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denkbar, wenn man als Zweck der Vorschrift die Information der Aktionäre über
den Eingriff in ihre Mitgliedschaft betont.987
IV. Gleichbehandlungsgrundsatz, Treupflicht
Die praktisch wichtigsten Fälle inhaltlicher Beschlussmängel sind Verletzungen der
gesellschaftsrechtlichen Generalklauseln, also des Gleichbehandlungsgebots und der
Treupflicht sowie den daraus entwickelten Maßstäben der materiellen Beschlusskontrolle. Wie bereits mehrfach betont, lässt sich die Abgrenzung zwischen den Fehlerfolgen Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und schwebender Unwirksamkeit nicht für eine
Norm generell vornehmen; vielmehr ist vom konkreten Beschluss auszugehen und
nach dessen jeweiligem Inhalt zu differenzieren. Dem entspricht die folgende Unterscheidung zwischen Beschlüssen, die unter Verstoß gegen eine der genannten Regelungen zustande kommen, und Beschlüssen, die eine gesellschaftsrechtliche Generalklausel vollständig außer Kraft setzen wollen.
1. Einzelverstöße
Beispielhaft für die Diskussion um die Rechtsfolge einer Verletzung dieser inhaltlichen Schranken ist ein Hauptversammlungsbeschluss, der die Aktionäre ohne sachlichen Grund ungleich behandelt und deswegen gegen § 53a AktG verstößt.988 Nach
der Rechtsprechung und dem ganz überwiegenden Schrifttum ist der Beschluss in
diesem Fall nur anfechtbar.989 Dieses Ergebnis ist allerdings keineswegs unbestritten. Bereits A. Hueck hatte 1924 vertreten, dass die Verletzung des – damals noch
nicht kodifizierten – Gleichbehandlungsgebots zur schwebenden Unwirksamkeit des
Beschlusses führe.990 Für diese Ansicht hat zuletzt Berg eingehend Partei ergrif-
987 Vgl. Hüffer, AktG, § 222 Rn. 17, 22 a.E.
988 Zu den Kriterien der sachlichen Rechtfertigung Hüffer, AktG, § 53a Rn. 10; eingehend auch
Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 252 ff.
989 RGZ 118, 67, 72 f.; BGHZ 111, 224, 227; BGHZ 116, 359, 372; BGHZ 120, 141, 149 ff.;
K. Schmidt/Lutter/Fleischer, AktG, § 53a Rn. 39; Hüffer, AktG, § 243 Rn. 29;
MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 67 f.; Schilling in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973,
§ 241 Anm. 3 aE, § 243 Rn. 20; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 243 Rn. 44; ders.,
Gesellschaftsrecht, 2002, § 16 II 4 b ee (S. 465); K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 243
Rn. 6; v. Godin/Wilhelmi, 4. Aufl. 1971, § 241 Anm. 8; Zöllner in Kölner Komm. AktG,
§ 243 Rn. 152; ders., Schranken, 1963, S. 416; G. Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen
Behandlung, 1958, S. 310 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 355.
990 A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924, S. 103 ff.; ders., Aktienrechtsreform, 1933,
S. 30 f., dort mit dem Vorschlag einer entsprechenden ausdrücklichen Ergänzung im AktG
1937; später hat A. Hueck diese Ansicht jedoch aufgegeben, siehe ders., FS Molitor, 1962,
S. 401, 404 f.
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fen.991 Argument der herrschenden Meinung ist seit jeher der Gewinn an Rechtssicherheit, der mit der Beschränkung auf die fristgebundene Anfechtungsklage verbunden ist.992 Damit lässt sich das Problem auf die Frage zuschneiden, warum in
Fällen der sachwidrigen Ungleichbehandlung das Rechtssicherheitsinteresse der
Gruppe gegenüber dem Rechtsschutzinteresse des benachteiligten Mitglieds Vorrang genießt, so dass auf der einen Seite die Nichtigkeit, auf der anderen Seite die
schwebende Unwirksamkeit zugunsten der Anfechtbarkeit ausscheiden.
