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Menschenrechtskonvention, durch das richterrechtlich anerkannte Eigentumsrecht des EuGH und durch Art. 17 der Europäischen Grundrechte Charta.
II. Eigentumsschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention
1. Historische Entwicklung
Das Eigentumsrecht ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Art. 1
des 1. Zusatzprotokolls geregelt. Diese dezentrale Stellung in der Konvention
zeugt davon, dass das Eigentumsrecht vielerlei Fragen aufwirft. Bereits als es um
die Aufnahme des Eigentumsrechts in den Text der EMRK ging, kam es zu fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Repräsentanten der Gründungsstaaten. Die Erarbeitung einer Vorschrift zum Schutz des Eigentums nahm
mehr Zeit in Anspruch als die Beschlussfassung über Normen in den anderen geregelten Schutzbereichen.20 Als im September 1949 bezüglich des Großteils der
Fragen einer europäischen Konvention Einigkeit bestand und sich die Beratende
Versammlung des Europarates für die Annahme der Konvention aussprach, bestand im Rechtsausschuss weitergehende Unklarheit über den Inhalt einer Norm
zum Schutz des Eigentums.21 Anfänglich wurde eingebracht, die Norm solle sich
an Art. 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte orientieren. Dieser
Vorschlag stieß aber nicht auf fruchtbaren Boden, da Art. 17 der Allgemeinen Erklärung als zu grobmaschig empfunden wurde.22 Auch wurde vorgeschlagen, dass
das materielle Eigentumsrecht je nach den besonderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen jeweils in einem Lande zu bestimmen sei und es
deshalb auch verfahrensrechtlich nicht als besonders wünschenswert erscheine,
eine internationale Instanz zur Kontrolle der nationalen Ausformung des Eigentumsrechts zu erschaffen. Ebenso wurde gegen die Aufnahme einer eigentumsschützenden Norm angeführt, dass es nicht gerechtfertigt sei, nur das Eigentum,
nicht aber auch andere soziale und wirtschaftliche Rechte zu garantieren. Da ein
Schutz letzterer in der Konvention direkt nicht vorgesehen sei, solle man auch auf
die Aufnahme des Eigentumsrechts verzichten.23 Gegen einen Eigentumsschutz
sprachen sich insbesondere schwedische und britische Abgeordnete aus. In politischer Hinsicht wurde vorgetragen, dass je nach der Wirtschaftspolitik eines Landes unterschiedliche politische Auffassungen über die Eigentumsgrenzen bestünden, so dass es nicht möglich erscheine, überhaupt eine allgemein annehmbare
Definition von Eigentum auszuarbeiten.24 Insbesondere die britischen Vertreter
20 Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 94;
Gelinsky, Der Schutz des Eigentums, S. 17; Peukert, EuGRZ 1981, S. 97.
21 Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 95.
22 Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 95.
23 Peukert, EuGRZ 1981, S. 97, 98; Brandt, Eigentumsschutz in europäischen Völkerrechtsvereinbarungen, S. 54.
24 Peukert, EuGRZ 1981, S. 97, 98.
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befürchteten einen Eingriff in die Souveränität des nationalen Gesetzgebers.25 So
kam es, dass das Ministerkomitee die Konvention unterzeichnete, ohne eine Eigentumsgarantie aufzunehmen. Dieser Punkt wurde sogleich an einen Sonderausschuss weiter verwiesen, der sich mit der Vorbereitung des Ersten Zusatzprotokolls beschäftigte.26 Dieses Zusatzprotokoll wurde am 20. März 1952 unterzeichnet, trat am 18. Mai 1954 in Kraft und beinhaltet eine Garantie des Eigentums mit
folgendem Wortlaut:
»Jede natürliche und juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse
es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des
Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.«
»Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des
Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung von
Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.«27
Die exponierte Stellung der Eigentumsgarantie könnte Zweifel an der Wertigkeit
im Verhältnis zu anderen in der Konvention direkt verbürgten Rechten aufkommen lassen. Es waren indes die langen Überlegungen pro und contra die Aufnahme des Eigentumsrechts überhaupt, die dazu führten, dass zeitlich bis zum
Abschluss der Konvention kein Kompromiss gefunden wurde. Die Aufnahme in
das Erste Zusatzprotokoll stellt nur die Konsequenz der zeitlichen Verzögerung
25 Hartwig, RabelsZ 1999, S. 561, 563.
26 Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, S. 253 f., Rn. 1 f.
