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Die Thesenabfrage bestätigt also das Bild, dass die Konservativen im Deutschen
Bundestag klar gegen die Einführung direkter Demokratie sind, da sie mit ihr im
Wesentlichen negative Auswirkungen verbinden. Vor allem die kleinen Parteien
verbinden mit Volksentscheiden positive Effekte, die SPD-Abgeordneten liegen
immer ein bisschen dazwischen, allerdings mit einem weitaus größeren Abstand zur
CDU/CSU Fraktion als zu den kleinen Parteien.
Abbildung 3.2.3.3: Die Thesen mit den höchsten Zustimmungsraten der CDU/CSU
(sowie die These „Weimarer Republik“) im Vergleich mit anderen Fraktionen
(Zustimmungsraten in Prozent)
3.2.4 Wissen über direkte Demokratie?
Die Frage nach Staaten, in denen es ein ausgebautes System an direktdemokratischen Instrumenten gibt, wirft auf die Bundestagsabgeordneten weder ein besonders
gutes noch ein besonders schlechtes Licht. 89% der Befragten konnten mindestens
einen Staat nennen, der direktdemokratische Mittel in seinem politischen System
aufweist. Allerdings wurden die Antworten relativ großzügig gewertet (siehe Abschnitt 3.1.2). Die Schweiz haben insgesamt 83% nennen können, also nahezu alle,
die überhaupt einen Staat nannten, erwähnten auch bzw. nur die Schweiz. 15% der
Befragten konnten drei oder mehr Staaten nennen und können daher als relativ gut
informiert über direkte Demokratie gelten.
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Gerade bei dieser Frage ist ein gewisser Bias zugunsten der Informiertheit zu erwarten, da die Abgeordneten, die sich besser mit direkter Demokratie auskennen,
sich häufiger an dieser Studie beteiligt haben werden als schlecht Informierte.
Festzuhalten ist, dass einem Großteil der Abgeordneten bekannt ist, dass die südlichen Nachbarn in der Schweiz über direktdemokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügen. Wie genau sie über deren Praxis informiert sind, bleibt offen.
3.3 Nationalräte und direkte Demokratie
Der Nationalrat ist mit 200 Abgeordneten deutlich kleiner als der Bundestag. Es sind
eine Fraktion mehr, also insgesamt sechs, und knapp dreimal so viele Parteien (15)
darin vertreten. Die Schweiz gehört damit zu den Ländern mit der stärksten Fragmentierung im Parlament (Linder 2005, S. 83).
Diese vielen Parteien mit jeweils geringer Abgeordnetenzahl erschweren die
Auswertung unserer Umfrage nach Fraktionen. Um die Fallzahl jeder Fraktion hoch
genug zu halten, werden sie bei der Auswertung daher teilweise zusammengefasst.
Dabei wird nach der Links-Rechts-Positionierung der Abgeordneten im Parlamentarier-Rating 2005 von Hermann und Jeitziner vorgegangen (NZZ, 25.11.2005).
Demnach werden die EDU-Abgeordneten zusammen mit der SVP ausgewertet,
da sie mit einem Durchschnittswert von 5,6 auf einer Links-Rechts-Skala von -10
bis +10 der Schweizerischen Volkspartei am nächsten stehen. Im Parlament ist sie
zwar in einer Fraktionsgemeinschaft mit der EVP, dies jedoch weniger aus ideologischer Nähe, als aus purem Sachzwang, um gemeinsam Fraktionsstärke zu erreichen.
Auf der Links-Rechts-Skala steht die EVP hingegen als Christliche-Mitte-Partei der
CVP sehr viel näher (vgl. Linder 2005, S.89) und wird daher gemeinsam mit ihr
ausgewertet. Ein Abgeordneter der Partei der Arbeit hat ebenfalls an der Umfrage
teilgenommen. Er steht mit einem Wert von +10 extrem weit links und wird im Folgenden zu den Abgeordneten der SP gezählt. Ideologisch stehen die Grünen zwar
weiter links als die SP, sie haben ihren Schwerpunkt jedoch stärker auf Umweltthemen als die Partei der Arbeit, weshalb diese trotzdem zu der ebenfalls sehr weit
links stehenden SP dazugezählt wird.
Problematisch bleibt die geringe Fallzahl der Grünen (3), die zwar ihrem Anteil im
Parlament entspricht, aber statistisch kaum verwertbar ist. Die Angabe des Wertes
ist daher stets nur als Tendenz zu verstehen.
3.3.1 Wer ist für direkte Demokratie?
Auch bei den Nationalräten interessiert uns zunächst, wie die direkte Demokratie
bewertet wird. Wie in Abschnitt 3.1.2 dargelegt, wird dabei eine andere Skala als bei
den Bundestagsabgeordneten zugrunde gelegt. Diesmal geht die Bewertung von –5
bis +5, mit der Mitte 0 dazwischen.
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References
Zusammenfassung
Die seit den 90er Jahren intensiver werdende Diskussion um die Einführung direktdemokratischer Instrumente in der Bundesrepublik schlägt sich auch in einer steigenden Zahl wissenschaftlicher Beiträge zu diesem Thema nieder. Unbeachtet blieb bisher jedoch die Diskrepanz zwischen der deutschen Debatte und der direktdemokratischen Praxis. Die Diskussion in der Bundesrepublik wird vor allem von den linken Parteien geschürt, die Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Schweiz und anderen Staaten lassen hingegen eher eine rechts-konservative Wirkung vermuten.
In der vorliegenden Untersuchung werden erstmals Umfragen unter Bundestagsabgeordneten und Schweizer Nationalräten vorgelegt, die aufzeigen, dass es sich um typisch deutsche Konfliktlinien handelt. In der Schweiz stehen die politisch linken Parteien der direkten Demokratie deutlich skeptischer gegenüber als die rechten. In einer empirischen Analyse der Schweizer Volksabstimmungen der letzten 20 Jahre bestätigt sich, dass die bisherigen Erfahrungen mit direkter Demokratie eher auf eine rechts-konservative Wirkung von Volksentscheiden schließen lassen – ein Widerspruch zur Haltung der deutschen Parteien.
Neben diesem innovativen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte bietet das Werk einen aktuellen Überblick über den Forschungsstand zur Wirkung von Volksrechten.