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schen StGB ist demgegenüber vor allem deswegen interessant, da diese Sanktion
infolge der Stein-Hardenberg´schen Verwaltungsreformen, welche die Gleichheit
aller Staatsangehörigen vor dem Gesetz proklamierten620 und damit Leitungsfunktionen als Folge der Adelszugehörigkeit nicht mehr vorsahen, als anachronistisches
Überbleibsel der Standesgesellschaft erscheint. Die übrigen Statusminderungen
zielen demgegenüber darauf ab, den gesellschaftlich Unzuverlässigen von relevanten
Positionen fernzuhalten, das heißt, die Gesellschaft vor ihm zu schützen. Mit der
Verknüpfung von Ehrenstrafe und Zuchthausstrafe ist aber auch ein starker Vergeltungsaspekt in der Sanktion enthalten, denn die Ehrenstrafe war wie die Zuchthausstrafe vor allem eine Reaktion auf schwere Delikte. In Bezug auf das Vorbild des
code pénal bleibt zu sagen, dass diesem gegenüber die Ehrenstrafen im preußischen
StGB, dem Geist der Zeit entsprechend, abgemildert wurden.621
II. Bewertung der Ehrenstrafe in der Territorialgesetzgebung
Auffällig an der Entwicklung der Ehrenstrafe in den Gesetzbüchern der deutschen
Staaten ist, dass das durch die Aufklärung veränderte Verständnis der Ehre zunächst
keinen,622 dann erst sehr langsam Eingang in die Ehrenstrafen der Territorialgesetzgebung fand. Besondere Beachtung verdient dabei der Umstand, dass es neben der
Aberkennung bürgerlicher Ehrenrechte in einzelnen Gesetzen weiterhin die Infamie,623 aber auch das Institut des bürgerlichen Todes gegeben hat.624 Dies deutet
darauf hin, dass nicht von einem ruckartigen Einfluss der Aufklärung auf die Ehrenstrafe gesprochen werden kann, was wegen einzelner Härten unter anderem schon
von von Feuerbach kritisiert wurde.625 In der Gesetzgebung der einzelnen deutschen
Staaten zeigen sich in Bezug auf die Ehrenstrafe zwei Tendenzen. Zum einen werden die Schandstrafen schrittweise, bis auf die Sanktionen der Urteilspublikation
und des Verweises zurückgedrängt, zum anderen gleichen sich die Statusminderungssanktionen nach und nach an und werden zum Schwerpunkt der Ehrenstrafen.626 Unterschiede bestehen in den Territorialgesetzbüchern darin, dass die Ehrenstrafen teilweise an eine bestimmte Strafart, teilweise aber auch an das Vorliegen
einer besonderen Begehung der Tat627 geknüpft wurden.628 Gemeinsam ist ihnen
620 Siegert, Die im Volksbürgerthum enthaltenen bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 14.
621 Brandt, Die Entstehung des code pénal, Seite 422.
622 Hagen, Die Entwicklung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 17.
623 Vollkommen beseitigt wurde dieses Institut erst durch § 2 des ERStGB.
624 Vgl. nur das österreichische Gesetzbuch über Vergehen und Verbrechen von 1852, § 23 und
das bayrische Strafgesetzbuch von 1813, Artikel 7, sowie Artikel 18 code pénal, der während
der napoleonischen Zeit und zum Teil auch danach in deutschen Gebieten Geltung hatte; dieses Institut wurde allerdings in der deutschen Wissenschaft wegen der Unmöglichkeit der Resozialisierung heftig abgelehnt, vgl. Lehrbuch des peinlichen Rechts, Seite 138.
625 Lehrbuch des peinlichen Rechts, Seite 137.
626 Betz, Die Ehrenstrafen, Seite 18.
627 In der Form der Motivation durch eine „ehrlose Gesinnung“.
628 Freisler, ZStW 42 (1922), Seite 439.
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aber ein Zusammenhang mit der Kategorie des Verbrechens, soweit dies in den
entsprechenden Gesetzen vorhanden war. Daneben besteht die Ehrenstrafe neben
einigen Delikten, die wie etwa der Meineid den klassischen unehrlichen Delikten
des Mittelalters entsprechen, auch bei solchen Straftatbeständen, die den Staat und
seine Organe schützen.