(1) Wendet man die in § 6 entfalteten Abgrenzungskriterien auf die Verletzung
von § 53a AktG an, gewinnt mit Blick auf die Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 AktG die
Zustimmungsmöglichkeit der betroffenen Aktionäre entscheidende Bedeutung. Sie
geht aus dem Normtext zwar nicht ausdrücklich hervor, dennoch ist anerkannt, dass
eine Differenzierung nicht unter § 53a AktG fällt, wenn der Aktionär auf seine
Gleichbehandlung verzichtet hat. Dies gilt jedenfalls unter der Voraussetzung, dass
sich die Zustimmung auf eine konkrete, in ihren Folgen überschaubare Maßnahme
bezieht.993 Der Gleichbehandlungsgrundsatz markiert folglich keine Grenze für die
Privatautonomie, die den Verbandsmitgliedern von außen gezogen ist.994 Zwar kann
einem Beschluss, der Aktionäre ungleich behandelt, eine spezielle Vorschrift entgegenstehen, die zwingende Wirkung hat und auch mit Zustimmung aller Aktionäre
nicht überwunden werden kann;995 jenseits dieser Gestaltungsgrenzen beansprucht
das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aber nur Geltung, soweit die Benachteiligung gegen den Willen der betroffenen Mitglieder erfolgt. § 53a AktG funktioniert
wie die ihr verwandte Treupflicht als Instrument des Minderheitsschutzes und dient
der Legitimation von Mehrheitsbeschlüssen.996 § 241 Nr. 3 AktG findet auf einen
Beschluss der Hauptversammlung, der eine unzulässige Differenzierung enthält,
folglich keine Anwendung.
(2) Weniger klar ist dagegen die Abgrenzung zwischen Anfechtbarkeit und
schwebender Unwirksamkeit. Die Stellung eines Aktionärs, den ein Beschluss der
991 Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse, 1994, S. 127 ff., 137; früher schon R. Fischer, JZ
1956, 362, 363; Scholz, GmbHG, 4. Aufl. 1950, § 14 Rn. 14, § 45 Rn. 31; Wiedemann in
Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1971, § 179 Anm. 8b; dass MünchKommAktG/Hüffer § 241
Rn. 17 die Ungleichbehandlung ohne Einverständniserklärung der betroffenen Aktionärs als
Fall der Unwirksamkeit einordnet, dürfte ein Versehen sein; ausdrücklich anders nämlich
MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 68 und Hüffer, AktG, § 243 Rn. 29.
992 Etwa Zöllner, Schranken, 1963, S. 416; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 356.
993 Zur Zustimmungsmöglichkeit MünchKommAktG/Bungeroth § 53a Rn. 17 f.;
K. Schmidt/Lutter/Fleischer, AktG, § 53a Rn. 37; Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a
Rn. 93 f.; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 5; Lutter/Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 53a Rn. 29 f.;
Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 320 f., 329.
994 Ein solches Verständnis kling an bei Staudinger/Habermeier, Bearbeitung 2002, § 705
Rn. 53; dagegen zu Recht Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 4 ff.; in diesem Sinne
auch BGHZ 116, 359, 373.
995 Vgl. zu § 212 AktG sogleich im Text bei Fn. 1001; im Übrigen ist auf § 23 Abs. 5 AktG zu
verweisen.
996 Siehe oben § 1 IV 2, S. 30 ff., sowie K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 16 II 4 b aa
(S. 462 f.).
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Hauptversammlung ungleich behandelt, ähnelt durchaus derjenigen eines Gesellschafters, der ein ihm zustehendes Vorrecht verlieren soll oder dem eine Nebenverpflichtung auferlegt wird. Deswegen liegt es nahe, § 35 BGB bzw. § 180 AktG analog anzuwenden mit der Folge, dass der Beschluss ohne Zustimmung der Betroffenen schwebend unwirksam ist.997 Dem widerspricht allerdings der Regelungszweck
des Gleichbehandlungsgebots. Im Fall einer Ungleichbehandlung der Aktionäre
misstraut der Gesetzgeber dem Mehrheitsbeschluss und ermöglicht deswegen über
das Erfordernis eines sachlichen Grundes eine inhaltliche Überprüfung der Differenzierung.998 Das soll jedoch nicht dazu führen, den Gewinn an Handlungsfähigkeit,
der mit dem Mehrheitsprinzip verbunden ist, zugunsten des benachteiligten Aktionärs vollständig zu opfern. Denn anders als die §§ 35 BGB, 180 AktG betrifft die
Norm nicht nur einzelne Beschlussgegenstände, sondern potentiell jeden Beschluss
der Hauptversammlung. Das spricht dafür, vom Aktionär im Falle eines Verstoßes
die fristgebundene Anfechtung des Beschlusses zu verlangen; das gewährleistet den
Rechtsschutz der benachteiligten Mitglieder, verhindert aber eine dauerhafte Blockade der Beschlussfassung. In der Konsequenz hat ein Aktionär zwar Sicherheit,
