 in Kraft. Als Arbeitsgrundlage für
die Erarbeitung des Regelvorschlages diente die VO-DCSD a.F.251, deren Definition
wissenschaftlicher Unredlichkeit übernommen wurde. Um die Förderungsbedingungen des Public Health Service zu erfüllen und eine rechtliche Grundlage für die
Feststellung von Abweichungen von guter wissenschaftlicher Praxis zu schaffen,
wurde der Verordnungsinhalt um einen Beurteilungsmaßstab für gute wissenschaftliche Praxis ergänzt.252 Der Regelungstext operiert mit einer positiven Umschrei-
247 Christiansen, in: The Danish Research Agency (Hrsg.), 2000 Annual Report, The Danish
Committees on Scientific Dishonesty, S. 13.
248 Der PHS hat die seit 1996 existierenden Regeln der Universität Aarhus für die Präsentation,
Aufzeichnung und Aufbewahrung von Forschungsdaten in der medizinischen Forschung in
Ermangelung von Verfahrensregelung als nicht in Einklang mit den Anforderungen der Federal regulation (42 CFR, Part 50, Subpart A) des PHS stehend erachtet, Christiansen, in: The
Danish Research Agency (Hrsg.), 2000 Annual Report, The Danish Committees on Scientific
Dishonesty, S. 13. Vgl. zum amerikanischen Verfahren und dessen rechtlichlichen Grundlagen insbesondere 2. Teil, D. II. 3., S. 89 f. und 2. Teil, D. II. 4., S. 92 f.
249 Århus Universitets regler af 29. juni 2000 til sikring af god videnskabelig praksis, § 2 Stk. 1.
250 § 4 Stk. 1 i lov nr. 1089 af 23. December 1992 om universiteter m.fl. Universitetsloven), jf.
Lovbekendtgørelse nr. 1177 af 22. december 1999, wonach der Rektor als Leiter der Universität berechtigt ist, Entscheidungen in allen Angelegenheiten der Universität zu treffen, die
nicht einem anderen Organ der Universität zugewiesen sind. Die Vorschrift wurde abgelöst
durch § 14 Stk. 7 i lov nr. 403 af 28. mai 2003 om universiteter.
251 Bekendtgørelse nr. 933 af 15. december 1998 (Executive Order No. 933 of 15 December
1998).
252 Laut Auskunft von Prof. Palle Bo Madsen, dem Vorsitzenden des Praxiskomitees in Aarhus,
vom 12. Dezember 2003 will man in Aarhus genau dieselben materiellen Beurteilungsmaßstäbe anwenden, derer sich auch die DCSD bedienen. Mit dem Unterschied, dass die Anwendung den Maßstabes guter wissenschaftlicher Praxis durch das Praxiskomitee anders als bei
den DCSD auf eine rechtlichen Grundlage zurückzuführen sein soll. Vgl. zur Kritik an der
Beurteilungspraxis der DCSD, 3. Teil, E. II. 3., S. 112 ff.
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bung guter wissenschaftlicher Praxis sowie mit Beispielen für Verhaltensweisen, die
nicht in Einklang mit guter wissenschaftlicher Praxis stehen.253
Die Verfahrensregelungen der Universität Aarhus und auch der Süddänischen
Universität, welche sich an das Regelwerk aus Aarhus angelehnt hat, enthalten Vorschriften, die sich mit dem Konkurrenzverhältnis zwischen den universitätsinternen
Verfahren und dem Unredlichkeitsverfahren der DCSD befassen. Danach haben die
universitätsinternen „Praxiskomitees“ (Praksisudvalgene) zwei Möglichkeiten des
Umgangs mit solchen Fällen, die entweder bereits von einem der drei DCSD untersucht werden oder die auch bei den staatlichen Komitees eingebracht werden können, zur Auswahl. Sie können die Beschwerden entweder endgültig abweisen oder
das eigene Verfahren aussetzen bis die Entscheidung des zuständigen DCSD vorliegt.254 Gleichzeitig können die internen Gremien einen Verdachtsfall auch selbst
vor eines der DCSD bringen, um dessen dortige Behandlung in Gang zu setzen.255
