172
Angebot hinweisen muss. Dafür muss die Marke einerseits unterscheidungskräftig
sein, andererseits darf sie keine Elemente enthalten, die im Allgemeininteresse freigehalten werden müssen. Im Patentrecht sorgt die Anwendbarkeit von Erkenntnissen
und damit der technische Fortschritt für die Konkretisierung der Schutzposition.
Diese Voraussetzung findet sich im allgemeinen Erfindungstatbestand wieder und
kommt mittlerweile für menschliche Gensequenzen mehr zur Geltung. Beim absoluten Stoffschutz ist dieser Mechanismus allerdings außer Kraft gesetzt. Wenn man
dies nicht rein begrifflich, sondern offen rechtfertigen möchte, könnte man eine
höhere Notwendigkeit starker Schutzrechte im Patentrecht im Vergleich zu anderen
Gebieten für einen solchen Schutz anführen. Zumindest zeigt die Ausnahme des
absoluten Stoffschutzes aber, dass die Schutzvoraussetzungen eine Variable bei der
Justierung vertikaler Kontrolle sind, die je nach zugrunde gelegter ökonomischer
Argumentation unterschiedlich ausgestaltet werden kann.
B. Schutzumfang
Die schutzrechtsinterne Regulierung vertikaler Kontrolle setzt sich im Schutzumfang fort. Auf Ebene der Schutzvoraussetzungen entscheidet die Auslegung der
Tatbestandsmerkmale darüber, ob überhaupt Schutz für ein immaterielles Gut besteht. Auf Ebene des Schutzumfangs dagegen entscheidet die Auslegung bestimmter
Tatbestandsmerkmale darüber, ob ein bestehendes Schutzrecht vertikale Kontrolle
gewährt oder nicht. Im Gegensatz zu den Schutzschranken wird hier jedoch primär
keine Beschränkung, sondern nur eine dem Schutzrecht entsprechende Ausgestaltung der Verletzungstatbestände beabsichtigt. Im Folgenden soll anhand zweier
Beispiele aus dem Urheber- und dem Markenrecht dargestellt werden, wie die Auslegung immaterialgüterrechtlicher Verletzungstatbestände nachgelagerte Märkte
öffnen und verschließen kann.1074 Dabei wird der Schutzumfang zum Hebel bei der
Justierung der Reichweite vertikaler Kontrolle durch ein Immaterialgüterrecht.
1074 Damit bleibt das Patentrecht bei dieser Darstellung außen vor. Auf Ebene des Schutzumfangs
wird die vertikale Kontrolle des Patentinhabers durch die Auslegung der Patentansprüche bestimmt. Gem. § 14 PatG bestimmen diese den „Schutzbereich“ des Patents. Die konkrete
Auslegungspraxis beeinflusst daher auch die vertikale Kontrollreichweite des Patents. Weil
sich hier jedoch technische und rechtliche Fragen vermengen, ist die Ermittlung des sachlichen Schutzbereichs im Einzelfall und seine allgemeine begriffliche Erfassung mit großen
Schwierigkeiten verbunden, s. Scharen in: Benkard, PatG, § 14 Rdnr. 5. Ein anderer Hebel
für vertikale Kontrolle im Patentrecht, der den hier erörterten Beispielen aus dem Urheberund Markenrecht ähnelt, ist die mittelbare Patentverletzung (§ 10 PatG). Diese erweitert nicht
den positiven Benutzungsgegenstand des Schutzrechts, sondern die Verbotsrechte des Patentinhabers (s. Scharen in: Benkard, PatG, § 10 Rdnr. 2 m.w.N.; a.A. Holzapfel, GRUR 2002,
193, 194 f.). Das Verbot des Anbietens oder Lieferns von Mitteln, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, soll dem Patentinhaber die Durchsetzung seiner Rechte
erleichtern, s. Scharen in: Benkard, PatG, § 10 Rdnr. 2. Damit können aber dem Primärmarkt
(für die Kommerzialisierung der Erfindung) nachgelagerte Märkte für komplementäre Güter
verschlossen werden, s. hierzu z.B. den Kaffee-Pad-Fall oben Teil 2 B. II. 2. Dies kann im
173
I. Urheberbearbeitungsrecht, Fortsetzungsroman und Abstracts
Die vertikale Kontrolle eines Urhebers über die Verwertung seines Werks wird
beeinflusst von der Reichweite seines Rechtes an Bearbeitungen des Werks. Nach
§ 23 S. 1 UrhG dürfen Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes nur
mit Einwilligung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden.1075 Diese Kontrolle findet jedoch eine Grenze, wenn die Anforderungen des § 24 I UrhG erfüllt
sind, weil dann eine freie Benutzung eines anderen Werkes vorliegt. Die Auslegung
der Begriffe „Bearbeitung“ und „freie Benutzung“ ist der Hebel für die Veränderung
der Kontrollreichweite des Urhebers. Weil sich diese Kontrolle in der Regel nicht
gegen direkte Konkurrenten, sondern Akteure auf anderen Marktstufen richtet, die
das Werk des Urhebers als Input nutzen, ist dies eine Form vertikaler Kontrolle.
Beispielsfälle sind die Kontrolle eines Autors über einen Fortsetzungsroman und die
Kontrolle eines Rezensenten über Kurzzusammenfassungen (Abstracts) seiner Rezensionen. Nach einer Darstellung der ökonomischen Interessenlage soll gezeigt
werden, wie die Rechtsprechung mit der Kontrolle über nachgelagerte Märkte durch
das Bearbeitungsrecht in diesen Beispielsfällen umgeht.
1. Wirtschaftliche Interessenlage1076
Die grundlegende ökonomische Erklärung für den Immaterialgüterschutz basiert auf
den Problemen der öffentlichen Güter. Dieses Argument besagt, dass in Abwesenheit eines Ausschlussmechanismus der Anreiz zur Produktion solcher Güter fehlen
wird, da die Konkurrenz durch Imitationen den Preis soweit herunter treiben wird,
dass versunkene Kosten nicht wieder eingespielt werden können.1077 Im Urheberrecht kann dies vor allem als Rechtfertigung für das Vervielfältigungsrecht des § 16
UrhG herangezogen werden. Schwierigkeiten bestehen allerdings bei einer Anwen-
Ergebnis einen patentrechtlichen Schutz von Geschäftsmodellen bewirken, s. kritisch hierzu
Hölder, GRUR 2007, 96 ff. Eine Analyse dieser Fälle unter dem Aspekt der Sekundärmarktkontrolle liefert Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 84 ff.