dass ihm etwa keine Nebenverpflichtung auferlegt wird, sofern er nicht zustimmt; er
kann aber nicht darauf vertrauen, dass ihn Beschlüsse nicht ohne sein Wissen in
sonstiger Weise schlechter stellen als die übrigen Mitglieder. Vielmehr verlangt der
Obliegenheitscharakter der Anfechtung, jeden Beschluss in dieser Hinsicht zu prüfen und gegebenenfalls aktiv dagegen vorzugehen.999
Diese Auslegung findet ihre Bestätigung in § 243 Abs. 2 AktG, der den Aktionär
sogar bei vorsätzlichen Verstößen gegen das Sondervorteilsverbot auf die bloße
Anfechtbarkeit verweist.1000 Auch die spezielle Regelung in § 212 Satz 2 AktG, die
für einen besonderen Fall der Ungleichbehandlung ausdrücklich die Nichtigkeit des
Beschlusses anordnet, zwingt nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach Satz 1 dieser
Vorschrift sind neue Aktien, die aus einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln
hervorgehen, den Aktionären im Verhältnis ihrer Anteile zuzuordnen. Hinter dieser
Regelung steht der gesetzgeberische Gedanke, dass die umgewandelte Rücklage
auch zuvor von der Mitgliedschaft der bisherigen Aktionäre umfasst war.1001 Nach
allgemeiner Ansicht hat diese Zuordnungsregel zwingende Wirkung. Eine anderweitige Verteilung der Aktien wäre auch dann unzulässig, wenn sämtliche Aktionäre
997 In diese Richtung argumentieren A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924, S. 103 f.;
Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse, 1994, S 127 ff.
998 Vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 56 ff., 79, 326.
999 Vgl. A. Hueck, FS Molitor, 1962, S. 401, 405; G. Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen
Behandlung, 1958, S. 312; allgemein zur Anfechtung als Obliegenheit oben § 4 III 3.
1000 Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a Rn. 110; Schilling in Großkomm. AktG, 3. Aufl.
1973, § 243 Anm. 21; A. Hueck, FS Molitor, 1962, S. 401, 404; Verse,
Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 356.
1001 Hüffer, AktG, § 212 Rn. 1; Hirte in Großkomm. AktG, § 212 Rn. 2;
MünchKommAktG/Volhard § 212 Rn. 1.
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zustimmen.1002 Deswegen bestimmt § 212 Satz 2 AktG, was nach dem in § 6 begründeten Verständnis bereits aus § 241 Nr. 3 AktG folgen würde: Der Beschluss,
der eine abweichende Zuteilung anordnet, hat einen schlechthin unzulässigen Inhalt
und ist deswegen nicht nur anfechtbar, sondern nichtig.
(3) Diese Überlegungen führen zu zwei Einzelfragen, die im Zusammenhang mit
der Anfechtung von gleichheitswidrigen Beschlüssen diskutiert werden. Wie sich
bei näherer Betrachtung zeigt, beruhen beide Probleme darauf, dass im Fall der
Ungleichbehandlung das Zustimmungsrecht auf Tatbestandsseite mit der Anfechtungsobliegenheit auf Rechtsfolgenseite zusammentrifft.
Erstens besteht Unsicherheit, ob die Anfechtung auch dann noch möglich ist,
wenn der benachteiligte Aktionär im Rahmen der Abstimmung seine Stimme für
den Beschluss abgegeben hatte.1003 Wie erläutert setzt die Anfechtung grundsätzlich
voraus, dass der Anfechtende im Anschluss an die Beschlussfassung Widerspruch
eingelegt hat; etwas anderes gilt nur bei Unerkennbarkeit des Verstoßes und im Fall
des § 245 Nr. 3 AktG, der auf das Gleichbehandlungsgebot allerdings keine Anwendung findet.1004 Die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung ist aber nach wohl
allgemeiner Ansicht unabhängig vom vorausgegangenen Abstimmungsverhalten.1005
Die Lösung ergibt sich, wenn man zwischen der Frage der Zustimmung auf Ebene
der Zulässigkeit der Ungleichbehandlung und den Voraussetzungen der Anfechtung
auf Rechtsfolgenseite trennt. Zunächst spricht nichts dagegen, dass die Zustimmung
auch im Rahmen der Abstimmung erklärt werden kann.1006 Das setzt jedoch, wie
auch sonst, voraus, dass aus dem Verhalten des Aktionärs ein klarer Verzichtswille
erkennbar ist.1007 Damit gibt es zwei Möglichkeiten: Haben alle Benachteiligten in
dieser qualifizierten Weise für den Beschluss gestimmt, ist der Beschluss rechtmä-
ßig; die Frage der Anfechtbarkeit stellt sich in diesem Fall also überhaupt nicht. Ist
der sachwidrig ungleichbehandelnde Beschluss dagegen nicht von der Zustimmung
aller Betroffenen gedeckt, kann er von denjenigen Aktionären angefochten werden,
die Widerspruch eingelegt haben. Auf das vorangegangene Abstimmungsverhalten
gerade des Anfechtungsklägers kommt es dann – wie sonst – nicht an.
