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3. Teil: Wissenschaftseigene Verfahren zur Begegnung
wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Dänemark
A. Institutionelle Rahmenbedingungen: Strukturen und Akteure der Forschung und
Forschungsförderung in Dänemark
Zunächst sollen die elementaren Strukturen von Forschung und Forschungsförderung in Dänemark skizziert werden, um einen Überblick über das Gesamtsystem
dänischer Forschung zu gewährleisten, welches den Rahmen für die nationale Behandlung des Phänomens wissenschaftlichen Fehlverhaltens bildet.
Das dänische Forschungssystem befindet sich am Ausgang einer Phase des Umbruchs, welche 2001 mit einem Regierungswechsel und der Erarbeitung eines Gutachtens durch eine forschungspolitische Fachkommission (Forskningskommision)1
eingeläutet wurde. In der Folgezeit wurden zahlreiche strukturelle Neuerungen bei
den öffentlichen Forschungs- und Forschungsförderungseinrichtungen einhergehend
mit wesentlichen Änderungen forschungsbezogener Gesetze2 umgesetzt.
I. Forschung und Entwicklung in Dänemark
Das dänische Forschungssystem kann in einen staatlichen und ein privaten Sektor
unterteilt werden. Forschung in öffentlichen Einrichtungen unter staatlicher Trägerschaft findet überwiegend an Universitäten und Hochschulen sowie an so genannten
staatlichen Sektorforschungsinstituten (Sektorforskningsinstitutioner) und an Krankenhäusern statt. Der private Sektor wird von forschungsbetreibenden privatwirtschaftlichen Unternehmen bestimmt.
1 Forskningskommissionen, Betænkning nr. 1406, Bind 1 og 2.
2 Das Universitätsgesetz (Universitetslov) neugefasst durch das Lov om universiteter nr. 403 af
28/05/2003, in Kraft getreten am 1. Juli 2003, das Gesetz über Ratgebung in der Forschung
(Lov om Forskningsrådgiving) neugefasst durch das Lov om Forskningsrådgivning m.v.
nr. 405 af 28/05/2003, in Kraft getreten am 1. Januar 2004, und das Gesetz über die Grundforschungsstiftung (Lov om Grundforskningsfond) ebenfalls 2003 zuletzt geändert (Lov om
ændring af lov om Danmarks Grundforskningsfond nr. 404 af 28/05/2003) und neu bekannt
gemacht (Bekendtgørelse af Lov om Danmarks Grundforskningsfond nr. 876 af 08/10/2003).
Für das Sektorforschungsgesetz (Lov om Sektorforskningsinstitutioner, nr. 1076 af 20/12/
1995) liegt dem dänischen Parlament ein Änderungsvorschlag des Forschungsministeriums
(Lovforslag nr. L 19 til Lov om sektorforskningsinstitutioner) vor.
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1. Forschung an öffentlichen Einrichtungen
a) Universitäten
Das dänische Universitätssystem besteht aus den zwölf staatlichen Universitäten, die
von dem im Juli 2003 in Kraft getretenen neuen Universitätsgesetz (Universitetslov)3 erfasst werden. Dies regelt insbesondere die einheitliche Zielsetzung und Organisation der Universitäten, die in Bezug auf ihre Größe, ihr akademisches Profil
und ihre geschichtliche Entwicklung erhebliche Unterschiede aufweisen.4 Fünf dieser Universitäten sind in den städtischen Ballungszentren Dänemarks angesiedelt
und untergliedern sich in jeweils mehrere Fakultäten. Es handelt sich dabei um die
Universitäten von Kopenhagen (Københavns Universitet), Aarhus (Århus Universitet), Roskilde (Roskilde Universitetscenter), Aalborg (Aalborg Universitet) sowie
die Süddänische Universität (Syddansk Universitet) in Odense. Weitere fünf Universitäten aus dem Kopenhagener Raum sind auf jeweils einen Fachbereich konzentriert.5 Darüber hinaus existieren in Aarhus und Kopenhagen reine Wirtschaftshochschulen.6 Gemeinsam decken die dänischen Universitäten alle wissenschaftlichen
Klassen ab.7 Infolge des Regierungswechsels im Jahre 2001 wurden die Universitäten dem Geschäftsbereich des neu eingerichteten Ministeriums für Wissenschaft,
Technologie und Entwicklung unterstellt, um eine engere Verbindung und stärkeren
Wissenstransfer zwischen den Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen
sowie dem wirtschaftlichen Sektor und der Gesellschaft zu gewährleisten.8 Die Universitäten tragen die Verantwortung für die dänische Grundlagenforschung und sind
daher im Zusammenhang mit Fehlverhalten in der Forschung von besonderem Interesse.