Im Fall Lomborg, der zunächst in Aarhus anhängig war, erfolgte eine Abweisung
des Falles durch das örtliche Praxiskomitee als von dritter Seite eine weitere Beschwerde bei den DCSD eingereicht wurde.256 Die Konkurrenzvorschriften sollen
verhindern, dass Verdachtsfälle wissenschaftlicher Unredlichkeit gleichzeitig vor
den örtlichen Gremien und vor einem der DCSD verhandelt werden. Völlig ausgeschlossen wird diese Konstellation nicht, da es sich nicht um zwingende Vorschriften handelt. Die Gefahr, dass durch das örtliche und ein zentrales Gremium inhaltlich voneinander abweichende Feststellungen getroffen werden können, wird auch
deshalb nicht beseitigt, weil die universitätsinternen Verfahrensregelungen eine
eigene Entscheidung der Praxiskomitees nach Aussetzung des Verfahrens während
der Untersuchung durch die DCSD nicht ausschließen. Die Regeln der Universität
Aarhus und der Süddänischen Universität zur Sicherung guter wissenschaftlicher
Praxis stellen lediglich klar, dass die internen Gremien von einer eigenen Beurteilung absehen und sich mit einer Äußerung über die Sanktionswahl begnügen können, wenn eines der drei DCSD in einem konkreten Fall das Vorliegen wissenschaftlicher Unredlichkeit bereits festgestellt hat.257 Demnach scheinen die örtlichen Gremien bei Vorliegen eines Verfahrensergebnisses des zuständigen DCSD, das nicht
auf wissenschaftliche Unredlichkeit lautet, eine eigene Beurteilung vornehmen zu
müssen, sofern sie den Fall nicht sofort endgültig abgewiesen haben. Aus der bishe-
253 Aarhus Universitets regler af 29. juni 2000 til sikring af god videnskabelig praksis, § 2 Stk. 3.
254 Aarhus Universitets regler af 29. juni 2000 til sikring af god videnskabelig praksis, § 3 Stk. 6;
Syddansk Universitets regler, § 3 Stk. 6.
255 Aarhus Universitets regler af 29. juni 2000 til sikring af god videnskabelig praksis, § 3 Stk. 6;
Syddansk Universitets regler, § 3 Stk. 6.
256 Laut Auskunft von Prof. Palle Bo Madsen, dem Vorsitzenden des Praxiskomitees in Aarhus,
vom 12. Dezember 2003.
257 Aarhus Universitets regler af 29. juni 2000 til sikring af god videnskabelig praksis, § 8. Ob
das Gremium in jedem Fall, den die DCSD entscheiden, einen Vorschlag hinsichtlich der zu
ergreifenden Sanktionen machen soll, oder ob dies nur dann gilt, wenn der betreffende Fall
auch vor das interne Gremium gebracht worden ist, bleibt unklar.
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rigen Praxis der örtlichen Komitees ist aber kein Fall bekannt, in dem es zu widersprüchlichen Ergebnissen gekommen ist.258
2. Komitee zum Schutz wissenschaftlicher Arbeit (Udvalg til Beskyttelse af
Videnskabeligt Arbejde (UBVA))
Von gewisser praktischer Bedeutung im Umgang mit Fehlverhaltensfällen ist auch
das ständige Komitee zum Schutz wissenschaftlicher Arbeit (Udvalg til Beskyttelse
af Videnskabeligt Arbejde (UBVA)) der dänischen Zentralorganisation der Berufsverbände (Akademikernes Centralorganisation). Das UBVA befasst sich mit Urheberrechtsverletzungen und ist nicht selten mit Beschwerden von Forschern konfrontiert, die Eingriffe in ihre Rechte im Zusammenhang mit dem Scheitern von wissenschaftlichen Projekten oder anderer Formen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit
rügen.259 Das Komitee hält Beratungsmaterial für Forscher bereit260 und bietet praktische Unterstützung in urheberrechtlichen Prozessen. Von Zeit zu Zeit verweist das
Komitee betroffene Personen an die DCSD.
