210
Wie später gezeigt werden wird, ist das aus rechtswissenschaftlicher Sicht der falsche Ansatz. Er ist jedoch geltende Rechtslage. Daher ist festzuhalten, dass als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 1 AStG, aber nun als geschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 1 II 1 FVerlV die Einschränkung der Funktion beim abgebenden Unternehmen vorliegen muss.
Damit sind alle positiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 III 9 AStG besprochen. Aus ihnen lassen sich Fallgruppen bilden, die als Funktionsverlagerungen im
Sinn der Norm zu qualifizieren sind (sogleich unter III.). Sodann sind Abgrenzungen
von Fallgestaltungen vorzunehmen, die nicht unter die Vorschrift zu subsumieren
sind (unter IV.).
III. Fallgruppen
Es sind verschiedene Fallgruppen der Funktionsverlagerung denkbar. Unterscheiden
lassen sich die folgenden Konstellationen, die sich mit den in der Literatur vorgenommenen Klassifizierungen weitgehend decken.557:
- Funktionsausgliederung,
- definiert als ein Vorgang, bei dem es zur vollständigen Verlagerung eines gesamten Unternehmensteils und damit einer Funktion (z.B. Forschung und
Entwicklung, Produktion und Vertrieb für ein Produkt) mit den dazu gehörigen Chancen und Risiken einschließlich der materiellen und immateriellen
Wirtschaftsgüter kommt.558 (näheres sogleich unten 1.);
- Funktionsausweitung:
Ein Unternehmen mit Routinefunktionen (z.B. Lohn-/Auftragfertiger) wird
zum Entrepreneur (z.B. Eigenproduzent) ausgeweitet (nachträgliche Funktionsverlagerung). (unten 2.).
- Funktionsabschmelzung:
Ein Entrepreneur (z.B. Eigenhändler) wird zum Unternehmen mit Routinefunktionen (z.B. Kommissionär) abgeschmolzen (unten 3.).
Als weitere Fallgruppen werden häufig die folgenden genannt:
- Funktionsverdoppelung,
- Funktionsabspaltung.
557 Blumers, in Herzig u.a., UStR 2008, Rz. 494; Freytag, IWB 2007, 237 (241) (= IWB Gr. 1,
F. 3, 2193 (2197)); Greinert, in Schaumburg/Rödder, UntStRef 2008, 541 (560); Jahndorf,
FR 2008, 101.
558 Frischmuth, StuB 2007, 386 (387); Greinert, in Schaumburg/Rödder, UStR 2008, 541 (560);
Kaminski, RIW 2007, 594 (599).
211
Bei ihnen ist strittig, ob sie unter die Qualifizierung als Funktionsverlagerung fallen
(Funktionsabspaltung) oder ob sie unter die Besteuerung als Funktionsverlagerung
zu subsumieren sind (Funktionsverdoppelung). Während letztere nach hier vertretener Auffassung unter § 1 III 9 AStG subsumiert werden sollten und deshalb in diesem Anschnitt unter 4. behandelt wird, erfolgt die Analyse der Funktionsabspaltung
bei den Abgrenzungen (unter IV. 5.).
Außerdem wird hier eine weitere Fallgruppe dargestellt, der aber keine eigenständige Bedeutung zukommt, der Funktionsaufbau (unten 5.).
1. Funktionsausgliederung
Bei der Funktionsausgliederung findet eine vollständige Verlagerung einer Funktion
einschließlich aller Chancen und Risiken auf eine nahe stehende Person ins Ausland
statt.559
In Deutschland wird ein kompletter Unternehmensteil stillgelegt. Im Ausland entsteht ein neues Unternehmen, das eigenunternehmerisch mit allen Chancen und Risiken tätig ist. Das aufnehmende Unternehmen ist ebenso wie das abgebende Unternehmen als ein „Entrepreneur“ im Sinn der Tz. 3.4.10.2 b) VWG-Verfahren zu qualifizieren.560
Es gibt mehrere Konstellationen einer Funktionsausgliederung. Zunächst erfolgt eine
Einführung anhand eines Grundfalls (sogleich a.), der auch die Vorlage für
Fallabwandlungen darstellen wird, anhand derer die Diskussion der weiteren Konstellationen erfolgen wird (unter b.). Sodann werden besondere Fallsituationen besprochen (c.), bevor abschließend einige Einzelfragen geklärt werden (unter c.).
a) Grundfall
Zunächst soll der Grundfall anhand des folgenden Beispiels betrachtet werden.
Beispiel („Pelota“-Fall)561
Die M-AG ist ein Automobilhersteller, der vom Kleinstwagen „Pelota“ über Mittelklassemodelle bis zum Luxusauto sowie auch Nischenmodelle wie das Cabrio „Tamburello“
559 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); Jahndorf, FR 2008, 101.
560 Auf die Folgen der Differenzierung nach „Entrepreneuren“, Unternehmen mit Routinefunktionen und mittleren Unternehmen, wie sie auch die Tz. 3.4.10.2 VWG-Verfahren vornimmt,
für Funktionsverlagerungen wird, ist bereits eingegangen worden.
561 Ähnliches Beispiel bei Bödefeld/Kuntschik, in Blumenberg/Benz, UntStReform 2008,
S. 240 (255) sowie bei Schreiber, Unterlagen zum Vortrag an der Bundesfinanzakademie
zum Thema „Funktionsverlagerungen“ im Rahmen der Veranstaltung „Verrechnungspreise
II“ am 05.09.2007.
212
und den Van „Sharade“ die ganze Produktpalette anbietet. Unter anderem wird auf zwei
Produktionsstrassen in Deutschland der „Pelota“ gebaut. Aufgrund der hohen Lohnkosten in Deutschland und aufgrund der Absatzsituation des Produkts - der „Pelota“ läuft
vornehmlich in Osteuropa gut - beschließt die Leitung der M-AG, die gesamte Unternehmenseinheit des „Pelota“ nach Ungarn zu verlagern. Folglich verbringt die M-AG die
Produktionsmittel des „Pelota“ nach Ungarn auf die dafür gegründete T-Kft. Dazu werden die beiden Produktionsstrassen in Deutschland abgebaut und nach Ungarn verbracht,
um dort bei der Produktion eingesetzt zu werden. Die M-AG überträgt außerdem auch
das technische Wissen einschließlich aller für die Produktion notwendigen Patente im
Übertragungsvertrag an die ungarische Tochtergesellschaft. Die Produktion für den
„Pelota“ wird in Deutschland stillgelegt. Neben der Produktion werden auch alle unternehmerischen Aufgaben einschließlich aller unternehmerischen Chancen und Risiken,
die mit dem „Pelota“ zusammenhängen, von der Forschung und Entwicklung über die
Produktion bis zum Marketing und Vertrieb sowie die dazugehörigen Administrations-,
Finanz- und Controllingbereiche, nach Ungarn verlegt. Dazu zählt auch der gesamte
Kundenstamm. Einige der Mitarbeiter in Deutschland wechseln zu anderen Sparten am
Stammsitz, einige gehen mit nach Ungarn und die übrigen werden entlassen. Die T-Kft
übernimmt fortan alle unternehmerischen Chancen und Risiken, insbesondere neben
dem Produktions- auch das gesamte Absatzrisiko, aber eben auch alle Ertragschancen.
Den Sachverhalt verdeutlicht die folgende Abbildung:
Es wird hier in Form des Produkts „Pelota“ eine Funktion übertragen. Die Funktion
besteht aus den materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern sowie der damit
einhergehenden unternehmerischen Chancen und Risiken für das Produkt. Mit dem
Übergang der Chancen und Risiken wird zugleich das unternehmerische Gewinn-
213
potential verlagert. Durch die Übertragung der gesamten Prozesskette von der Produktion bis zum Vertrieb des „Pelota“ werden alle Bestandteile der Wertschöpfungskette abgegeben, die zum Bestehen am Markt notwendig sind. Zukünftig wird
allein die T-Kft von den Gewinnen profitieren, die mit dem „Pelota“ erzielt werden.
Sie trägt aber auch allein die Risiken bis hin zum Insolvenzrisiko. Damit wird sie eigenständig als Unternehmer am Markt tätig. Die M-AG wird dagegen, im Guten wie
im Schlechten, nicht mehr am geschäftlichen Ergebnis des „Pelota“ beteiligt sein.
An diesem Beispiel wird deutlich, warum die die Funktionsausgliederung als „der
klassische Fall einer Funktionsverlagerung“ bezeichnet wird.562
In diesem Grundfall liegt eine Ausgliederung eines von verschiedenen Produkten eines Unternehmens vor, bei dem alle Teile der Wertschöpfungskette (Management,
Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Administration, Finanzen) anteilig mit verlagert werden.
Denkbar ist auch die Ausgliederung einer ganzen Produktsparte. Das zeigt das folgende
Beispiel:
Die M-AG ist diesmal ein Fahrzeughersteller, der neben PKWs auch LKWs und
Busse sowie Motorräder baut. Außerdem stellt er neben den Motoren für seine Fahrzeuge auch Schiffsmotoren und Flugzeugtriebwerke her. Die Sparte Motorräder
wird nach Japan verlegt.
Den Sachverhalt verdeutlicht die folgende Abbildung:
562 Jahndorf, FR 2008, 101 (104).
214
Auch hier liegt eine Funktionsausgliederung vor, die gem. § 1 III 9 AStG zu versteuern ist. Des Weiteren ist es denkbar, dass ein Teil der Wertschöpfungskette für
alle Produkte verlegt wird. Das zeigt das folgende
Beispiel:
Die M-AG verkauft ihre Produkte vornehmlich in Nordamerika. Deshalb beschließt
sie, den gesamten Vertrieb in die USA zu verlagern.
Den Sachverhalt verdeutlicht die folgende Abbildung:
Hier ist ebenfalls eine Funktionsausgliederung gegeben, die unter § 1 III 9 AStG zu
subsumieren ist. Die Beispiele ließen sich erweitern. Hier sollen nur die in der Praxis
gängigsten Formen genannt werden. Der Grundfall und die beiden weiteren Beispiele unterscheiden sich also nur inhaltlich, aber nicht rechtlich.
An diesen Beispielen wird verständlich, warum die Finanzverwaltung bereits bisher
und der Gesetzgeber jedenfalls ab 2008 diese Fälle einer Besteuerung unterwerfen
wollen. Ein fremder Dritter würde sich die Entäußerung eines Unternehmensteils
bezahlen lassen. Es wäre ein klassischer Unternehmensverkauf, bei dem das abgebende Unternehmen versuchen würde, so viel wie möglich zu erzielen. Der aus der
Veräußerung erzielte Veräußerungsgewinn flösse in die steuerliche Bemessungsgrundlage für den entsprechenden Veranlagungszeitraum ein.
215
b) Abwandlungen zum Grundfall
Während sich der Grundfall und die beiden weiteren Beispiele nur inhaltlich unterschieden, sind zu diesem Grundfall mehrere weitere Abwandlungen denkbar, die
sich von den bisher aufgezeigten Konstellationen abgrenzen lassen, aber gleichwohl
auch als Funktionsausgliederung zu qualifizieren sind.
aa) Überlassung von Wirtschaftsgütern bei einer Funktionsausgliederung
In der Praxis kommt es häufig vor, dass das abgebende Unternehmen die immateriellen Wirtschaftsgüter nicht veräußert, sondern nur an das konzernverbundene
Unternehmen zur Nutzung überlässt.
Beispiel:
In Abwandlung zum Grundfall bleibt die Forschungs- und Entwicklungsabteilung
für den „Pelota“ in Deutschland. Die immateriellen Wirtschaftsgüter, insbesondere
die Patente, das sonstige Produktions-Know-How und die Markenzeichen, werden
nicht veräußert, sondern nur an die T-Kft. lizenziert. Übertragen wird lediglich der
Absatzmarkt mitsamt dem Kundenstamm.
Da der § 1 II FVerlV auch die Überlassung von Wirtschaftsgütern erfasst, ergibt sich
in diesem Beispiel kein abweichendes Ergebnis vom Grundfall.
Es könnte allerdings hinterfragt werden, ob nicht auch die Übertragung der Forschung und Entwicklung notwendig ist, um von einer Ausgliederung eines eigenständigen Unternehmensteils zu sprechen, weil ein produzierendes Unternehmen
ohne Forschung und Entwicklung auf Dauer kaum lebensfähig ist. Die T-Kft. hat jedoch die Möglichkeit, sofort am Markt zu starten und einen positiven Cash-Flow zu
erzielen. Damit kann sie eine eigenständige Forschungs- und Entwicklungsabteilung
aufbauen. Selbst wenn ihr das vertraglich verwehrt ist, kann sie an die Muttergesellschaft herantreten und zur Teilhabe an Weiterentwicklungen Lizenzen erwerben.
Schließlich gibt es auch Unternehmen, die vom – legalen, weil durch Lizenzen getragenen - (Nach-)Bau leben. Daher kommt es auf die Übertragung der Forschung
und Entwicklung nicht an.
Für die Praxis ist allerdings ein anderer Punkt noch relevant. Die Autoindustrie ist
ein Beispiel für Industriezweige, bei der das unternehmerische Risiko ausschließlich
von der Muttergesellschaft getragen wird. Aufgrund der tendenziell höheren Steuern
im Inland werden Autokonzerne bestrebt sein, möglichst viele Funktionen auszugliedern. Für die Bejahung einer Funktionsausgliederung ist es aber wesentlich,
216
dass die Übertragung auf einen ausländischen Entrepreneur erfolgt.563 An die Bejahung eines ausländischen Entrepreneurs wird die deutsche Betriebsprüfung jedoch
sehr hohe Anforderungen stellen. Entscheidend ist, ob das aufnehmende Unternehmen das Absatzrisiko trägt.564 Das dürfte in Industriezweigen wie der hier
besprochenen aber gerade, zumindest in der Regel, nicht der Fall sein.565
bb) Funktionsausgliederung auf ein bestehendes Unternehmen
Es ist als nächstes zu untersuchen, ob sich die Beurteilung ändert, wenn die Funktionsverlagerung auf ein bereits bestehendes Unternehmen erfolgt.
Beispiel:
In Abwandlung zum Ausgangsbeispiel besteht die T-Kft. bereits. Sie ist jedoch bisher ausschließlich als Vertriebsunternehmen tätig, dass die Produkte der M-AG in
den Ungarn verkauft.
Festzustellen ist bei dieser Konstellation, dass auch hier eine Funktion (Produktion
und Vertrieb weltweit des Produkts „Pelota“) einschließlich der dazugehörigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter und einschließlich aller Chancen von
Deutschland nach Ungarn übertragen und damit verlagert werden. Für dieses Ergebnis ist es unerheblich, ob die T-Inc. bereits besteht oder erst gegründet werden muss.
Daher ist die Übertragung auf ein bestehendes Unternehmen jedenfalls dann, wenn
die übertragenen Funktionen dort noch nicht bestanden haben, ebenfalls als Funktionsverlagerung mit der Folge der Anwendung des § 1 III 9 AStG zu werten.
cc) Ausgliederung einer „Teil“ -Funktion
Am „Pelota“-Grundfall zeigt sich auch noch einmal die oben angesprochene Relevanz der Definition der Funktion und der Sonderproblematik zur Frage der Existenz
und etwaigen Behandlung einer Teilfunktion.
Es lässt sich darüber streiten und ist Tatfrage, ob die Produktion und der Vertrieb
des „Pelota“ jeweils eine eigenständige Funktion oder nur eine „Teil“-Funktion der
Funktionen Produktion und Vertrieb sind. Auf diese Frage kann es aber nicht ankommen. Entscheidend ist allein, dass eine Unternehmenseinheit übertragen wird,
die sich so weit vom übrigen Unternehmen abgrenzen lässt, dass sie unter den Begriff Funktion gem. §§ 1 III 9 AStG i.V.m. 1 I 1 FVerlV subsumiert werden kann.
Deshalb ist die Frage, ob man diese Unternehmenseinheit als Funktion oder „Teil“-
563 Wie die Verlagerung auf ein Unternehmen mit Routinefunktion und auf ein mittleres Unternehmen zu behandeln ist, wird später bei den Abgrenzungen untersucht, B.III 6.
564 Die Relevanz dieses Punktes wird bei der Funktionsspaltung dargestellt, siehe unten B.III.5.
565 Deshalb ist der „Pelota“-Fall eigentlich kein gutes Beispiel. Er wurde aber gewählt, weil er
zur Verdeutlichung sehr geeignet ist.
217
Funktion bezeichnen will, unrelevant. Wenn wie hier eine abgrenzbare Unternehmenseinheit, die Chancen und Risiken besitzt, auf einen ausländischen Entrepreneur
verlagert wird, liegt eine Funktionsausgliederung vor.
Das zeigt auch das folgende, in der Praxis aufgrund der anhaltenden Dollarschwäche
häufiger vorkommende
Beispiel:
Die M-AG ist ein Hersteller im Anlagenbau. Aufgrund des Dollarverfalls ist die
Konkurrenzfähigkeit auf dem amerikanischen Markt gefährdet. Die Geschäftsleitung
beschließt, das komplette Geschäft für diesen Markt (Produktion und den Vertrieb
für Nordamerika) nach Georgia in die USA zu verlagern. Dort wird die T-Inc. gegründet. Die M-AG überträgt die materiellen Wirtschaftsgüter (u.a. die für die Produktion in Deutschland nun nicht mehr benötigten Maschinen) und die immateriellen Wirtschaftsgüter wie das Produkt- und das Produktions-Know-How, die Markenrechte und die Vertriebsrechte auf die T-Inc. in die USA. Außerdem geht der bereits vorhandene Kundenstamm über. Einige der deutschen Produktionsmitarbeiter
wechseln ebenso nach Georgia wie die einige Mitglieder der bisher für Nordamerika
zuständige Vertriebsmannschaft. Die zusätzlich erforderlichen Mitarbeiter werden
neu eingestellt. Die T-Inc. muss sich fortan am Markt behaupten und auf eigene
Rechnung mit allen Chancen und Risiken dort tätig werden. Die Produktion in
Deutschland läuft für alle anderen Märkte weiter. Mitarbeiter müssen in Deutschland
nicht entlassen werden, weil das Geschäft weltweit wächst.
Es lässt sich auch hier streiten und ist Tatfrage, ob die Produktion und der Vertrieb
für Nordamerika jeweils eine eigenständige Funktion oder nur eine Teilfunktion der
Funktionen Produktion und Vertrieb ist. Der Unterscheid zum Grundfall besteht allein darin, dass dort zwar nur ein Produkt, für dieses aber das weltweite Geschäft
übertragen wird, während hier das gesamte Geschäft des Konzerns, jedoch nur für
einen Regionalbereich, verlagert wird. Grundsätzlich kann die Übertragung eines
Regionalbereichs nicht anders behandelt werden als die Übertragung einer Produktsparte oder die Übertragung eines Teils der Wertschöpfungskette (z.B. Forschung und Entwicklung).
Hier im Beispiel stellt sich allerdings abhängig von den Umständen des Falls die Eigenständigkeit der Funktion „Nordamerika“ anders dar. Existiert zum Beispiel für
Nordamerika eine eigenständige Produktionsstrasse, die abgebaut, in die USA verschifft und dort wieder aufgebaut wird, handelt es sich um eine eigenständige Funktion, die ausgegliedert wird. Gibt es dagegen nur eine Produktionsstrasse für alle
Produkte, die weltweit verkauft werden, handelt es sich bei der Produktion um einen
Teil der Produktionsfunktion, und zwar um einen „virtuellen“ Teil, weil auf der Förderstrasse mehrere Produkte produziert werden. Dann müsste in den USA eine neue
Förderstrasse gekauft und aufgebaut werden. Selbst wenn aber nur ein „virtueller“
Teil einer Funktion quasi herausgeschnitten und verselbständigt wird, handelt es
218
sich um eine Funktion, wenn nach dem Herausschneiden ein Unternehmensteil entsteht, der den normativen Anforderungen des § 1 III 9 AStG i.V.m. § 1 I 1 FVerlV
entspricht. Das muss auch dann gelten, wenn die Produktionsanlage nicht an der alten Stelle „eingepackt“ und am neuen Standort wieder „ausgepackt“ werden kann.