1075 Im Folgenden soll es nur um Bearbeitungen gehen, die auch veröffentlicht oder verwertet
werden und damit von der Einwilligung des Urhebers abhängig sind. Die Herstellung von
Bearbeitungen, die nicht veröffentlicht oder verwertet werden, ist dagegen frei, außer in den
normierten Ausnahmen des § 23 S. 2 UrhG, s. Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 23 Rdnr.
15. Zum Unterschied zwischen Bearbeitungen und anderen Umgestaltungen Loewenheim in:
Schricker (Hrsg.), § 23 Rdnr. 4 m.w.N.
1076 Die folgende Diskussion wird die wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf das Bearbeitungsrecht darstellen. Das entspricht der Natur des § 23 UrhG, der hauptsächlich verwertungsrechtlichen Charakter hat, s. Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 23 Rdnr. 1; Schack, Rdnr. 423.
Die persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers bzw. des Inhabers eines verwandten
Schutzrechtes in Bezug auf Änderungen oder Beeinträchtigungen des Werks werden dagegen
durch die §§ 14, 39, 62, 83, 93 UrhG abgesichert.
1077 S. oben Teil 1 B. II.
174
dung auf das Bearbeitungsrecht des Urhebers.1078 Bearbeitungen können viele Formen annehmen. Geringfügige Umgestaltungen können den Anreiz des Urhebers in
gleicher Weise wie Imitationen beeinträchtigen. Daher ist es gerechtfertigt solche als
Vervielfältigung zu behandeln.1079 Bei anderen Bearbeitungen ist dies jedoch unklar.
Zum Beispiel kann ein Fortsetzungsroman, der nicht vom Autor des Originalromans
stammt, in den Anwendungsbereich des § 23 UrhG fallen.1080 Obwohl die Fortsetzung bei einer Marktabgrenzung wohl zusammen mit dem Originalwerk einem einheitlichen Markt für Unterhaltungsliteratur angehören würde,1081 wird sie den Anreiz
zur Schaffung des Originalwerkes kaum beeinträchtigen. Dies hat vor allem zeitliche Gründe. Denn sowohl der Schöpfer des Fortsetzungsromans als auch dessen
potentielle Leser benötigen den Originalroman als Grundlage für die Erschaffung
bzw. das Verständnis der Fortsetzung.1082 Natürlich muss das nicht bedeuten, dass
das Bearbeitungsrecht des Urhebers aus ökonomischer Sicht nicht zu rechtfertigen
ist. Vielmehr müssen andere ökonomische Überlegungen für seine Begründung
herangezogen werden.1083
Im US-amerikanischen Copyright wird das Bearbeitungsrecht – dort das „derivative right“1084 – mit derselben Anreizlogik gerechtfertigt, die dem Copyright im
Allgemeinen zugrunde liegt. Danach gibt das Bearbeitungsrecht dem Autor von
Anfang an die Möglichkeit, seine Investitionen im Hinblick auf die Gewinnmöglichkeiten verschiedener Märkte zu tätigen.1085 Das Bearbeitungsrecht weist dem
Autor nach dieser Auffassung nicht nur einen Markt, sondern mehrere benachbarte
1078 Hier ist zu beachten, dass das Bearbeitungsrecht kein Verwertungsrecht wie etwa das Vervielfältigungsrecht ist. Das Bearbeitungsrecht bestimmt vielmehr den Schutzumfang der Verwertungsrechte, s. Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 23 Rdnr. 1 m.w.N.; a.A. allerdings Haberstumpf, Rdnr. 290. Vgl. auch Fn. 608.
1079 S. hierzu BGH, GRUR 1991, 529, 530 – Explosionszeichnungen; BGH, GRUR 1988, 533,
535 – Vorentwurf II; Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 23 Rdnr. 15; Schack, Rdnr. 378;
Schulze in: Dreier/Schulze, § 16 Rdnr. 10.
1080 BGH, GRUR 1999, 984 – Laras Tochter.
1081 BKartA, WuW/E DE-V 918, 920 – Random House/Heyne; Möschel in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB, § 19 Rdnr. 34.
1082 BGH, GRUR 1999, 984, 985 – Laras Tochter. Ähnlich auch Gordon, 17 University of Dayton Law Review 853, 865 f. (1992), die diese Situation als Abweichung von einem Gefangenendilemma in einer spieltheoretischen Modellierung der Anreizlogik des Immaterialgüterrechts deutet.
1083 Allein aus der Logik öffentlicher Güter heraus könnte aber auch folgendermaßen argumentiert werden (vgl. schon oben Teil 2 C. II. 1. und Lemley, 71 U. Chi. L. Rev. 129, 138 f.
(2004)): Die durch das Ausschlussrecht verursachte statische Ineffizienz darf nicht weiter beeinträchtigt werden als dies notwendig ist. Daher muss jede Nutzung eines Werkes, die den
Urheber nicht ex ante von der Schöpfung des Werkes abhält, indem sie ihm unmittelbar Konkurrenz macht, erlaubt bzw. unabhängig vom Urheberrecht des Schöpfers sein. Problematisch
an einem solchen Argument ist allerdings, dass allein die Logik öffentlicher Güter kein
brauchbares Kriterium für eine genaue Abgrenzung des notwendigen Schutzumfangs liefert.