27 Die authentische englische Fassung lautet:
»Every natural or legal person is entitled to the peaceful enjoyment of his possessions. No
one shall be deprived of his possessions except in the public interest and subject to the
conditions provided for by the law and by the general principles of international law.«
»The preceding provisions shall not, however, in any way impair the right of a State to
enforce such laws as it deems necessary to control the use of property in accordance with
the general interest or to secure the payment of taxes or other contributions or penalties.«
Die authentische französische Fassung lautet:
»Toute person physique ou morale a droit au respect de ses biens. Nul ne peut être privé
de sa propriété que pour cause d’utilité publique et dans les conditions prévues par la loi
et les principes généraux du droit international.«
»Les dispositions précédents ne portent pas atteinte au droit que possèdent les Etats de
mettre en vigueur les lois qu’ ils jugent nécessaires pour réglementer l’usage des biens
conformément à l’intérêt général ou pour assurer le paiement des impôts ou d’autres contributions ou des amendes.«
Beide Fassungen sind nachzulesen bei: Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar,
S. 252; Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der EU, S. 63.
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dar, trifft aber keine Wertentscheidung über das verbürgte Recht.28 Nichts desto
trotz ist die Bestimmung aus einem Kompromiss zwischen einem dezidierten Eigentumsschutz und freier Verfügbarkeit über privates Eigentum entstanden. Vor
allem das Fehlen einer ausdrücklichen Entschädigungsregelung fällt als markante
Besonderheit direkt ins Auge und verblüfft schon wegen der ansonsten sehr detailliert geregelten Gewährleistung.29 Der Grund liegt darin, dass Großbritannien
dem Formulierungsvorschlag, welcher im Zusatz eine Enteignung nur gegen Entschädigung verlangte, nicht zugestimmt hatte. Man wandte ein, die Festlegung einer für alle Situationen geltende Entschädigungsregelung sei nicht möglich.30 Daraufhin wurde der Wortlaut wiederum geändert und verblieb in der heute gültigen
Form ohne Niederlegung eines Entschädigungserfordernisses. Anstelle dessen
wurde der Verweis auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze in den Normtext eingeführt.31
2. Anwendungsbereich der Konvention
Die EMRK entfaltet ihre Bindungswirkung gegenüber den Signatarstaaten. Jedes
Land, das die EMRK unterzeichnet hat, ist an ihre Bestimmungen gebunden. Die
EMRK verfolgt in erster Linie den Schutz des einzelnen Bürgers gegen Rechtsakte des Staates.32 In der dieser Untersuchung zu Grunde liegenden Konstellation
sieht sich der EU-Bürger nicht der nationalen Hoheitsgewalt gegenübergestellt,
sondern vielmehr der Europäischen Gemeinschaft, welche anstelle der nationalen
Exekutiven und/oder Legislativen Rechtsnormen erlässt, die den Einzelnen rechtlich betreffen. Die Gemeinschaft ist jedoch nicht selbst Vertragspartei der EMRK
und insofern auch nicht durch sie verpflichtet.33 Um der Konvention beitreten zu
können, müsste der Beitritt vom Erfordernis der Mitgliedschaft der Vertragspartei
im Europarat losgelöst werden, die allein Staaten vorbehalten ist, vgl. Art. 59
Abs. 1 S. 1 EMRK.34 Ebenso müssten die Bestimmungen hin zu einer Erfassung
der Rechtsverhältnisse im Verhältnis von Gemeinschaft zum Bürger abgeändert
werden.35 Die Diskussion über einen Beitritt könnte sich allerdings inzwischen
weitgehend durch das Gutachten des Gerichtshofs vom 28. März 1996 über den
Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK erledigt haben.36 Das Gutachten verneint die
28 Brandt, Eigentumsschutz in europäischen Völkerrechtsvereinbarungen, S. 64; Fiedler,
EuGRZ 1996, S. 354.
29 Hartwig, RabelsZ 1999, S. 561, 563; so auch Peukert, EuGRZ 1981, S. 97, 98.
30 Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, S. 254, Rn. 2.
31 Peukert, EuGRZ 1981, S. 97, 99.
32 Hartwig, RabelsZ 1999, S. 561, 562.
33 Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, S. 92, 95; Philippi, ZEuS 2000, S. 97, 98; Mahlmann,
ZEuS 2000, S. 419, 424 f.; ausführlich zu den Gründen eines Beitritts siehe: Ehlermann/
Nöel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 685, 686 ff.; Kokott, AöR 121 (1996), S. 599, 634 ff.
34 Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, S. 92, 102.
35 Näher dazu, Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 28, 34.
36 EuGH, Gutachten 2/94 v. 28.03.1996, Slg. 1996, S. I-1763 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie begründet, weshalb die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für rechtmäßige Rechtsetzungsakte keinen Verstoß gegen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellt. Im Gegenteil: Diese Haftung für Sonderopfer ist gemeinschaftsrechtskonform und liefert zugleich einen Beitrag zur grundrechtlichen Anerkennung der Entschädigungspflicht für eigentumsentziehende oder -entwertende Maßnahmen. Mittels einer detaillierten rechtsvergleichenden Untersuchung zur Entschädigungspflicht bei Eigentumsentzugsmaßnahmen und zur gemeinschaftsrechtlichen Grundlage der europäischen Sonderopferhaftung stellt die Bearbeitung einen alternativen Ansatzpunkt für die Sonderopferhaftung bereit und liefert einen neuen Diskussionspunkt zu einer aktuellen Rechtsprechung.