Denn sonst könnte in den Fällen, in denen mehrere Produkte an einem Band hergestellt werden, aber nur ein Produkt verlagert wird, nie eine Funktionsausgliederung
für die Produktionsfunktion angenommen werden. Es darf aber nicht auf die Produktionsanlage abgestellt werden, sondern auf den Produktionseffekt, denn dieser ist
für die Wertschöpfung entscheidend.
Das bedeutet, dass die die Regelungen zur Funktionsverlagerung auch auf eine Teilfunktion oder eine Teil einer bisherigen Funktion anzuwenden sind, wenn und solange eine Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht oder entsteht und diese verlagert wird. Das muss dann aber erst recht gelten, wenn nicht nur
ein Teil einer Funktion verselbständigt wird, wie hier die Produktion für Nordamerika, sondern wenn aus den verschiedensten Unternehmensfunktionen jeweils ein
Teil herausgelöst wird und diese Teile zu einem neuen Gebilde zusammengefasst
werden. Hier im Beispiel besteht die Zusammenfassung in der neuen Unternehmenseinheit Nordamerika, die aus der Produktion und dem Vertrieb herausgenommen worden sind.
dd) Übertragung des Kundenstamms
Die Übertragung des Kundenstamms kann bei zwei Fallkonstellationen relevant
sein. Zum einen sind dies die Fälle der Funktionsabschmelzung, die später zu besprechen sind. Zum anderen sind dies bestimmte Fälle der Funktionsausgliederungen relevant sein.
Dazu ist zunächst zu untersuchen, ob ein Kundenstamm überhaupt ein Wirtschaftsgut und damit übertragbar ist. Ursprünglich war umstritten, ob die Übertragung eines
isolierten Kundenstammes als Übertragung eines immateriellen Wirtschaftsgutes zu
werten sei. Die Tz. 5 VWG 1983566 enthält in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter nur Regelungen zu Nutzungsüberlassungen und Auftragsforschung. Sie behandelt jedoch nicht ausdrücklich Fälle von isolierten Übertragungen immaterieller
Wirtschaftsgüter. In Tz. 3.1.2.3 und Tz. 5.1.1 VWG 1983 finden sich ergänzend nur
beispielhafte Aufzählungen von immateriellen Wirtschaftsgütern, u.a. gewerbliche
Schutzrechte und Geschmacksmusterrechte. Hieraus kann aber keineswegs der
Schluss gezogen werden, dass sonstige immaterielle Wirtschafsgüter, insbesondere
der Kundenstamm, nicht isoliert übertragen, bewertet und besteuert werden können.
Denn es ist nicht zu übersehen, dass ein erschlossener Kundenstamm konkrete
566 BMF-Schreiben v. 23.02.1983, BStBl. I 1983, 218.
219
Möglichkeiten in sich birgt, Gewinne zu erzielen. Ein potentieller Erwerber des Unternehmensteils preist den Kundenstamm in sein Angebot ein.
Mittlerweile ist in Rechtsprechung567 und Schrifttum568 geklärt, dass auch ein
Kundenstamm isoliert übertragen, bewertet und besteuert werden kann, sofern er
nicht Teil eines erworbenen Geschäftswert ist.569 Voraussetzung ist allerdings, dass
es sich um einen bilanzierungsfähigen und fassbaren Vermögenswert handelt, so
dass im Einzellfall eine Bewertung durchführbar ist.570 Nur wenn dem Kundenstamm ein in Geld auszudrückender Wert beigemessen werden kann, ist dieses immaterielle Gut unter dem Begriff Wirtschaftsgut zu subsumieren.
Einschränkend ist hier aber zu bemerken, dass nicht stets bei der isolierten Übertragung des immateriellen Wirtschaftsgutes, hier des Kundenstammes, eine Vergütungspflicht besteht. Diese entfällt nach der Rechtsprechung des BFH dann, wenn
der Kundenstamm von der Vertriebsgesellschaft- im entschiedenen Fall ein Großhandel für Maschinen – nicht durch eigene Marktanstrengungen erworben wurde571.
Denn dann entfalle die Ursächlichkeit des Vermögenszuflusses beim aufnehmenden
Unternehmen. Der BFH verweist dazu auf die Rechtsprechung des BGH zum Vertragshändler, der keinen Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB analog erhalte, obgleich er bei Beendigung oder Auflösung des Vertriebsvertrages zur Übertragung
des Kundenstammes verpflichtet war, „wenn und soweit dem Fabrikanten die Kunden auch ohne die Überlassung des Kundenstammes seitens des Vertragshändlers
zugeflossen wären, z.B. aufgrund der „Sogwirkung“ des vertriebenen Markterzeugnisses.“572
Es ist bereits oben bei der Abgrenzung der Funktion vom Wirtschaftsgut festgestellt
worden, dass die alleinige Übertragung des Kundenstamms keine Funktionsverlagerung gemäß § 1 III 9 AStG sein kann, weil der Kundenstamm als einzelnes Wirtschaftsgut keine Funktion gemäß § 1 I 1 FVerlV darstellt.573 Der Kundenstamm
kann also nur dann gemäß § 1 III 9 AStG mitbesteuert werden, wenn er im Rahmen
einer Funktionsausgliederung übertragen wird. Dann muss aber neben dem Kunden-
567 BFH-Urteil v. 20.08.1986, I R 151/82, BFH/NV 1987, 468 (470); BFH-Urteil v. 20.08.1986,
I R 152/86, BFH/NV 1987, 471.
568 Schmidt-Weber-Grellet, § 5 EStG Rz 173; Kirchhof/Söhn/Mellinghoff-Wolffgang, § 5 EStG
Rz C 200 zum Stichwort „ Kundenstamm“; Borstell, Verrechnungspreisprobleme bei Funktionsverlagerungen, S.201 (219).
569 Schmidt-Weber-Grellet, § 1 EStG Rz. 173 m.w.N. zur Rspr.; Bernhardt/van der Ham/Kluge,
IStR 2008, 1 (9 f.).
570 BGH v. 16.02.1959, II ZR 170/57, BB 1959, 353 zur Bewertung eines Urheberrechts als
Sacheinlage; BFH-Urteil v. 20.08.1986, I R 151/82, BFH/NV 1987, 468 (470); BFH-Urteil
v. 26.07.1989, I R 49/85, BFH/NV 1990, 442; BFH-Urteil v. 30.03.1994, I R 52/93, BStBl.
II 1994, 903.
571 BFH-Urteil v. 20.08.1986, I R 152, BFH/NV 1987, 471.
572 BGH v. 16.02.1961, VII ZR 239/59, NJW 1961, 662.
573 Siehe oben 2. Teil: B.II.1.
220
stamm noch eine oder mehrere der betrieblichen Aufgaben übertragen werden, die
dazu führen, dass der Unternehmensteil insgesamt als Funktion gemäß § 1 I 1
FVerlV zu qualifizieren ist.
ee) Ausgliederung einer Dienstleistungsfunktion
Es können auch Dienstleistungsfunktionen ausgegliedert werden. Das zeigt das folgende
Beispiel:574
Die deutsche T-GmbH stellt im Inland im Auftrag ihrer ausländischen Mutter-Gesellschaft M-S.p.z.o.o. Maschinen her. Die M-S.p.z.o.o. hat auch noch weitere Tochtergesellschaften in Europa. Für diese übernimmt die T-GmbH die IT-Serviceleistungen. Im Jahr 2008 werden auf Veranlassung der Muttergesellschaften die IT-
Dienstleistungen auf eine andere europäische Konzerngesellschaft, die S-S.R.O. in
Prag verlagert . Bisher erzielte die T-GmbH jährlich 2 Mio. € Gewinn. Die IT-Abteilung im Inland wird geschlossen, was Kosten in Höhe von 3 Mio. € verursacht.
Hier liegt ebenfalls ein Fall der Funktionsausgliederung vor, der gemäß § 1 III 9
AStG als Funktionsverlagerung zu besteuern ist.575
ff) Ausgliederung einer deutschen Tochtergesellschaft
Denkbar sind auch Konstellationen wie im sog. Nokia-Fall.576
Beispiel:
Die M-Kap ist ein Hersteller von Handys in Skandinavien. Sie stellt Handys in allen
Segmenten vom preiswerten Privathandy bis zum teuren Geschäftshandy her.
In Deutschland hat sie eine T-GmbH im Ruhrgebiet. Dort werden in einem Werk
Handys produziert. Außerdem ist die T-GmbH für den Vertrieb in Deutschland zuständig. Die Geschäftsleitung beschließt, die Produktion in Deutschland zu beenden
und den Vertrieb für Osteuropa nach Rumänien auf die S-Kap zu verlagern. Dort
entsteht ein neues Unternehmen, das sich am Markt für diese Kunststoffeinfassungen behaupten muss und auf eigene Rechnung am Markt tätig wird. Dies beinhaltet
alle unternehmerischen Chancen, jedoch auch alle unternehmerischen Risiken. In
Deutschland verbleibt nur der Vertrieb für Deutschland.
574 Ähnlicher Fall bei Spensberger, Unterlagen zum Gastvortrag bei der OFD Koblenz zum
Thema „Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform im Bereich internationaler Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen.“, in: Bad Münster am 18. Juni 2007, Folien 48-50.
575 Zu Schließungskosten 2. Teil B.III.1.c)aa).
576 Dem Verfasser ist der Nokia-Fall nur aus Zeitungen bekannt. Er soll hier nur zur Verdeutlichung als illustres Beispiel dienen.
221
Nach deutschem Rechtsverständnis liegt hier ein Dreiecksfall vor, bei dem es zu einer verdeckten Gewinnausschüttung der T-GmbH an die M-Kap kommt. Fraglich ist
darüber hinaus, ob § 1 III 9 AStG anzuwenden ist. Eine Besteuerung gemäß § 1 III 9
AStG käme nur in Betracht, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt wären. Insbesondere müsste eine Geschäftsbeziehung gem. § 1 V AStG vorliegen. Eine solche
könnte entweder gegenüber der Muttergesellschaft S-KAP bestehen. Es könnte aber
auch anzunehmen sein, dass eine Geschäftsbeziehung zwischen der T-GmbH und
der S-Kap existiert. Denn die Funktion wird von der deutschen auf die rumänische
Gesellschaft übertragen. Selbst wenn dies unentgeltlich erfolgt, schließt das eine Geschäftsbeziehung nicht aus. Auch eine Schenkung ist eine schuldrechtliche Beziehung und damit eine Geschäftsbeziehung gemäß § 1 V AStG. Dies gilt selbst dann,
wenn die Schenkung nicht „freiwillig“ erfolgt. Da somit eine Geschäftsbeziehung
gemäß § 1 V AStG vorliegt und auch die sonstigen Voraussetzungen des § 1 I 1
AStG anzunehmen sind, erfolgt eine Besteuerung als Funktionsverlagerung gemäß
§ 1 III 9 AStG. Allerdings sind die Vorschriften gemäß § 1 I 3 AStG nur dann anzuwenden, wenn ihre Rechtsfolgen im konkreten Fall über die der verdeckten Gewinnausschüttung hinausgehen.
c) Besondere Fallkonstellationen der Funktionsausgliederung
Bei der Funktionsausgliederung sind mehrere besondere Fallkonstellationen denkbar, die die Finanzverwaltung als so wichtig erachtet hat, dass sie sie in § 7 FVerlV
gesondert geregelt hat. Der § 7 FVerlV ist dabei in die Bestimmungen zur Rechtsfolge einer Funktionsverlagerung eingeordnet. Enthält damit aber gleichzeitig auch
Regelungen, die den Tatbestand betreffen. Im Rahmen dieses Abschnitts werden
diese Tatbestandsvoraussetzungen kurz besprochen.
aa) Ausgliederung einer verlustbringenden Funktion
Eine besondere Konstellation ist die Ausgliederung einer Funktion, die im Inland
nur noch Verluste erwirtschaftet. Einen solchen Fall zeigt das folgende
Beispiel:
Die M-AG, die den Pelota herstellt, hat für die einzelnen Produkte jeweils eigene
GmbHs gegründet, die für das jeweilige Produkt auch alle unternehmerischen Chancen und Risiken tragen. Die Pelota-GmbH erzielt Dauerverluste aufgrund der hohen
inländischen Produktionskosten. In Deutschland ist sie daher zur Einstellung der
Produktion daher gezwungen, weil ihr sonst die Insolvenz droht. Der Pelota wird
deshalb nach Polen verlagert. Die Verlagerung dient also nicht nur der Profitsteigerung, sondern ist zur Existenzsicherung unerlässlich.
222
Der Fall stellt grundsätzlich eine klassische Funktionsverlagerung dar, weil hier
Funktionen auf die ausländische Tochtergesellschaft übertragen werden.577 Das
Problem besteht auf der Rechtsfolgenseite, weil es fraglich ist, ob ein Steuersubstrat
besteht, und wenn ja, worin es liegen soll. Die Beantwortung dieser Frage richtet
sich wiederum nach dem Fremdvergleichsgrundsatz. Entscheidend ist, ob fremde
Dritte bereit wären, für die Verlust bringende Funktion eine Vergütung zu zahlen.
Dies ist nicht auszuschließen. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass es einen deutschen
Wettbewerber gibt, der in Deutschland mit derselben Funktion Gewinne erwirtschaften kann. Jedoch sind sowohl deutsche als auch ausländische Mitbewerber unter Umständen in der Lage, mit dieser Funktion an einem ausländischen Standort
unter Ausnutzung der dort vorliegenden Standortvorteile Gewinne zu erzielen. Davon ist ja auch die Geschäftsleitung der M-AG überzeugt, denn sonst würde sie die
Produktion des Pelota ganz einstellen, anstatt sie nach Polen zu verlagern. Folglich
ist die Funktion werthaltig.
Die Finanzverwaltung hat dies ebenso gesehen und deshalb in § 7 III FVerlV578
geregelt, dass solche Fälle als Funktionsverlagerung zu besteuern sind. Die Vorschrift normiert zwar nur die Rechtsfolgen, stellt damit aber auch inzidenter das
„Ob“ der Besteuerung fest. Auf die Rechtsfolgen wird im Einzelnen später eingegangen.579
bb) Ausgliederung aus wirtschaftlichen Gründen
Des Weiteren sind Fälle denkbar, bei denen das abgebende Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen ist, die Funktion in das Ausland zu verlagern. Das
zeigt das folgende
Beispiel:
Der deutsche Automobilhersteller A verlagert einen Großteil seiner Produktion nach
Ungarn. Dort kann er aufgrund der dortigen Steuergesetzgebung nur noch dann
Steuervorteile erlangen, wenn er 70 % seiner Teile von ungarischen Zulieferern
kauft. Die A veranlasst daher ihre deutschen Zulieferer dahin, ihre Produktionen
ebenfalls nach Ungarn zu verlagern, damit diese als ungarische Zulieferer gelten. Es
stellt sich nun die Frage, ob es bei der Schließung der deutschen Werke der Zuliefe-
577 Bödefeld/Kuntschik, in: Blumenberg/Benz, Unternehmenssteuerreform 2008, 240 (270).
578 Die Vorschrift lautet: „(3) 1Verlagert ein Unternehmen eine Funktion, aus der es dauerhaft
Verluste zu erwarten hat, wird der Verhandlungsrahmen für das verlagernde Unternehmen
durch die zu erwartenden Verluste oder die ggf. anfallenden Schließungskosten begrenzt;
maßgeblich ist der niedrigere absolute Betrag. 2In solchen Fällen kann es dem Verhalten
eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entsprechen, zur Begrenzung von
Verlusten ein Entgelt für die Funktionsverlagerung zu vereinbaren, das die anfallenden
Schließungskosten nur teilweise deckt, oder eine Ausgleichszahlung an das übernehmende
Unternehmen für die Übernahme der Verlustquelle zu leisten.“
579 Siehe unten 2. Teil B.IV.3.
223
rer und beim Neuaufbau in Ungarn derselben Unternehmen zu einer Funktionsverlagerung kommt.
Dies ist der im Moment wahrscheinlich umstrittenste Fall zum Thema Funktionsverlagerung. Die Wirtschaft argumentiert, dass es sich nicht um eine Funktionsverlagerung handeln kann, weil es hier in Deutschland keinen Markt mehr für dieses
Unternehmen gäbe und deshalb auch keine Funktionen verlagert werden könnten.
Die Finanzverwaltung steht dagegen auf dem Standpunkt, dass ein fremder Dritter,
z.B. ein amerikanisches Unternehmen, bereit wäre, für diesen Unternehmensteil eine
ggf. sehr hohe Summe zu bezahlen. Daher handele es sich um ein Transferpaket, das
auch besteuerbar sei. Dementsprechend will sie gemäß § 7 II FVerlV580 diese Fälle
auch als Funktionsverlagerungen gemäß § 1 III 9 AStG steuerlich erfassen. Wie bei
den Verlustfällen durch § 7 III FVerlV stellt auch der § 7 II FVerlV das „Ob“ der
Besteuerung inzidenter fest. Es erfolgt eine Besteuerung nach den allgemeinen Regeln, so dass es darauf ankommt, ob das aufnehmende Unternehmen ein solches mit
Routinefunktionen oder ein Strategieträger ist. Damit erfolgt bei der Verlagerung auf
einen ausländischen Entrepreneur eine steuerliche Erfassung, obwohl im Inland
keine Profite mehr zu erzielen sind.
Ebenfalls eine Konstellation der Verlagerung aus wirtschaftlichen Gründen ist bei
Verlagerungen gegeben, die aufgrund eines Marktwegfalls in Deutschland erfolgen.
Beispiel:
Ein deutscher Technikhersteller M-AG ist auf Fernseher mit Bildröhren spezialisiert.
In Deutschland und in Europa werden nur noch Flachbildfernseher verkauft. Er kann
seine Produkte nur noch in Entwicklungsländern absetzen. Daher beschließt er, die
Produktion und den Vertrieb in ein asiatisches Land zu verlagern.
Dieser Fall ist wie der vorherige zu behandeln. Es erfolgt eine Besteuerung nach den
allgemeinen Regeln.
cc) Ausgliederung aus rechtlichen Gründen
In der Praxis kommen auch Fälle vor, in denen eine Funktionsausgliederung aus
rechtlichen Gründen erfolgt. Dies zeigt das folgende
Beispiel:
Die M-AG ist ein in München ansässiger Hersteller von Gewaltvideospielen. Die
Herstellung und der Vertrieb solcher Spiele wird in Deutschland verboten. Die Fir-
580 Die Vorschrift lautet: „(2) In Fällen, in denen das verlagernde Unternehmen aus rechtlichen,
tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr dazu in der Lage ist, die Funktion
mit eigenen Mitteln selbst auszuüben, entspricht der Mindestpreis dem Liquidationswert.“
224
menleitung möchte aber in Deutschland bleiben. Sie verlagert daher die Forschung
und Entwicklung, die Produktion und den Vertreib in die USA. Die Strategieträgerschaft verbleibt aber in Deutschland.
