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9.2. Kompetenzausübungsschranke aus Art. 83 EGV
Teilweise wird die Zuständigkeit der Gemeinschaft für eine paneuropäische
Vielfaltsicherung angesichts der Verteilung der Wettbewerbskompetenzen nach
Art. 83 EGV abgelehnt, da es sich bei medienbezogenen Vorschriften in erheblichem Umfang um spezielle Fusionstatbestände handle, welche die Gemeinschaft
wiederum nur dann aufgreifen darf, wenn sie Zusammenschlüsse von europaweiter
Bedeutung zum Gegenstand haben.429 Hieran ist sicherlich richtig, dass das
europäische Wettbewerbsrecht durchaus auch auf Hörfunk und Fernsehen anwendbar ist.430 Es hat nicht die Regulierung des publizistischen Wettbewerbs zum Gegenstand. Ebenso beschränkt sich eine gemeinschaftsweite Pluralismussicherung nicht
auf Antikonzentrationsvorschriften.431
Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament verstehen die
Sicherung der Meinungsvielfalt heute sehr viel weiter als noch vor einer Dekade.432
Das Maßnahmenspektrum erstreckt sich über die Schaffung spezieller Vorgaben für
Zusammenschlüsse von Medienunternehmen hinaus auf den Schutz der in Art. 6
Abs. 1 EUV manifestierten Grundpfeiler der Gemeinschaft, nämlich die Demokratie, die Verwirklichung von Grundrechten sowie kulturelle Belange.433 Vielfaltsicherung soll nicht ökonomischem Marktversagen begegnen, sondern die kommunikativen Voraussetzungen für die Wahrnehmung demokratischer Grundrechte
schaffen. Gemeinschaftsweite Pluralismussicherung erweist sich damit als Aliud zur
speziellen, nach wie vor aber wirtschaftlich motivierten Wettbewerbsregulierung.434
9.3. Europäische Pluralismussicherung und Subsidiaritätsgrundsatz
Auch das in Art. 5 Abs. 2 EGV enthaltene Subsidiaritätsprinzip wird von kritischen
Stimmen ins Feld geführt.435 Nach diesem durch den Vertrag von Maastricht
normierten Grundsatz darf die Gemeinschaft in Bereichen außerhalb ihrer ausschließlichen Zuständigkeit nur tätig werden, wenn und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen nicht ausreichend auf Ebene der Mitgliedstaaten,
sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsniveau erreicht werden können. Es geht um die Frage, ob die Mitgliedstaaten selbst
429 So Ress/Bröhmer, Europäische Gemeinschaft und Medienvielfalt, S. 46.
430 Iliopoulos-Strangas, in: Stern/Prütting, Kultur- und Medienpolitik im Kontext des Entwurfs
einer europäischen Verfassung, 29 (90 f.).
431 Dazu Zagouras, AfP 2007, 1.
432 Siehe etwa Europäische Kommission, Arbeitsdokument Medienpluralismus, S. 5 f.
433 Vgl. Ress/Bröhmer, Europäische Gemeinschaft und Medienvielfalt, S. 45.
434 Zur Zieldivergenz von Kartellrecht und Vielfaltsicherung Kübler, MP 1999, 379 (383);
Gounalakis, AfP 2004, 394 (396) sowie Gounalakis/Zagouras, Medienkonzentrationsrecht,
§ 26.
435 Zum Subsidiaritätsprinzip Papier, DVBl 1993, 705 ff.; Koenig/Lorz, JZ 2003, 167 ff. sowie
jüngst Albin, NVwZ 2006, 629 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Meinungsvielfalt ist für die Demokratie in der Informationsgesellschaft unverzichtbar. Bedroht wird sie durch eine zunehmende Uniformität der Berichterstattung und Medienkonzentration. Zwar haben sich die meisten Mitgliedstaaten der EU zur Schaffung antikonzentrationsrechtlicher Bestimmungen entschieden, diese beschränken sich aber auf die Erfassung nationaler Meinungsmacht. Grenzüberschreitendes Engagement von Medienkonzernen wird regulatorisch kaum berücksichtigt.
Es stellt sich daher die Frage, ob und in welcher Weise die Europäische Gemeinschaft Pluralismussicherung betreiben soll. Dabei geht es zunächst darum, welchen Gefahren die Meinungsvielfalt in der Informationsgesellschaft ausgesetzt ist und welche Mediensektoren von einer Pluralismussicherung erfasst sein sollten. Weitere Schwerpunkte liegen auf der europarechtlichen Legitimation der Materie sowie auf der kontrovers diskutierten Frage, ob sich die Gemeinschaft auf ihre Koordinierungsbefugnis aus Art. 47 Abs. 2 und Art. 55 EGV berufen kann oder Kompetenzausübungsschranken entgegenstehen. Die Publikation richtet sich an Medien- und Europarechtler sowie Kommunikations- und Politikwissenschaftler.