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TAET/UNMISET/UNOTIL) sowie jüngst im Kosovo (UNMIK).834 Der Aufzählung
könnte das Amt des Hohen Repräsentanten in Bosnien Herzegowina hinzugefügt
werden. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Sonderfall des UN-Engagements,
da dem Hohen Repräsentanten von den Parteien des Übereinkommens von Dayton
lediglich beschränkte Befugnisse übertragen wurden.835 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ursprüngliche Pläne, das Freie Territorium Triest sowie die Stadt Jerusalem unter UN-Verwaltung zu stellen, nicht realisiert worden sind.836 Auch in Namibia konnten die Vereinten Nationen nicht wie geplant ihre Aufgaben wahrnehmen, sondern lediglich den Übergang der Herrschaft Südafrikas auf Namibia
unterstützend begleiten.837
B. Dogmatische Verortung
Territorialverwaltungen durch die Vereinten Nationen können ebenfalls als eine
Form der humanitären Besatzung betrachtet werden. Drei Kennzeichen der Missionen verleiten zu diesem Schluss: So handelt es sich auch bei einer Territorialverwaltung um eine Konstellation, in der ein externer Akteur in einem anderen Staat zunächst Verwaltungsstrukturen schafft, um effektiv Hoheitsgewalt ausüben zu können. Es folgt die Phase der Transformation, in der die Vereinten Nationen objektiv
auf die bestehenden Strukturen im betreffenden Staat einwirken und dabei subjektiv
das Ziel verfolgen, den Frieden zu konsolidieren und nachhaltig die Menschenrechte
zu sichern. In einem dritten Schritt erfolgt schließlich der kontrollierte Rückzug aus
dem betroffenen Gebiet.
Differentia specifica der Territorialverwaltungen ist ihre rechtliche Grundlage
sowie der handelnde Akteur. Anders als eine Besatzung knüpft die Errichtung einer
Territorialverwaltung nicht an den faktischen Umstand der Ausübung von Hoheitsgewalt an. Vielmehr geht ihr ein Mandat des Sicherheitsrates voraus. Sie knüpft
somit an einen rechtlichen Umstand an.838 Die Akteure der Territorialverwaltungen
sind internationale Organisationen, zuvorderst die Vereinten Nationen. Diese zeichnen sich dadurch aus, ein hohes Maß an Legitimität aufzuweisen.839 Anders als einzelne Staaten, die dem chronischen Verdacht ausgesetzt sind, in Verfolgung ihrer
834 Vgl. Shraga a. a. O., S. 484 ff.
835 Vgl. Smyrek (Anm. 494), S. 139 ff.; Wolfrum (Anm. 374), S. 663 f.; Wilde (Anm. 368), S. 67.
In den Augen von Shraga a. a. O., S. 486 f., handelt es sich hingegen nicht um einen Fall der
internationalen Territorialverwaltung.
836 Vgl. Deiwert (Anm. 832), S. 785 f.
837 Eingehend hierzu Smyrek (Anm. 494), S. 110 ff., sowie Wolfrum (Anm. 374), S. 657 f. Vgl.
zu weiteren, nicht realisierten Projekten Wilde (Anm. 368), S. 59 f.
838 Vgl. Shraga, in: FS Caflisch (Anm. 833), S. 495.
839 Vgl. Wilde, Am. Soc´y Int´l L. Proc. 99 (2005), 38 (41); Shraga a. a. O., S. 495 f.; Evans /
Sahnoun (Anm. 45), S. 106; Stahn (Anm. 788), S. 326; Bâli (Anm. 376), S. 471. Vgl. auch
Harland, Global Governance 10 (2004), 15 (17), der die Vereinten Nationen negativ als den
am wenigsten illegitimen Akteur bezeichnet.
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eigenen Interessen zu handeln, genießen Organisationen die Vermutung, im Interesse der internationalen Gemeinschaft tätig zu werden. Dies beruht darauf, dass im
Vergleich zu einzelnen Staaten eine relativ geringe Gefahr individueller Nutzenmaximierung besteht. Denn internationale Organisationen vereinen eine Vielzahl staatlicher Akteure und sind damit in hohem Maße repräsentativ für die internationale
Gemeinschaft.840 Hinzu kommt, dass die Früchte bei derartigen Formen kooperativen Zusammenwirkens unter den Beteiligten geteilt werden müssen.
Die normative und institutionelle Vorrangstellung, die die Vereinten Nationen im
Bereich der Friedenssicherung einnehmen, kommt in ihren weit reichenden Befugnissen zum Ausdruck. Während Staaten eingeschränkte Kompetenzen unter dem
humanitären Völkerrecht eingeräumt werden, können die Vereinten Nationen auf
andere Kompetenztitel zurückgreifen. An prominenter Stelle rankt dabei das Kapitel
VII der UN-Charta. Jedoch unterliegen auch die Vereinten Nationen rechtlichen
Bindungen.841 So wie der Gesellschaftsvertrag einzelner Bürger die Entstehung von
Staaten bedingt, so verdanken auch die Vereinten Nationen ihre Existenz einem
Vertrag; seine Parteien sind souveräne Staaten. Das Produkt der Charta ist kein
ungebändigter Leviathan, sondern eine Organisation, der konkrete Aufgaben, namentlich die Sicherung des Weltfriedens, zugewiesen sind. Im Folgenden soll untersucht werden, in wie weit die Vereinten Nationen durch das Handlungsinstrument
einer Territorialverwaltung Vorgaben für die Organisation eines Staates machen
können.
C. Rechtliche Grundlage
Die Errichtung von UN-Verwaltungen kann auf zweierlei Weise gerechtfertigt werden. Zum einen kann sie vom Konsens des betroffenen Staates getragen sein. Zum
anderen kann der Sicherheitsrat von seinen Kompetenzen aus Kapitel VII der UN-
Charta Gebrauch machen.
I. Konsens
Die Anwesenheit eines externen Akteurs durch Konsens zu rechtfertigen, ist ein
bekanntes Konzept aus dem Bereich des Peacekeeping.842 In Truppenstatuten wird
traditionell geregelt, in welchem Umfang Truppen entsendet werden dürfen. Die
840 Vgl. Stahn (Anm. 788), S. 320; Friedrich, Max Planck UNYB 9 (2005), 225 (290). Kritisch
Talmon, Am. J. Int´l L. 99 (2005), 175 (179); Wilde a. a. O., S. 40; Mohamed, Colum. L. Rev.
105 (2005), 809 (824 f.).
841 Vgl. Herdegen, Die Befugnisse des UN Sicherheitsrates, 1998, S. 9; Martenczuk, Eur. J. Int´l
L. 10 (1999), 517 (534); Bianchi, Eur. J. Int´l L. 17 (2006), 881 (885).
842 Vgl. hierzu Saura, Hastings L. J. 58 (2007), 479 (482); Tittemore, Stan. J. Int´l L. 33 (1997),
61 (78).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für den Zeitraum nach der Beendigung bewaffneter Konflikte existieren bislang nur wenige völkerrechtliche Regeln. Zu den ungelösten Problemen des ius post bellum gehört die Frage, ob externe Akteure zum Wohle der Bevölkerung regimeändernde Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten ergreifen dürfen.
Im vorliegenden Band wird untersucht, inwieweit die Konstitutionalisierung des Völkerrechts zur Herausbildung von Vorgaben für die Organisation von Staaten geführt hat. Am Beispiel der jüngsten Transformationsprozesse im Irak und im Kosovo werden die Kompetenzen einzelner Staaten und der Vereinten Nationen zur zwangsweisen Implementierung dieser Vorgaben einer kritischen Analyse unterzogen.