In der Entwicklung der statusmindernden Ehrenstrafen in den Territorialrechten
des 19. Jahrhunderts setzt sich zudem die Bezeichnung Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte gegenüber der Infamie und der Ehrlosigkeit durch, auch wenn diese
Institute zum Teil noch neben den Partikularrechten existierten.629 Diese Veränderung war nicht bloß sprachlicher Natur, vielmehr wurden Statusminderungen nun
auf staatsbürgerliche Rechte und besondere Standesrechte öffentlich-rechtlicher
Natur beschränkt.630 Feuerbach wies aber schon darauf hin, dass die Wirkungen
bisweilen ebenso hart waren, wie die der Rechtlosigkeit des gemeinen Rechts.631
Insgesamt lässt sich aber sagen, dass sich die Ehrenstrafe in den Partikulargesetzbüchern des 19. Jahrhunderts mehr und mehr auf den gesellschaftlichen Status des
Einzelnen bezog, was mit der Durchsetzung aufgeklärten Gedankengutes korrespondierte.632 Der Unterschied zum gemeinen Recht liegt darin, dass die völlige Ausstoßung aus der Schutzgemeinschaft verschwand. Interessant in der Entwicklung in
den Territorialrechten ist auch, dass die Statusminderung fast immer lebenslänglich
ist, allein in Württemberg und Preußen gab es insoweit Ausnahmen.633 Unter den für
die Ehrenstrafe zugänglichen Statusrechten dieser Zeit wurden am Ende der Entwicklung die folgenden Rechte verstanden:634
• die Nationalkokarde zu tragen und Waffen zu führen,
• das Stimmrecht in weltlichen und kirchlichen Angelegenheiten, also das Recht
der Wahl und der Wählbarkeit.
• das Recht, die väterliche Gewalt auszuüben, Vormund, Nebenvormund, Kurator
oder Mitglied eines Familienrates zu sein,
• die Fähigkeit, vor Gericht eidlich Zeugnis zu geben,
• die Fähigkeit, Solemnitäts- oder Instrumentszeuge zu sein,
• das Recht, andere als die eigenen Kinder oder die eigene Ehefrau vor Gericht zu
vertreten,
• Adel und Lehensfähigkeit;
• bei ständischer Verfassung des Staates die Landstandschaft,
• die Befugnis zur Ausübung des Patronats, der gutsherrlichen und Patrimonialgerichtsbarkeit,
• das Recht, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu führen,
629 Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 7.
630 Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 19.
631 Lehrbuch des peinlichen Rechts, Seite 258.
632 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 16.
633 Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 20.
634 Darstellung übernommen von Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 26, wobei diese
Rechte in Teilen von der Standesangehörigkeit abhingen und in Teilen nicht überall existierten, insbesondere das Recht, die Nationalkokarde zu tragen, stellte – wie dargestellt – eine
Besonderheit des Systems in Preußen und Hannover dar.
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• das Recht zur Teilnahme an Gilden und Zünften, deren Einrichtungen und Ämtern,
• die Fähigkeit zur Ausübung öffentlicher und selbstständiger Gewerbebetriebe.
Dass diese einzelnen Rechte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch auf internationaler Ebene als der Ehrenstrafe zugängliche Statusrechte angesehen wurden, spiegelt sich auch im Vergleich der damals geltenden Strafgesetze wider, die aus Anlass
des internationalen Kongresses für Gefängniswesen 1885 in Rom durchgeführt wurde.635 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es unter den genannten Rechten mit der
Adels- und Lehensfähigkeit solche gibt, die nicht jedem unbescholtenen Bürger
zukamen. Auch die unter k) und l) genannten Rechte stehen im Polizeistaat des 18.
und frühen 19. Jahrhunderts nicht jedermann offen, sondern sind von der Zugehörigkeit zu einer Zunft abhängig. Daher wurde vorgeschlagen, diese Rechte als besondere Ehrenrechte zu bezeichnen.636
Interessant hinsichtlich der einzelnen von der Ehrenstrafe betroffenen Statusrechte ist die Einbeziehung des Wahlrechts in die Sanktion. Hierfür ist wichtig zu erkennen, dass nach dem damaligen Verfassungsverständnis alleine der Monarch Inhaber
der Souveränität und damit auch er alleine Repräsentant des staatlichen Ganzen
war.637 So gab es ein durch den Staat, das heißt den Fürsten gewährtes Wahlrecht,
das dieser anhand bestimmter Kriterien festlegte, was dem heutigen Verständnis des
Wahlrechts zunächst zu widersprechen scheint.638 Die Vertretungskörperschaften
basierten zudem bis zum Vormärz auf dem Honoratiorengedanken, der im wesentlichen den Gedanken der Untertanenrepräsentation beinhaltete, also nur Beratungs-,
aber kaum bis keine Entscheidungsfunktionen kannte.639 Hieran wird deutlich, dass
im Verständnis des Konstitutionalismus das Wahlrecht auf der einen Seite durch den
Fürsten gewährt wurde, auf der anderen Seite die Parlamentarier zunächst hauptsächlich eine Mittlerfunktion in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen
hinein hatten und über die Festlegung von Kriterien durch den Fürsten mitbestimmt
wurden. Das zur Zeit des Konstitutionalismus als liberal geltende Zensuswahlrecht
als Versuch zur Schaffung eines objektiven Kriteriums, um als politikunfähig verstandene Bevölkerungsschichten von der Wahl auszuschließen,640 knüpfte an Einkommens- oder Bildungskriterien mit dem Hintergedanken des Kompetenzkriteriums an.641 Es ist also weniger vor dem Hintergrund einer gestaffelten Rechtsfähigkeit zu sehen. Logische Konsequenz dieses Kompetenzkriteriums ist, dass das Wahlrecht Straffälligen im Wege der Statusminderung auch wieder genommen werden
konnte. Die Einbeziehung des Wahlrechts in den Katalog der Ehrenstrafe ist also
logische Folge des Verständnisses des Wahlrechts im Konstitutionalismus.
