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9. Die deutsche Währungsunion – eine Schocktherapie.
Ein dramatisches Kapitel aus der Geschichte der D-Mark
von Manfred E. Streit (F.A.Z. vom 20.06.1998)
Die Währungsunion vom 1. Juli 1990 ist markanter Bestandteil eines in der deutschen
Geschichte einmaligen Vorgangs: Den Deutschen in Ostdeutschland war die Befreiung
von einem totalitären Regime durch eine friedliche Revolution gelungen. Mit der Einbeziehung Ostdeutschlands in den Geltungsbereich der D-Mark begann eine Schocktherapie für ein sozialistisches Wirtschaftssystem, das selbst nach Einschätzung der
Planungskommission der DDR kurz vor dem Zusammenbruch stand. Mit der „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ (WWSU) wurden über die Geldverfassung hinaus auch die übrigen Elemente der westdeutschen Wirtschaftsverfassung auf Ostdeutschland übertragen. Das bedeutete einen radikalen institutionellen Bruch mit der
sozialistischen Vergangenheit, der ohne Parallele ist.
Sowohl vor als auch nach der Währungsunion wurde nach historischen Parallelen
gesucht mit dem Ziel, die so gewonnenen Erfahrungen zu nutzen. Dabei wurden
schnell Grenzen eines solchen Vorgehens erkennbar. Für einen Vergleich sind nicht
nur die monetären und realwirtschaftlichen Ausgangsbedingungen relevant. Die Institutionen prägen die monetäre und realwirtschaftliche Entwicklung wesentlich mit.
Infolgedessen sind auch die institutionellen Ausgangsbedingungen in den Vergleich
einzubeziehen.
1948 war die monetäre Situation durch einen erheblichen Geldüberhang, eine hohe
Verschuldung der Banken sowie eine Zurückweisung der Reichsmark durch die Bevölkerung gekennzeichnet. Geldüberhang und Bankenverschuldung waren Folgen der
„geräuschlosen“ Rüstungs? nanzierung durch die nationalsozialistische Regierung.
Die in? atorischen Folgen des wachsenden Geldüberhangs wurden durch Preiskontrollen und Rationierungen zurückgestaut.
Nach dem Kriegsende wurde das von der deutschen Regierung verwendete System
von Preiskontrollen und Rationierungen weitgehend beibehalten. Auch die Reichsmark blieb gesetzliches Zahlungsmittel. Das bedeutete, dass zum Zeitpunkt der Währungsreform zwölf Jahre zurückgestauter In? ation zu bewältigen waren. Der Geld-
überhang in Form von Bargeld und Bankguthaben wurde auf 90 Prozent der Geldbestände geschätzt. Hinzukam eine Überschuldung des Bankensystems, weil den
Einlagen wertlose Forderungen an das Reich gegenüberstanden. Mit der Währungsreform wurden Geldüberhang und Überschuldung beseitigt: Die schließlich zum Umtausch angemeldete Geldmenge (im Sinne von M3) wurde bis auf eine Kopfquote von
60 Mark am Ende aller Umstellungen auf ein Fünfzehntel ihres Nominalwertes reduziert. Die wertlosen Forderungen der Banken gegen das Reich wurden gestrichen.
Zum Ausgleich für verbliebene Verbindlichkeiten erhielten die Banken Forderungen
gegen die Länder und später gegen den Bund.
Die Lage in der DDR wurde völlig falsch eingeschätzt. In der Zeit zwischen Kriegsende und Währungsreform gewannen Schwarzmarktaktivitäten ständig an Bedeutung.
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Steigende Angst vor einer offenen In? ation oder einer Währungsreform ließ das Vertrauen in die Reichsmark schwinden. Immer weniger Güter gelangten in den legalen
Wirtschaftskreislauf.
Die monetäre Ausgangslage von 1990 weist auf den ersten Blick durchaus einige
Parallelen zur Situation von 1948 auf. Ähnlich wie während der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung bildete sich im verwaltungswirtschaftlichen System der
DDR ein Geldüberhang. Auch hier war die Ursache eine kontinuierliche Finanzierung
staatlicher Geldschöpfung. Sie geschah ebenfalls „geräuschlos“, wenn auch auf andere Weise. Es galt, die Überlegenheit des sozialistischen gegenüber dem zu Haushaltsde? ziten neigenden kapitalistischen System zu demonstrieren. Ein offener Ausweis
des Haushaltsde? zits wurde dadurch vermieden, dass die Unternehmen in zunehmendem Umfang ? nanzielle Mittel an die Staatsbank abzuliefern hatten. Ihr daraus entstehender Finanzierungsbedarf wurde durch Kredite der Staatsbank beziehungsweise der
ihr nachgeordneten Banken gedeckt. Mit der Kreditvergabe als Steuerungsinstrument
wurden die Betriebe keinen harten Beschränkungen unterworfen. Vorrang hatten die
Ziele materieller Planung. Es galt der Grundsatz „Am Geld scheitert nie etwas“. Hinweise auf einen wachsenden Geldüberhang lieferte die Staatsbank der DDR selbst.