Zweitens lässt sich die Frage stellen, ob die Nichtteilnahme an der Beschlussfassung als wirksamer Verzicht auf die Gleichbehandlung zu werten ist. Folge wäre,
dass der Beschluss rechtmäßig ist und die Anfechtbarkeit entfällt.1008 Auch hier ist
zwischen den Voraussetzungen der Zustimmungserklärung und der Anfechtungs-
1002 OLG Dresden, AG 2001, 532; Hüffer, AktG, § 212 Rn. 3; Hirte in Großkomm. AktG, § 212
Rn. 15; Lutter in Kölner Komm. AktG, § 212 Rn. 5; MünchKommAktG/Volhard § 212
Rn. 1.
1003 Dazu Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 322; MünchKommAktG/Hüffer § 243
Rn. 68.
1004 Siehe oben § 4 III 4 bei Fn. 426.
1005 § 4 III 4 m. Nachw. in Fn. 435.
1006 Vgl. MünchKommAktG/Bungeroth § 53a Rn. 18; Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a
Rn. 96; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 5; Lutter/Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 53a Rn. 29.
1007 Siehe MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 68.
1008 Vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 322.
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klage zu unterscheiden: Nach allgemeinen, auch im sonstigen Zivilrecht überzeugenden Regeln ist das bloße Schweigen regelmäßig nicht als Zustimmung zu werten.1009 Benachteiligt der Beschluss einzelne Aktionäre, ist er folglich auch dann
anfechtbar, wenn die Betroffenen nicht in der Hauptversammlung erschienen sind.
Für die Anfechtungsbefugnis des konkret Klagewilligen gilt jedoch das ausdrückliche Teilnahmeerfordernis in § 245 Nr. 1 AktG. Nach dieser Vorschrift führt die
Nichtteilnahme zum Entfall der Anfechtungsbefugnis. Diese Rechtsfolge tritt jedoch
nur in Person des nicht erschienenen Aktionärs ein; im Übrigen bleibt der Beschluss
anfechtbar und kann von anderen Aktionären einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt
werden.
2. Generelle Abbedingung
Von einem ungleichbehandelnden bzw. treuwidrigen Einzelbeschluss ist der Versuch der Hauptversammlung zu unterscheiden, diese Generalklauseln in der Satzung
abzubedingen. Dabei ist nicht nur an Satzungsregeln zu denken, die eine dieser
Normen generell außer Kraft setzen, sondern auch an die Modifizierung von Gleichbehandlungsgebot und Treupflicht.1010 Bei der Subsumtion unter § 241 Nr. 3 AktG
ist zwischen beiden Rechtsinstituten zu differenzieren.
(1) Für den Gleichbehandlungsgrundsatz ist von der gesetzlichen Fixierung in
§ 53a AktG auszugehen. Jede Modifikation dieser Generalklausel ist am Maßstab
des § 23 Abs. 5 AktG zu messen, bedarf also einer ausdrücklichen Ermächtigung.
An mehreren Stellen enthält das Aktiengesetz Regelungen, die für einzelne Gegenstände zur Einführung von Satzungsbestimmungen ermächtigen, welche zwischen
den Aktionären differenzieren.1011 § 53a AktG selbst sieht dagegen keine allgemeine
Öffnungsklausel vor, die eine generelle Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung zulässt;1012 ebenso scheidet auch der Generalverzicht eines Aktionärs auf
seine Gleichbehandlung aus.1013 Hüffer formuliert deswegen, zwar unterliege der
1009 Bork, Allgemeiner Teil, 2006, Rn. 574; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, 2004, § 28 Rn. 67;
Medicus, Allgemeiner Teil, 2006, Rn. 345.
1010 Eine „Vollständigkeitsklausel“, die zur Herstellung von Rechtssicherheit Treuebindungen
ausschließt, die nicht ausdrücklich in der Satzung geregelt sind, diskutiert (und befürwortet)
Waclawik, DB 2005, 1151, 1153.
1011 Siehe §§ 11 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 2, 60 Abs. 3 und 134 Abs. 1 Satz 2 AktG, dazu Hüffer,
AktG, § 53a Rn. 5; Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a Rn. 85; Spindler/Stilz/Cahn/
Senger, AktG, 2007, § 53a Rn. 21.
