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3. Straftat unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (3. Alt.)
Der Gesetzgeber hatte bei dieser Tatbestandsalternative insbesondere Fallgestaltungen im Auge, in denen der Täter mit der Straftat zugleich gegen Vorschriften verstößt, „die sich auf die verkehrssichere Beschaffung oder auf das Aufstellen des
Fahrzeugs vor oder nach der Tat beziehen“395.
Davon ausgehend wird das Merkmal als einschlägig angesehen, wenn nicht nur gegen Fahrvorschriften, sondern auch gegen sonstige gesetzliche Pflichten des Führers
eines Kraftfahrzeuges gerade durch die Straftat verstoßen wird396. Als mögliche
Fallgestaltungen werden angeführt die Überlassung eines Kraftfahrzeuges an einen
Betrunkenen397 oder an Personen ohne Fahrerlaubnis398, der Widerstand gegen einen
Vollstreckungsbeamten bei Maßnahmen zur Blutabnahme399, die Anordnung/Zulassung des Betriebs eines nicht vorschriftsmäßig ausgerüsteten Kraftfahrzeuges400, die unzureichende Absicherung des Fahrzeuges gegen ein Abrollen401 und
die unzulängliche Kenntlichmachung eines haltenden oder liegengebliebenen Fahrzeugs402.
a) Bezug zum Führen eines Kraftfahrzeuges
Den genannten Beispielen ist jedoch nicht zu entnehmen, inwieweit das Erfordernis
„Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ einen Bezug zum Führen des Kraftfahrzeuges durch den Täter voraussetzt403.
395 BT-Drucks. I/2674, S. 12.
396 So Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 44 Rn. 11; Lackner/Kühl, StGB, § 44 Rn. 4; Burmann in
Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, StGB, § 44 Rn. 6; König
in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, StGB § 44 Rn. 5, § 69 Rn.
8.
397 Vgl. OLG Koblenz, NJW 1988, 152.
398 Vgl. BGHSt 15, 316; verneint von LG Köln, NZV 1990, 445, das in der Überlassung des
Fahrzeuges nur einen Verstoß gegen Halterpflichten als gegeben ansah, zustimmend Hentschel, Trunkenheit – Fahrerlaubnisentziehung – Fahrverbot, 10. Aufl. 2006, Rn. 595; ebenso
Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 44 Rn. 11; Athing in MK-StGB, Bd. 1, 2003, § 44 Rn. 3, Bd.
2/1, 2005, § 69 Rn. 48.
399 Vgl. OLG Hamm, VRS 8, 46.
400 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1961, 690.
401 Vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 69 Rn. 13; Fischer, StGB, 56. Aufl.
2009, § 44 Rn. 11.
402 Vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 69 Rn. 13; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, StGB § 44 Rn. 5, § 69 Rn. 8.
403 Vgl. Herzog in NK-StGB, Bd. 1, 2. Aufl. 2005, § 44 Rn. 19: „Diese Alternative hat … einen
unklaren Anwendungsbereich, so dass sie häufig zu recht gemieden wird.“
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Eine Antwort darauf könnte sich aus den das Verhalten im Straßenverkehr regelnden
Verkehrsvorschriften (StVO, StVZO, StVG) ergeben. Darin finden sich zum einen
die Pflichten des Fahrzeugführers für die Teilnahme am fließenden Verkehr, z.B.
Fahren mit angepasster Geschwindigkeit i.S.d. § 3 StVO. Es liegt auf der Hand, dass
sich bei einem entsprechenden Verstoß die 3. Variante mit den anderen beiden Tatbestandsalternativen der Anlasstat in der Regel überschneidet404.
Daneben gibt es aber auch solche Pflichten, die nicht mit dem Fahrvorgang an sich
verbunden sind, sondern aus seinem Beginn oder seiner Beendigung heraus begründet werden und deshalb dem Fahrzeugführer bereits vor oder auch nach Fahrtantritt
obliegen. Zu nennen wären z.B. § 14 Abs. 2 StVO: „Verläßt der Führer sein Fahrzeug, so muß er die nötigen Maßnahmen treffen, um Unfälle oder Verkehrsstörungen zu vermeiden. Kraftfahrzeuge sind auch gegen unbefugte Benutzung zu sichern.“405, oder § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO: „Der Fahrzeugführer … muss dafür sorgen, daß das Fahrzeug … vorschriftsmäßig [ist] …“. Da Zuwiderhandlungen gegen
diese Pflichten mangels „Führen eines Kraftfahrzeuges“ nicht unter die ersten beiden Tatbestandsalternativen der Anlasstat fallen406, erschließt sich hier der Anwendungsbereich für die „Straftat unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“.