Ähnliche Beispiele sind im Umweltbereich und in der Embryonenforschung denkbar. Diese Fälle unterliegen gem. § 1 III 9 AStG i.V.m. § 7 II FverlV der Besteuerung als Funktionsverlagerung, obwohl im Inland die Funktion nicht mehr ausgeübt
werden darf.
dd) Ausgliederung aus tatsächlichen Gründen aufgrund Marktwegfalls im Inland
Ein Sonderfall der Funktionsausgliederung liegt auch vor, wenn in Deutschland der
Unternehmensteil geschlossen wird, weil es in Deutschland keine qualifizierten Mitarbeiter mehr gibt. Das soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden.
Beispiel:
Der deutsche Technikhersteller M-AG aus Münster ist auf einen Spezialbereich
der Nanotechnologie spezialisiert. Der deutsche Markt für entsprechende Arbeitskräfte aus dem Elektronik-, Ingenieurs- und Physikbereich ist leergefegt. Ausländische Fachkräfte aus Osteuropa und Asien wollen nur in den USA, vorzugsweise
in der Bay-Area bei San Francisco, arbeiten. Sie sind trotz der international als
außerordentlich hervorragend angesehenen Bedingungen sowohl in Bezug auf die
Qualität der Forschung in der Nanotechnologie581 als auch in Bezug auf die
Lebensqualität582 allenfalls bei exorbitanten Gehaltszahlungen bereit, nach
Deutschland zu kommen. Daher entschließt sich die Unternehmensleitung der M-
AG, die entsprechende Forschungs- und Entwicklungsabteilung nach Stanford,
Kalifornien, zu verlegen.
Das Szenario ist in den kommenden Jahren aufgrund des drohenden Ingenieursund Fachkräftemangels keinesfalls abwegig. Der Fall stellt allerdings steuerrechtlich keine Abweichung zu einer Ausgliederung aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen dar. Will die M-AG eine Besteuerung gem. § 1 III 9 AStG vermeiden, muss die T-Inc. in den USA als Auftragsforscher eingesetzt werden, weil
dann ein nicht unter § 1 III 9 FVerlV zu subsumierender Fall der Funktionsabspaltung vorliegt.583
581 Münster ist aufgrund der Universität und der aus ihr hervorgegangenen Institute sowie eines
deshalb angesiedelten Max-Planck-Instituts Deutschlands Hochburg in diesem Bereich.
582 Die UNO hat die Stadt Münster im Jahr 2005 in der Kategorie bis 1 Million Einwohner – zu
Recht – als lebenswerteste Stadt der Welt ausgezeichnet. In der Kategorie über 1 Million
Einwohner gewann Honolulu..
583 Ausführlich dazu siehe unten 2. Teil B:IV.5.
225
d) Einzelfragen
Es bleiben noch einige Einzelfragen zu klären, die sich bei Funktionsausgliederungen immer wieder stellen.
aa) Schließungskosten des abgebenden Unternehmens
Die erste Frage bezieht sich auf die Zuordnung der Schließungskosten des abgebenden Unternehmens. Kommt es zu solchen Schließungskosten, gehen diese grundsätzlich zu Lasten des übertragenden Unternehmens. Dort sind sie als nachträgliche
Betriebsausgaben zu verbuchen. Das besagen auch die einzelnen Regelungen in § 7 I
bis III FVerlV.
bb) Assistenzleistungen des abgebenden Unternehmens
Häufig kommt es bei Funktionsausgliederungen zu Assistenzleistungen des abgebenden an das aufnehmende Unternehmen. So kann zum Beispiel die Muttergesellschaft Schulungsleistungen erbringen. Zu finden sind auch Beratungsleistungen.
Wenn solche Assistenzleistungen erbracht werden, sind diese nach der Preisvergleichs- oder nach der Kostenaufschlagmethode zu vergüten.
cc) Finanzierungskosten des aufnehmenden Unternehmens
Das aufnehmende Unternehmen hat häufig aufgrund der Funktionsübernahme Finanzierungskosten zu tragen. Diese gegebenenfalls angefallenen Finanzierungskosten für das übernehmende Unternehmen im Ausland sind nicht beim abgebenden
Unternehmen als Betriebsausgabe abzugsfähig. Sie sind dem neuen Unternehmen im
Ausland zuzuordnen, da dieses bei einer Funktionsausgliederung eigenwirtschaftlich
tätig wird.
2. Funktionsausweitung
Einen typischen Fall der Funktionsausweitung zeigt das folgende
Beispiel:
Anders als im Pelota-Grundfall wird nur die Produktion des Pelota verlagert. Nach
drei Jahren beginnt die T-Kft. mit Genehmigung der Geschäftsleitung der M-AG,
den Pelota auf eigene Rechnung in Ungarn zu verkaufen. Nach und nach entwickelt
sich die T-Kft. zu einem eigenwirtschaftlich agierenden Unternehmen, das den Pelota in Osteuropa auf eigene Rechnung vertreibt.
226
a) Definition
Eine Funktionsausweitung liegt nach hier vertretener Auffassung vor, wenn ein Unternehmen mit Routinefunktion zu einem Entrepreneur ausgeweitet wird. Die Definition wird allerdings nicht einheitlich vorgenommen. Die hier vorgenommene entspricht der der Finanzverwaltung in Tz. 5.1.4 VWG-FV-E (Ausweitung eines Auftragfertigers zum Eigenproduzenten („Funktionsausweitung“)) v. 19.1.2007.584
In der Literatur wird als Funktionsausweitung dagegen bereits die Übernahme einer
weiteren Funktion als Funktionsausweitung bezeichnet.585 Dieser Fall wird hier jedoch als Funktionsaufbau586 charakterisiert, um deutlich zu machen, dass es bei der
Funktionsausweitung nicht nur auf die Übernahme einer Funktion, sondern um die
dadurch erfolgte Ausweitung des Auftragfertiges zum Eigenproduzenten ankommt.
Eine andere Meinung setzt die Funktionsausweitung mit der Funktionsverdoppelung
gleich.587 Das kann bei Konstellationen der Fall sein, die hier unter den Funktionsaufbau gefasst werden. Die Gleichsetzung ist aber missverständlich, weil es im Kern
um Fälle geht, die sich von der Funktionsverdoppelung unterscheiden.
584 Dort heißt es: „„Übernimmt eine nahe stehende Person, die bisher als Auftragfertiger tätig
war, zusätzlich ganz oder teilweise die Vermarktung hergestellter Produkte, …“.
585 Frotscher, FR 2008, 49 (50), der sich auf die VWG-FV-E bezieht, diese aber an der Stelle
nicht genau wiedergibt.
586 Siehe unten 2. Teil B III 5..
587 Jahndorf, FR 2008, 101 (102).
227
Bei einer Funktionsausweitung handelt es sich im Grunde um eine „nachträgliche“
Funktionsverlagerung, bei der zunächst eine Funktionsabspaltung vorgenommen
wurde und bei der diese nun – nachträglich - durch eine Funktionsausweitung zu einer Funktionsverlagerung geworden ist. Der Ausdruck „nachträgliche“ Funktionsverlagerung kann allerdings missverstanden werden. Die Funktionsverlagerung findet nicht zu dem Zeitpunkt statt, in dem zum ersten Mal ein Wirtschaftsgut vom
verlagernden Unternehmen zum aufnehmenden Unternehmen erbracht wird, sondern
erst in dem Moment, in dem der Wandel vom Lohnfertiger zum Eigenproduzenten
passiert. Denn erst dann nutzt das aufnehmende Unternehmen die materiellen und
immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile eigenunternehmerisch, ohne sie entgeltlich erworben zu haben. Ab diesem Moment liegt eine, eben unentgeltliche,
Übertragung vor, wie sie unter fremden Dritten nicht üblich ist. Deshalb setzen ab
diesem Zeitpunkt die Regelungen zur Besteuerung dieser Vorgänge als Funktionsausweitung ein.
b) Abgrenzung Lohnfertiger vs. Eigenproduzent
Die in der Praxis wohl am häufigsten anzutreffende Konstellation einer Funktionsausweitung ist die Ausweitung eines sog. Lohn-/Auftragfertigers zu einem sog. Eigenproduzenten. Die Abgrenzung dieser Unternehmensklassifizierungen ist außerdem für die Abgrenzung einer Funktionsabspaltung gegenüber einer Funktionsausgliederung äußerst praxisrelevant. Zur Differenzierung zwischen Lohnfertiger und
Eigenproduzenten sollen die beiden Typen zunächst definiert und sodann verglichen
und abgegrenzt werden.
aa) Definitionen
(1) Lohnfertiger
Ein Lohnfertiger, synonym auch als verlängerte Werkbank bezeichnet,588 ist ein
Unternehmen mit Routinefunktionen im Produktionsbereich. Die eigenständigen,
marktwirksamen Funktionen verbleiben beim Auftraggeber.589
(2) Auftragfertiger
Ein Auftragfertiger unterscheidet sich vom Lohnfertiger dadurch, dass ihm das Material nicht durch den Entrepreneur beigestellt wird.590 Er ist also für die Materialbe-
588 F/W/B-Baumhoff, AStR, §1 AStG Anm. 582.2; Gosch/Kroppen/Grotherr-Becker, DBA,
Art. 9 Rz. 107; Neubauer, JbFfSt 1974/75, 269 f. spricht von „Werklieferer“.
589 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Anm. 586, 592.
228
schaffung selbst verantwortlich. Das ändert jedoch nichts an der funktionalen Zuordnung als Unternehmen mit Routinefunktionen in Bezug auf die steuerliche Behandlung im Rahmen der Verrechnungspreisprüfung.
(3) Eigenproduzent
Ein Eigenproduzent ist dagegen ein Entrepreneur im Produktionsbereich, der auf eigene Rechnung mit allen unternehmerischen Chancen und Risiken produziert und
sie am Markt vertreibt.591 Er wird sich dementsprechend nicht mit einem geringen
Gewinnaufschlag auf seine Kosten zufrieden geben, sondern will das unternehmerische Risiko entgolten haben.
bb) Abgrenzung des Lohn-/Auftragfertigers zum Eigenproduzenten
Die Qualifikation eines produzierenden Unternehmens als Eigenproduzent oder
Lohnfertiger und damit auch die Abgrenzung der beiden Typen erfolgt auf Grund
einer Funktions- und Risikoanalyse der beteiligten Unternehmen.
(1) Vorgehen zur Qualifikation als Lohnfertiger
Im Zusammenhang mit Produktionsfunktionen sind folgende Funktionsübernahmen
denkbar: Forschung und Entwicklung, Produktionsplanung, Materialbeschaffung,
Lagerhaltung, Produktion und Herstellung, Qualitätskontrollen, Verpackung und
Auszeichnung und Lagerhaltung.592 Dagegen stehen die Finanzierung, das Marketing und der Vertrieb in der Regel nicht direkt mit der Produktion in Zusammenhang. Typische Risiken im Zusammenhang mit der Produktion können unter anderem die folgenden sein: Produktionsrisiko, Auslastungsrisiko, Vorratsrisiko, Marktrisiko bzw. Preisverfallrisiko, Kreditrisiko, Wechselkursrisiko, Forderungsausfall
und Mitarbeiterfluktuation.593 Auch die eingesetzten Mittel können differenziert
werden: Sachmittel, immaterielle Vermögenswerte, finanzielle Mittel und humane
Vermögenswerte.594
Ein Unternehmen ist danach dann als Lohnfertiger zu qualifizieren, wenn es in Bezug auf die ausgeübten Funktionen, die übernommenen Risiken und eingesetzten
Mittel die genannten Kriterien trifft. Das bedeutet in Bezug auf die oben genannten
potentiellen Funktionen lediglich die Übernahme der Produktion, der Qualitätskon-
590 Oestreicher, in Jakobs, Int. Unternehmensbesteuerung, S. 1080, gebraucht dagegen die Begriffe synonym und verweist darauf, dass der Auftraggeber weiterhin Eigentümer der Rohstoffe und Produkte bleibt.
591 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Anm. 589, 589.1.
592 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 583 bis 583.5 m.w.N.
593 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 584 bis 584.4 m.w.N.
594 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 585 bis 585.4 m.w.N.
229
trolle, der Lagerhaltung und evtl. noch des Materialeinkaufs. Werden weitere der
oben genannten Funktionen dagegen auch vom produzierenden Unternehmen übernommen, spricht dies eher für eine Qualifikation als Eigenproduzent. Es muss jeweils eine genaue Analyse im Einzelfall erfolgen.
Dies trifft auch auf die Risiken zu. Übernimmt das produzierende Unternehmen nur
geringe Risiken, spricht dies für einen Lohnfertiger. In Betracht kommen hier vor
allem die folgenden Risiken, die für oder gegen eine Qualifikation als Lohnfertiger
sprechen: Beschaffungsrisiko, Lagerrisiko, Absatzrisiko und Produkthaftungsrisiko.
So kann der Lohnfertiger für den Materialeinkauf selbst verantwortlich sein und
deshalb bei ihm ein gewisses Beschaffungsrisiko bestehen,595 was ihn nach hier vertretener Ansicht zum Auftragfertiger macht. Grundsätzlich übernimmt ein Lohnfertiger jedoch ein solches Beschaffungsrisiko nicht.596 Auch das Lagerrisiko darf nicht
beim Lohnfertiger liegen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn er für die Rohstoffbeschaffung verantwortlich ist. Das wichtigste Kriterium ist jedoch das Absatzrisiko. Grundsätzlich übernimmt ein Lohnfertiger dieses Risiko gerade nicht. Tut er
das doch, darf dieses Risiko nur sehr begrenzt sein. Ansonsten ist hier sehr schnell
die Schwelle zum Eigenproduzenten überschritten.597 Ebenfalls darf das typische
Produkthaftungsrisiko nicht beim Lohnfertiger liegen. Er trägt jedoch das Risiko,
dass seine Produkte nicht den vereinbarten Qualitätsstandard erreichen. Hinzukommen können unter Umständen noch ein Preisrisiko auf der Beschaffungsseite und ein
Mengenanpassungsrisiko auf der Abnahmeseite.598
Schließlich dürfen die vom Lohnfertiger eingesetzten Mittel nur begrenzt sein. Er
kann das Material stellen. Auch die Materialstellung führt lediglich zur Qualifizierung als Auftragfertiger, was aber für die Einordnung als Unternehmen mit Routinefunktion unerheblich ist. Hinzukommen darf noch die Anstellung von Personal zur
Durchführung der Produktionsfunktion.599 Die von ihm eingesetzten finanziellen
Mittel sind relativ gering.600 Die Produktionsanlagen601 und die immateriellen Wirtschaftsgüter602 werden dagegen vom Auftraggeber beigestellt.
595 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 584.2 m.w.N.
596 Haarmann, IdW-Steuerfachtagung 1996, S. 69.
597 Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise, Rz. 414; Rödder nimmt in StBJb 1997/98, S. 121,
an, dass der Umstand der ausschließlichen Abnahme der Produkte durch die Muttergesellschaft für die Annahme einer Qualifikation als Lohnfertiger nicht ausreiche. Dem ist jedoch
entgegenzuhalten, dass diese Auffassung sich nur auf Ausnahmefälle beziehen kann. An dem
Grundsatz ändert dies nichts. (beide Fundstellen überprüfen).
598 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 584.4 m.w.N.
599 F/W/B-Baumhoff, § 1 AStG, Rz. 585.4.
600 D/W-Sieker, DBA, Art. 9 OECD-MA, Rz. 249.
601 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 585.1.
602 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Rz. 585.2.
230
Legt man diese Kriterien für eine Funktionsanalyse zugrunde, ist verständlich,
wieso im obigen Grundfall auch nach der Verlagerung der Funktion die Muttergesellschaft M-AG zunächst als der Entrepreneur und die Tochtergesellschaft T-Kft.
als das Unternehmen mit Routinefunktionen qualifiziert wurden. Erst als es zur
Funktionsausweitung gekommen ist, sind die Chancen und Risiken auf die T-Kft.
übergegangen.
Somit liegt im Beispiel ein Fall der Funktionsverlagerung im Sinn des § 1 III 9
AStG erst nach der Funktionsausweitung vor.
(2) Schwelle zwischen Auftragfertiger und Eigenproduzent
Problematisch sind die Fälle, bei denen die Einordnung als Lohnfertiger oder Eigenproduzent nicht so eindeutig wie im Grundfall ist. Das sind insbesondere Fälle, bei
denen eine Auftragsfertigung vereinbart ist, die ja ein „mehr“ an Eigenverantwortung gegenüber der Lohnfertigung ist und damit dem Eigenproduzenten näher steht,
und in denen dem Auftragfertiger zusätzliche Aufgaben und Risiken aufgebürdet
werden. Das zeigt das
Beispiel:
In Abwandlung zum „Pelota“-Falls wird nur die Produktion des Pelota verlagert.
Die T-Kft. ist auch für die Beschaffung des Materials zuständig. Sie beginnt sofort
mit Genehmigung der Geschäftsleitung der M-AG mit der Weiterentwicklung der
Produktion, indem sie Ingenieure einstellt, die Erfahrung in der Verbesserung von
Produktionsprozessen haben.
In der Literatur ist nicht geklärt, wann die Schwelle vom Auftragfertiger zum
Eigenproduzenten überschritten ist.603 Zuzustimmen ist jedenfalls der Aussage
von Baumhoff, dass die Schwelle nicht abstrakt beschreibbar ist.604 Es ist im Einzelfall eine Abwägung aller Faktoren bei Funktionen, Risiken und eingesetzten
Wirtschaftsgütern vorzunehmen. Das schafft keine Rechtssicherheit, ist aber
nicht anders lösbar.
Im vorliegenden Sachverhalt hängt es von der Vertragsgestaltung ab, ob die T-Kt.
die Schwelle zum Eigenproduzenten überschritten hat. Wenn die Forschungsergebnisse der M-AG zustehen, erbringt die T-Kft. nur Auftragsforschung. Stehen sie dagegen der T-Kft. zu, verursacht die Beurteilung Schwierigkeiten. Solange die T-Kft.
603 Becker, in B/H/G/K, Art. 9 OECD-MA, Rz. 107; F/W/B-Baumhoff, § 1 AStG, Rz 581.2 und
582 bis 582.3.
604 F/W/B-Baumhoff, § 1 AStG, Rz 581.2: „Übernimmt ein Lohnfertiger immer mehr Funktionen und Risiken, und setzt er immer mehr Mittel ein, so wird irgendwann ein Punkt erreicht
sein, ab dem er zum eigenständigen Produktionsunternehmen wird.“
231
weder die Forschungsergebnisse noch das Produkt „Pelota“ vermarkten darf, dürfte
es bei einer Qualifizierung als Auftragfertiger bleiben.
c) Besteuerung nach neuem Recht
Die Besteuerung der Funktionsausweitung hat sich ab 2008 geändert, sowohl durch
das Gesetz (sogleich unter aa) als auch durch die FVerlV (bb). Außerdem sind einige Einzelfragen zu klären (cc).
aa) Gesetzliche Regelung
Die Rechtsfolge besteht in einer nachträglichen Besteuerung des Transferpakets
gem. § 1 III 9 AStG. Das ergibt sich bereits aus dem System. Denn bei der Funktionsabspaltung geht zwar eine Funktion auf das aufnehmende Unternehmen über. Da
jedoch nicht eine Verlagerung der Chancen und Risiken erfolgt, liegt zum Zeitpunkt
der Verlagerung noch keine Funktionsverlagerung im Sinn des § 1 III 9 AStG vor.