1084 S. hierzu schon oben Teil 2 C. I. 2. b).
1085 Goldstein, 30 J. Copyright Soc'y U.S.A. 209, 216 (1983).
175
Märkte zu. Ein Romanautor kann dann seine Arbeit schon in der Erwartung aufnehmen, später auch durch lizenzierte Folgenutzungen – wie Fortsetzungen oder
Verfilmungen – zu verdienen. Diese Argumentation begegnet jedoch einem Problem:1086 Die Zuweisung eines weiteren Marktes wird nur eine Auswirkung auf den
Anreiz des Autors haben, wenn er nicht ohnehin schon vom Erfolg des Werkes bei
der Primärverwertung überzeugt ist. Ist er auch so vom Erfolg überzeugt, ist die
Erhöhung der statischen Ineffizienz durch die Ausdehnung des Schutzrechts aus der
Wohlfahrtsperspektive unnötig. In diesem Fall wäre es wohlfahrtsfördernd, Bearbeitungen in der „public domain“ zu belassen oder ein unabhängiges Schutzrecht daran
zu vergeben, wenn es die urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen erfüllt. Ist der
Autor dagegen nicht vom Erfolg seines Romans auf dem Primärmarkt überzeugt,
wird ihn in den meisten Fällen auch eine potentielle Sekundärverwertung nicht zur
Schöpfung veranlassen. Denn deren Erfolg hängt meist mit dem Erfolg auf dem
Primärmarkt zusammen.1087 Dies macht das für das Bearbeitungsrecht vorgebrachte
Anreizargument nicht komplett hinfällig, schränkt seine Anwendbarkeit aber zumindest ein.1088
Die dargestellten Ansätze zeigen, wie schwierig es ist, den Schutzumfang eines
Immaterialgüterrechts positiv zu bestimmen. Es kann eben nicht exakt bestimmt
werden, welche Anreize notwendig sind, um einen potentiellen Urheber zur Schöpfung zu veranlassen, dabei aber den Zugang für andere potentielle Nutzer des immateriellen Gutes nicht über das Notwendige hinaus zu beschränken. Es kann ebenso
nicht bestimmt werden, ob dem potentiellen Urheber hierfür eventuell mehrere
Märkte zugewiesen werden müssen. Genauere Aussagen können allerdings getroffen werden, wenn man untersucht, was das Recht verhindern soll, also den Ansatzpunkt einer negativen Eingrenzung des Schutzgegenstandes wählt. Dazu muss hier
allerdings die Perspektive gewechselt werden: Relevant ist nun nicht mehr allein der
Anreiz des Autors, sondern auch die Allokation aller Ressourcen einer Gesellschaft.
Das entsprechende Argument stammt von Abramowicz.1089 Da Märkte für urheberrechtlich geschützte Güter zur Überproduktion tendieren, ist zu erwarten, dass es in
Abwesenheit des Bearbeitungsrechts zu einem Rennen verschiedener Anbieter um
die Herstellung entsprechender Produkte kommen wird. So ist es wahrscheinlich,
dass es ohne das Bearbeitungsrecht von Joanne K. Rowling an den Harry Potter-
Romanen mehrere Verfilmungen des Buches gegeben hätte. Auch wenn dies aus der
1086 S. hierzu schon oben Teil 2 C. I. 2. b) und Abramowicz, 90 Minn. L. Rev. 317, 327 f. (2005).
1087 Als Beispiel können hier die erfolgreichen Verfilmungen der Harry Potter-Romane angeführt
werden, s. Fn. 614.
1088 S. oben Teil 2 C. I. 2. b).
1089 Zum Folgenden s. schon oben Teil 2 C. I. 2. b) und Abramowicz, 90 Minn. L. Rev. 317 ff.
(2005). Andere Argumente, die sich mit der Allokationseffizienz in einem Wirtschaftssystem
beschäftigen, ergeben sich aus der Analyse von Marktmachtwirkungen im Vertikalverhältnis,
s. oben Teil 2 B. Die hieraus entstehenden Probleme werden im Urheberrecht jedoch schon
zu einem großen Teil auf Ebene der Schutzvoraussetzungen vermieden, s. hierzu oben Teil 3
A.
176
Sicht mancher Fans wünschenswert gewesen wäre, würde es doch zu einer ineffizienten Ressourcenallokation führen. Der Reiz, auf einem erfolgreichen Werk aufzubauen, würde viele Anbieter hierfür anlocken. Dieser Vorgang kann als „rentseeking“-Verhalten beschrieben werden. Ein solches Verhalten kann zu einer vollständigen Dissipation der realisierbaren Renten führen.1090
Zumindest im Bereich des Urheberrechts ist eine solche Anhäufung von Ressourcen an einem Punkt jedoch nicht wünschenswert. Erstrebenswert ist nicht die vollständige Ausbeutung eines Werkes auf alle erdenklichen Arten, sondern vielmehr
die Vielfalt kulturellen Schaffens. Diese wird aber nur gefördert, wenn die ungehinderte Ausbeutung von vorhandenem Material auf höhere Abstraktionsstufen beschränkt wird. Es ist unschädlich, wenn der allgemeine Stoff einer Geschichte mit
Zauberern auf unterschiedliche Weise bearbeitet wird.1091 Es ist jedoch nicht wünschenswert, dass die konkrete Geschichte von Harry Potter auf viele verschiedene
Arten erzählt wird. Unter diesem Aspekt ist es daher wohlfahrtsfördernd, wenn das
Bearbeitungsrecht quasi als „Abstandshalter“ zwischen den einzelnen Schutzpositionen wirkt. Anderes gilt wohl für das Patentrecht: Auch hier argumentiert die
„prospect theory“ mit der Verhinderung von ineffizienten Ressourcenallokationen
durch „Patentrennen“.1092 Der Wert des technologischen Fortschritts liegt jedoch
nicht nur in der Vielfalt der Ergebnisse, sondern auch in der Vielfalt der Herangehensweisen. Anders als im Urheberrecht kann es hier wohlfahrtsfördernd wirken,
wenn bestehende Innovationsergebnisse verbessert oder neue Innovationen von
mehreren Parteien gleichzeitig angestrebt werden.1093
2. Bearbeitung, freie Benutzung und ökonomische Rationalität
Die Reichweite des Bearbeitungsrechts wird durch die §§ 23, 24 UrhG bestimmt.