Dafür spricht auch folgender Rückblick: Die Variationsformen der Anlasstaten, wie
wir sie heute in den §§ 69, 44 StGB vorfinden, wurden erstmals mit der Einführung
der strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis durch das 1. Straßenverkehrssicherungsgesetz vom 19.12.1952407 in § 42m StGB a.F. gesetzlich normiert408.
Untersucht man die seinerzeit geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften nach sog.
404 Z.B. verursacht der Führer eines Kraftfahrzeuges mangels angepasster Geschwindigkeit fahrlässig einen Verkehrsunfall, bei dem ein Fußgänger verletzt wird. Die fahrlässige Körperverletzung i.S.d. § 230 StGB erfolgte beim Führen eines Kraftfahrzeuges als auch unter Verletzung der Pflicht des Kraftfahrzeugführers zum Fahren mit angepasster Geschwindigkeit nach
§ 3 Abs. 1 StVO. Aus diesem Grund wird z.T. auch eine restriktive Auslegung dieses Merkmals befürwortet, vgl. Stree in Schönke/Schröder, 27. Aufl. 2006, § 44 Rn. 7, § 69 Rn. 15:
„Eine Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers ist anzunehmen, wenn nicht die
eigentlichen Fahrvorschriften, sondern andere Pflichten des Kraftfahrers verletzt sind, …“, in
diesem Sinne auch Horn in SK-StGB, Bd. 1, § 44 Rn. 5 (Stand: Januar 2001), § 69 Rn. 9
(Stand: Mai 1999).
405 Vgl. hierzu insbesondere OLG Köln, VRS 36, 228: „Die in § 35 StVO [a.F. = § 14 Abs. 2
Satz 2 StVO] normierte Pflicht zur S i c h e r u n g eines Kraftfahrzeuges trifft grundsätzlich
nur den ‚Führer’. … Es ist rechtsfehlerhaft, dieses eindeutig an den Kraftfahrzeugführer gerichtete Gebot … auch für den H a l t e r des Kraftfahrzeuges als verbindlich zu erklären.“ –
Hervorhebung von dort.
406 Siehe hierzu die Ausführungen unter B. I. 1. a).
407 BGBl. I, 832.
408 Damals noch mit der sprachlichen Abweichung „ … oder unter Verletzung der dem Führer
eines Kraftfahrzeugs obliegenden Pflichten …“.
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Pflichten des Kraftfahrzeugführers, wird man in der StVO a.F.409 als auch in der
StVZO a.F.410 fündig:
§ 20 StVO a.F.: „(1) Beim Verlassen des Fahrzeuges hat der Fahrzeugführer die nötigen Maßnahmen zu treffen, um Unfälle und Verkehrsstörungen zu vermeiden. (2) … für Kraftfahrzeuge [gilt besonders] § 35.“411
§ 35 StVO a.F.: „Der Führer eines Kraftfahrzeugs hat beim Verlassen des Fahrzeugs zur Verhinderung der unbefugten Benutzung die üblicherweise hierfür bestimmten Vorrichtungen am
Fahrzeug in Wirksamkeit zu setzen.“412
§ 31 Abs. 1 StVZO a.F.: „ Jedes Fahrzeug … muss einen zur selbständigen Leitung geeigneten
Führer haben. Er hat dafür zu sorgen, daß sich das Fahrzeug … in vorschriftsmäßigem Zustand
befinde[t] … “413.
Zuwiderhandlungen gegen diese Pflichten stellten gemäß § 49 StVO a.F.414 bzw.
§ 79 StVZO a.F.415 eine strafbare Übertretung i.S.d. § 1 Abs. 3 StGB a.F.416 dar.
Aus Sicht des Gesetzgebers bestand „gerade auch in … Fällen von Verkehrsübertretungen ein Bedürfnis dafür …, die Entziehung des Führerscheins durch den Richter
zuzulassen“417. Sollten also mit der 3. Tatbestandsalternative Straftaten erfasst werden, mit denen der Täter zugleich gegen Vorschriften verstößt, „die sich auf die verkehrssichere Beschaffung oder auf das Aufstellen des Fahrzeugs vor oder nach der
Tat beziehen“418, so kann der Gesetzgeber damit nur die beispielhaft genannten Verkehrsübertretungen oder damit vergleichbare Verhaltensweisen gemeint haben.