Nach ihren Berechnungen stieg das Geld- und Kreditvolumen seit 1975 wesentlich
schneller als das produzierte Nationaleinkommen. Anders als im Jahre 1948 führte die
„geräuschlose“ De? zit? nanzierung im Falle der DDR nicht zu einer Überschuldung
der Banken mangels werthaltiger Forderungen. Als staatliche Vollzugsorgane hatten
sie im sozialistischen System ohnehin eine andere Funktion.
Auch in der DDR konnte sich der Geldüberhang aufgrund staatlicher Preis? xierung nicht in einer offenen In? ation niederschlagen. Allerdings wurde die In? ation
nicht so rigoros rückgestaut, wie dies durch das national-sozialistische Regime geschah. Lediglich die Preise für Konsumgüter des Grundbedarfs wurden stabil gehalten, während die Preise für Waren des gehobenen Bedarfs kräftig angehoben wurden.
Das geht auch aus einer Studie des Finanzministeriums und der Staatsbank der DDR
hervor. Dennoch existierte weiter ein Geldüberhang. Nach Berechnungen des Finanzministeriums und der Staatsbank der DDR betrug dieser etwa 15 Prozent der Geldbestände. Auch wenn die Aussagefähigkeit amtlicher DDR-Statistiken stark bezweifelt
werden muss, dürfte der Geldüberhang 1990 bei weitem nicht das Ausmaß von 1948
erreicht haben. Es kam auch in der DDR nicht zu einer Zurückweisung der Mark, wie
dies bei der Reichsmark der Fall gewesen war. Allerdings war die D-Mark schon lange vor der Währungsunion eine Art Zweitwährung geworden, die Zugang zu Waren
verschaffte, welche sonst nicht zu haben waren. Ihr Umlauf wurde geduldet. Durch
ihre Zulassung als Zahlungsmittel in Intershop-Läden erschloss sich der Staat sogar
eine Deviseneinnahmequelle. Nach dem Fall der Mauer nahm das Vertrauen in die
Mark der DDR allerdings rapide ab. Dazu trug auch eine in Ostdeutschland verbreitete Übervereinfachung bei. Die D-Mark wurde zunehmend als Instrument angesehen, um die wirtschaftlichen Probleme der DDR zu lösen. Das Ausmaß der zu bewältigenden Transformationsaufgabe geriet dabei in den Hintergrund. Politische Äußerungen während der Wahlkämpfe im Jahre 1990 begünstigten diese Fehleinschätzung
sogar . . .
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Zweifellos war es nicht leicht, die realwirtschaftliche Lage der DDR Ende 1989 und
selbst bis zur Währungsunion verlässlich einzuschätzen. Es gab zwar Vermutungen
über den schlechten Zustand der ostdeutschen Infrastruktur sowie der Produktionsanlagen; das wahre Ausmaß an Substanzverzehr wurde jedoch erheblich unterschätzt. Im
Oktober 1989 hatte eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Vorsitzenden der staatlichen
Plankommission, Gerhard Schürer, in einer damals geheimen Studie für den Ministerrat
der DDR ermittelt, dass 1988 der Verschleißgrad des Kapitalstocks in den verschiedenen Sektoren zwischen 52 und 67 Prozent lag. Unterstellt man dieser Studie Realitätsnähe, ist bei einer ökonomischen Würdigung darüber hinaus zu bedenken: Unterlassene Reinvestitionen bedeuten in der Regel auch Produktivitätsrückstand durch Überalterung, und Produktion für Planziele bedeutet im Zweifel eine Spezi? tät des
Kapitalstocks, die Markterfordernissen im Rahmen einer internationalen Arbeitsteilung
allenfalls zufällig entspricht. Wenn dennoch bei der Schätzung des Produktionspotentials der DDR unter veränderten Bedingungen mit einem aus heutiger Sicht unrealistisch hohen Kapitalstock gerechnet wurde, so kann das nicht allein damit begründet
werden, dass die Daten der DDR manipuliert waren. Die Fehleinschätzung durch Entscheidungsträger, Experten und Öffentlichkeit in Westdeutschland beruhte auch auf
einer verzerrten Wahrnehmung des „real existierenden Sozialismus“. Symptomatisch
für eine verzerrte Wahrnehmung der Realitäten sind die vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) erstellten statistischen Materialien, die wesentliche Informationsgrundlagen der Bundesregierung bei den Verhandlungen mit Vertretern der
DDR über den Einigungsvertrag waren. Weder wurden Zweifel an der Korrektheit der
of? ziellen Angaben der DDR zugelassen, noch wurde die Unvergleichbarkeit planwirtschaftlicher und marktwirtschaftlicher Wertrechnung berücksichtigt ...