Die entscheidende Grenze bilden dabei die Kriterien des § 24 Abs. 1 UrhG. Sind
diese erfüllt, ist die Verwertung eines Werks nicht von der Zustimmung des Urhebers eines älteren Werks abhängig, auf dem das jüngere Werk basiert. Dann liegt
eine „freie Benutzung“ und keine unfreie Bearbeitung vor. § 24 Abs. 1 UrhG hat
zwei Voraussetzungen: Seine Rechtsfolge tritt ein, wenn das jüngere Werk ein
„selbständiges Werk“ ist und in „freier Benutzung“ eines anderen Werkes geschaffen worden ist. Aufgrund des ersten Merkmals können nur „Werke“, also „persönliche geistige Schöpfungen“ gem. § 2 Abs. 2 UrhG freie Nutzungen im Sinne des § 24
UrhG sein. Dies wird mit dem notwendigen Abstand von Schöpfungen in kumulativen Innovationsprozessen gerechtfertigt. Das Aufbauen auf fremden Leistungen ist
1090 S. oben Teil 2 C. I. 2. b).
1091 Auf dieser Abstraktionsebene scheidet ein urheberrechtlicher Schutz ganz aus, s. oben Teil 3
A. I. 1.
1092 S. oben Teil 2 C. I. 2. a).
1093 S. oben Teil 2 C. II.
177
zwar notwendig und nützlich. Dabei müssen jedoch bestimmte Grenzen eingehalten
werden, die Aneignung und Ausbeutung fremder Leistung verhindern.1094 Dies entspricht auch dem dargestellten Argument, das Urheberrecht müsse die Vielfalt kultureller Produktion und nicht die Ausbeutung einzelner Verwertungsmöglichkeiten
fördern. Das Tatbestandsmerkmal des „selbständigen Werkes“ stellt hierfür zwar
eine erste Hürde für Bearbeitungen auf, darüber hinaus kommt ihm jedoch keine
Bedeutung zu; die entscheidende Abgrenzung erfolgt durch die Auslegung des Begriffs der „freien Benutzung“.1095
Eine freie Benutzung gem. § 24 UrhG liegt nur vor, wenn ein anderes Werk als
Anregung genutzt wird, nicht jedoch wenn es identisch oder in bloß umgestalteter
Form genutzt wird.1096 Dabei müssen „angesichts der Individualität des neuen Werkes die Züge des benutzten Werkes verblassen“.1097 Es findet daher eine Bewertung
des Grades der jeweiligen Individualität der betroffenen Werke und deren Wechselwirkung statt, wobei entscheidend ist, ob die schöpferische Leistung des jüngeren
Werkes die des älteren Werkes in den Hintergrund drängt.1098 Bei diesem Vergleich
sind die Übereinstimmungen mit dem älteren Werk stärker als die Unterschiede zu
gewichten.1099 Zudem ist der individuelle Gestaltungsspielraum zu beachten, der
zwischen verschiedenen Werkkategorien, aber auch einer Kategorie variieren kann,
etwa zwischen belletristischen und wissenschaftlichen Sprachwerken.1100 Tritt die
Individualität des älteren Werkes dagegen nicht in den Hintergrund, kann doch eine
freie Benutzung vorliegen, wenn die Individualität des neueren Werkes die des älteren überlagert. Die Selbständigkeit beruht dann auf einem inneren Abstand der Werke. Ein solcher kann etwa bei einer Auseinandersetzung mit dem älteren Werk vorliegen.1101 Typische Beispiele hierfür ist die Parodie oder die Satire auf ein Werk.1102
1094 Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 2; Rehbinder, Rdnrn. 376 f.; Schulze in:
Dreier/Schulze, § 24 Rdnrn. 1 u. 5.
1095 Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 8 f.
1096 BGH, GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler; BGH, GRUR 1999, 984, 987 – Laras Tochter;
Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 10 m.w.N.; Schulze in: Dreier/Schulze, § 24
Rdnrn. 7.
1097 Diese Formulierung geht zurück auf Ulmer, S. 276, und wird in der Rechtsprechung durchgängig verwendet: BGH, GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler; BGH, GRUR 1999, 984, 987 –
Laras Tochter; Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 10 m.w.N.; Schulze in:
Dreier/Schulze, § 24 Rdnrn. 8.
1098 BGH, GRUR 1991, 531, 532 – Brown Girl I; BGH, GRUR 1991, 533, 534 – Brown Girl II.
Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 10 m.w.N.; Rehbinder, Rdnr. 379; Schulze in:
Dreier/Schulze, § 24 Rdnrn. 8.
1099 BGH, GRUR 20034, 786, 787 – Innungsprogramm; BGH, GRUR 1999, 984, 988 – Laras
Tochter; BGH, GRUR 1994, 191, 192 f. – Asterix-Persiflagen; Loewenheim in: Schricker
(Hrsg.), § 24 Rdnr. 13 m.w.N.; Schulze in: Dreier/Schulze, § 24 Rdnrn. 13.
1100 Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnrn. 16 ff. m.w.N.; Schulze in: Dreier/Schulze,
§ 24 Rdnr. 15.
1101 BGH, GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler; BGH, GRUR 1999, 984, 987 – Laras Tochter;
Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 11 m.w.N.; Schulze in: Dreier/Schulze, § 24
Rdnrn. 9 u. 16.
178
In solchen Fällen muss das ältere Werk schon aufgrund der Natur des jüngeren
Werkes erkennbar bleiben.
Urheberrechtliche Fälle im Bereich des Bearbeitungsrechts werden über die dargestellten Grundsätze gelöst. Obwohl sie nicht erwähnt werden, kommen hierbei
implizit die dargestellten ökonomischen Argumente zum Tragen. Zumindest können
sie eine Möglichkeit bieten, die urheberrechtliche Vorgehensweise auf eine andere
Art zu begründen. Es zeigt sich dabei, dass das Merkmal der Individualität äußerst
komplizierte und einzelfallabhängige wirtschaftliche Überlegungen in ein juristisch
handhabbares Kriterium transformiert. Es ersetzt vor allem die Bewertung, ob eine
Bearbeitung dem kulturellen Fortschritt dient1103 oder sich nur an einen fremden
Erfolg anhängt.1104 Diese implizite ökonomische Rationalität soll im Folgenden
anhand eines Beispielfalles nachgezeichnet werden.
In der Entscheidung Laras Tochter hatte der BGH über die urheberrechtliche Zulässigkeit der Verwertung einer ungenehmigten Fortsetzung zum Roman Dr. Schiwago von Boris Pasternak zu urteilen.1105 Die Erörterungen des Verhältnisses von
§§ 23, 24 UrhG bildeten den Kern der Entscheidung. Der Roman Laras Tochter
spinnt die Handlungsstränge von Dr. Schiwago weiter.1106 In ihm tauchen weitgehend die gleichen Personen, die gleiche Umgebung, das gleiche Beziehungsgeflecht
und die gleichen Schauplätze wie im älteren Werk auf. Auch wenn der Schwerpunkt
auf den Schicksalen anderer Personen als im Original liegt, sind die Erzählstränge
jedoch so miteinander verwoben, dass im Ergebnis eine lineare Fortsetzung vorliegt.