Auch die Übereinstimmung des Wortlautes des Gesetzes „Pflichten des Kraftfahrzeugführers“ mit dem Sprachgebrauch der relevanten Verkehrsvorschriften, die
409 Verordnung über das Verhalten im Straßenverkehr (StVO) vom 13. November 1937, RGBl. I,
1179.
410 Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Straßenverkehr (StVZO)
vom 13. November 1937, RGBl. I, 1215.
411 Entspricht heute § 14 Abs. 2 Satz 1 StVO.
412 Entspricht heute § 14 Abs. 2 Satz 2 StVO.
413 Entspricht heute § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO.
414 § 49 StVO a.F.: „Wer Vorschriften dieser Verordnung … vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft bestraft.“; vgl. auch
BGH, VRS 20, 282.
415 § 79 StVZO a.F.: „Wer Vorschriften dieser Verordnung … vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft bestraft.“; vgl. hierzu
OLG Stuttgart, NJW 1961, 690.
416 § 1 Abs. 3 StGB a.F. (RGBl. 1876, 39): „Eine mit Haft oder Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Reichsmark bedrohte Handlung ist eine Übertretung.“; die endgültige Ausgliederung
der Übertretungen aus dem StGB und die Unterteilung der Straftat in Vergehen und Verbrechen erfolgte durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrecht (2. StrRG) vom 04. Juli
1969, BGBl. I, 717, abschließend durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch
(EGStGB) vom 02. März 1974, BGBl. I, 496.
417 BT-Drucks. I/2674, S. 12.
418 BT-Drucks. I/2674, S. 12.
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ebenfalls vom „Führer eines Kraftfahrzeuges“ oder auch noch heute vom „Fahrzeugführer“ sprechen, lässt eine diesbezügliche Orientierung des Gesetzgebers vermuten.
Die Umwandlung der Verkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24.05.1968419 führt in diesem Zusammenhang zu
keiner anderen gesetzgeberischen Intention. Sie hat jedoch zur Folge, dass die Begehung eines
Pflichtverstoßes der vorgenannten Art an sich keine Straftat, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Nunmehr müssen sich also aus dem Pflichtverstoß zusätzlich Folgen ergeben, die
eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters nach sich ziehen420, was die praktische Relevanz
von § 44 Abs. 1 Satz 1 3.Var. StGB erheblich reduziert421.
Ein Bezug zum Führen des Kraftfahrzeuges durch den Täter ist also erforderlich! Er
liegt aber nicht nur dann vor, wenn der Täter mit der Straftat Pflichten verletzt, die
ihm während des Führens des Kraftfahrzeuges obliegen, sondern auch dann, wenn
der Täter gegen Obliegenheiten verstößt, die er als Fahrzeugführer vor Fahrtantritt
oder nach dessen Beendigung zu beachten hat.
Mithin dürfte die unzureichende Absicherung des Fahrzeuges gegen ein Abrollen422
und die unzulängliche Kenntlichmachung eines haltenden oder liegengebliebenen
Fahrzeugs423 durch den Fahrzeugführer im Falle dessen strafrechtlicher Verantwortlichkeit424 den Anwendungsbereich von § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB (und auch § 69
Abs. 1 StGB) als „Straftat unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ eröffnen425.
419 Art. 3 Nr. 6 EGOWiG, BGBl. I 1968, 503 (513 f.); vgl. auch BT-Drucks. V/1319, S. 51, 90.
420 Z.B. Verlässt ein Kraftfahrer sein Fahrzeug ungenügend gesichert auf der Straße stehen, so
dass es ein Unbefugter in Betrieb setzen kann, und verursacht dieser mit dem Fahrzeug alkoholbedingt einen Verkehrsunfall, bei dem ein Fußgänger tödlich verletzt wird, so hat sich
auch der Kraftfahrer gemäß § 222 StGB strafrechtlich zu verantworten - die Voraussehbarkeit
des Erfolges für den Täter unterstellt, vgl. BGH, VRS 20, 282.