635 Köhne, ZStW 8 (1888), Seite 448ff.
636 Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 27.
637 Brandt, Der Staat, Beiheft 14, Seite 140; auf diese Frage wird noch im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit heutiger Wahlrechtsbeschränkungen einzugehen sein.
638 Brandt, Der Staat, Beiheft 14, Seite 138.
639 Brandt, Der Staat, Beiheft 14, Seite 137.
640 Brandt, Der Staat, Beiheft 14, Seite 151.
641 Brandt, Der Staat, Beiheft 14, Seite 139.
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Angemerkt sei, dass sich neben diesen Statusminderungen im 19. Jahrhundert –
ohne dies jedoch vertiefen zu wollen – für Amtsträger das Disziplinarrecht, losgelöst
vom Strafrecht, jedoch unter Beibehaltung der bisherigen Sanktionen, bildete.642
G. Die Ehrenstrafen des Deutschen Reichs
Die Ehrenstrafe des RStGB ist für die Geschichte dieser Sanktionsform von kaum zu
überschätzender Bedeutung. Dies zum einen deswegen, weil das RStGB – allerdings
mit deutlichen Veränderungen – nach wie vor als StGB in Deutschland prägt, zum
anderen aber, weil spätere Statusminderungssanktionen aus dem Katalog des RStGB
schöpften, wie noch zu sehen sein wird.
Anzusetzen ist bei den Beratungen zum Strafgesetzbuch des norddeutschen Bundes. In der zweiten Lesung der Gesetzesvorlage erhob sich erstmals Widerstand
gegen die aus dem preußischen StGB überlieferte Ehrenstrafe, da die Ehre als dem
Richterspruch nicht zugänglich angesehen wurde.643 Dies führte zum Antrag, die
Ehrenstrafen bis auf wenige Ausnahmen aus dem StGB zu tilgen.644 Eine Mehrheit
konnte dieser Vorstoß aber nicht auf sich vereinigen.645 So blieb das preußische
StGB von 1851 in seiner Entscheidung für die Ehrenstrafe – wie auch im Übrigen646
– grundsätzlich Vorbild für die Regelung des Strafgesetzbuches des norddeutschen
Bundes. Dennoch führte es ein verändertes System ein, auf das im Rahmen der Darstellung des RStGB zurückzukommen sein wird. Das Strafgesetzbuch des norddeutschen Bundes wurde wegen der zwischenzeitlich erfolgten Gründung des Deutschen
Reiches durch Gesetz vom 16. April 1871 zum Reichsgesetz und schließlich durch
Gesetz vom 15. Mai 1871 zum umredigierten RStGB.647 Das RStGB beruhte auf den
Gedanken Generalprävention und Vergeltung und beinhaltete eine Differenzierung
der einzelnen Strafen, die es dem Richter ermöglichen sollte, über die Strafart gerechte Vergeltung entsprechend der Schwere der Tat auszudrücken.648 Eine neue
Debatte um die Ehrenstrafe fand in den Beratungen zum RStGB nicht statt.649 Von
642 Lambrecht, Strafrecht und Disziplinarrecht, Seite 24.
643 Der Abgeordnete von Kirchmann sah die Ehre als dem Urteilsspruch nicht zugänglich an,
vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen
Bundes, 1. Band (1.- 32. Sitzung), Seite 205ff. Im weiteren Verlauf (inbs. Seite 206) führte er
schon wesentliche Kritikpunkte, wie die Ungleichmäßigkeit der Wirkung an, die, wie später
noch gezeigt werden wird, von der wissenschaftlichen Debatte aufgegriffen wurden.
644 Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen
Bundes, 1. Band (1.-32. Sitzung), Seite 206.
645 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, 1. Band (1.-32. Sitzung), Seite 215.
646 Roxin, Strafrecht AT I, § 4 A, Rn. 1; Schmidt, Die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Seite 343; Betz, Die Ehrenstrafen, Seite 22.
647 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 21; Hagen, Die Entwicklung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 30; Schmidt, Die Geschichte
der deutschen Strafrechtspflege, Seite 344.
648 Roxin, Strafrecht AT I, § 4 A, Rn. 2.
649 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 33.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.