Sobald die Chancen und Risiken jedoch durch eine Funktionsausweitung nachträglich verlagert werden, liegt eine Funktionsverlagerung ab diesem Zeitpunkt vor.
bb) Regelung in der FVerlV
Der Verordnungsgeber hat zur Funktionsausweitung eine Regelung in § 2 II 2
FVerlV605 erlassen. Dort wird festgestellt, dass bei der Funktionsausweitung die Regelungen zur Transferpaketbetrachtung und damit eine Gesamtbewertung gelten. Als
Zeitpunkt wird der Moment vorgesehen, in dem der Wandel vom Unternehmen mit
geringem Risiko (z.B. Lohnfertiger) zum Entrepreneur (z.B. Eigenproduzent) erfolgt. Dieser Regelungsinhalt ergibt sich jedoch auch bereits aus dem System der
Besteuerung von Verrechnungspreisen und Funktionsverlagerungen. Da es sich um
einen Fall der „nachträglichen“ Funktionsverlagerung handelt, setzen ab diesem
Zeitpunkt die Regelungen zur Besteuerung als Funktionsausweitung. Da sich dies
alles bereits aus dem System ergibt, enthält die Regelung inhaltlich nichts Neues.
605 Der Text der Vorschrift lautet: „Erbringt ein übernehmendes Unternehmen im Sinne des Satzes 1 die bisher ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen erbrachten Leistungen eigenständig, ganz oder teilweise, gegenüber anderen Unternehmen zu Preisen, die
höher sind als die Vergütung nach der Kostenaufschlagsmethode oder die entsprechend dem
Fremdvergleichsgrundsatz höher anzusetzen sind, ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Erbringung gegenüber dem anderen Unternehmen für bisher unentgeltlich vom verlagernden
Unternehmen für die Leistungserbringung zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgüter und
Vorteile eine Vergütung entsprechend § 3 zu verrechnen; die betreffenden Wirtschaftsgüter
und Vorteile gelten als ein Transferpaket, soweit hierfür die sonstigen Voraussetzungen
gegeben sind.“
232
Damit besitzt die Vorschrift nur eine klarstellende Funktion, Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist sie nicht notwendig.
cc) Einzelfragen
Es stellen sich allerdings einige Fragen zu diesem Komplex, vor allem die nach einer Geringfügigkeitsgrenze (sogleich unter (1)) und die nach einer Zeitspanne (2).
Diese sind auch verfassungsrechtlich relevant. Die Konformität zum Verfassungsrecht wird später untersucht.606
(1) Geringfügigkeitsgrenze
Die Vorschrift könnte so auszulegen sein, dass es eine Geringfügigkeitsgrenze geben
muss, wenn Lieferungen in geringem Umfang an andere als das abgebende Unternehmen erfolgen. Der Wortlaut des § 2 II 2 FVerlV ist nicht eindeutig. Er kann
dahin verstanden werden, dass es eine solche Grenze nicht gibt, weil die Verordnung
durch das Abstellen auf die erstmalige Erbringung der Leistung an einen Dritten
nahe legt, dass eine einzige Lieferung zur Anwendung der Vorschrift ausreicht. Der
Wortlaut kann aber auch so verstanden werden, dass die Vorschrift mit der entsprechenden Textpassage nur das zeitliche Moment abstellt und das Thema Geringfügigkeit gar nicht behandelt. Dann müsste der Abschnitt so gelesen werden: „…, ist
zum Zeitpunkt der erstmaligen Erbringung dann … zu verrechnen, wenn der Umfang dieser Leistungen mehr als x % der Leistungen des Unternehmens überschreitet.“
Es bedarf daher einer Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift. Da es im
Rahmen des § 1 AStG immer um den Fremdvergleich geht, ist dieser auch hier zu
berücksichtigen. Es ist zu fragen, ob unter fremden Dritten, die vertragliche Regelungen für den Fall der Funktionsausweitung vorsehen würden, auch eine Geringfügigkeitsgrenze werden würde, die geringe Lieferungen an andere erlauben würde,
oder ob dort andere vertragliche Vereinbarungen getroffen würden. Für ein Abstellen auf eine Null-Prozent-Grenze spricht die Vertrags- und Rechtsklarheit. Jedoch
berücksichtigt ein solcher Ansatz nicht den Umfang der Geschäfte. Fremde Dritte
würden zumindest geringfügigste Veräußerungen nicht als Verletzung der Rechte
des Auftraggebers ansehen. Sie würden vielmehr eine Klausel vereinbaren, ab welchem Umfang der Geschäfte eine Ausweitung zum Eigenproduzenten gegeben sei
mit der Folge, dass dann erst eine Vergütungspflicht einträte. Auf die Art und Weise
können geringfügigste Geschäfte ausgeschlossen werden.
Dann stellt sich allerdings die Frage, bis zu welcher Höhe geringfügigste Umsätze
mit anderen Parteien anzunehmen sind. Der Rahmen für eine solche Annahme dürfte
606 Siehe unten 2. Teil, E.
233
sich irgendwo zwischen 1,25 % und 10 % bewegen, wenn sonstige Geringfügigkeitsgrenzen des deutschen Steuerrechts herangezogen werden. Nach hier vertretener Auffassung erscheint ein Umfang von 5 % bezogen auf den Geschäftsumfang,
den der Lohnfertiger mit dem Auftraggeber macht, als eine Geringfügigkeitsgrenze,
die angemessen ist. Das würde auch im Mittel desjenigen liegen, was aus zwei anderen Problemkreisen des Steuerrechtes bekannt ist. Zum einen stellt sich im Rahmen
des § 15 III 1 EStG die Frage, ab welcher Grenze eine gewerblich geprägte Personengesellschaft vorliegt. Der BFH hat dort eine Geringfügigkeitsgrenze eingezogen,
indem er gesagt hat, dass diese Geringfügigkeitsgrenze jedenfalls dann nicht überschritten ist, wenn der Verkaufsumfang für die gewerblichen Produkte 1,25 % des
freiberuflichen Geschäftes nicht übersteigt.607 Die Finanzverwaltung hat diese
Rechtssprechung übernommen. 608 Mit dem Urteil hat der BFH allerdings nicht gesagt, dass nicht unter Umständen auch eine Grenze von 5 % oder gar 10 % noch als
geringfügig zu betrachten sei. Daher erscheint es nachdenkenswert, ob diese Grenze
nicht auch bei 5 % anzusetzen ist. Zum anderen ist aus dem Problemkreis der Abgrenzung des Betriebsvermögens zum Privatvermögen die 10 %-Grenze bekannt,
nach der nach Auffassung der Finanzverwaltung laut R 4.2 Abs. 1 S. 5 EStR 2005
Wirtschaftsgüter, die zu weniger als 10 % betrieblich genutzt werden, als private
Wirtschaftsgüter anzusehen sind. Der Grundgedanke beider Auslegungen ist derselbe. Es erscheint im Rahmen der Auslegung steuerlicher Vorschriften nicht als angemessen, wenn jeder Vorgang gleich dazu führt, dass sich bestimmte steuerliche
Behandlungen komplett ändern. Ob diese Grenze bei 1,25 %, 5 % oder 10 % anzusetzen ist, mag auslegungsfähig und diskussionswürdig erscheinen. Eine Grenze von
5 % wäre die „goldene Mitte“. Jedenfalls reicht ein einzelnes Geschäft dafür nicht
aus. Das dürfte immer als unangemessen anzusehen sein. Dies würden deshalb auch
fremde Dritte so nicht unternehmen.
Deshalb ist die Vorschrift des § 2 II 2 FVerlV dahingehend auszulegen, dass sie
immanent eine Geringfügigkeitsgrenze enthält, nach der ein Geschäftsumfang in
Höhe von bis zu 5 % mit anderen Unternehmen als dem Auftraggeber nicht zu
einer Behandlung als Funktionsausweitung und damit nicht zu einer Besteuerung
gem. § 1 III 9 AStG ergibt. Das ergibt sich allerdings aus dem Fremdvergleichsgrundsatz und damit aus dem allgemeinen System der Besteuerung, so dass diese
Ausführungen nichts daran ändern, dass die gesamte Vorschrift des § 2 II 2
FVerlV nicht notwendig ist.
(2) Zeitpunkt und Zeitspanne
Weiterhin ist zu klären, bis zu welcher Zeitspanne der Bezug zum abgebenden Unternehmen vorhanden ist bzw. ab welchem Zeitpunkt in den besprochenen Konstel-
607 BFH-Urteil v. 11.08.1999, XI R 12/98, BStBl. II 2000, 229.
608 H 15.8 (5) (Geringfügige gewerbliche Tätigkeit) EStH 2005.
234
lationen eine Funktionsausweitung vorliegt, so dass von einer nachträglichen Funktionsverlagerung ausgegangen werden kann.
Der Verordnungsgeber ist den leichtesten Weg gegangen, indem er die Grenze bei
dem erstmaligen Verkauf eines Produktes durch das aufnehmende Unternehmen gesetzt hat. Es stellt sich die Frage, ob diese Lösung sachgerecht ist. Diese Regelung
dient jedenfalls der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit. Für die Praxis ist sie
leicht anwendbar. Außerdem hatten die Verfasser der Funktionsverlagerungsverordnung unter Umständen Geschäfte vor Augen, bei denen der bisherige Lohnfertiger
mit einem anderen Kunden mehrere Geschäfte macht, die zeitlich hintereinander liegen und die insgesamt die Grenze von zum Beispiel 10 % überschreiten. Für solch
ein Geschäft mag es sinnvoll sein, auf die erstmalige Leistungserbringung abzustellen, um überhaupt einen zeitlichen Rahmen zu setzen.
Die Regelung berücksichtigt jedoch in nicht ausreichender Form, dass es auch Fälle
gibt, in denen es zu Geschäftsbeziehungen mit anderen als dem abgebenden Unternehmen kommt, ohne dass die verkauften Produkte oder Leistungen noch auf Know-
How basieren, welches dem abgebenden Unternehmen gehört. Das wird sogleich
unter (3) untersucht. Nach hier vertretener Auffassung kann es keine abstrakte Antwort auf die Frage geben, wann eine Funktionsausweitung vorliegt. Es ist im jeweiligen Einzelfall zu analysieren, ob und inwieweit die Funktionsausweitung auf unternehmerische Leistungen des abgebenden Unternehmens zurückzuführen ist.
Wenn dessen erarbeitete Chancen ausgenutzt werden, ist eine Funktionsausweitung
zu bejahen. Auf die Zeitspanne kann es also ebenso wenig ankommen wie in jedem
Fall auf den Zeitpunkt. Die Vorschrift ist dahingehend teleologisch zu reduzieren,
dass es dann zu einer Funktionsausweitung bei erstmaliger Leistung an dritte Unternehmen kommt, wenn diese Leistung dem abgebenden Unternehmen zuzurechnen
ist. Sonst verstieße sie auch gegen den Fremdvergleichsgrundsatz, weil fremde
Dritte auch vertraglich im Einzelfall festlegen würden, ab wann und wie die Ausnutzung des eigenentwickelten Know-Hows erfolgen dürfte.
(3) Funktionsausweitung = Funktionsverlagerung?
Aus dem Gesagten ergibt sich die immanente These des § 2 II 2 FVerlV, dass bei
einer Funktionsausweitung vom Lohnfertiger zum Eigenproduzenten immer eine
Funktionsverlagerung vorliegt. Für das obige Eingangsbeispiel zur Funktionsausweitung ist das richtig. Die Ausnutzung der immateriellen Wirtschaftsgüter werden
ab dem Zeitpunkt, in dem sich die T-Kft. durch den Verkauf des „Pelota“ auf eigenen Rechnung zum Eigenproduzenten wandelt, von der M-AG der T-Kft. überlassen. Die T-Kft. nutzt sie ab diesem Zeitpunkt eigenunternehmerisch, ohne dass eine
Lizenzierung oder eine einmalige Vergütung an die M-AG erfolgt. Fraglich ist jedoch, wie sich die Situation bei den folgenden Abwandlungen darstellt:
235
Beispiel:
Die T-Kft. soll laut den Verträgen allein als Lohnfertiger arbeiten. Nun beginnt die
T-Kft. jedoch, die Produkte selbst zu verkaufen, weil sie
a) von Kunden angesprochen wird, ohne dass sie selbst Verkaufsbemühungen angestellt hat,
b) Mitarbeiter ohne Aufforderung der Geschäftsleitung Marketing- und Vertriebsmaßnahmen ergriffen haben und dabei mit Erfolg rechnen, was von der Geschäftsleitung positiv aufgenommen wird und
c) während des laufenden Produktionsprozesses eigenes Know-how entwickelt,
dementsprechend die Fertigung verbessert und das abgewandelte und verbesserte
Produkt eigenständig auf den lokalen Markt bringt.
d) während des laufenden Produktionsprozesses eigenes Know-how entwickelt,
dementsprechend die Fertigung verbessert und das Know-How in Form von Dienstleistungen an Kunden (Zulieferer) verkauft.
Die Beispiele sollen verdeutlichen, wie problematisch die steuerliche Behandlung
dann sein kann, wenn der Funktionswandel nicht ein zumindest unmittelbares Produkt der Produktionsverlagerung ist, sondern auf interne Faktoren beim Lohnfertiger
zurückzuführen ist.
Gegen die Behandlung einer Funktionsverlagerung für solche Konstellationen
könnte sprechen, dass eine „Verlagerung“ vorliegen muss. Das könnte hier zu verneinen sein, weil sich das aufnehmende Unternehmen die Unternehmenschancen
selbst erarbeitet. In derselben Richtung könnte argumentiert werden, dass allenfalls
die Verlagerung einer Geschäftschance vorläge.609
Für eine Funktionsverlagerung spricht in den ersten drei Alternativen jedoch, dass
die Entwicklung zum Entrepreneur Ausschluss der ursprünglichen Tätigkeit als
Lohnfertiger ist. Die Tätigkeit als Lohnfertiger wiederum ist nur möglich gewesen,
weil die Muttergesellschaft die erforderlichen Produktionsfaktoren beigestellt hat.
Dazu gehören sowohl die Maschinen als auch das Know-how, als auch unter Um-
609 Zur Geschäftschance und ihre Abgrenzung zum Gewinnpotential siehe unten 2. Teil C.III.
Nach hier vertretener Auffassung ist die Geschäftschancenlehre für einen Großteil der Fälle
überholt. Wenn die Geschäftschancenlehre noch angewandt werden soll, müsste die Chance
erstens hinreichend konkret sein, was hier noch anzunehmen sein könnte (wobei das wiederum dann problematisch und wohl zu verneinen wäre, wenn die M-AG selbst den Markt
weiter bearbeiten würde). Zweitens ist die Geschäftschance in vielen Fällen ein Weniger als
das Gewinnpotenzial. Es wäre also ein Unterschied, ob lediglich eine Geschäftschance hier
verlagert werden würde oder ob eine Funktionsverlagerung anzunehmen sei.
236
ständen das technische bzw. das Führungspersonal. Außerdem hätte ein fremder
Dritter als Entrepreneur mit seinem Lohnfertiger vertragliche Regelungen getroffen,
die diesem verbieten, das Produkt eigenverantwortlich zu vermarkten. Wenn der
Lohnfertiger dies dann tun wollte, müsste er entweder eine Lizenz für die Marke und
die Produkte nehmen oder die Rechte käuflich erwerben. Diese Faktoren überwiegen
nach hier vertretener Auffassung die Gegenargumente, so dass zumindest in den
Fallgestaltungen a) und b) eine Funktionsverlagerung zu bejahen ist. Die Ausweitung der Geschäfte ist Ausfluss der Wirtschaftsgüter, die die M-AG der T-Kft. zur
Verfügung gestellt hat.
Problematisch ist die Fallgruppe c), wenn die T-Kft. das Produkt selbst weiterentwickelt und für das ursprünglich beigestellte Know-how und die beigestellten Wirtschaftsgüter eine Vergütung zahlt (Lizenz oder Kauf). Während ohne eine Vergütung noch angenommen werden könnte, dass auch die Weiterentwicklung der Produktion nur Ausfluss der ursprünglichen Verlagerung auf einen Lohnfertiger ist, ist
im Erwerbsfall das Know-how abgegolten worden.
Noch problematischer ist die Fallgruppe c), wenn das Know-How nicht abgegolten
wurde, die M-AG die Weiterentwicklung und den Verkauf aber stillschweigend duldet. Dann stellt sich die Frage nach dem rechtlichen Anspruch und der rechtlichen
Durchsetzbarkeit des abgebenden Unternehmens, die beigestellten Wirtschaftsgüter
nicht so zu nutzen, dass sie zu einem eigenen Produkt weiterentwickelt werden. Jedenfalls dann, wenn ein zivilrechtlicher Anspruch für die M-AG nicht besteht, wird
man zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die T-Kft. die Weiterentwicklung eigenunternehmerisch nutzen darf und nur eine Lizenz für die beigestellten Wirtschaftsgüter entrichten muss.
Die Gestaltungsmöglichkeit, die für die Betriebsprüfung schwer zu erfassen ist, besteht darin, die einzelnen Wirtschaftsgüter in Lizenz zu erwerben. Dann erfolgt eine
Bewertung nach dem Grundsatz der Einzelvergütung. Das Gewinnpotenzial, was
letztendlich durch das Ausnutzen der unternehmerischen Geschäftschance entsteht,
müsste dann bei der späteren Funktionsausweitung im Wege der Gesamtbewertung
erfasst werden. Das dürfte im Einzelfall allerdings schwer nachzuvollziehen sein. Es
ist jedenfalls im Einzelfall zu prüfen, ob es sich um eine schleichende Funktionsverlagerung (mit dem Grundsatz der Gesamtbewertung) oder um die Nutzung eigenen Know-hows (mit dem Grundsatz der Einzelbewertung) handelt. Diese Problematik kann jedenfalls § 2 II 2 FVerlV auch nicht lösen, weil sie vom Einzelfall abhängt.
Die Fallgestaltung d) ist grenzwertig, weil sich hier bereits aufgrund der Vertragssituation im Einzelfall die Frage stellt, ob die T-Kft nicht von Beginn an als Eigenproduzent zu qualifizieren ist, weil sie das Recht hat, das Know-How weiter zu entwickeln.
237
Die Beispiele, insbesondere d), zeigen, dass nicht jede Funktionsausweitung
zwangsläufig eine Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 III 9 AStG auslösen
muss.
dd) Durchsetzung der Regelungen durch die Finanzverwaltung
Die VWG-FV-E enthielten bereits in Tz. 5.1.4 VWG-FV-E v. 19.1.2007 einen Vorschlag zur Behandlung der Funktionsausweitung aus der Sicht der Finanzverwaltung.610 Der erste Satz ist durch die gesetzliche Neuregelung überholt, weil statt einer Vergütung nun eine Besteuerung des Transferpakets anhand der Gewinnpotentiale gem. §§ 1 III 9 i.V.m. 1 III 6 AStG erfolgt. Interessant sind dagegen die beiden
weiteren Sätze der Kennziffer. Der Satz 3 verdeutlicht die Abweichung der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung von der hier vertretenen, weil das BMF keine
Geringfügigkeitsgrenze zulassen will. Der Satz 2 offenbart, wie die Verwaltung die
Regelung durchzusetzen gedenkt. Das dürfte für die Praxis besonders interessant
sein. Dieser Regelung ist zuzustimmen, weil sie die Besteuerungsgleichheit sichert.
ee) Gesamtwürdigung
Die Besteuerung der Funktionsausweitung ist insgesamt sinnvoll, weil sonst das
Gesamtsystem der Besteuerung von Funktionsverlagerungen sehr missbrauchanfällig wäre. Es könnte sonst erst eine Funktionsabspaltung vorgenommen werden, der
dann mit einem gewissen Schamabstand eine nachträgliche Verlagerung folgen
würde. Das kann nicht Sinn und Zweck der Regelungen sein. Daher ist die Besteuerung dieser Fallgruppe sinnvoll. Sie muss allerdings verfassungskonform ausgelegt
werden.611
610 Tz. 5.1.4 VWG-FV-E lautete: „1Übernimmt eine nahe stehende Person, die bisher als
Auftragfertiger tätig war, zusätzlich ganz oder teilweise die Vermarktung hergestellter Produkte, ist für die bisher unentgeltlich beigestellten Wirtschaftsgüter (Know-how, Maschinen
usw.) wie zwischen fremden Dritten eine Vergütung zu verrechnen, weil das bisher nur als
Auftragfertiger tätige Unternehmen diese Wirtschaftsgüter nunmehr zur eigenen Marktteilnahme nutzt (Tz. 5.1.3). 2In Fällen von Auftragfertigern ist auf Dauer zu überwachen, ob und
ggf. ab wann insoweit weitergehende Funktionen ausgeübt werden (erster Ausgangsumsatz,
der nicht gegenüber dem verlagernden Unternehmen getätigt wird), damit rechtzeitig die
steuerlichen Konsequenzen gezogen werden können. 3Dies gilt auch, wenn fremde
Abnehmer oder andere Konzernunternehmen nur in geringem Umfang vom übernehmenden
Unternehmen (bisheriger Auftragfertiger) eigenständig beliefert werden.“ Die Satznummerierung wurde vom Verfasser hinzugefügt.