421 Sie wurde dadurch aber nicht gänzlich aufgehoben, wie ein erst kürzlich vom AG Darmstadt
entschiedener Fall zeigt, Urt. v. 09.10.2007 – 217 Ds - 102 Js 15751/07 –.
422 Die Verpflichtung des Kraftfahrzeugführers zu entsprechenden Maßnahmen ergibt sich aus
§ 14 Abs. 2 StVO.
423 Entsprechende Verpflichtung beruht auf §§ 15, 17 Abs. 4 StVO.
424 Bspw., wenn der Täter gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g StGB im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem
Wert gefährdet. Beachte hier die Abgrenzung zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB (Hindernisbereiten durch absichtlich unterlassene Absicherung eines aufgestellten Fahrzeuges), siehe dazu
König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, StGB, § 315c Rn. 21.
425 In diesem Sinne auch Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 44 Rn. 7, § 69 Rn.
15; Athing in MK-StGB, Bd. 1, 2003, § 44 Rn. 3, Bd. 2/1, 2005, § 69 Rn. 32.
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b) Straftat unter Verstoß gegen sog. „Halterpflichten“
Bei der oftmals als Beispiel angeführten Überlassung des Fahrzeuges an einem
alkoholisierten Zechkumpan426 oder an einer Person ohne Fahrerlaubnis427 ist hingegen zwischen der Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers und denen
eines Kraftfahrzeughalters428 zu differenzieren. Von Ersterem kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Übergabe des Fahrzeuges während oder unmittelbar im
Anschluss an eine Fahrt durch den Täter als Kraftfahrzeugführer erfolgt. Zwar ist ein
entsprechender Pflichtverstoß nicht explizit gesetzlich geregelt. Er müsste sich aber
aus §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 StVG429 herleiten
lassen.
Überlässt hingegen die Ehefrau das auf sie zugelassene Fahrzeug dem Ehemann ohne Fahrerlaubnis, indem sie ihm zu Hause Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapiere
übergibt, so begeht sie zwar eine Straftat nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG430. In diesem
Fall kann aber nur von einem Verstoß gegen die „Pflichten eines Kraftfahrzeughalters“ die Rede sein. Denn durch ihr Verhalten tritt die Ehefrau „in keinerlei Beziehung zu einem eigenen Führen des Kfz“431. Gleiches gilt, wenn z.B. der Inhaber ei-
426 Vgl. OLG Hamm, VRS 12, 272.
427 Vgl. BGHSt 15, 316.
428 Zum Halterbegriff vgl. VGH Mannheim, NZV 1992, 167 (168): „Halter im Sinne der stra-
ßenverkehrsrechtlichen Vorschriften ist, wer ein Kfz für eigene Rechnung benutzt und die
Verfügungsgewalt innehat, die ein solcher Gebrauch voraussetzt. Ein Fahrzeug für eigene
Rechnung in Gebrauch hat derjenige, der die Nutzungen aus der Verwendung zieht und die
Kosten dafür bestreitet. Die rechtlich vorausgesetzte Verfügungsgewalt übt derjenige aus, der
Ziel und Zeit seiner Fahrten selbst bestimmen kann.“, siehe hierzu auch BGHZ 87, 133;
BVerwGE 29, 136.
429 § 1 Abs. 2 StVO: „Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet … wird.“
§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO: „Ordnungswidrig im Sinne des § 24 des Straßenverkehrsgesetzes
handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über 1. das allgemeine Verhalten im Straßenverkehr nach § 1 Abs. 2, … verstößt.“
§ 24 Abs. 1 Satz 1 StVG: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer
Vorschrift einer auf Grund des § 6 Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnung … zuwiderhandelt,
soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift
verweist.“
430 § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG: „Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug
führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat …“.
431 LG Köln, NZV 1990, 445 – Hervorhebung von dort; ebenso Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009,
§ 44 Rn. 11; Athing in MK-StGB, Bd. 1, 2003, § 44 Rn. 3, Bd. 2/1, 2005, § 69 Rn. 48; Hentschel, Trunkenheit – Fahrerlaubnisentziehung – Fahrverbot, 10. Aufl. 2006, Rn. 595; a.A.