Dies wertet der BGH mit folgender Begründung als unfreie Bearbeitung des Originalstoffes:1107 Die Fortsetzung verwende weitgehend eigenschöpferisch gestaltetes
Material des Originals. Dies sei gerade notwendig für die Anknüpfung an die Handlungsfäden. Der Grad dieser Übernahmen lasse ein „Verblassen“ des Originals im
wörtlichen Sinne nicht zu. Daher komme nur eine freie Benutzung aufgrund des
inneren Abstandes zum Original in Frage. Das setze aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Original voraus. Weder das Fortspinnen der Handlung noch der
Perspektivenwechsel und die damit stärker betonte Sichtweise von Frauen in der
Fortsetzung könnten aber einen solchen inneren Abstand rechtfertigen. Eine andere
Sichtweise sei auch deshalb nicht möglich, weil den Übereinstimmungen mit dem
älteren Werk eine größere Bedeutung zukomme als den Hinzufügungen des Fortsetzungsautors. Es liege daher eine unfreie Benutzung vor, die gem. § 23 UrhG der
Zustimmung des Originalautors bzw. dessen Erben bedarf.
1102 S. hierzu Loewenheim in: Schricker (Hrsg.), § 24 Rdnr. 22 m.w.N.
1103 Rehbinder, Rdnr. 378.
1104 Schack, Rdnr. 245.
1105 BGH, GRUR 1999, 984 ff. – Laras Tochter.
1106 Zur folgenden Beschreibung des streitgegenständlichen Werkes: BGH, GRUR 1999, 984,
985 f. – Laras Tochter.
1107 Zur folgenden Wertung des BGH: BGH, GRUR 1999, 984, 986 ff. – Laras Tochter.
179
Im Ergebnis gewährt das Bearbeitungsrecht hier dem Autor vertikale Kontrolle
über sein Werk. Die geschützten Elemente des Romans dürfen nicht ohne seine
Zustimmung als Input für den nachgelagerten Markt für Fortsetzungen genutzt werden. Dies ist kein rein horizontal wirkender Imitationsschutz, denn der Anreiz für
die Erschaffung des Originalwerks ist hierdurch nicht gefährdet. Vielmehr wird dem
Autor ein weiterer Markt zugewiesen. Dadurch kann er seine Aufwendungen im
Hinblick auf die Gewinnchancen auf mehreren Märkten planen. Soweit dieses Argument Schwierigkeiten begegnet,1108 kann es durch einen Perspektivenwechsel
verfestigt werden. Durch die Zuweisung angrenzender Märkte wird nicht nur der
Anreiz des Urhebers potentiell verbessert; vielmehr ist die Kulturproduktion effizienter organisiert, wenn die Ressourcen auf verschiedene Leistungen und nicht auf
die Weiterverwertung derselben Leistung verwendet werden. Die hierfür erforderliche Marktzuweisung wird durch den Begriff der Individualität vorgenommen. Der
Urheber darf jede Verwertung kontrollieren, die erkennbar auf seiner individuellen
eigenschöpferischen Leistung beruht. Die Nutzung seines Werks als Input für nachgelagerte Märkte bedarf solange seiner Zustimmung, wie die Bedeutung des Inputs
für die nachgelagerte Nutzung größer ist als die Bedeutung der durch den nachgelagerten Nutzer hinzugefügten Leistung. Dies ist nichts anderes als die Abgrenzung
zwischen dem Fortschritt im kulturellen Schaffen und dem Anhängen an fremde
Leistungen.
3. Bearbeitungsrechtliche Kontrolle über Abstracts
Das Bearbeitungsrecht gewährt dem Urheber vertikale Kontrolle. In klassischen
Bearbeitungsfällen, wie dem Fortsetzungsroman, ist diese Kontrolle selbstverständlich. Sie entspricht schon der Intuition und braucht daher aus ökonomischer Sicht
nur nachvollzogen werden. Das Bearbeitungsrecht kann aber auch Hebel für die
Kontrolle oder die Freihaltung von Märkten sein, die weniger selbstverständlich
dem Urheber zuzuordnen sind. Auf solchen Märkten nutzt der vertikal nachgelagerte
Nutzer das Werk ebenfalls als Input in seine Produktion, fügt diesem jedoch einen
Mehrwert anderer Art hinzu. Er baut nicht nur auf der Leistung des Urhebers auf,
sondern stellt das Werk durch seine Bearbeitung in einen anderen Nutzungszusammenhang. In solchen Fällen ist die Rechtsprechung offener für ökonomische Argumente. Vor allem wird immer wieder direkt oder indirekt geprüft, ob der Bearbeiter
zum Urheber in Konkurrenz tritt.
Beispiel hierfür sind Fälle, die sich mit der Rechtmäßigkeit von sog. „Abstracts“,
also Inhaltsangaben bzw. Kurzzusammenfassungen oder Kurzreferaten von Sprachwerken, beschäftigen.1109 Solche Abstracts gehören zu den Informationsmehrwert-
1108 S. oben Teil 2 C. I. 2. b).
1109 Einschlägige Entscheidungen in den vergangenen Jahren waren: LG Frankfurt a.M., AfP
2005, 402; LG Hamburg, NJW 2004, 610 ff. – Harry Potter; OLG Frankfurt a.M., ZUM-RD
180
diensten. Diese Dienste sind seit längerer Zeit Gegenstand von Diskussionen im
Urheberrecht.1110 Thema waren unter anderem Recherchedienste, Kopienversanddienste und elektronische Pressearchive.1111 Zur Debatte stand auch die Zulässigkeit
der Verwendung zeitgenössischer, urheberrechtlich geschützter Literatur in Sekundärliteratur für den Schulunterricht.1112 Anhand der Abstract-Fälle lässt sich zeigen,
wie das Urheberrecht auf Mehrwertdienste reagiert, und dabei als Mechanismus
wirkt, der den Zugang zu nachgelagerten Märkten schließen aber auch öffnen kann.