Demgegenüber war die Situation 1948 überschaubarer, und niemand konnte über
Kriegszerstörung und Demontagen hinwegsehen. Allerdings war der verbliebene industrielle Kapitalstock 1945 und selbst nach den Demontagen immer noch größer als
vor Kriegsbeginn. Insofern kann auch davon ausgegangen werden, dass die anhaltende Investitionstätigkeit bis 1945 eine relativ günstige Altersstruktur des industriellen
Kapitalstocks bewirkt hatte, die durch die Demontagen bis 1948 nur begrenzt beeinträchtigt wurde. Vor allem aber war der Kapitalstock in seiner Spezi? tät lediglich
durch zwölf Jahre unterschiedlich intensiver staatlicher Wirtschaftslenkung mit Autarkiebestrebungen sowie 15 Jahre Preiskontrollen beein? usst. Dem standen im Falle
der DDR im Jahre 1989 zusammengenommen 56 Jahre staatlicher Lenkung, eine seit
1948 weitgehende Abkapselung vom Weltmarkt und die Folgen unterlassener Reinvestitionen gegenüber.
Die realwirtschaftliche Ausgangslage 1990 unterschied sich also wesentlich von
der des Jahres 1948. Nach der Währungsreform von 1948 konnte der verbliebene, qualitativ hochwertige Kapitalstock mit Engpassinvestitionen zur Behebung von Kriegsschäden und Demontagen relativ schnell für eine Produktionsausweitung genutzt werden. Demgegenüber war 1990 das durch extensive Nutzung von Kapitalstock und
natürlichen Ressourcen vergleichsweise hohe Produktionsniveau in der DDR nicht
aufrechtzuerhalten. Für eine Produktion unter Weltmarktbedingungen war der Kapitalstock weitgehend ungeeignet, und die im Rahmen des Rats für gegenseitige Wirt-
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schaftshilfe (RGW) staatlich garantierte Nachfrage aus den übrigen RGW-Staaten
blieb mit deren Transformation aus.
Institutionell liegt es zunächst nahe, eine Parallele zwischen der Währungsunion
1990 und der Währungsreform 1948 zu ziehen, denn in beiden Fällen ging es zugleich
um eine Systemtransformation. Allerdings ergeben sich bei näherer Betrachtung weitreichende Unterschiede. Die Wirtschaftsordnung des Deutschen Reiches wurde in der
Zeit von 1933 bis 1945 trotz Einführung staatlicher Lenkung nicht grundlegend ver-
ändert. Das Lenkungssystem wurde den marktwirtschaftlich orientierten Institutionen
der Weimarer Republik praktisch übergestülpt. Die Lenkung bedingte zwar eine selektive Einschränkung der Handlungsfreiheit der privaten Akteure durch staatliche Anweisungen. De jure blieben sie aber autonome Eigentümer im Rahmen des bisherigen
Privatrechts. Das galt auch für viele Unternehmen. Ihren Eigentümern verblieb im
Rahmen der durch das Lenkungssystem gezogenen Grenzen die Möglichkeit zu eigenverantwortlichem Handeln.
Nach Kriegsende behielten die Alliierten das Lenkungssystem zunächst bei. Erst
mit der Währungsreform wurde der Systemwechsel vollzogen. Dabei kam es aufgrund
der institutionellen Ausgangslage in erster Linie darauf an, den planwirtschaftlichen
Überbau zu beseitigen. Dies galt auch für das Geld- und Kreditsystem. Hinzu kamen
allerdings institutionelle Neuerungen. Hervorzuheben ist einmal, dass mit Paragraph
28 des sogenannten Umstellungsgesetzes eine staatliche De? zit? nanzierung verboten
wurde, wobei das Verbot mit einem Eingriffsvorbehalt der Alliierten versehen war.
Ferner wurde die Unabhängigkeit der Bank deutscher Länder von politischen Weisungen gesetzlich verankert. Beides waren Vorkehrungen, mit denen aus dem in? ationsträchtigen politischen Missbrauch des Bankensystems institutionelle Konsequenzen
gezogen wurden. Damit sollte auch das Vertrauen in die neue Währung „Deutsche
Mark“ gestärkt werden. Die Alliierten schufen mit der Notenbankverfassung ein Präjudiz, das später zu einem ordnungsökonomischen Markenzeichen der Bundesrepublik werden sollte.