BGHSt 15, 316 (318); Geppert in LK-StGB, Bd. 2, 12. Aufl. 2006, § 44 Rn. 31; König in
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, StGB, § 44 Rn. 5, § 69 Rn. 8;
wohl auch Dreher/Fad, NZV 2004, 231 (235, 233), die allerdings § 44 Abs. 1 3. Var. StGB
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nes Speditionsunternehmens wissentlich den Betrieb eines nicht vorschriftsmäßig
ausgerüsteten LKWs (mangelhafte Bereifung) gegenüber seinem Fahrer anordnet
und dieser aufgrund der Verkehrsunsicherheit des LKWs einen Unfall mit tödlichen
Folgen verursacht. Hier hat sich der Inhaber wegen Fahrlässiger Tötung nach § 222
StGB strafrechtlich zu verantworten432. Die ihm zur Last gelegte Sorgfaltspflichtverletzung – Verstoß gegen § 31 Abs. 2 StVZO433 – begeht er jedoch nur als Fahrzeughalter, nicht als Fahrzeugführer, denn er hat den LKW zu keinem Zeitpunkt selbst
geführt434!
Der Anwendungsbereich von § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB (und § 69 Abs. 1 StGB) wäre
also in beiden Fällen mangels Straftat „unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ nicht eröffnet.
Die insoweit vom Wortsinn der §§ 44, 69 StGB gezogene Grenze wird teilweise als
nicht sachgerecht empfunden, weil der Halter durch die Überlassung des Fahrzeuges
an fahruntaugliche Personen oder die Anordnung der Inbetriebnahme nicht verkehrssicherer Fahrzeuge die Fahrer selbst und andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr
bringe435. Aus diesem Grund kann aber lediglich der Gesetzgeber aufgerufen sein,
de lege ferenda Abhilfe zu schaffen436.
Auch der Umstand, dass der Fahrzeugführer nicht unter den Anwendungsbereich des § 21 Abs. 1
Nr. 2 StVG fällt, verbirgt Problemstellungen, die es de lege ferenda zu lösen gilt:
Eine Mutter überlässt z.B. das auf sie zugelassene und von ihr auf eigene Kosten genutzte Fahrzeug
während des Urlaubs unentgeltlich ihrem Sohn für Fahrten zur Universität. Auf einer dieser Fahrten
tauscht der Sohn die Fahrerposition mit seinem Studienfreund ohne Fahrerlaubnis. Eine Strafbarkeit des Sohnes wegen Übergabe des Fahrzeuges an eine Person ohne Fahrerlaubnis nach § 21
Abs. 1 Nr. 2 StGB würde ausscheiden, Halter des Fahrzeuges ist die Mutter. Eine entsprechende
Regelung für den Sohn als Fahrzeugführer sieht das Gesetz nicht vor. Es verbliebe somit nur eine
Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Fahrt ohne Fahrerlaubnis gemäß §§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 27 Abs. 1
StGB mit der Folge der Strafmilderung nach §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB.
Wäre der Sohn aber zufällig auch Halter des Fahrzeuges, so wäre wohl § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG einschlägig und eine Strafmilderung nach § 49 StGB ausgeschlossen.
bei einem Verstoß gegen Pflichten, die ausschließlich dem Halter oder Eigentümer obliegen,
wiederum verneinen.
432 Die Voraussehbarkeit des Erfolges für den Täter unterstellt!
433 § 31 Abs. 2 StVZO: „Der Halter darf die Inbetriebnahme [des Fahrzeuges] nicht anordnen
oder zulassen, wenn ihm bekannt ist oder bekannt sein muß, daß … das Fahrzeug … nicht
vorschriftsmäßig ist …“.
434 Unzutreffend deshalb OLG Stuttgart, NJW 1961, 690, das im vorliegenden Fall allerdings auf
eine Zusammenhangstat abstellt.
435 Vgl. Herzog in NK-StGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2005, § 44 Rn. 18; Kulemeier, Fahrverbot (§ 44
StGB) und Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 ff. StGB), 1990, S. 286.
436 Entsprechende Vorschläge bei Kulemeier, Fahrverbot (§ 44 StGB) und Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 ff. StGB), 1990, S. 332 ff.
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Nun mag für diese Differenzierung der Umstand sprechen, dass den Halter als Eigentümer des
Fahrzeuges eine besondere Verkehrssicherungspflicht trifft, § 31 Abs. 2 StVZO437. Geschütztes
Rechtsgut des § 21 Abs. 1 StVG ist jedoch die Sicherheit des Straßenverkehrs. Überlässt der Fahrzeugführer oder –halter das Fahrzeug an eine Person ohne Fahrerlaubnis, so wird in beiden Fällen
eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs geschaffen, die sich durch die Haltereigenschaft
keinesfalls erhöht! Folglich trifft beide auch der gleiche Schuldvorwurf!