611 Siehe dazu unten 2. Teil E.
238
3. Funktionsabschmelzung
Eine Funktionsabschmelzung liegt vor, wenn ein Entrepreneur zu einem Unternehmen mit Routinefunktionen abgeschmolzen wird. Die Konstellation verdeutlicht das
folgende
Beispiel:
Der „Pelota“ sei kein Produkt eines deutschen, sondern eines japanischen Herstellers
M-Inc. Diese vertreibt ihre Fahrzeuge weltweit, indem sie in jedem Land zwar
Tochtergesellschaften gründet, diese aber wie rechtlich unabhängige Eigenhändler
agieren lässt. So arbeitet auch die T-GmbH bisher als Eigenhändler. Nun beschließt
die M-Inc. eine Umstrukturierung ihrer Vertriebsstruktur. Sie kündigt die Lieferverträge fristgerecht und ordnet gegenüber den Tochtervertriebsgesellschaften an, dass
diese zukünftig als Kommissionär für die M-Inc. tätig werden.
a) Definition
Die Definition ist nicht einheitlich. So wird in der Literatur die Funktionsabschmelzung als „Funktionsverlagerung durch Verlagerung der Chancen und Risiken“612
oder als Reduzierung einer bestehenden Funktion zu Gunsten eines anderen Rechtsträgers beschrieben. Die VWG-FV-E definieren die Funktionsabschmelzung nicht
612 Jahndorf, FR 2008, 101.
239
ausdrücklich, sondern setzen die Definition in Tz. 5.2.2613 voraus. Im Kern meinen
alle Definitionen aber dasselbe. Ein Strategieträger verliert diese Eigenschaft durch
die Übertragung der Chancen und Risiken auf die Mutter- oder eine Schwestergesellschaft und wird dadurch zu einem Unternehmen mit Routinefunktionen.
Die Funktionsabschmelzung ist vor allem bei der Reorganisation von Vertriebsstrukturen von Bedeutung. Eine Funktionskorrektur birgt auch ich diesem Bereich
regelmäßig die Gefahr einer Gewinnkorrektur auf der Basis einer Besteuerung als
Funktionsverlagerung gem. § 1 III 9 AStG. Es ist jedoch für die verschiedenen Fallkonstellationen zu untersuchen, ob der jeweilige Abschmelzungsvorgang zu einer
Besteuerung als Funktionsverlagerung gem. § 1 III 9 AStG führt. Dabei ist wie auch
sonst generell bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen für die Lieferung an
Vertriebsgesellschaften614 eine Funktions- und Risikoanalyse der jeweiligen Vertriebsaufgaben durchzuführen.
b) Abschmelzung bei Vertriebsstrukturen
Die in der Praxis wichtigste Fallgruppe der Funktionsabschmelzung sind Umstrukturierungen des Vertriebs, bei denen ein bisheriger Vertrags-/Eigenhändler zum
Kommissionär oder Handelsvertreter abgeschmolzen wird. Besonders praxisrelevant
ist die Reorganisation der Vertriebsstruktur in eine Kommissionärsstruktur.615 Zur
Analyse dieser Fälle ist zunächst eine Definition der Modelle notwendig (sogleich
unter aa), bevor auf deren Behandlung und gegenseitige Abgrenzung unter den Gesichtspunkten einer Besteuerung gem. § 1 IIII 9 AStG eingegangen wird (bb).
aa) Definitionen
Die Grundgedanken zur Abgrenzung zwischen Lohn-/Auftragfertiger einerseits und
Eigenproduzent andererseits sind auf die Vertriebsseite im Wesentlichen übertragbar. Da es dort jedoch zivilrechtliche Abstufungen sowohl zwischen Handelsvertreter und Kommissionär einerseits als auch zwischen Vertragshändler und freiem Eigenhändler andererseits gibt und diese sodann Auswirkungen auf die steuerliche Be-
613 Der Text lautet: „Für die Abschmelzung eines Eigenhändlers zum Kommissionär, Handelsvertreter oder Agenten gelten die allgemeinen Grundsätze. Insbesondere in diesen Fällen ist
neben der Besteuerung des mit dem Transferpaket übergegangenen Gewinnpotentials zu
prüfen, ob die Tätigkeit des verlagernden (abgeschmolzenen) Unternehmens nach der Funktionsverlagerung eine Vertreterbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA) des übernehmenden
Unternehmens begründet. Ist dies der Fall, muss weiter geprüft werden, welche Wirtschaftsgüter und Gewinnanteile des übernehmenden Unternehmens (Chancen und Risiken
des Vertriebs) der Betriebsstätte und welche dem Stammhaus des übernehmenden
Unternehmens funktional zuzuordnen sind.“
614 F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Anm. 309 f. u. 603.1.
615 Engler, in V/B/E, Kap. G Rn. 769.
240
handlung haben, sind sie näher zu untersuchen. Außerdem wird als „Zwischenfigur“
noch die sog. „Stripped-buy-sell“-Struktur erläutert. Für alle Formen ist eine Qualifikation als Unternehmen mit Routinefunktion oder als Entrepreneur vorzunehmen.
(1) Handelsvertreter und Kommissionär
Im Vertriebsbereich gibt es wie auf der Produktionsseite Unternehmen mit Routinefunktionen. Als solche Unternehmen kennt das deutsche Handelsrecht den Handelsvertreter und den Kommissionär bzw. den Kommissionsagenten.616
(a) Handelsvertreter
Ein Handelsvertreter ist gem. § 84 Abs.1 HGB, „wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit vertraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.“ Der Handelsvertreter vermittelt das
Geschäft im Namen und für Rechnung des vertretenen Unternehmers, so dass die
Vertragspartner der Kunde und der Unternehmer sind, nicht aber der Handelsvertreter. Wird der Handelsvertreter bevollmächtigt, die Geschäfte abzuschließen, übt er
die Vollmacht nur im Namen und für Rechnung des Unternehmers aus.617 Steuerlich
ist er als ein Unternehmen mit Routinefunktionen zu qualifizieren. Der Verrechnungspreis zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter ist wie im Vertriebsbereich üblich nach der Wiederverkaufspreismethode zu bestimmen.618
(b) Kommissionär und Kommissionärsagent
Ein Kommissionär ist gem. § 383 Abs. 1 HGB, „ wer es gewerbsmäßig übernimmt,
Waren oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen ( des Kommittenten ) im eigenen Namen zu kaufen und zu verkaufen.“ Der Kommissionär wird jeweils nur für
ein bestimmtes Geschäft beauftragt und ist nicht auf Dauer in den Vertrieb des Geschäftsherrn eingebunden. Verpflichtet er sich hingegen seinem Auftraggeber gegenüber, ständig Kommissionsgeschäfte zu tätigen, wird er als Kommissionsagent
tätig.619 Im Unterschied zum Handelsvertreter kauft und verkauft er Waren für Rechnung des Kommittenten im eigenen Namen. In Abgrenzung zum Vertragshändler
616 Unterscheidungen im Vertriebsbereich zwischen Unternehmen mit Routinefunktionen (sales
agent oder commission agent (commissionaire) und Entrepreneuren kennen ausländiche
Rechtssysteme auch. Zur Diskussion der Strukturierung der Vertriebsseite unter Einschaltung sog. Shared Service Center und sog. Low risk distributor siehe Wright, ITPJ 2006, 202.
617 Westphal, Vertriebsrecht Bd 1, Rz 67 ff.
618 Tz. 3.1.3 VWG 1983; F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG, Anm. 603.1. Der BFH hat im sog.
„Aquavit“-Urteil der Wiederverkaufspreismethode zumindest im dortigen Fall den Vorzug
vor der Preisvergleichsmethode gegeben, obwohl der Steuerpflichtige diese anwenden
wollte, BFH-Urteil v. 17.02.1993, I R 3/92, BStBl. II 1993, 457.
619 Westphal, Vertriebsrecht, Bd. 2, Rz40
241
hat der Kommissionär weniger Aufgaben inne. Er kümmert sich nur um die Werbung, Akquisition, die Bereitstellung von Dienstleistungen an den Kunden, das Auftragsmanagement, die Warenannahme und das Inkasso.620
Seine Verkaufsprovision kann grundsätzlich kosten- oder umsatzbezogen vereinbart
werden. Der Verrechnungspreis zum Entrepreneur wird im Fall der kostenbezogenen Vergütung nach der Kostenaufschlagmethode mit einem vergleichsweise geringen Gewinnzuschlag berechnet, während im Fall der umsatzbezogenen Vergütung
der Kommissionär einen festen Prozentsatz vom Umsatz erhält.621 Dabei soll eine
branchenübliche, also marktgerechte Provision gezahlt werden.622 Das führt quasi
durch die „Hintertür“ allerdings dazu, dass bei der Beurteilung des Kommissionärsverhältnisses unter Verrechnungspreisgesichtspunkten die Preisvergleichsmethode
ebenfalls heranzuziehen ist, auch wenn das in der Literatur nicht ausdrücklich gesagt
wird. Durch die Einschaltung eines Kommissionärs wird erreicht, eine Vertriebsgesellschaft im Ausland errichten zu können, der nur eine geringe Gewinnmarge zugestanden werden kann, ohne dass sie den unerwünschten Status einer Betriebsstätte
erreicht.623 Dies ist insbesondere für ausländische Hersteller interessant, die im
Hochsteuerland Deutschland den Markt bearbeiten möchten, ohne einen Großteil
des Gewinns hier der Besteuerung unterwerfen zu müssen.
Wie der Handelsvertreter ist der Kommissionär bezüglich seiner Unternehmensqualifikation als ein Unternehmen mit Routinefunktionen einzuordnen.624
(2) Eigenhändler
Der Begriff „Eigenhändler“ wird hier als ein Oberbegriff für die Formen des Vertraghändlers und des freien Eigenhändlers gebraucht. Das ist allerdings nicht uneingeschränkt üblich. Die Begriffe werden in der Rechtssprechung und Literatur nicht exakt
voneinander getrennt. Der BGH verwendet den Begriff des Vertragshändlers synonym
mit dem des Eigenhändlers.625 Die Literatur macht dies ebenfalls.626 Das ist ungenau und
verwirrend,627 zumal selbst z.B. bei einem Handelsvertreter auch ein Eigenhandel vor-
620 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 780.
621 Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise, Tz. 179 u. 185; F/W/B/-Baumhoff, AStR § 1
AStG Anm. 614.1.
622 Endres, IdW-Steuerfachtagung 1996, S. 97 nachprüfen; F/W/B-Baumhoff, AStR, § 1 AStG,
Anm. 614.2.
623 Kroppen/Hüffneier, IWB 1995, 999 (1000) (= F. 3, Gr. 2, 637 (638);Vögele/Brem, in V/B/E,
Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 781; Timmermanns, IWB 2000, 805 (809) (= F. 3, Gr 2,
59).
624 So wohl auch Engler, in Vögele/Brem, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 775.
625 BGH v. 21.10.1970, VIII ZR 255/68, BGHZ 54, 338 (340 f.).
626 Hopt, HGB, Einl. vor § 373, Rz. 35; Bodenmüller, Steuerplanung, S. 268 bis 271; Engler, in
V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 772.
627 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rz. 3; Küstner/Thume, Rn. 1137.
242
liegt, wenn er neben seiner Handelsvertretertätigkeit Produkte selbst an- und verkauft.628
Die Unterscheidung ist deshalb relevant, weil steuerlich eine Einordnung des Vertragshändlers und des sog. freien Eigenhändlers als sog. mittleres Unternehmen oder als Entrepreneur vorzunehmen ist. Deshalb wird hier der Begriff „Eigenhändler“ nicht synonym mit dem des Vertragshändlers verwendet, sondern als Oberbegriff für den Vertragshändler einerseits und den freien Eigenhändler andererseits.
Gemein ist beiden jedenfalls, dass sie als Abgrenzungsmerkmal zum Kommissionär
im eigenen Namen und für eigene Rechnung handeln.629 Sie unterscheiden sich aber
durch den Grad des Vorliegens der Bindung an die Interessen des Herstellers.630
(a) Freier Eigenhändler
Ein freier Eigenhändler ist derjenige, der keinen Rahmenvertrag mit dem Hersteller geschlossen hat und auch nicht in die Vertriebsorganisation des Herstellers eingebunden
ist. Das lässt sich als Umkehrschluss aus der Definition des Vertragshändlers ableiten.631
Ohne Rahmenvereinbarung liegt eine bloße Verkäufer-Käufer-Beziehung vor.632
Beispiel:
Der indische Autokonzern M-Plc. will auf dem europäischen Markt Fuß fassen. Er
kauft deshalb unabhängige Autohändler auf, u.a. die V-GmbH. Die M-Plc. ändert
aber nichts an deren Geschäftsmodell, so dass die V-GmbH weiter agieren darf, als
sei sie ein unabhängiger Händler. Sie handelt mit der M-Plc. einen günstigen Einkaufspreis für alle Fahrzeuge aus, die sie in den Jahren 01 und 02 kauft, ohne dass es
irgendwelche sonstigen Verpflichtungen gibt.
Da der Eigenhändler einen zivilrechtlichen Vertrag wie unabhängige fremde Dritte
mit dem Mutterunternehmen als Prinzipal schließt und er alle Funktionen und Risiken eines selbständigen unverbundenen Unternehmens innehat, ist der freie Eigenhändler steuerlich als Entrepreneur anzusehen.633 Das muss auch dann gelten, wenn
die Anteile an ihm vollständig von der Muttergesellschaft gehalten werden. Solange
er auch als konzernverbundenes Unternehmen wie ein unabhängiger Dritter agieren
darf, ändert dies nichts an seiner Qualifikation als Strategieträger.
628 Westphal, Vertriebsrecht, Bd. 1, Rz 4; Canaris, Handelsrecht, § 17 Rz 2.
629 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rz. 2.
630 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rz. 1.
631 Sogleich unter (b).
632 Westphal, Vertriebsrecht, Bd. 2, Rz 20.
633 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 773.
243
(b) Vertragshändler
Ein Vertragshändler ist derjenige, wer sich durch einen auf gewisse Dauer geschlossenen Rahmenvertrag verpflichtet hat, Waren des Herstellers oder Lieferanten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben, wobei er in die Vertriebsorganisation des Herstellers/Lieferanten eingegliedert ist.634 Der Vertragshändler übernimmt neben den beim Kommissionär beschrieben Aufgaben zusätzlich das Marketing, die Preispolitik, die Auswahl lokaler Vertriebspartner und die Lagerung und
Verteilung von Waren.635 Er hat außerdem als Risiken insbesondere das der erfolglosen Geschäftsstrategie, Gewährleistungs- und Garantieansprüche, das Forderungsrisiko und Auslastungsschwankungen.636
Fraglich ist, ob der Vertragshändler steuerlich als ein Entrepreneur anzusehen ist. In
der Literatur wird von denen, die den Vertrags- und den Eigenhändler synonym behandeln, konsequenterweise geschlussfolgert, dass er deshalb auch als Entrepreneur
zu klassifizieren ist.637 Es könnte jedoch daran zu denken sein, dass bei einem Vertragshändler danach zu differenzieren ist, wie der Vertrag zum Prinzipal im Einzelnen gestaltet ist. Denn wenn der Vertragshändler so weit in die Struktur des Herstellers eingebunden ist, dass ihm typische Risiken eines Händlers gar nicht mehr
verbleiben, so kann er nicht mehr als Entrepreneur angesehen werden. Allerdings ist
in solchen Fällen zu prüfen, ob der „Vertragshändler“ zivilrechtlich dann noch als
solcher zu klassifizieren ist oder ob er dann nicht als Kommissionär anzusehen ist.
Das gilt im umgekehrten Fall auch für den „Kommissionär“, weil dessen Rechte so
weitgehend gestaltet sein können, dass er tatsächlich als Vertragshändler anzusehen
ist. Deshalb sollte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Vertragshändler steuerlich als Entrepreneur anzusehen ist.
Obwohl also der freie Eigenhändler und der Vertragshändler beide als Entrepreneure
anzusehen sind, ist die Abgrenzung zwischen beiden Formen für die Frage der Besteuerung als Funktionsverlagerung bei Umstrukturierungsprozessen relevant, wie
nach der Darstellung der Stripped-Buy-Sell-Struktur gezeigt wird.
(3) Stripped-Buy-Sell-Struktur
Die Stripped-Buy-Sell-Struktur ist dem deutschen Vertragsrecht nicht bekannt. Sie
ähnelt einer Vertragshändlerstruktur mit der Besonderheit, dass der Verkaufsagent
634 Hopt, HGB, Einl vor § 373, Rz. 35; Westphal, Vertriebsrecht, Bd. 2, Rz 18.
635 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 774.
636 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 774.
637 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 773; Bodenmüller, Funktionsverlagerungen, S. 395 u. 396 verweist zum Vertragshändlervertrag auf kaufvertragliche
Elemente und damit auf den Vertragshändler als Entrepreneur.
244
eine Kommission erhält.638 Jedoch soll diese Vergütung im Gegensatz zum
Kommissionär wie beim Eigen-/Vertragshändler seiner umfassenden Funktions- und
Risikoübernahme gerecht werden.639 Diese Struktur ist also ein „Zwischending“
zwischen Kommissionär und Vertragshändler.
Es ist diskutabel, ob Strukturen des ausländischen Rechts zumindest im deutschen
Steuerrecht berücksichtigt werden sollen. Dagegen spricht aber der Gedanke der
Einheit des Rechtssystems. Auch wenn diese Einheit an vielen Stellen durchbrochen
sein mag, sollte möglichst versucht werden, Zivilrecht und Steuerrecht zusammen zu
halten. Ausländische Rechtsformen und ausländische Vertragstypen sind durch einen Typenvergleich in das deutsche Recht einzupassen. Es sollte deshalb nicht eine
weitere Klassifizierung aufgrund ausländischer Strukturen erfolgen, sondern diese
sind umgekehrt einzupassen. Deshalb ist bei einer Stripped-Buy-Sell-Struktur im
jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob der Agent ein Kommissionär oder ein Vertragshändler ist.
(4) Übersicht
Aus dem bisher gesagten lässt sich die folgende Übersicht zur Einordnung der Vertriebsstrukturen in das System der Besteuerung von Verrechnungspreisen herleiten:
Übersicht
Unternehmen mit Routinefunktion Entrepreneur
HV Freier Eigenhändler
Kommissionär Vertragshändler
(Stripped-Buy-Sell-Struktur)
638 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 775.