Neben den Universitäten bestehen zahlreiche universitätsähnliche höhere Bildungseinrichtungen. In den Geschäftsbereich des Kultusministeriums fallen Hochschulen für Kunst, Architektur, Musik, Design, Theater etc., die auch Forschung in
den entsprechenden Disziplinen betreiben. Das Bildungsministerium ist verantwortlich für zahlreiche Fachhochschulen und Akademien, die überwiegend Lehrtätigkeit
betreiben.
3 Lov om universiteter nr. 403 af 28/05/2003.
4 Ministry of Science Technology and Innovation, Danish universities – in transition, S. 1 ff.;
The Danish Institute for Studies in Research and Research Policy, Changes in Research Management at Danish Universities and Government Research Institutes, S. 33 ff.
5 Es handelt sich um die Technische Universität Dänemarks (Danmarks tekniske Universitet),
die Königliche Universität für Veterinärwissenschaft und Landwirtschaft (Den Kgl. Veterinær- og Landbohøjskole), die Pädagogische Universität (Danmarks Pædagogiske Universitet), die Pharmazeutische Universität (Danmarks Farmaceutiske Universitet) und die IT Universität in Kopenhagen (IT-Universitetet i København).
6 Handelshøjskolen i København, Handelshøjskolen i Århus.
7 The Danish Institute for Studies in Research and Research Policy, Changes in Research Management at Danish Universities and Government Research Institutes, S. 35.
8 Ministry of Science Technology and Innovation, Danish universities – in transition, S. 5.
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b) Sektorforschungsinstitute
Außerhalb des universitären Bereichs gibt es eine Reihe so genannter Sektorforschungseinrichtungen (Sektorforskningsinstitutioner) zur Förderung spezieller Zielsetzungen, deren Inhalte im Gegensatz zu der akademischen Forschung an Universitäten von den Bedürfnissen gesteuert werden, die von der Gesellschaft durch die
Ministerien und deren beratende Organe formuliert werden. Die Sektorforschungsinstitutionen betreiben überwiegend angewandte Forschung und Entwicklung, sie
unterstützen die Verbreitung und Verwertung neuer Erkenntnisse im öffentlichen
Interesse und schaffen Grundlagen als Entscheidungshilfe für politisches Handeln in
verschiedenen Gesellschaftsbereichen.9 Ebenso wie bei den dänischen Universitäten
bestehen zwischen den derzeit fünfundzwanzig Institutionen10 erhebliche Unterschiede in Bezug auf wissenschaftliche Ausrichtung, Größe und Entstehungsgeschichte.11 Die Sektorforschungsinstitutionen unterstehen als verselbständigte Einheiten zehn verschiedenen Ressortministerien. Im Zuge der Umstrukturierung des
dänischen Forschungssystems ist die Verschmelzung einiger Sektorforschungseinrichtungen geplant, andere wiederum sollen in vorhandene universitäre Strukturen
eingegliedert werden.12 Die Leitungsebene soll eine unabhängigere Stellung gegenüber dem jeweiligen Ministerium erhalten. Zusammengenommen betreiben die
Sektorforschungsinstitute etwa ein Fünftel der öffentlichen Forschung in Dänemark.13
c) Sonstige
Zum staatlichen Forschungssektor gehört des Weiteren die Forschung, die an den
mehr als 100 Krankenhäusern des Landes betrieben wird. Ferner zählen hierzu die
9 Forskningskommissionen, Betænkning nr. 1406, Bind 2, S. 38, 40.
10 Beispielhaft seinen hier das über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannte nukleare Forschungszentrum Risø (Forskningscenter Risø) und das John F. Kennedy Institut (John F.