Die Frage der Zulässigkeit von Abstracts wurde jüngst relevant in einer Auseinandersetzung zwischen großen deutschen Tageszeitungen und dem Betreiber der
Internetseite Perlentaucher.de.1113 Perlentaucher.de stellt auf seiner Seite neue Bücher vor und gibt Buchempfehlungen. Dazu bietet die Seite Zusammenfassungen
von Buchrezensionen aus verschiedenen renommierten Zeitungen. Diese Zusammenfassungen werden zwar von den Betreibern von Perlentaucher.de selbst formuliert, enthalten jedoch immer wieder auch wörtliche Zitate aus den Originalrezensionen. Perlentaucher.de verwertet die Zusammenfassungen der Rezensionen außerdem dadurch, dass an verschiedene Internetbuchhandlungen Lizenzen für den
Abdruck der Abstracts vergeben werden. Hiergegen wenden sich die Zeitungen. Im
Mittelpunkt der Entscheidungen des LG Frankfurt a.M. und des OLG Frankfurt a.M.
steht die urheberrechtliche Zulässigkeit dieser Nutzung als Inhaltsmitteilung gem.
§ 12 Abs. 2 UrhG oder als freie Benutzung gem. § 24 UrhG.1114
2003, 532; OLG Frankfurt a.M., AfP 1998, 415; s. außerdem Berger/Büchner, K&R 2007,
151 ff.
1110 S. vor allem Dreier in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), S. 51, 54 m.w.N.; ders. in:
Dreier/Schulze, Einl. Rdnr. 26; ders. in: Dreier/Schulze, Vor §§ 44a ff. Rdnr. 4 a.E. m.w.N.
1111 BGH, GRUR 1997, 459 – CB-Infobank I; GRUR 1997, 464 – CB-Infobank (II); BGH,
GRUR 1999, 707 – Kopienversanddienst; BGH, GRUR 1999, 325 – Elektronische Pressearchive.
1112 LG Hamburg, NJW 2004, 610 – Harry Potter; LG Berlin, ZUM 2003, 60; Erdmann, WRP
2002, 1329 ff.; Loewenheim, ZUM 2004, 89 ff.
1113 S. zu den Sachverhalten der parallel entschiedenen und inhaltlich weitgehend deckungsgleichen Verfahren: OLG Frankfurt a.M. NJW 2008, 770 ff. (nicht rechtskräftig; die Revision
wird beim BGH unter dem Az. I ZR 12/08 geführt); OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249
ff. – Abstracts (nicht rechtskräftig; die Revision wird beim BGH unter dem Az. I ZR 13/08
geführt).
1114 Vgl. Berger/Büchner, K&R 2007, 151, 152. Keine Zweifel bestanden an der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit der Originalrezensionen, s. OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 771 u.
OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 250 – Abstracts. Die Frage der Zulässigkeit nach
§ 51 Nr. 2 UrhG wird hier ausgeklammert, s. dazu OLG Frankfurt a.M. NJW 2008, 770 f.,
773 u. OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 250, 252 f. – Abstracts; und umfassend zu urheberrechtlichen Fragen in Bezug auf Abstracts Erdmann in: Keller/Plassmann/von Falck
(Hrsg.), S. 21 ff. Ebenfalls soll im Folgenden nicht auf marken- und wettbewerbsrechtliche
Fragen eingegangen werden, s. hierzu OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 773 f. u. OLG
Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 253 f. – Abstracts; Berger/Büchner, K&R 2007, 151, 154.
181
Das LG hatte aus einem Umkehrschluss zur Vorschrift des § 12 Abs. 2 UrhG geschlossen, dass die Zusammenfassungen als Inhaltsmitteilungen des Werkes zulässig
seien und es dabei nicht auf eine Einordnung in die §§ 23, 24 UrhG ankomme.1115
§ 12 Abs. 2 UrhG ist urheberpersönlichkeitsrechtlicher Natur. Die Vorschrift behält
dem Urheber das Recht vor, den Inhalt des Werkes vor der Veröffentlichung mitzuteilen oder zu beschreiben. Allerdings ist die Reichweite dieser Regelung umstritten.
Teilweise wird diese Regelung als Schranke des Urheberrechts verstanden, aus der
sich eine von den §§ 23, 24 UrhG unabhängige Zulässigkeit der Inhaltsmitteilung
ergebe.1116 Die einzige Grenze sei dabei die Substitution des Originalwerks durch
die Inhaltsmitteilung.1117 Andere vertreten die Auffassung, dass § 12 Abs. 2 UrhG
nur besage, dass Inhaltsmitteilungen erlaubt sein können, im Einzelnen aber geprüft
werden müsse, ob eine unfreie Bearbeitung gem. § 23 UrhG oder eine freie Benutzung nach § 24 UrhG vorliege.1118 Für eine Unabhängigkeit von Inhaltsmitteilungen
von den §§ 23, 24 UrhG wird das Interesse an öffentlicher Information und Kritik
angeführt.1119 Dieses sei beeinträchtigt, wenn zum Beispiel jeder Rezensent die
Grenzen der §§ 23, 24 UrhG beachten müsste.1120 Zudem sei das Verhältnis von
Schutz und Gemeinfreiheit zu berücksichtigen: § 12 Abs. 2 UrhG bilde eine Ausnahme für Inhaltsmitteilungen vor der Erstveröffentlichung; im Übrigen bleibe es
bei der Gemeinfreiheit von Inhaltsangaben.1121 Gegen eine solch weite Interpretation
des § 12 Abs. 2 UrhG werden systematische Gründe angeführt: Die urheberpersönlichkeitsrechtliche Natur der Vorschrift und ihre damit zusammenhängende Stellung
im Gesetz ließen eine Interpretation als Schranke mit so weitgehenden Wirkungen –
nämlich der Umgehung der abschließenden Regelungen in §§ 23, 24 UrhG – nicht
zu, vor allem unter Berücksichtigung des Gebots der engen Schrankenauslegung.1122
Das OLG schloss sich der Ansicht an, dass das Vorliegen der Voraussetzungen
von § 12 Abs. 2 UrhG nicht von einer Prüfung der §§ 23, 24 UrhG entbinde.1123 Die
1115 LG Frankfurt a.M., K&R 2007, 48, 49.
1116 LG Frankfurt a.M., K&R 2007, 48, 49; Dietz in: Schricker (Hrsg.), § 12 Rdnr. 29; Erdmann
in: Keller/Plassmann/von Falck (Hrsg.), S. 21, 30 ff.; Haberstumpf, Rdnr. 205; Rehbinder,
Rdnr. 511; Ulmer, S. 213.