Zudem besteht die für den Anwendungsbereich von § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB (und auch § 69 Abs. 1
StGB) erforderliche Pflichtverletzung darin, dass der Täter als Kraftfahrzeugführer das Fahrzeug
einer fahruntauglichen Person überlassen hat. Es mutet widersprüchlich an, davon auch im Fall von
§ 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG zu sprechen, der ausdrücklich auf den Fahrzeughalter Bezug nimmt und
folglich wohl für andere Fallkonstellation als der Vorliegenden gedacht war.
Last but not least ist schwer nachzuvollziehen, dass die Überlassung des Fahrzeugs durch den Halter an eine alkoholbedingt fahrunsichere Person lediglich eine Ordnungswidrigkeit438 begründet,
hingegen die Überlassung an eine Person ohne Fahrerlaubnis eine strafbare Verfehlung439, obwohl
in beiden Fällen durch die Tat ein gleichrangiges Gefahrenpotential für andere Straßenverkehrsteilnehmer begründet sein dürfte …
c) Tätlichkeiten im Rahmen einer Verkehrskontrolle
Auch der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte i.S.d. § 113 StGB bei Maßnahmen zur Blutabnahme i.S.d. § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO fällt nicht unter die 3. Tatbestandsalternative440. Der Umstand, dass sich der Betroffene an der Maßnahme nicht
aktiv beteiligen muss441, ändert zwar nichts an seiner Verpflichtung zur Duldung442.
Diese Verpflichtung erwächst jedoch aus der Stellung des Täters als Beschuldigter443, nicht aus seiner Eigenschaft als Kraftfahrzeugführer!
437 § 31 Abs. 2 StVZO: „Der Halter darf die Inbetriebnahme [des Fahrzeuges] nicht anordnen
oder zulassen, wenn ihm bekannt ist oder bekannt sein muß, daß der Führer nicht zur selbständigen Leitung geeignet … ist …“.
438 Gemäß §§ 69a Abs. 5 Nr. 3 StVZO i.V.m. § 24 StVG.
439 Gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG.
440 So auch Horn in SK-StGB, Bd. 1, § 44 Rn. 5 (Stand: Januar 2001), § 69 Rn. 9 (Stand: Mai
1999); a.A. wohl OLG Hamm, VRS 8, 46, das bei dieser Fallkonstellation allerdings unzutreffend eine Zusammenhangstat bejaht, da zum Zeitpunkt der Straftat das Führen des Kraftfahrzeuges durch den Täter längst abgeschlossen war; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007,
§ 44 Rn. 4; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 44 Rn. 11; Geppert in LK-StGB, Bd. 2, 12.
Aufl. 2006, § 44 Rn. 5 Fn. 15;
441 Vgl. BGHSt 34, 39 (46).
442 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 81a Rn. 10; Krause in Löwe/Rosenberg, StPO,
Bd. 2, 25. Aufl., Stand: 01. Mai 2003, § 81a Rn. 22.
443 Vgl. BVerfGE 16, 194 (200): „Daß die besondere Stellung des Beschuldigten ihm gegenüber
besondere Eingriffe [i.S.d. § 81a StPO] erlaubt, fordern die elementaren Bedürfnisse des
Strafrechts.“; ebenso BVerfGE 47, 239 (248); siehe zu den gegen § 81a StPO erhobenen Bedenken wegen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MKR, die Wür-
96
4. … im öffentlichen Straßenverkehr?
Die Anlasstat muss entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung444 nicht im
öffentlichen Straßenverkehr begangen worden sein445. Zwar führt nach ständiger
Rechtsprechung ein Fahrzeug, wer es „unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz
oder wenigstens zum Teil leite[t]“446. Diese Begriffsbestimmung erfolgte jedoch
stets im Kontext einer klärungsbedürftigen Auslegung des „Führen eines Kraftfahrzeuges“ i.S.d. §§ 315c, 316 StGB. Das Erfordernis „im öffentlichen Straßenverkehr“
verwundert in diesem Zusammenhang nicht, wird es doch von den §§ 315c, 316
StGB tatbestandlich vorausgesetzt.