Kennedy Instituttet), welches vorwiegend im Bereich der Diagnostik und Behandlung von
Phenylketonurie und anderer Erbkrankheiten tätig ist.
11 The Danish Institute for Studies in Research and Research Policy, Changes in Research
Management at Danish Universities and Government Research Institutes, S. 43, 112.
12 The Danish Institute for Studies in Research and Research Policy, Changes in Research Management at Danish Universities and Government Research Institutes, S. 43. Eine Neufassung des Gesetzes über die Sektorforschungsinstitutionen steht noch aus. Das dänische
Wissenschaftsministerium hat auf der Grundlage eines Berichts von Dänemarks Forschungsrat (Danmarks Forskningsråd), Gennemgang af sektorforskningen, 2002, einen Gesetzesvorschlag (Lovforslag nr. L 19 til Lov om sektorforskningsinstitutioner) erarbeitet, der um die
Umsetzung von zehn grundlegende Prinzipien der Sektorforschung bemüht ist.
13 Forskningskommissionen, Betænkning nr. 1406, Bind 2, S. 38. Die Sektorforschungseinrichtungen führten 2001 Forschungsarbeit für insgesamt 2,2 Mia. Kr. aus.
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staatlichen Museen, Bibliotheken und Archive sowie einige privatrechtlich ausgestaltete gemeinnützige Organisationen.14
2. Forschung an privaten Einrichtungen
Die Industrieforschung ist in Dänemark aufgrund der geringen Anzahl großer finanzkräftiger Unternehmen eher gering ausgeprägt, übersteigt jedoch mit einem
Anteil von etwa 60 % am gesamten Forschungsvolumen deutlich den öffentlichen
Sektor15. Die forschungsintensivsten Bereiche dieses Forschungstypus sind die Medizinal-, Motoren- und Nahrungs- und Genussmittelindustrie.16 Die unternehmensinternen Forschungsabteilungen arbeiten eng mit dänischen und ausländischen Universitätsinstituten zusammen.
II. Forschungsförderung in Dänemark
Die Forschungsförderungsbedingungen in Dänemark werden im Wesentlichen reduziert auf die Forschungsfinanzierung dargestellt. Innerhalb des staatlichen Beratungs- und Forschungsfinanzierungssystems übernehmen einige Forschungsförderungsinstitutionen allerdings gleichzeitig sowohl Finanzierung- als auch forschungspolitische Beratungsfunktion. Diesem aus verschiedenen Räten bestehenden System
soll im Kontext der öffentlichen Forschungsförderung besondere Aufmerksamkeit
gelten, weil es eine historische und regelungstechnische Verknüpfung mit dem dänischen Verfahrensmodell zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens aufweist.17
14 The Danish Institute for Studies in Research and Research Policy, Changes in Research
Management at Danish Universities and Government Research Institutes, S. 111.
15 Diese Entwicklung hat Anfang der 80er Jahre eingesetzt, Forskningsministeriet, Fakta om
Forskning, S. 8.
16 Im Jahr 2001 beliefen sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in diesen Wirtschaftszweigen auf rund 6.730 Mio. dänische Kronen und damit auf mehr als die Hälfte der
gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der dänischen Wirtschaft (12.668
Mio. dän. Kr.), vgl. Analyseinstitut for Forskning, Ervervslivets forskning og udviklingsarbejde, S. 11, 108 f.
17 Vgl. unten 3. Teil, C. I. und III., S. 173 ff. und 186 ff.
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References
Zusammenfassung
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein neuartiges, aber ein in Deutschland lange unbeachtetes Phänomen. Die Autorin vergleicht verschiedene nationale Standards und Verfahrensmodelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und erkennt Tendenzen einer allgegenwärtigen zunehmenden Verkomplizierung und zugleich Internationalisierung von Regulierungssystemen in diesem Bereich.