639 Vögele/Brem, in V/B/E, Verrechnungspreise, Kap. G, Rz. 776.
245
Wechsel im Status:
Mgl 1: Funktionsausweitung:
Kommissionär => Vertragshändler
Mgl 2: Funktionsabschmelzung:
Kommissionär <= Vertragshändler
bb) Beurteilung der Abschmelzung vom Eigenhändler zum Kommissionär
In Bezug auf die steuerlichen Fragen zur Funktionsverlagerung geht es im Kern
darum, ob bei einer Umwandlung vom Vertragshändler zum Kommissionär eine
Funktionsabschmelzung und damit eine Funktionsverlagerung gem. § 1 III 9 AStG
vorliegt. Dann müsste erstens eine Funktion verlagert werden, für die zweitens ein
fremder Dritter einen Entgeltanspruch geltend machen könnte.
Diese Form der Problemstellung setzt immanent voraus, dass der Vertragshändler
als Entrepreneur zu behandeln ist, wie das von der Literatur angenommen wird.
Wird das bejaht, verläuft die Abgrenzungslinie läuft „irgendwo“640 zwischen
Vertragshändler und Kommissionär. Denn der Handelsvertreter ist bei den Vertriebsunternehmen, die in fremdem Namen handeln, weniger eigenständig nach au-
ßen als ein Kommissionär, so dass letzterer näher an der Schwelle zum Eigenhändler
ist. Umgekehrt ist der freie Eigenhändler eigenständiger als der Vertragshändler, so
dass letzterer von der anderen Seite aus näher an der Schwelle zum Unternehmen
mit Routinefunktion ist. Wird eine Stripped-Buy-Sell-Struktur grundsätzlich akzeptiert, was diesseits nicht der Fall ist, verläuft die Grenze genau „zwischen“ ihr, je
nachdem, ob sie im Einzelfall mehr Aufgaben mit Routinefunktion innehat oder ob
sie als Strategieträger anzusehen ist. Zur Lösung dieses Abgrenzungsproblems ist in
Parallele zu den ähnlichen Konstellationen auf der Produktionsseite eine Abwägung
im Einzelfall vorzunehmen. Die Grenze lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Es ist
im Einzelfall zu prüfen, ob nach dem zugrunde liegenden Vertrag ein Kommissionsverhältnis anzunehmen ist oder ob der Agent als Vertragshändler anzusehen ist. Dabei ist die zivilrechtliche Beurteilung zugrunde zu legen. Nur wenn aufgrund einer
solchen Beurteilung der Vertragshändler als Entrepreneur anzusehen ist, kommt bei
einer Umstrukturierung die Prüfung einer Funktionsabschmelzung und damit einer
Funktionsverlagerung in Betracht.
640 Gemeint ist eine im Einzelfall vorzunehmende Abgrenzung.
246
Ist nun die Abgrenzung gezogen, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob bei einer derartigen Restrukturierung vom freien Eigenhändler oder von einem Vertragshändler,
also von einem Entrepreneur, zu einem Kommissionär als Unternehmen mit Routinefunktion eine Funktion im Sinn des § 1 I FVerlV i.V.m. § 1 III 9 AStG vorliegt,
die verlagert wird.
Als in Betracht kommende Faktoren sind zuvorderst der Kundenstamm und das
Forderungsrisiko zu nennen. Der Kundenstamm allein ist nach den obigen Ausführungen nicht als Funktion anzusehen, sondern nur als einzelnes Wirtschaftsgut, 641
und ob die Ausübung der Nutzung des Kundenstamms durch das Vertriebsunternehmen etwas Zusätzliches zum Kundenstamm ist, das eine Funktion begründet, erscheint zweifelhaft. Fraglich ist auch, ob die Veränderung eines Risikoprofils ausreicht, um eine Funktionsänderung zu begründen. Allerdings könnte das Zusammenfassen beider Faktoren und damit die Art der Vertriebstätigkeit als ein „Zusammenfassen betrieblicher Aufgaben“ i.S.d. § 1 FVerlV angesehen werden. Dafür spricht,
dass das Zivilrecht an die unterschiedlichen Grade der Selbständigkeit der Vertriebsunternehmen auch unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpft. Das zeigt sich insbesondere beim Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB sein. Er könnte ein Hilfsmittel bei der Beurteilung der Frage sein, ob der Status eines Vertriebsunternehmens
auch eine „Funktion“ beinhaltet.
Ob ein Ausgleichanspruch gem. § 89 b HGB vorliegt, hängt von den Vertragsbedingungen ab. Ein Vertragshändler hat nach Auffassung der Rechtsprechung642 und der
Literatur643 einen Ausgleichsanspruch analog § 89 b HGB, wenn mehrere Voraussetzungen vorliegen. Er muss fest in das Vertriebsnetz des Herstellers eingebunden
sein, dessen Weisungen unterliegen und insbesondere vertraglich verpflichtet sein,
die von ihm geworbenen Neukunden dem Hersteller/Lieferanten zu benennen.
Überträgt er den Kundenstamm nicht oder nutzt er ihn im Falle der Fortführung des
Geschäfts in anderer Rechtsform, entfällt auch ein Ausgleichsanspruch. Das gilt z.B.
dann, wenn der Vertragshändler nach der Abschmelzung weiterhin als Kommissionär tätig ist und den Kundenstamm nach wie vor nutzt.644 Die zivilrechtliche Rechts-
641 Siehe oben 2. Teil B.II.1.
642 BGH v. 11.12.1958, II ZR 73/57, BGHZ 29, 83; BGH v. 16.02.1961, VII ZR 239/59, BGHZ
34, 282; BGH v. 11.02.1977, I ZR 185/75, .BGHZ 68, 340; BGH v. 20.02.1981, I ZR 59/79,
NJW 1981, 1961;BGH v. 25.03.1982,, I ZR 146/80, NJW 1982, 2819; BGH v. 03.03.1983, I
ZR 34/81, NJW 1983, 1769; BGH v. 12.12.1985, I ZR 34/81, NJW-RR 1986, 661; BGH v.
02.07.1987, I ZR 188/85,NJW-RR 1988, 42.
643 Bodenmüller, Steuerplanung, S. 268, 269; Westphal, Vertriebsrecht, Bd. 2, Rn 165 ff.; Heymann-Sonnenschein, HGB, § 89 b, Rn. 8; Ensthaler-Genzow, HGB, vor § 84 HGB, Rn 20;
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Löwisch, HGB, Bd. 1, § 84 Rz 103 m.w.N.; Canaris, Handelsrecht, § 17 Rz 26 folgert diese Verpflichtung bereits aus den §§ 675 I, 666 BGB bzw. einer ergänzenden Vertragsauslegung; Föth, , BB 1987, 1686 hält eine Übertragung des Kundenstammes für nicht erforderlich.
644 Bödefeld/Kuntschik , in Blumenberg/Benz, UntStReform, 240 (268, Fn 103); Kaminski, in
FS Fischer, S. 665 (672 - 674). Brüninghaus, in B/B/L/S/W, WPg-Sonderheft 2006, 131
247
sprechung kommt also zu dem Ergebnis, dass keine entscheidende und damit keine
ausgleichspflichtige Veränderung vorliegt, wenn der Vertragshändler nach einer Restrukturierung den Kundenstamm weiter nutzt.
Wird dieser Gedanke auf das Steuerrecht übertragen, läge bei der Abschmelzung
vom Vertragshändler zum Kommissionär keine Funktionsänderung vor. Dies wird in
der Literatur auch so vertreten.645 Es trete aufgrund des Fremdvergleichsgrundsatzes
keine Entgeltpflicht bei der reinen Veränderung der Risikostruktur ein.646 Gleichzeitig werde aber auch kein immaterielles Wirtschaftsgut übertragen, weil das Unternehmen seinen Kundenstamm als wesentliches Wirtschaftsgut ebenso behalte wie
den Anspruch nach § 89 b HGB.647
Die Auffassung der Finanzverwaltung ist nicht eindeutig. Im Entwurf der VWG-FV-
E wollte sie die Funktionsabschmelzung vom Vertragshändler zum Kommissionär
nach den allgemeinen Regeln behandeln.648 Das kann dahin verstanden werden, dass
auch die reine Veränderung der Risikostruktur als Funktionsverlagerung behandelt
werden sollte. Im § 8 FVerlV649 scheint sie dagegen davon auszugehen, dass die Abschmelzung jedenfalls dann nicht als Funktionsverlagerung zu besteuern ist, wenn
unter Berücksichtigung des Fremdvergleichs zivilrechtliche Ausgleichsansprüche
vorgehen. Das könnte so ausgelegt werden, dass die reine Risikoänderung in der
Vertriebsstruktur nicht als Funktionsverlagerung zu besteuern ist.650 Dies könnte
insbesondere dann gelten, wenn ein Recht zu einer regulären Änderungskündigung
besteht und diese frist- und vertrags- bzw. gesetzesgemäß ausgeübt wird.
(136). Der BFH nimmt auch keine verdeckte Gewinnausschüttung an, da der Grund für die
Verlagerung die Beendigung des zeitlich befristeten Vertriebsvertrages sei, BFH-Urteil v.
20.08.1986, I R 152/82, BFH/NV 1987,471. Daraus folgt, dass keine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt, wenn ein Anspruch der Muttergesellschaft auf Überlassung des Kundenstamm bei Vertragsbeendigung bestand, z.B, wenn einer Vertriebsgesellschaft zeitlich
begrenzt ein Kundenstamm überlassen wird und die Befristung entfällt, so dass der frühere
Rechtszustand wieder hergestellt wird und der Kundenstamm an die Mutter fällt.
645 Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 301 (308) (= F. 3, Gr. 1, 2201 (2208)); Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 1; Pohl, JbFSt, 2007/2008, S. 433 f.
646 Serg, Funktionsverlagerungen, S. 282 f.
647 Kroppen/Rasch, IWB 2008, 547 (561) (= F. 3, Gr. 1, 2339 (2352)).
648 Tz. 5.2.2 lautete: „Für die Abschmelzung eines Eigenhändlers zum Kommissionär, Handelsvertreter oder Agenten gelten die allgemeinen Grundsätze. Insbesondere in diesen Fällen ist
neben der Besteuerung des mit dem Transferpaket übergegangenen Gewinnpotentials zu
prüfen, ob die Tätigkeit des verlagernden (abgeschmolzenen) Unternehmens nach der
Funktionsverlagerung eine Vertreterbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA) des übernehmenden Unternehmens begründet. Ist dies der Fall, muss weiter geprüft werden, welche
Wirtschaftsgüter und Gewinnanteile des übernehmenden Unternehmens (Chancen und
Risiken des Vertriebs) der Betriebsstätte und welche dem Stammhaus des übernehmenden
Unternehmens funktional zuzuordnen sind.“
649 Ausführlich zu der Vorschrift siehe unten 2. Teil C.III.
650 Kroppen/Rasch, IWB 2008, 547 (560) (= F. 3, Gr. 1, 2339 (2351)).
248
Es fragt sich, ob dem bei einer rechtswissenschaftlichen Prüfung zuzustimmen ist.
Denn wenn entsprechend der obigen Ausführungen ein Vertragshändler ein Entrepreneur ist, und wenn ebenfalls entsprechend der allgemeinen Meinung ein Kommissionär das nicht ist, liegt eine Veränderung der zuzuweisenden Gewinnmarge bei
Verrechnungspreisbestimmungen vor. Diese Veränderung dürfte als Funktionsänderung zu beschreiben sein. Ein anderer Name für Funktionsänderung ist dann aber die
Funktionsverlagerung. Dem könnte entgegengehalten werden, dass die Argumentation einen Zirkelschluss herstelle. Erst wird danach gefragt, wo die Funktion überhaupt zu sehen ist, sodann wird festgestellt, dass das Vorliegen einer Funktion zweifelhaft ist, weil sich vor allem nur das Risiko ändert, und dann wird behauptet, die
Änderung sei steuerrechtlich relevant, obwohl der BGH dies zivilrechtlich anders
sieht, und die Änderung sei die Funktionsänderung, so dass also eine Funktion vorliegen müsste. Dieser Zirkel löst sich dann auf, wenn für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung Zivilrecht und Steuerrecht ausnahmsweise getrennt betrachtet
werden. Aus steuerlicher Sicht ist die Trennung zwischen Entrepreneur und Unternehmen mit Routinefunktionen relevant, weil letztere eine geringere, aber risikolosere Marge bekommen, während der erstere als Ausgleich für sein höheres Risiko
einen höheren Ertrag als Residualgewinn zugewiesen bekommt. Diesen Residualgewinn kann er erhöhen, indem er eine aktive Preispolitik betreibt. Das kann der
Kommissionär als Unternehmen mit Routinefunktionen aber nicht tun. Deshalb ist
die Funktion beim Vertragshändler darin zu sehen, dass die Art seiner Ausübung des
Vertriebs durch die Preispolitik, den Aufbau, die Pflege und die Nutzung des Kundenstamms sowie die damit einhergehenden Risiken eine Zusammenfassung von
betrieblichen Aufgaben und damit eine Funktion darstellt.
Diese Funktion wird bei einer Abschmelzung zum Kommissionär auf die Muttergesellschaft verlagert. Zwar nutzt der Kommissionär den Kundenstamm weiter. Aber
die unternehmerische Nutzung in Form der Erzielung eines über die Kommissionärsmarge hinausgehenden Betrages erzielt der Entrepreneur, also die Muttergesellschaft. Deshalb ist entgegen der vorherrschenden Meinung, aber in Übereinstimmung mit Tz. 5.2.2 VWG-FV-E bei einer Funktionsabschmelzung vom Vertragshändler zum Kommissionär die allgemeinen Regeln anzuwenden und auch dann
eine Funktionsverlagerung gem. § 1 III 9 AStG anzunehmen, wenn der Kommissionär den Kundenstamm weiter nutzt.
c) Errichtung einer Prinzipalstruktur
Ein Sonderfall der Funktionsabschmelzung ist die Errichtung einer sog. Prinzipalstruktur. Dabei wird nur die Unternehmensleitung, also der Strategieträger, mitsamt
allen Chancen und Risiken in das Ausland verlagert. Dadurch wird das inländische
Unternehmen als bisheriger Strategieträger zu einem Unternehmen mit Routinefunktionen abgeschmolzen.
249
Beispiel:
Im „Pelota“-Fall beschließt die M-AG, dass der „Pelota“ aus unternehmenspolitischen Gründen weiter im Inland produziert werden muss, weil eine Verlagerung gegen den Betriebsrat kaum durchsetzbar erscheint. Dafür beschließen die Geschäftsleiter, die Geschäftsleitung aus der Nähe von Braunschweig in die Schweiz zu verlegen.
Zunächst ist zu fragen, ob eine solche Verlagerung zivilrechtlich möglich ist.
Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob eine Kapitalgesellschaft ihren Verwaltungssitz, ihren Statuatensitz oder beides in das Ausland verlegt. Bisher sieht § 4 a
GmbHG vor, dass der Sitz der Gesellschaft sich in der Regel an dem Ort befindet, an
dem die Gesellschaft einen Betrieb hat oder an dem sich die Geschäftsleitung befindet oder an dem die Verwaltung geführt wird. Im Übrigen ist der Sitz der Gesellschaft dort, wo es der Gesellschaftsvertrag bestimmt. Nach deutschem Rechtsverständnis ist es bisher nicht möglich, den Satzungssitz und den Verwaltungssitz in
das Ausland zu verlegen, ohne dass die Gesellschaft als aufgelöst gilt. Das hat das
OLG München jüngst noch einmal entschieden.651 In Zukunft soll die Verlegung des
Verwaltungssitzes jedoch möglich sein, wenn das Gesetz zur GmbH-Reform, das
sog. MoMiG, verabschiedet wird. Durch dieses Gesetz soll § 4 a II GmbHG gestrichen werden.
Es könnte allerdings sein, dass § 4a II GmbHG in der aktuellen Fassung auch dahingehend auszulegen ist, dass der Verwaltungssitz einer Gesellschaft bereits jetzt in
651 OLG München Beschluss vom 04.10.2007 (31 Wx 36/07)Vorhandene FN verwenden.
250
das Ausland verlegt werden darf. Der EuGH wird in den nächsten Monaten über den
Fall „Cartesio“652 entscheiden, in dem eine ungarische Gesellschaft ihren Verwaltungssitz verlegen will. Sollte der EuGH so entscheiden, wie der Generalanwalt es
vorgeschlagen hat, würde dies zu einer entsprechenden Auslegung des § 4a II
GmbHG führen müssen. Dann wäre bereits jetzt eine Funktionsabschmelzung in
Form der Errichtung einer Prinzipalstruktur im Ausland möglich.
Dementsprechend stellt sich dann die Frage, ob ein solcher Fall gemäß § 1 III 9
FVerlV zu erfassen wäre. Dies ist zu bejahen. Es kommt bei der Errichtung einer
Prinzipalstruktur zur Übertragung eines Transferpakets, das aus Verträgen, Rechten,
Gewinnchancen, Risiken und Entscheidungskompetenzen besteht. Diese werden
nicht einzeln bewertet, sondern es erfolgt eine ertragswertorientierte Gesamtbewertung auf Basis der bisher erzielten Gewinne. Insbesondere geht der Geschäftswert
des übertragenen Unternehmens mit über, da in Zukunft es für die deutsche M-AG
nur noch möglich sein wird, ihre Leistungen nach der Kostenausgleichsmethode an
die Gesellschaft in der Schweiz in Rechnung zu stellen. Beim aufnehmenden Unternehmen gelten dann die allgemeinen Regelungen,653 nach denen es nicht zu einer
Aktivierung des Transferpakets und dementsprechend auch zu keiner einheitlichen
AfA beim aufnehmenden Unternehmen kommt. Vielmehr werden die aufgenommenen Wirtschaftsgüter einzeln aktiviert, so dass sich auch die AfA nach der jeweiligen
Einzelbewertung richtet. Die Differenz zwischen dem Gesamtwert des Transferpaketes und der Summe der Einzelwirtschaftsgüter wird dann als Geschäftswert
aktiviert. Dementsprechend ist die Errichtung einer Prinzipalstruktur ein Fall, der
steuerlich als Funktionsverlagerung gemäß § 1 III 9 AStG zu erfassen ist.
4. Funktionsverdoppelung
Die Funktionsverdoppelung ist die vielleicht umstrittenste Fallgestaltung. Sie war
von Anfang an von der Wirtschaft und Beraterschaft als zu weitgehend kritisiert
worden654 Zur Verdeutlichung der Problematik soll sie hier zunächst definiert und
anhand einer Fallgestaltung erläutert werden. Sodann sind die Streitfragen zu diskutieren.
652 EuGH, Rs. C-210/06.
653 Zu den Rechtsfolgen ausführlich 2. Teil: C.
654 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,71 (72)
251
a) Grundlagen
aa) Definition
Eine Funktionsverdoppelung ist als Fallgestaltung zu definieren, bei der eine Funktion ins Ausland verlagert und dort unter Nutzung der Wirtschaftsgüter und Vorteile
des abgebenden Unternehmens bei einem aufnehmenden Unternehmen aufgebaut
wird, ohne das es zu einer Einschränkung der betreffenden Funktion beim abgebenden Unternehmen kommt.655 Entscheidend ist also die Nichtbeeinträchtigung der
Funktion im Inland.
Der Verordnungsgeber hat eine Definition in § 1VI 1 FVerlV656 aufgenommen. Er
hat sich also auch hier der Klammertechnik bedient, um eine Definition vorzunehmen. Diese Definition weicht nicht nur von der der Literatur ab, sondern auch von
der, die die Finanzverwaltung ursprünglich in Tz. 4.2 der VWG-FV-E vertreten
hatte, 657 sowie von der im ursprünglichen Entwurf des § 1 IV FVerlV-E vom
4.6.2007, der auch eine Bestimmung für die Funktionsverdoppelung enthielt.658 Auffallend ist, dass die Definition in der Literatur sich mit § 1 IV 1 FVerlV-E vom
4.6.2007 deckt.