1012 MünchKommAktG/Bungeroth § 53a Rn. 15, 20; Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a
Rn. 84; Spindler/Stilz/Cahn/Senger, AktG, 2007, § 53a Rn. 22; K. Schmidt/Lutter/Fleischer,
AktG, § 53a Rn. 32; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 5; Lutter/Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 53a
Rn. 26.
1013 Dazu Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 329 f.; MünchKommAktG/Bungeroth
§ 53a Rn. 15, 17; Spindler/Stilz/Cahn/Senger, AktG, 2007, § 53a Rn. 28; K. Schmidt/Lutter/
Fleischer, AktG, § 53a Rn. 38; Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a Rn. 95; Lutter/Zöllner
in Kölner Komm. AktG, § 53a Rn. 30.
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„Gleichbehandlungsmaßstab“ dem Vorrang der Privatautonomie, nicht aber das
„Gleichbehandlungsgebot als solches“.1014 Entsprechend den Ausführungen zu unzulässigen Satzungsänderungen in § 8 sind deswegen Beschlüsse der Hauptversammlung, die auf eine satzungsmäßige Abbedingung des Gleichbehandlungsgebots zielen, nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig.1015
(2) Für die Treupflicht lässt sich die Lösung dagegen nicht unmittelbar dem Gesetz entnehmen, weil § 23 Abs. 5 AktG auf ungeschriebene Regelungen nicht anwendbar ist.1016 Maßgeblich für die zwingende Wirkung ist vielmehr die Auslegung
der betreffenden Rechtsnorm, die sich an deren Normzweck zu orientieren hat. Aufschlussreich ist hierfür ein Blick auf die Funktion der mitgliedschaftlichen Treupflicht, wie sie die ökonomische Theorie herausgearbeitet hat. Die Neue Institutionenökonomik erklärt die Gesellschaft als unvollständigen Vertrag. Weil die Gesellschaft auf einen langfristigen Zeithorizont angelegt ist, ist es unmöglich, Rechte und
Pflichten der Beteiligten für alle künftigen, noch nicht absehbaren Konflikte im
Vorhinein zu fixieren. Stattdessen bestehen die allgemeinen Prinzipien der mitgliedschaftlichen und organschaftlichen Treupflicht, aus denen sich „Entscheidungsregeln zur Bewältigung noch unbekannter Konfliktlagen“ ableiten lassen.1017 Aufgrund dieser strukturellen Unvollständigkeit ist das offene System der Treuebindungen funktionsnotwendig für jede Gesellschaft. Daraus folgt, dass die Aktionäre zwar
für den Einzelfall auf die daraus erwachsenden Rechte verzichten können, sich aber
nicht generell von der Treuebindung dispensieren können: Satzungsregelungen, die
die Treuebindungen generell abschaffen, sind schlechthin unzulässig;1018 darauf
abzielende Beschlüsse der Hauptversammlung fallen deswegen unter § 241 Nr. 3
AktG.
V. Das Beteiligungserfordernis bei Squeeze out- und Eingliederungsbeschlüssen
Kontrovers diskutiert wird schließlich, welche Rechtsfolge eintritt, wenn in Eingliederungs- und Squeeze out-Beschlüssen das dort vorgeschriebene Beteiligungserfor-
1014 Hüffer, AktG, § 53a Rn. 5.
1015 Zumindest für diesen Fall ebenso MünchKommAktG/Bungeroth § 53a Rn. 27;
Spindler/Stilz/Cahn/Senger, AktG, 2007, § 53a Rn. 22; K. Schmidt/Lutter/Fleischer, AktG,
§ 53a Rn. 39; Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a Rn. 84; Lutter/Zöllner in Kölner
Komm. AktG, § 53a Rn. 26; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 58; Wiesner in
MünchHdb. AG, § 17 Rn. 13; G. Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, 1958,
S. 309 f. in Fn. 11; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 357.
1016 Siehe bereits § 9 II 1 b, S. 187, zu ungeschriebenen Schranken des Mitbestimmungsrechts.
1017 So Fleischer, ZGR 2001, 1, 4 f.; zur organschaftlichen Treupflicht Easterbrook/Fischel, The
Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 92; allgemein zum unvollständigen Vertrag
Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2003, S. 191, 269 ff. Ähnliche Erklärung
bereits bei Lutter, AcP 180 (1980) 84, 91 f., 102 ff.
1018 Hüffer, AktG, § 53a Rn. 18; Henze/Notz in Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rn. 126, die
allerdings auf § 23 Abs. 5 AktG verweisen; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 112;
Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 169.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.