1117 LG Frankfurt a.M., K&R 2007, 48, 49; Dietz in: Schricker (Hrsg.), § 12 Rdnr. 29; Erdmann
in: Keller/Plassmann/von Falck (Hrsg.), S. 21, 30; Haberstumpf, Rdnr. 205; Rehbinder, Rdnr.
511; Ulmer, S. 213.
1118 OLG Frankfurt a.M. NJW 2008, 770, 771 u. OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 251 –
Abstracts; LG Hamburg, NJW 2004, 610, 614 f. – Harry Potter; Berger/Büchner, K&R 2007,
151, 153 f.; Schack, Rdnr. 329; Schulze in: Dreier/Schulze, § 12 Rdnr. 24; Bullinger in:
Wandtke/Bullinger, § 12 Rdnr. 22.
1119 Rehbinder, Rdnr. 511; Erdmann in: Keller/Plassmann/von Falck (Hrsg.), S. 21, 30.
1120 Haberstumpf, Rdnr. 205.
1121 Erdmann in: Keller/Plassmann/von Falck (Hrsg.), S. 21, 31.
1122 LG Hamburg, NJW 2004, 610, 614 f. – Harry Potter; Berger/Büchner, K&R 2007, 151, 153
m.w.N.; Schack, Rdnr. 329; Schulze in: Dreier/Schulze, § 12 Rdnr. 24; Bullinger in: Wandtke/Bullinger, § 12 Rdnr. 22.
1123 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 771; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 251 –
Abstracts.
182
Zulässigkeit von Abstracts hänge von einer Prüfung dieser Normen im Einzelfall
ab.1124 Daraufhin wendet das OLG die dargestellten allgemeinen Grundsätze der
Abgrenzung von §§ 23, 24 UrhG an. Eigenes Werkschaffen der Ersteller der Abstracts liege vor. Die besondere eigenschöpferische Leistung liege in der Komprimierung der Rezensionen.1125 Auch im Falle der Abstracts bestehe allerdings das
Problem, dass das Original ähnlich wie bei Parodien notwendigerweise in der Bearbeitung durchscheinen müsse. Daher komme es auf den inneren Abstand an.1126
Dieser müsse aber wiederum durch eine Abwägung zwischen der Leistung des Original-Rezensenten und der des Abstract-Autors ermittelt werden. Hierbei komme es
unter anderem darauf an, wie weit sich der Aufbau des Abstracts an der Rezension
orientiere und wie viele individuelle Formulierungen des Originalwerks übernommen wurden.1127 Die Abgrenzung habe darüber hinaus im Lichte der Meinungs- und
Pressefreiheit zu erfolgen.1128 Diese Grundsätze wendet das OLG sodann beispielhaft auf verschiedene Abstracts an und bejaht das Vorliegen von freien Nutzungen
im Sinne des § 24 UrhG am Ende für alle streitgegenständlichen Zusammenfassungen.1129
Nach dieser Erörterung äußert sich das OLG noch zum Kriterium der Substitution
des Originals im Rahmen der Prüfung des § 12 Abs. 2 UrhG. Dies würde hier zu
keinem anderen Ergebnis führen.1130 Allerdings begegne dieses Kriterium einem
entscheidenden Problem: Um über die Substituierbarkeit zu urteilen, müsse der
konkrete Verwertungszusammenhang bekannt sein. Wenn auf den entsprechenden
Buchhändlerseiten nur die Zusammenfassung nicht aber die Originalrezension abrufbar sei, sei eine Ersetzung der Rezension wahrscheinlich. Sei dagegen auch die
Originalrezension verlinkt – und dies war hier der Fall – komme eine Ersetzung
wohl nicht in Frage, weil ein erheblicher Teil der Nutzer wohl auch das Original
konsultieren würde.1131 Daher müsse der Verwertungskontext außer Betracht bleiben
1124 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 771; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 251 –
Abstracts.
1125 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 771; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 251 –
Abstracts.
1126 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 771; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 251 f. –
Abstracts.
1127 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 771 f.; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 252 –
Abstracts.
1128 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 772; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 252 –
Abstracts.
1129 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 772 f.; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 252 f. –
Abstracts.
1130 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 773; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 253 –
Abstracts.
1131 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 773; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 253 –
Abstracts.
183
und ein rein inhaltlicher Vergleich entscheiden. Dieser sei aber schon innerhalb der
Prüfung der §§ 23, 24 UrhG vorgenommen worden.1132
Diesen Überlegungen des OLG ist zuzustimmen.1133 Die Substituierbarkeit des
Schutzgegenstands ist zwar intuitiv das richtige Kriterium zur Abgrenzung des
Schutzumfangs eines Immaterialgüterrechts. Diese Logik ergibt sich aus der Problematik öffentlicher Güter, die das grundlegende Dilemma bei der Produktion von
Information darstellt. Sie allein kann aber den notwendigen Schutzumfang nicht
festlegen, weil sie keine „harten Kriterien“ liefert. Die Substituierbarkeit ist, wie
auch die hierfür notwendige Marktabgrenzung, ein „weiches Kriterium“, dessen
Anwendung eine Maß- und Gradfrage bleibt.1134 Sie ist nicht nur vom Verwertungszusammenhang, sondern – wahrscheinlich in noch höherem Maße – von den individuellen Vorlieben verschiedener Nutzer abhängig.1135 So kann es bestimmte Nutzer
geben, die ohnehin die Originalrezension nie gelesen hätten, aber auch solche, die
trotz fehlender Verlinkung das Original lesen werden.