3. Wissenschaftliche Fachgesellschaften und Gerichte
Die einzelnen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die in zahlreichen anderen
Ländern insbesondere mit der Formulierung berufsethischer Verhaltenskodices
befasst sind, spielen in Dänemark nur eine untergeordnete Rolle im Umgang mit
guter oder schlechter wissenschaftlicher Praxis.261
Gleiches gilt für die dänischen Zivilgerichte, wenn diese auch im Rahmen von
Rechtsstreitigkeiten über Immaterialgüterrechte oder Ehrverletzungen oder in arbeitsrechtlichen Prozessen durchaus direkt mit dem Problem wissenschaftlichem
Fehlverhaltens konfrontiert werden können. 262
258 Das Praxiskomitee der Universität Aarhus hat seit seiner Einrichtung ohnehin erst vier Beschwerden erhalten.
259 Vgl. im Einzelnen die Regelung des Aufgabenbereichs des UBVA (kommissorium), http://
ubva.lovportaler.dk/ShowArticle.aspx?docid={C6740E63-FBBC-4FF3-A17B-5BBF7391D
D47} (15.05.2007).
260 Udvalg til Beskyttelse af Videnskabeligt Arbejde, Rettighedsproblemer I forskningssamarbejder – en vejledning fra UBVA, erhältlich unter: http://ubva.lovportaler.dk/ShowDoc.aspx?doc
Id=ubva-pub-samarb-full&q=Rettighedsproblemer+I+forskningssamarbejder (15.05.2007).
261 Danish research Agency, Report on the rules governing research ethics, S. 18.
262 Danish research Agency, Report on the rules governing research ethics, S. 18.
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E. Materielle Beurteilungsmaßstäbe
In dem nun folgenden Abschnitt sollen die materiell-rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe, an denen sich die Entscheidungen der DCSD über das Verhalten eines Forschers orientieren, näher beleuchtet werden. Die DCSD bedienen sich in ihrer Entscheidungspraxis zum einen eines ausdrücklich gesetzlich formulierten Unredlichkeitstatbestandes zum anderen eines gesetzlich nicht definierten Maßstabes guter
Forschungspraxis.
I. Maßstab wissenschaftlicher Unredlichkeit
1. Wissenschaftliche Unredlichkeit im weiteren Sinne
Wie aufgrund der häufigen Verwendung im dritten Teil bereits angeklungen sein
mag, wird in Dänemark überwiegend der Begriff „wissenschaftliche Unredlichkeit“
(videnskabelig uredelighed) bzw. scientific dishonesty als Oberbegriff für die gesamte Bandbreite von Fehlverhalten in der Wissenschaft verwendet. Die Wahl dieses Terminus geht auf die Empfehlungen der Arbeitsgruppe des Dänischen Medizinischen Forschungsrats zurück und wurde mit dessen weitem Bedeutungsgehalt
begründet, der sich sowohl auf objektive Handlungen als auch die subjektiven Bewusstseinsformen des Handelns erstreckt. Die Arbeitsgruppe befand, dass die überwiegend in den Vereinigten Staaten bemühten Begriffe scientific fraud und scientific
misconduct zu einseitig belegt sind. Während scientific fraud lediglich besonders
schwere betrügerische Verstöße gegen Normen der Wissenschaftsethik erfassen soll
und damit ebenso wie scientific swindle oder scientific cheating lediglich die Verwendung in konkreten Fällen nahe lege, lenke der Begriff scientific misconduct das
Bewusstsein zu stark auf wissenschaftliche Verhaltensregeln und Etikette.263 Scientific dishonesty hingegen umfasse sowohl sämtliche bewusst betrügerischen Handlungen im Verlauf des Forschungsprozesses, von der Beantragung von Fördermitteln
über den eigentlichen Forschungsprozess bis hin zur Veröffentlichung der Ergebnisse, als auch Fälle grob fahrlässigen Handelns, die einem vorsätzlichen Verhalten im
Hinblick auf die negativen Konsequenzen für die Vertrauenswürdigkeit und Funktionsfähigkeit der Wissenschaft in nichts nachstehen.264
263 Andersen/Attrup/Axelsen/Riis, Scientific Dishonesty and Good Scientific Practice, S. 19.
264 Andersen/Attrup/Axelsen/Riis, Scientific Dishonesty and Good Scientific Practice, S. 19;
Andersen/Axelsen/Riis, Danish medical bulletin 40, 1993, S. 250.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein neuartiges, aber ein in Deutschland lange unbeachtetes Phänomen. Die Autorin vergleicht verschiedene nationale Standards und Verfahrensmodelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und erkennt Tendenzen einer allgegenwärtigen zunehmenden Verkomplizierung und zugleich Internationalisierung von Regulierungssystemen in diesem Bereich.