655 Frotscher, FR 2008, 68 (70); Frischmuth, IWB 2007, 909 (911) (= F. 3 Gr. 1 2253 (2255 )).
656 Die Vorschrift lautet: „(6) 1Eine Funktionsverlagerung im Sinne des Absatzes 2 liegt nicht
vor, wenn es trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen des Absatz 2 Satz 1 innerhalb
von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch das nahe stehende Unternehmen zu
keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion durch das in Absatz 2 Satz 1
zuerst genannte unternehmen kommt (Funktionsverdoppelung).“
657 Tz. 4.2 lautete: „Die Verdoppelung einer ausgeübten Funktionen, z.B. wenn die bisherige
Vertriebstätigkeit eines inländischen Unternehmens unverändert ausgeübt wird, jedoch im
Ausland ein neuer Vertriebsweg, z.B. der Vertrieb per Internet, aufgebaut oder ein neues
Vertriebsgebiet erschlossen wird, kann als Funktionsverlagerung anzusehen sein, auch wenn
Personalfunktionen (Tz. 1.1 zweiter Absatz) des verlagernden Unternehmens weder eingeschränkt noch aufgegeben werden. Wird das Gewinnpotential des bisher tätigen Unternehmens durch die Verdoppelung der Funktion geschmälert, z.B. weil in dessen Position (z.B.
Gebietsschutz) eingegriffen wird, oder werden für die Aktivitäten des neu tätigen Unternehmens (immaterielle) Wirtschaftsgüter des bisher tätigen Unternehmens, z.B. Vertriebskonzept, Kundenstamm, genutzt, ist für diesen Vorgang entsprechend Tz. 3.5.2 ein fremdvergleichsübliches Entgelt der Besteuerung zu Grunde zu legen. Zivilrechtliche Ersatz- oder
Ausgleichsansprüche aus Gesetz oder Vertrag (Tz. 3.8) bilden allenfalls die Untergrenze für
den Verrechnungspreis, der zwischen Fremden vereinbart worden wäre (Tz. 3.5.2).“
658 Der § 1 IV FVerlV-E lautete: „1Eine Funktionsverdoppelung liegt vor, wenn ohne Einschränkung der bisherigen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ein nahe stehendes Unternehmen beim erst genannten Unternehmen ausgeübte Funktion unter Nutzung von dessen
Wirtschaftsgütern und Vorteilen aufnimmt. 2fDie Grundsätze für die Besteuerung von
Funktionsverlagerungen sind nach den Fremdvergleichsgrundsatz auch für Funktionsverdoppelungen anzuwenden. 3Das bisher schon tätige Unternehmen gilt als verlagerndes Unternehmen; das die Funktion aufnehmende Unternehmen gilt als übernehmendes Unternehmen.“
252
Die nun vorgenommene Definition in der Verordnung ist allerdings bereits deshalb
nicht glücklich, weil sie das Vorliegen einer Funktionsverdoppelung von einem
zeitlichen Moment abhängig zu machen scheint. Tatsächlich wollte der Verordnungsgeber zum Ausdruck bringen, dass eine Funktionsverdoppelung immer vorliegt, wenn es bei einer Funktionsverlagerung nicht zu einer Einschränkung der
Funktion im Inland kommt. 659 Das zeigt auch § 1 IV 1 FVerlV-E v. 4.6.2007. Die
Vorschrift des § 1 III 1 FVerlV enthält die Wertung, die Funktionsverdoppelung
dann nicht als Funktionsverlagerung gem. § 1 III 9 AStG erfassen und damit nicht in
dessen Anwendungsbereich lassen zu wollen, wenn die Einschränkung der Funktion
beim abgebenden Unternehmen erst nach fünf Jahren erfolgt. Der Verordnungsgeber
hat dabei eine Vermischung von zwei Komponenten vorgenommen, nämlich zum
einen die Definition der Funktionsverdoppelung und zum anderen die Frage, wie sie
steuerlich zu behandeln ist. Das könnte de lege ferenda getrennt werden. Deshalb
wäre es auch hier sinnvoll gewesen, auf die Klammer zu verzichten. Es kann also
festgehalten werden, dass die obige einleitende Definition korrekt ist und § 1 VI 1
FVerlV bezüglich der Definition entsprechend zu verstehen ist.
bb) Zweck
Die Verordnungsbegründung enthält keine Aussage zum Zweck der Erfassung dieser Fälle. Beweggrund des Bundesfinanzministeriums für diese Regelungen ist zum
einen aber das Grundverständnis zur Erfassung von Funktionsverlagerungen, nämlich die Verhinderung der Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland. Das tritt
auch bei einer Funktionsverdoppelung ein. Der Unternehmer nutzt eine unternehmerische Chance nicht im Inland, sondern im Ausland, und damit verlagert er sie dorthin. Die Fälle der Funktionsverdoppelung sind nach dieser Position mit denen der
Funktionsverlagerung wirtschaftlich vergleichbar und daher auch nach den gleichen
Grundsätzen zu behandeln.660 Zum anderen sollen durch diese Vorschrift
Missbrauchsfälle und Umgehungsgestaltungen vermieden werden.661 Wenn Fälle
wie die in § 1 II 1 FVerlV angesprochenen nicht einer Besteuerung unterlägen,
könnten Funktionen im Ausland mit dem Ziel des langfristigen Abbaus in Deutschland und damit einer schleichenden Verlagerung vorgenommen werden.
659 So ausdrücklich Begründung zur FVerlV, S. 12: „Diese Fälle werden als Funktionsverdoppelungen definiert, für die die Regelungen zum Transferpaket nicht anwendbar sind.“
660 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/
Welling, FR 2008, 71 (73).
661 Jahndorf, FR 2008, 101 (106). Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch am
22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008, 71 (73), der sich selbst aber von dieser Position distanziert.
253
cc) Anwendungsfall
Den Fall einer Funktionsverdoppelung zeigt die folgende
Abwandlung zum „Pelota“-Grundfall
Die M-AG erzielt Dauergewinne mit dem „Pelota“. Die Nachfrage nach dem
Modell ist stark steigend. Die beiden Produktionsstrassen sind ausgelastet. Die
Leitung der M-AG will keine Schließung in Deutschland, erwägt aber den Bau
eines weiteren Werkes in Indien, weil dort nicht nur die Produktionskosten erheblich geringer als in Deutschland sind, sondern sie dort den Markt der Zukunft sieht und wegen der Transportkosten marktnah produzieren möchte. Es
wird eine T-Ltd. gegründet und „auf der grünen Wiese“ in Indien ein Werk errichtet.
Laut der obigen Definition liegt hier eine Funktionsverdoppelung vor. Zu untersuchen ist Im folgenden Abschnitt deren steuerliche Behandlung.
b) Steuerliche Behandlung
Der Streitpunkt zu diesem Thema dreht sich um die Frage, ob eine Funktionsverdoppelung als Funktionsverlagerung unter den Anwendungsbereich des § 1 III 9
AStG fällt oder wie z.B. eine Funktionsabspaltung davon auszunehmen ist. Der Unterschied besteht in der Rechtsfolge. Während bei Funktionsverlagerungen die unten
noch darzustellenden viel weitergehenden Rechtsfolgen der Transferpaketbetrachtung mit einer Gesamtbewertung des Gewinnpotentials erfolgt, wird bei allen sonstigen Übertragungen eine Einzelbewertung der betroffenen Wirtschaftsgüter vorgenommen.
aa) Ursprüngliche Position der Verwaltung
Die Finanzverwaltung wollte diese Fälle ursprünglich immer als Funktionsverlagerung erfassen, wie der ursprüngliche Entwurf des § 1 IV FVerlV-E vom 4.6.2007
zeigt. Der Grund lag in der oben bereits dargestellten Zweckrichtung der Erfassung
dieser Fälle. Außerdem wurde von Seiten der Betriebsprüfung darauf hingewiesen,
dass es für die Bestimmung des Fremdpreises auf den Transfer, die Übertragung und
die Nutzungsüberlassung von immateriellen Werten ankomme und nicht auf den
Bewertungsanlass.662
662 Bünte, Diskussionsbeitrag beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008, 71 (75).
254
bb) Kritik der Literatur
Gegen diese Position der Verwaltung wandten sich die Vertreter der Wirtschaft und
der Beraterschaft in Literaturäußerungen und bei vielen Veranstaltungen vehement.663 Die Kritik bezog sich neben rechtlichen Argumenten auf die Wirtschaftsferne dieser Sichtweise der Finanzverwaltung. Verdoppelungen seien nicht steuer-,
sondern marktgetrieben. Funktionen im Ausland würden aufgebaut, um weltumspannend produzieren zu können, um Marktnähe zum Kunden zu schaffen, um
Währungsschwankungen und sonstige Risiken zu verringern und Abhängigkeiten
von lokalen Märkten zu vermeiden.664 Außerdem sei die Steuerungswirkung fatal,
weil Funktionsverdoppelungen ein völlig normaler Internationalisierungsprozess
seien.665 Diese Position wurde mit rechtlichen Argumenten unterstützt. Die Kritik
begann mit einer Auslegung des Begriffs „Verlagerung“. Etymologisch sei eine Verdoppelung keine Verlagerung.666 Unter Zuhilfenahme allgemeiner Werke667 wurde
versucht darzulegen, dass eine Verlagerung eine Veränderung eines Gegenstandes
von einer Stelle zu einer anderen beinhalte668 Dies sei aber bei einer Verdoppelung
gerade nicht der Fall, weil die Funktion an ihrem ursprünglichen Platz bliebe.669 Für
eine Funktionsverlagerung sei aber eine Verlagerung Voraussetzung.670
Außerdem sei die Definition in § 1 VI 1 FVerlV nicht durch die Verordnungsermächtigung in § 1 III 13 AStG gedeckt, verstieße deshalb gegen Art. 80 GG und sei
daher verfassungswidrig.671 Sie stände außerdem nicht im Einklang mit den OECD-
Grundsätzen und beschwöre daher Doppelbesteuerungen, zumindest aber eine große
Zahl von Verständigungsverfahren herauf.672
663 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); Blumers, BB 2007, 1757 (1758); Frischmuth, IWB 2007, 909 (911); Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 301 (308) (= F. 3 Gr.
1 2201 (2208)); Frotscher, FR 2008, 49 (51); wohl auch Wassermeyer, FR 2008, 67;
Jahndorf, FR 2008, 101 (106). Siehe auch Diskussionsbeiträge beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008, 71 (75 f.).
664 Werra, Unterlagen zum Vortrag zum Thema „Aktuelle Fragen der Besteuerung von Verrechnungspreisen“ am 25.08.2007 im Rahmen der Veranstaltung Verrechnungspreise II“ an der
Bundesfinanzakademie.
665 Haas, Diskussionsbeitrag beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008, 71 (75).
666 Stauffer, Vortrag auf der Münchner Steuerfachtagung und Arbeitsunterlagen dazu, Folie 5.
667 Etymologisches Handbuch des Deutschen, Stichwort „Verlagern“; Dr. Gabler, Wirtschaftslexikon zum Stichwort „Verlagerung“: Verlagerung von Leistungen innerhalb eines Auftrages an anderes Fertigungsunternehmen. Formen: Verlagerung für Investitionen, Verlagerung für Teile der Fertigung, beides mit oder ohne Materialbeschaffung.
668 Stauffer, Vortrag auf der Münchner Steuerfachtagung und Arbeitsunterlagen dazu, Folie 5.
669 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); Borstell, Vortrag auf der Münchner
Steuerfachtagung 2008 und Arbeitsunterlagen dazu, Seite 6 (Folie12).
670 Frotscher, FR 2008, 49 (50); Jahndorf, FR 2008, 101 (106).
671 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); Frotscher, FR 2008, 49 (51); nach Wulf,
DB 2007, 2280 (2283) deckt der Gesetzeswortlaut nicht die Auffassung der Verwaltung.
672 Welling/Thiemann, FR 2008, 68 (69); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650).
255
cc) Kritik innerhalb der Verwaltung
Von Teilen der Länderfinanzverwaltungen wurden diese Positionen der Wirtschaft
offensichtlich übernommen. Jedenfalls lässt der Vortrag von Schwenke673 darauf
schließen, dass die bayerische Regierung die Position des BMF nicht teilte.674 Auch
die nordrhein-westfälische Regierung vertrat eine dementsprechende Auffassung.675
Die Gegenposition innerhalb der Verwaltung bestand darin, dass Funktionsverdoppelungen etwas ganz anderes seinen als Funktionsverlagerungen, weil bei ersteren
sich im Inland nichts verändere und deshalb die Gefahr des Verlustes steuerlichen
Potentials nicht bestehe.676 Des Weiteren gehe das Missbrauchsargument fehl, weil
eine Funktionsverdoppelung nicht zwangsläufig zu einer Funktionsverlagerung
führe.677 Außerdem sei die Gefahr der Doppelbesteuerung vom BDI nachgewiesen.678 Schließlich bedeute die ursprüngliche Regelung in der FVerV-E einen Verstoß gegen die Ermächtigungsverordnung gem. § 1 III 13 AStG.679 Diese Position
schloss sich also der Argumentation der Literatur vollumfänglich an.
dd) Kompromiss: § 1 VI FVerlV
Die Diskussion führte offensichtlich zu einer Veränderungen von Positionen. Denn
§ 1 IV FVerlV-E wurde in der ursprünglichen Form nicht aufrecht gehalten. Stattdessen kam es zum Kompromiss in § 1 VI 2 FVerlV.680
Es kommt also (nur) in solchen Konstellationen zu einer Besteuerung, wenn in Abhängigkeit Frist es zur Einschränkung der Funktion im Inland kommt. Das sind aber
nichts anderes als Fälle einer Funktionsabschmelzung im Inland, die auf eine vorangegangene Funktionsverdoppelung folgen und die in einem zeitlichen Zusammenhang mit derselben Funktion stehen, und die nun zu einer nachträglichen steuerli-
673 Referatsleiter u.a. für Außensteuerrecht im bayerischen Staatsministerium für Finanzen.
674 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/
Welling, FR 2008, 71 (73).
675 Brandenberg, BB 2008, 864 (865 f.).
676 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
677 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
678 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
679 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
680 Die Vorschrift lautet: „(3) 2Kommt es innerhalb dieser Frist zu einer solchen Einschränkung,
liegt zum Zeitpunkt, in dem die Einschränkung eintritt, insgesamt eine einheitliche Funktionsverlagerung vor, es sei denn, der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass diese Einschränkung nicht in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht.“
256
chen Behandlung als Funktionsverdoppelung und damit als Funktionsverlagerung
führen. Im Grunde ist die Funktionsverdoppelung nach dieser Regelung ein Spezialfall der Funktionsabschmelzung mit der Besonderheit, dass der Aufbau im Ausland
vor der Abschmelzung stattgefunden hat. Das trifft aber nicht den Kern des Problems, wie zu zeigen ist.
Es lässt sich darüber streiten, wer bei der politischen Auseinandersetzung, die zu
dieser Regelung führte, „gewonnen“ hat. Die klare Position des ursprünglichen
Entwurfs wurde jedenfalls aufgegeben. Auf eine Erfassung wurde aber auch nicht
völlig verzichtet. Von Seiten der Wirtschaft wird dies als abgewogen bezeichnet.681
ee) Stellungnahme
Die Rechtslage ist insgesamt einer Kritik zu unterziehen.
(1) Begriff
Bezüglich des Begriffs hat die Finanzverwaltung sowohl aus ihrer Sicht als auch aus
der des Verfassers einen Fehler gemacht, als sie für das Gesetzgebungsverfahren als
Oberbegriff den Ausdruck „Funktionsverlagerung“ und nicht den Ausdruck „Funktionsänderung“ vorgeschlagen hat. Dies ist ihr allerdings nicht vorzuwerfen, weil
zur Zeit der Entstehung des § 1 III 9 AStG das Problem weder innerhalb noch au-
ßerhalb der Verwaltung erkannt wurde. Die Diskussion bezüglich des Begriffs kam
erst auf, nachdem das Gesetz bereits verabschiedet war. Die Literatur, die ausschließlich von Interessenvertretern der Wirtschaft verfasst wurde, haben eine wörtliche Auslegung vorgenommen und dieses Versäumnis des Gesetzgebers als Aufhänger ge-(miss-)braucht, um zu fordern, dass die Funktionsverdoppelung deshalb
nicht unter die Funktionsverlagerung falle, weil eine Verdoppelung gerade keine
Verlagerung sei, Den Literaturauffassungen ist entgegen zu halten, dass sie die
wörtliche Auslegung lediglich als Aufhänger zur Durchsetzung ihrer Ziele gebraucht
haben. Nach hier vertretener Auffassung ist im Ergebnis zwar zuzugeben, dass der
Begriff der „Verlagerung“ bei einer wörtlichen Auslegung tatsächlich nicht das
Element der „Verdoppelung“ enthält. Eine Auslegung, die sich an dem Willen des
Gesetzgebers orientiert, würde allerdings genau zum ursprünglich gewünschten Ergebnis der Finanzverwaltung führen, weil der Gesetzgeber bei der Verabschiedung
vom ursprünglichen Ansatz ausgehen musste. Im Zweifel ist der Sinn und Zweck
eines Gesetzes als wesentlicher einzuschätzen als sein Wortlaut. Daher hätte die
Verwaltung als Verordnungsgeber auf einer Auslegung nach der Entstehungsgeschichte bestehen und darauf beharren sollen, dass Gesetzesbegriffe auslegungsfähig
681 Haas, Diskussionsbeitrag beim 25. Berliner Steuergespräch am 22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008, 71 (75).
257
sind und daher bei einer entsprechenden Auslegung der Begriff der Funktionsverlagerung den der Funktionsverdoppelung mit einschließt.
Es wäre darüber hinaus aus rechtswissenschaftlicher Sicht sinnvoller gewesen, im
Zuge der Entstehung der FVerlV anzukündigen, bei nächster Gelegenheit den Gesetzgeber bewegen zu wollen, den Begriff der „Funktionsverlagerung“ im § 1 III 9
AStG in „Funktionsänderung“ fort zu entwickeln. Dafür hätte sich spätestens das
JStG 2009 angeboten. Dann wäre diese Diskussion um den Begriff, die im Grunde
nur eine Scheindiskussion zur Durchsetzung unternehmerischer Interessen ist, zu
Ende gewesen, weil dann der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht hätte, dass er
Fälle der Verdoppelung in die Funktionsänderungen einbezogen sehen will.682 Ein
solches Vorgehen ist angesichts der Position der großen Bundesländer politisch aber
nicht durchsetzbar.
(2) Sinn und Zweck der Besteuerung von Funktionsverdoppelungen
Da diese Änderung - bedauerlicherweise - nicht erfolgte, ist des Weiteren zu untersuchen, wie die jetzt bestehende Regelung zu werten und ob es gerechtfertigt ist,
Funktionsverdoppelungen nur eingeschränkt zu besteuern. Eine teleologische Auslegung, orientiert am Sinn und Zweck der einzelnen Regelung und am Gesamtkonzept, hat zuerst die Zielvorstellung der Besteuerung von Funktionsverlagerungen im
Allgemeinen und von Funktionsverdoppelungen im Besonderen zu berücksichtigen.
