Verschweigen – Vertuschen – Verdrängen
Rückblick eines Kriminologen und Zeitzeugen der „vergessenen Generation"
Zusammenfassung
Als Autor gehöre ich zur Generation der kurz vor oder im Zweiten Weltkrieg hierzulande Aufgewachsenen. Wie habe ich in Kindheit und Jugend, in der Studienzeit, im Beruf als Hochschullehrer, in Wissenschaften und Politik, Staat und Gesellschaft den Umgang mit unserer schrecklichen Vergangenheit der NS-Zeit selbst erlebt? Wurde offen darüber gesprochen und wissenschaftlich reflektiert? Im Gegenteil: Vertuschen, Verdrängen, Vergessen allenthalben! Darstellungen markanter Beispiele aus der familiären Umgebung, Schul- und Studienzeit, aus dem Berufsleben eines Kriminalwissenschaftlers, aber auch aus anderen Berufswelten wie denen von Ärzteschaft und Kirchen, sowie von Begegnungen in anderen Ländern legen Zeugnis ab. Nachfolgende Generationen mögen daraus Konsequenzen ziehen; rechtzeitig muss man Symptome erkennen, die Gefahren signalisieren für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Menschenrechte und Demokratie. Das ist allen aufgegeben, die sich verantwortlich fühlen, demokratisches Leben zu bewahren. Vielerorts deuten sich nämlich gesellschaftliche Spaltungen, wieder erstarkender Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit an. Bei uns und – gleichfalls beispielhaft angedeutet – in manchen Ländern, die sich im Umbruch zwischen Diktatur und Demokratie befinden oder vermeintlich sichere, zeitweise gar vorbildhafte Demokratien darstellen wie etwa die USA. Authentische Berichte über selbst Erlebtes ersetzen nicht abstrakte zeitgeschichtliche Forschungsergebnisse; sie können sie jedoch bereichern, emotional näher bringen. Und sie zeigen, dass es nicht uniforme Haltungen gibt, wie etwa die verallgemeinernde Bezeichnung „das Tätervolk“ suggeriert. Es werden Einstellungen beschrieben, die zwischen den Extremen strikter Gefolgschaft und offenen Widerstands liegen. Sie lassen fragen, wie man sich wohl selbst in entsprechenden Situationen verhalten hätte.
Abstract
The author is a member oft the generation born in Germany shortly before or during WWII. How did I experience the ways of dealing with our horrible past of the time of National Socialism during childhood and adolescence, during my studies, as a professor at the university, within the sciences and politics and society as a whole? Was the past discussed freely, was there scientific reflection? Quite the opposite: the past was mostly supressed, eliminated, forgotten. Proof for that are striking examples from within the circle of family and friends, school and university, from a life as a criminologist as well as from other groups like physicians and representatives oft the churches, as well as encounters in foreign countries. New generations should look for early symptoms that signal threats to social cohesion, human rights and democracy and react accordingly. This is a task for all who feel responsible to protect living in a democracy. After all there are indications of divisions within societies, growing anti-semitism and xenophobia in many places. This is true here and – as also shown – in many countries that are in a process of change between a dictatorship and a democracy or even in presumed safe, partly even model democracies such as the USA. The authentic reports of personal experiences cannot take the place of abstract historical research, however they enrich the results and contribute to an emotional involvement. And they demonstrate that there are no uniform attitudes as suggested by terms like „a nation of perpetrators“. Attitudes are shown ranging between the extremes of strict allegiance and open resistance. They make one wonder how one would have behaved in such situations.
Schlagworte
Antisemitismus antisemitism Ärzteschaft attitudes churches Aufarbeitung cohesion Demokratie Deutschland coming to terms with the past Diktatur concealment Erinnerungskultur contemporary history Erinnerungspolitik contemporary witness Fremdenfeindlichkeit cover-up criminology Gesellschaft Kirchen culture of remembrance Kriminologie democracy dictatorship Nachkriegszeit forgotten generation NS-Zeit Germany Tätervolk medical profession Transformation Umbruch Nazi era people of perpetrators Verdrängen post-war period vergessene Generation remembrance policy Verschweigen Vertuschen society Zeitgeschichte suppression transformation Zeitzeuge transition xenophobia- 9–16 Einführung 9–16
- 135–141 Ausgewählte Schriften 135–141