Die Logik der öffentlichen Güter und damit auch die Frage der Substituierbarkeit
kann aber durch andere Argumente ergänzt werden. Ein Ansatzpunkt ist die Lenkung der Produktion von Kulturgütern in einer Weise, die ineffizientes „rentseeking“-Verhalten vermeidet und Vielfalt fördert.1136 Damit lässt sich ein Schutzumfang rechtfertigen, der über das Konkurrenzverhältnis hinausgeht und ein stärkeres Abgrenzungskriterium ermöglicht. Relevant ist nun nicht mehr die Konkurrenz,
sondern der auf nachgelagerten Märkten geschaffene Mehrwert und damit auch die
Vielfalt der kulturellen Produktion im Ganzen. Dieser Mehrwert muss aber in ein
juristisch handhabbares Kriterium transformiert werden. Sollen dabei die konkreten
Marktverhältnisse wegen der Problematik ihrer Bestimmung ausgeklammert werden, kommt nur ein Ansatz in Frage, der den einzig festen Punkt im Urheberrecht in
den Mittelpunkt stellt: Das Werk. Dieses ist gekennzeichnet durch seine Individualität. Soll nun also festgestellt werden, wo die Grenze zum nächsten Markt verläuft,
auf dem das Schutzgut als Input frei genutzt werden dürfen soll, muss der Grad der
Individualität im Vergleich zu der des nachgelagerten Produkts ermittelt werden.
Genau diese Aufgabe erledigen aber die §§ 23, 24 UrhG. Daher müssen diese Normen am Ende darüber entscheiden, ob ein Urheber Kontrolle über einen nachgelagerten Markt ausüben kann.
1132 OLG Frankfurt a.M., NJW 2008, 770, 773; OLG Frankfurt a.M., GRUR 2008, 249, 253 –
Abstracts.
1133 In den Grundsätzen vertreten dies auch Berger/Büchner, K&R 2007, 151, 153 f. in ihrer
Besprechung des LG-Urteils. Sie kommen jedoch bei der Anwendung der Grundsätze zum
Ergebnis, dass die Abstracts unfreie Bearbeitungen gem. § 23 UrhG darstellen.
1134 S. zu dieser Formulierung Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rdnr. 69.
1135 OLG Frankfurt a.M. v. 1. 4. 2003, Az. 11 U 47/02, Tz. 23-24; Mehrings, GRUR 1983, 275,
283 ff.
1136 S. oben Teil 2 C. I. 2. b).
184
4. Bewertung
Das Bearbeitungsrecht bestimmt den vertikalen Schutzumfang des Urheberrechts
gegenüber kreativen Veränderungen von Werken. Dies zeigt vor allem die Diskussion um die Zulässigkeit von Abstracts. Der horizontale Schutz wird hier als Grundabsicherung des Urhebers vorausgesetzt. Die Substitution des Originalwerks ist die
letzte Grenze für einen Eingriff in das Urheberrecht und bestimmt damit den absoluten Kerngehalt an Ausschlussbefugnissen.1137 Ob eine darüber hinausgehende und ab
einem bestimmten Punkt vertikale Kontrolle gewährt wird, hängt von der Individualität des Autors ab, die sich in Produkten nachgelagerter Märkte wieder findet. Der
Begriff versammelt damit ökonomische Überlegungen, die vertikale Kontrolle rechtfertigen und beschränken können, und transformiert diese in ein juristisches Kriterium, das am Ende freilich selbst wieder verschiedenen Interpretationen und damit
wieder unterschiedlichen ökonomischen Überlegungen zugänglich ist.
II. Benutzungsbegriff und Spielzeugmarkt
Die vertikale Kontrolle eines Markenrechtsinhabers wird durch die Auslegung und
Anwendung des Benutzungsbegriffs im Markenrecht beeinflusst.1138 Dieser ist eine
zentrale Voraussetzung der Verletzungstatbestände. Das Ergebnis der Anwendung
kann über die Freihaltung oder Schließung von nachgelagerten Märkten entscheiden.
Wie dieser Mechanismus funktioniert, soll nachfolgend anhand der Kontrolle von
Autoherstellern über Spielzeugmärkte dargestellt werden.
1. Wirtschaftliche Interessenlage
Die Kontrolle von Folgemärkten wird im Bereich der Spielzeug- und Modellbauindustrie diskutiert.1139 Diese Industrie produziert unter anderem verkleinerte Nachbauten von Fahrzeugen, zum Beispiel von Eisenbahnen oder Autos, die mit den
Originalmarken versehen sind. Dabei kann es zu Konflikten mit den Herstellern des
Vorbilds für den Nachbau kommen. Diese können über verschiedene Mechanismen
1137 So auch Erdmann in: Keller/Plassmann/von Falck (Hrsg.), S. 21, 29.
1138 Dies kann eine Frage des Schutzumfangs sein, wenn man diesen Begriff in einem weiteren
Sinne versteht, so etwa Götting, § 50 Rdnrn. 2 ff. Im engeren Sinne wird der Begriff des
Schutzumfangs im Markenrecht jedoch für das Ausmaß der Kennzeichnungskraft einer Marke verwendet, s. z.B. Hacker in: Ströbele/Hacker, § 9 Rdnr. 182.
1139 S. vor allem Dreier in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), S. 51, 52 f.; Kur in: Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/Lehmann (Hrsg.), S.835 ff.; Karl, WRP 2006, 848 ff.;
Anschütz/Nägele, WRP 1998, 937 ff. jeweils m.w.N. zur relevanten Rechtsprechung.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Immaterialgüterrecht soll die Imitation von geistigen Leistungen verhindern. Damit wirkt es zunächst horizontal gegen direkte Konkurrenz. Es verleiht jedoch auch Schutz gegenüber Dritten, die das geschützte Gut als Input auf anderen Märkten nutzen. Dies kann als vertikale Schutzrichtung bezeichnet werden. Obwohl diese Schutzrichtungen verschiedene Auswirkungen auf die Produktion immaterieller Güter haben, wird im Immaterialgüterrecht nicht zwischen ihnen differenziert.
Die vorliegende Arbeit untersucht anhand dieser Unterscheidung die schutzrechtsinternen Grenzen des Immaterialgüterrechts. In einer ökonomischen Analyse werden zunächst die Wirkungen der vertikalen Kontrollbefugnisse dargestellt. Anschließend wird analysiert, inwieweit die ökonomischen Erkenntnisse ins Recht Einzug gefunden haben und welche Hebel es zur Justierung vertikaler Kontrolle gibt. Diese Betrachtungsweise schärft das Verständnis des Immaterialgüterrechts als Marktorganisationsrecht und schafft eine tragfähigere Grundlage für die Bewertung und Justierung der schutzrechtsexternen Grenzen. Darüber hinaus trägt sie zu einem „more economic approach“ im Immaterialgüterrecht bei.