Funktionsverlagerungen werden besteuert, weil Unternehmenseinheiten ins Ausland
verlagert werden, deren Gewinnpotentiale in Deutschland erschaffen wurden. Das
Besteuerungsrecht sieht der deutsche Staat ähnlich wie die Besteuerung von stillen
Reserven bei einzelnen Wirtschaftsgütern als gegeben an, weil dieses Besteuerungssubstrat mit Hilfe der inländischen Infrastruktur (einschließlich der dazugehörigen
Human Resources) aufgebaut wurde. Funktionsverdoppelungen sollen als Sonderfall
richtigerweise besteuert werden, weil sie erstens wirtschaftlich mit anderen Funktionsverlagerungen vergleichbar sind und zweitens die Missbrauchsgefahr extrem
hoch ist. 683
682 Es sei noch eine praktische Anmerkung erlaubt. So bedauerlich es aus rechtswissenschaftlicher Sicht auch ist, die politische „Schlacht“ um die Funktionsverdoppelung ist geschlagen,
und die Befürworter der Besteuerung einer Funktionsverdoppelung, haben leider „verloren“.
Es ist aufgrund der Entstehungsgeschichte nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit noch
einmal etwas geändert werden wird, weder seitens des Gesetz- noch des Verordnungsgebers,
auch wenn das Ergebnis als verfehlt zu bezeichnen ist.
683 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
258
(a) Wirtschaftliche Vergleichbarkeit
Bei der Diskussion um die wirtschaftliche Vergleichbarkeit sollten die Grundlagen
der Besteuerung von Verrechnungspreisen und Funktionsverlagerungen ins Zentrum
der Überlegungen gestellt werden, wie sie oben aufgezeigt wurden. Danach ist entscheidend, was fremde Dritte gemacht hätten. Diese wiederum hätten danach differenziert, ob eine Verlagerung auf ein Unternehmen mit Routinefunktionen oder auf
einen Entrepreneur erfolgt. Im ersteren Fall handelt es sich um eine Funktionsabspaltung, im zweiten Fall um eine Funktionsausgliederung. Hätte man sich auf dieses Grundsystem besonnen, wäre die ganze Diskussion um das Thema „Funktionsverdoppelung“ beendet gewesen und es hätte des § 1 III FVerlV nicht bedurft. Es
wäre Sache der Unternehmen gewesen, durch eine entsprechende Gestaltung die Besteuerung im Moment der Verdoppelung herbeizuführen (bei einer Funktionsausgliederung) oder die Besteuerung über die laufenden Lieferungen und Leistungen
(bei einer Funktionsabspaltung) zu wählen. Im Grunde handelt es sich daher bei der
Auseinandersetzung um das Thema Funktionsverdoppelung um eine Scheindiskussion, weil diese Konstellationen entweder als Funktionsspaltung oder als Funktionsausgliederung mit den jeweiligen Konsequenzen behandelt werden können.
Diese Rückführung auf die Grundsystematik zeigt gleichzeitig, warum die Fälle der
Verlagerung und Verdoppelung wirtschaftlich sehr wohl gleichwertig sind, wenn die
Verdoppelung auf einen Entrepreneur im Ausland stattfindet. In beiden Fällen wird
Gewinnpotential, das in Deutschland mit inländischem Know-How und inländischer
Infrastruktur geschaffen wurde, ins Ausland verbracht. Ohne dieses inländische
Know-How wäre es auch nicht möglich, auf der „grünen Wiese“ im Ausland eine
identische Funktion z.B. in Form eines hochkomplexen Automobilwerks zu errichten. Dagegen wird behauptet, der Unterschied bestehe darin, dass bei der Verdoppelung sich am Status Quo im Inland nichts ändern würde.684 Das ist jedoch nicht
richtig. Es wird nämlich ein Gewinnpotential in das Ausland verbracht, dass sich
fremde Dritte hätten vergüten lassen, und dass nach der Verbringung dem deutschen
Besteuerungszugriff nicht mehr zur Verfügung steht. Daher besteht die Gefahr, dass
bei jeder Verdoppelung auf einen ausländischen Entrepreneur deutsches Besteuerungspotential verloren geht. Damit besteht die wirtschaftliche Vergleichbarkeit von
Verlagerungen und Verdoppelungen.
(b) Missbrauchsanfälligkeit
Ein vollständiger Verzicht auf die steuerliche Erfassung von Funktionsverdoppelungen hätte selbstverständlich dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Es hätte ausgereicht, eine Verdoppelung durchzuführen und einen Tag nach der Verdoppelung die
684 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
259
Funktion zu schließen, um dem § 1 III 9 AStG zu entkommen. Vielleicht wäre die
Idee aufgekommen, auf die Gesamtplanrechtssprechung des BFH685 zurück zu greifen, die im Zusammenhang mit inländischen Gestaltungsmodellen entwickelt wurde,
und hätte damit ein weiteres Problemfeld eröffnet, ob und wenn ja wie diese auf
Fälle von Funktionsverdoppelungen anwendbar gewesen wäre. Damit wäre niemandem geholfen gewesen. Das Gegenargument, Funktionsverdoppelungen seien kein
notwendiges Durchgangsstadium bzw. keine Vorstufe von Verlagerungen,686 ist ein
Scheinargument. Selbstverständlich kann es auch Verlagerungen ohne Verdoppelungen geben. Das Problem besteht umgekehrt darin, dass ohne Verhinderungsregelung Verdoppelungen dazu dienen könnten und würden, eine Besteuerung als
Funktionsverlagerung zu vermeiden. Deshalb ist auch das Missbrauchsargument des
Bundesfinanzministeriums stichhaltig.
(c) Zwischenergebnis
Eine Auslegung nach Sinn und Zweck führt zu dem Ergebnis, dass Funktionsverdoppelungen wie Funktionsausgliederungen und damit als Funktionsverlagerungen gem. § 1 III 9 AStG zu versteuern sind, wenn die Verdoppelung auf
einen ausländischen Entrepreneur erfolgt. Denn diese Fälle sind wirtschaftlich
mit einer Funktionsausgliederung vergleichbar, und ein Verzicht auf die Besteuerung würde zu Missbräuchen einladen. Die Argumente der Unvergleichbarkeit
der Fälle der Verlagerung und der Verdoppelung687 sind aus den dargestellten
Gründen nicht stichhaltig. Sie entsprechen allerdings den Interessen der Großkonzerne. Diese wollen, nachvollziehbar, Funktionsverdoppelungen nicht der
Besteuerung unterwerfen.688
(3) Kritik am § 1 III FVerlV
Aus praktischer Sicht hat der nun gefundene Kompromiss zwei Seiten. Es ist positiv zu werten, dass die Fälle der Funktionsverdoppelung wenigstens in diesen
Fallkonstellationen besteuert werden sollen. Es ist dagegen nicht als positiv anzusehen, dass sie nur dann besteuert werden sollen, wenn es innerhalb von fünf
Jahren zu einer Abschmelzung der betroffenen Funktion im Inland kommt.
685 BFH-Urteil v. 18.01.2001, IV R 58/99, BStBl II 2001, 393; BFH-Beschluss vom 08.06.2006
- IX B 121/05, BFH/NV 2006, 1655.
686 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
687 Schwenke, Vortrag beim 25. Berliner Steuergespräch, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008,
71 (73).
688 Stauffer, Vice President Taxes International, Siemens AG, Vortrag auf der Münchner Steuerfachtagung und Arbeitsunterlagen dazu; Haas, Leiter der Zentralabteilung Steuern, Zölle und
Außenwirtschaft, BASF AG, Diskussionsbeitrag beim 25. Berliner Steuergespräch am
22.11.2007, zitiert bei Richter/Welling, FR 2008, 71 (75).
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Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist die aktuelle Rechtslage aus den aufgeführten Gründen nicht stringent. Funktionsverdoppelungen sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu besteuern. Der § 1 III FVerlV nimmt sie aber gerade aus
dem allgemeinen System heraus, ohne dass es dafür einen systematischen Grund
gibt, und stellt sie in einen systematischen Zusammenhang mit Funktionsabschmelzungen, der jedoch nicht besteht. Funktionsverdoppelungen stehen vielmehr im Spannungsfeld von Funktionsabspaltungen und Funktionsausgliederungen.
Die rechtswissenschaftliche Fehlkonstruktion der neuen Regelung zeigt sich
insbesondere bei der Rückausnahmeregelung des § 1 III 2, 2. Halbsatz FVerlV,
durch den dem Steuerpflichtigen die Hintertür geöffnet wird, trotz einer Abschmelzung der Besteuerung zu entfliehen, wenn er glaubhaft machen kann,
dass es andere als steuerliche Gründe für die Abschmelzung gibt. Das ist jedoch
systematisch der falsche Ansatz. Der Besteuerungsanlass, die Verbringung des
Gewinnpotentials ins Ausland, ist bereits im Moment der Verdoppelung erfolgt,
völlig unabhängig von der Abschmelzung, so dass eine Glaubhaftmachung etwaiger anderer als steuerlicher Gründe nicht hilft.
Zu begrüßen am neuen § 1 III FVerlV ist lediglich, dass der Verordnungsgeber
eine Änderung gegenüber dem Entwurf von 2007 vorgenommen und damit eine
Besteuerungslücke geschlossen hat. Ursprünglich stand im § 1 IV 1 FVerlV-E,
eine Funktionsverdoppelung läge vor, wenn ohne Einschränkung der bisherigen
Geschäftstätigkeit des Unternehmens ein nahe stehendes Unternehmen eine beim
erst genannten Unternehmen ausgeübte Funktion unter Nutzung von dessen
Wirtschaftsgütern und Vorteilen aufnimmt. Dazu hat Jahndorf zu Recht darauf
hingewiesen,689 die Vorschrift sei dadurch zu umgehen, dass das aufnehmende
Unternehmen die Funktion nur mit eigenen Wirtschaftsgütern ausübe. Diese
Umgehung ist durch die Endfassung der Vorschrift nicht mehr möglich.
c) Zwischenergebnis
Es bleibt also festzuhalten, dass die Fälle der Funktionsverdoppelung nach den allgemeinen Regeln zu behandeln und deshalb als Funktionsausgliederung oder als
Funktionsabspaltung zu besteuern sind. Für die Steuerpflichtigen eröffnet dieses Ergebnis genug Gestaltungsspielraum, und für die Finanzverwaltung führt es zu befriedigenden Ergebnissen. Es wäre daher wünschenswert, wenn die FVerlV entsprechend angepasst werden würde.
689 Jahndorf, FR 2008, 101 (106).
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5. Funktionsaufbau
Die Konstellationen, die hier als Funktionsaufbau bezeichnet werden, bilden keine
eigenständige Fallgruppe im Rahmen der Funktionsverlagerungen gemäß § 1 III 9
AStG. Vielmehr handelt es sich um Vorgänge, die sich unter eine der genannten
Fallgruppen subsumieren lassen, obwohl sie auf den ersten Blick eigenständig zu
sein scheinen.
a) Verlagerung von Aufträgen auf einen bestehenden Entrepreneur
Wenn die deutsche Muttergesellschaft auf eine ausländische Tochtergesellschaft,
die als Entrepeneur zu qualifizieren ist, zusätzliche Aufgaben überträgt, handelt es
sich um die Ausweitung der Aufgaben eines bestehenden Entrepeneurs. Denkbar
sind solche Fälle zum Beispiel dann, wenn die Produktionsstätte im Inland ausgelastet ist und im Ausland dieselben Produkte produziert werden und nun aufgrund
der besseren Standortbedingungen weitere Aufträge, die auch im Inland hätten
durchgeführt werden können, am ausländischen Standort durchgeführt werden.
Dasselbe gilt, wenn die inländischen Kapazitäten ausgelastet sind, aber im Ausland noch Kapazitäten zur Verfügung stehen. Es liegt hier kein Fall der Funktionsausweitung vor, weil das Unternehmen im Ausland bereits als Entrepeneur zu
qualifizieren ist.
Es stellt sich aber die Frage, ob eine Verlagerung gemäß § 1 III 9 AStG insofern anzunehmen ist, als dass die Aufträge in diesen Sachverhalten im Inland akquiriert sein
können. Dies würde letztlich eine Entgeltpflicht für die übertragenen Gewinnchancen bedeuten. Unter rechtstheoretischen Gesichtspunkten ließe sich darüber
streiten, ob es sich bei diesen übertragenen Gewinnchancen um Einzelwirtschaftsgüter gemäß der Geschäftschancenlehre oder um Funktionen handelt, die gemäß § 1
III 9 AStG zu vergüten sind. Praktisch dürfte es jedoch auf denselben Wert hinauslaufen. Der gemeine Wert der Geschäftschance müsste auch nach Ertragswertgesichtspunkten gewertet werden. Als gegenteilige Position könnte vertreten werden,
dass lediglich eine Provision für die Auftragsvermittlung von der ausländischen Gesellschaft an ihre Muttergesellschaft zu entrichten ist. Jedoch spricht gegen diese
Lösung der Fremdvergleichsgrundsatz. Wenn ein Unternehmer nicht in der Lage ist,
einen Auftrag selbst durchzuführen, zum Beispiel aufgrund von Kapazitätsauslastungen, wird er diese Gewinnchance nicht ohne weiteres an einen Wettbewerber
verschenken. Vielmehr würde er versuchen, einen Subunternehmer zu finden, der
seinerseits nur mit einem relativ geringen Gewinnanteil bedacht werden würde. Daher erscheint es richtig, die Gewinnchance dem abgebenden Unternehmen zuzurechnen und eine Vergütung zu fordern, die letztlich sich am Gedanken des § 1 III 9
AStG orientiert.
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Diese Fallgruppe zeigt auch die Schwierigkeiten, die die Behandlung der Funktionsverdoppelung nach neuem Recht bereitet. Denn es könnte auch argumentiert werden, dass bei einer Kapazitätsauslastung im Inland und des deshalb durchgeführten
Funktionsaufbaus im Ausland um eine Funktionsverdoppelung handelt. Dann würde
es nur zu einer Besteuerung gemäß § 1 III 9 AStG kommen, wenn die Voraussetzungen des § 1 VI FVerlV vorlägen. Das erscheint jedoch in den hier beschriebenen
Fällen als nicht gerechtfertigt. Denn verlagert werden keine Funktionen, sondern nur
einzelne Aufträge. Auf sie ist § 1 VI FverlV nicht anwendbar.
b) Ausweitung der bestehenden Funktion eines Entrepreneurs
Unter dieser Fallgruppe sind Konstellationen zu fassen, bei der ein bestehender
Entrepeneur im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeit ausgebaut wird. Das verdeutlicht das folgende
Beispiel:
Die T-KFT ist bisher für den Vertrieb in Polen, Ungarn, der Tschechei und der Slowakei zuständig. Sie erhält nun die Zuständigkeit für ganz Osteuropa übertragen.
Bei der Lösung dieses Beispiels ist danach zu differenzieren, ob der Betrieb
für die anderen Staaten Osteuropas bisher bei der M-AG bestanden hat oder ob
die anderen Länder durch die T-Kft selbst erschlossen worden sind. Im ersteren Fall liegt eine Funktionsausgliederung der M-AG an ihre Tochtergesellschaft vor. Diese ist nach den allgemeinen Regelungen der Funktionsausgliederung gemäß § 1 III 9 AStG zu behandeln. Handelt es sich dagegen um einen
eigenständigen Aufbau durch die T-Kft., liegt keine Funktionsverlagerung gemäß § 1 III 9 AStG vor.
c) Ausbau der bestehenden Funktion eines Routineunternehmens
Unter diese Fallgruppe fallen Konstellationen, bei dem ein Routineunternehmen zusätzliche Funktionen von der Muttergesellschaft erhält. Das verdeutlicht das Folgende
Beispiel:
Die T-Kft. ist bisher für den Vertrieb in Ungarn, Polen, der Tschechei und der Slowakei als Kommissionär zuständig. Sie erhält nun die Zuständigkeit für ganz Osteuropa.
Hier ist danach zu differenzieren, ob die T-Kft. durch die weiteren Zuständigkeiten
zu einem Entrepeneur wird, zum Beispiel in Form eines Vertragshändlers, oder ob
keine Änderung ihrer Qualifikation als Kommissionär erfolgt. Im ersteren Fall han-
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delt es sich um einen klassischen Fall der Funktionsausweitung, der unter § 1 III 9
AStG fällt. Im zweiten Fall kommt es zu keinen Veränderungen, die steuerlich zu
erfassen wären.
IV. Abgrenzungen
Die Reichweite und die Grenzen der Begriffsdefinition der Funktionsverlagerung
lassen sich aber nur erfassen, wenn Abgrenzungen zu den anderen denkbaren Konstellationen vorgenommen werden. In Betracht kommen die Verlagerung von einzelnen Wirtschaftsgütern (dazu unten 1.), die Erbringung von Dienstleistungen (2.), die
Fälle der Personalentsendungen (3.), Konstellationen, bei denen Dritte nicht eine
Veräußerung annehmen würden (4.), die Fälle der Funktionsabspaltung (5.), die
Verlagerung auf ein sog. mittleres Unternehmen (6.), die Betriebsverlegung (7.), die
Sitzverlegung (8.), Betriebsaufgabe und- Veräußerung (9.) Umwandlungskonstellationen (10..) unentgeltliche Überlassungen (11.) und Betriebsstättenfälle (11.). Diese
Aufzählung zeigt, in welch schwierigem Umfeld die Qualifikation der Funktionsverlagerung vorzunehmen ist.
1. Verlagerung von Wirtschaftsgütern
Der Verordnungsgeber hat einige Abgrenzungen ausdrücklich vorgenommen. In § 1
VI FVerlV ist die Abgrenzung zur Funktionsverdoppelung geregelt. In § 1 VII
FVerlV werden weitere Abgrenzungen vorgenommen. Der Verordnungsgeber
wollte die Fälle der Veräußerung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern, die
Erbringung von Dienstleistungen und die Personalentsendung von der Funktionsverlagerung ausnehmen.690
Zu den vom Verordnungsgeber vorgenommenen Abgrenzungen gehört in § 1 VII 1,
1. Alt. FVerlV691 die Abgrenzung zur Verlagerung einzelner Wirtschaftsgüter. Zu
betrachten ist der Anwendungsfall (sogleich unter a.) und die Abgrenzung zu § 12 I
KStG (unten b.).
690 Naumann, Interview in Status: Recht 6/2007, 203.
691 Die Vorschrift lautet: „(7) 1Eine Funktionsverlagerung liegt nicht vor, wenn ausschließlich
Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden oder wenn nur
Dienstleistungen erbracht werden, es sei denn, diese Geschäftsvorfälle sind Teil einer
Funktionsverlagerung. 2Entsprechendes gilt, wenn Personal im Konzern entsandt wird, ohne
dass eine Funktion mit übergeht, oder wenn der Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen würde.“
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References
Zusammenfassung
Das Thema Funktionsverlagerung ist das Thema des Jahres im Internationalen Steuerrecht. Der deutsche Gesetzgeber hat als erstes Gesetzgebungsorgan weltweit ausdrückliche Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG zu diesem umstrittenen Thema erlassen. Die deutsche Finanzverwaltung hat mit Zustimmung des Bundesrats außerdem das Gesetz durch die Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlVO) ergänzt. Damit stehen umfassende legislative Regelungen zur Besteuerung dieses umstrittenen Themenbereichs zur Verfügung.
Das Werk analysiert die neuen Regelungen und bezieht zu den einzelnen Themenbereichen ausführlich Stellung. Im ersten Teil werden zunächst die Neuregelungen zur steuerlichen Behandlung von Verrechnungspreisen durch die Unternehmensteuerreform 2008 dargestellt. Dabei wird auch die Vereinbarkeit des § 1 AStG mit dem Europarecht untersucht. Darauf aufbauend werden die Regelungen zur Funktionsverlagerung im zweiten Teil kritisch untersucht und ebenfalls auf ihre Europarechtstauglichkeit analysiert.