Wo die Anlasstat i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB begangen sein muss, lässt der Gesetzeswortlaut hingegen offen, entscheidend ist lediglich der Bezug der Straftat zum
Führen eines Kraftfahrzeuges durch den Täter. Ob dieser Bezug sich auch auf den
öffentlichen Straßenverkehr erstrecken muss, bestimmt letztendlich die begangene
Straftat selbst447.
Inwieweit dann eine Anlasstat im nichtöffentlichen Verkehrsraum die Rechtsfolge
des Fahrverbotes – Untersagung des Führens eines Kfz im Straßenverkehr – zu
rechtfertigen vermag, ist eine Frage des richterlichen Ermessens und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sanktion und der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zu entscheiden448.
Eine im nichtöffentlichen Verkehrsraum begangene Anlasstat vermag auch den Anwendungsbereich der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB zu eröffnen449. Im Rahmen der hier zusätzde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 GG und des Bestimmtheitsgrundsatzes aus § 1 StGB
i.V.m. Art. 103 Abs. 2 GG die entsprechende Übersicht von Krause in Löwe/Rosenberg,
StPO, Bd. 2, 25. Aufl., Stand: 01. Mai 2003, § 81a Rn. 3 m.w.N.
444 Vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 44 Rn. 7, § 69 Rn. 12; Burmann in
Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, StGB, § 44 Rn. 6; Kulemeier, Fahrverbot (§ 44 StGB) und Entzug der Fahrerlaubnis (§§ 69 ff. StGB), 1990, S. 68;
Janiszewski, NStZ 1996, 586 (587).
445 So auch OLG Oldenburg, VRS 55, 120; LG Stuttgart, NZV 1996, 213; Lackner/Kühl, StGB,
26. Aufl. 2007, § 44 Rn. 3; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 44 Rn. 7; Geppert in LK-StGB,
Bd. 2, 12. Aufl. 2006, § 44 Rn. 5; Herzog in NK-StGB, Bd. 1, 2. Aufl. 2005, § 44 Rn. 12;
Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl. 2002, Rn. 288; Molketin, DAR 1999, 536 ff.
446 BGHSt 18, 6 (8 f.) – Hervorhebung von hier; vgl. auch BGHSt 35, 390 (393); BGH, NJW
1990, 1245.
447 Vgl. Geppert in LK-StGB, Bd. 2, 12. Aufl. 2006, § 44 Rn. 5.
448 Siehe hierzu näher die Ausführungen unter B. I. und II.
449 So auch Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 69 Rn. 3 i.V.m. § 44 Rn. 3; Hentschel, Trunkenheit – Fahrerlaubnisentziehung – Fahrverbot, 10. Aufl. 2006, Rn. 579; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl. 2002, Rn. 288; a.A. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl.
2006, § 69 Rn. 12; Burmann in Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl.
2008, StGB, § 69 Rn. 4 i.V.m. § 44 Rn. 6.
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Zusammenfassung
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die rechtsdogmatisch relevante Frage, inwieweit die Kriminalrechtsfolge Fahrverbot (§ 44 StGB) gleichzeitig als Rechtsfolge einer typischen Jugendverfehlung (§ 44 StGB i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG) und einer Verkehrsordnungswidrigkeit (§ 25 StVG) fungieren kann.
Unter diesem Blickwinkel werden zunächst das Wesen und die Funktion des Fahrverbotes als sog. „Denkzettel“ herausgearbeitet. Anschließend wird das Fahrverbot in das jeweilige Sanktionssystem eingeordnet und die Voraussetzungen für seine Anordnung und Vollstreckung kritisch hinterfragt. Im Ergebnis ist festzustellen, dass das Fahrverbot im Strafrecht noch nicht den Platz einnimmt, der ihm ursprünglich vom Gesetzgeber zugedacht war. Dazu bedarf es in erster Linie einer zurückhaltenden Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB. Im Jugendstrafrecht verstößt die Verhängung des Fahrverbotes nach derzeitiger Rechtslage gegen das Analogieverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG. Neben der Verhängung einer Geldbuße für eine begangene Verkehrsordnungswidrigkeit vermag das Fahrverbot als sog. „Denkzettel“ nicht zu fungieren, es entfaltet für den Betroffenen vielmehr Strafwirkung.