Verglichen mit der institutionell verbesserten Restitution in den Westzonen wurde
das Bankensystem in der Ostzone nach Gründung der DDR völlig umgestaltet. Mit der
Kreditreform von 1949 wurden die Geschäftsbanken der Kontrolle der neugegründeten Deutschen Notenbank (1968 wurde sie zur Staatsbank der DDR) unterstellt und
mit der Durchsetzung staatlicher Planungsaufgaben betraut. Infolgedessen musste
1990 das Geld- und Kreditsystem der DDR als Teilordnung in jedem Fall völlig ausgewechselt werden, wenn es sich in eine marktwirtschaftlich orientierte Gesamtordnung einfügen sollte. Das geschah mit der Währungsunion durch Übernahme des
westdeutschen Systems.
Während somit 1948 im Falle der späteren Bundesrepublik lediglich ein Rückzug
des Staates aus der Wirtschaft erfolgen musste, war 1990 in der DDR ein institutioneller Umbruch unvermeidlich. Er wurde dadurch erschwert, dass sich in der DDR
nahezu die gesamte Wirtschaft in Staatseigentum befand. Demgegenüber blieben –
wie erwähnt – die Eigentumsverhältnisse durch das nationalsozialistische Regime in
den meisten Fällen unangetastet. Mit dieser Feststellung sollten die Enteignungen
nicht verharmlost werden, welche mit der Diskriminierung und Verfolgung von Be-
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völkerungsgruppen durch das Naziregime verbunden waren. Mit der Aufhebung der
Regulierungen gewannen die Eigentumsrechte ihre ursprüngliche Funktion zurück
und gewährten die für marktwirtschaftliches Verhalten notwendigen Anreize. Das
vergleichsweise geringe Ausmaß an Enteignungen und daran anknüpfenden Restitutionsforderungen sowie die Unsicherheit über Eigentumsrechte hatten nach 1948 keine schwerwiegenden Folgen. Hingegen sollten die Rückübertragung von Eigentum
sowie ungeklärte Vermögensfragen nach der Währungsunion von 1990 zu vieldiskutierten Quellen entwicklungshemmender Ungewissheit werden. Die institutionellen
Ausgangsbedingungen unterschieden sich also 1990 wesentlich von denen im Jahre
1948. Damals ging es darum, in Westdeutschland eine zeitweilig und auch nur teilweise suspendierte Marktwirtschaft zu reaktivieren. Hingegen war 1990 in Ostdeutschland eine Marktwirtschaft völlig neu zu institutionalisieren. Zweifellos wurde
diese Gestaltungsaufgabe durch die Übernahme des westdeutschen Institutionssystems konzeptionell wesentlich vereinfacht. Dennoch verblieb eine Reihe von Transformationsproblemen. So konnte nicht unbedingt davon ausgegangen werden, dass
die Verhaltensregeln, die sich zwischen den Akteuren in den vorangegangenen vier
Jahrzehnten herausgebildet hatten (interne Institutionen), zu den neuen, staatlich gesetzten Rahmenbedingungen passen würden. Externe Institutionen müssen von korrespondierenden Einstellungen und Werthaltungen unterstützt werden, wenn sie ihre
Orientierungsleistung möglichst reibungsarm erbringen sollen. Das legt die Vermutung nahe, dass die neuen institutionellen Bedingungen vielschichtige Anpassungen
erforderlich machen, wenn die gewonnene ökonomische Entscheidungsfreiheit gewinnbringend genutzt werden soll. Auch hier ist ein wesentlicher Unterschied zur
Währungsreform von 1948 zu vermuten. Er lässt sich darauf zurückführen, dass 1948
noch gute Anknüpfungsmöglichkeiten für die einem marktwirtschaftlichen System
adäquaten Regeln einer Privatrechtsgesellschaft und die sie stützenden Werte bestanden. Das kann bei der Transformation von 1990 nicht ohne weiteres unterstellt werden.
Ordnungspolitische De? zite bei der Bankenübernahme
Die Währungsunion war wesentlicher Bestandteil einer beispiellosen Schocktherapie.
Mit der Einbeziehung Ostdeutschlands in den Geltungsbereich der D-Mark wurde zugleich das sozialistische Wirtschaftsund Gesellschaftssystem durch Übernahme des
westdeutschen institutionellen Rahmens transformiert.
Im Rahmen der monetären Transformation der vormaligen DDR verblieb der Bundesbank letztendlich die Aufgabe, die Währungsumstellung nach den politischeVorgaben vorzunehmen und die Geldwertsicherung auf das Beitrittsgebiet auszudehnen.Sie
vollzog die Währungsumstellung organisatorisch und technisch reibungsarm, obgleich
die dafür eingeräumten Fristen denkbar kurz waren. Auch die In? ationsrisiken der
Währungsumstellung blieben unter Kontrolle. Die Bundesbank konnte also der ihr
zugewiesenen Aufgabe der Geldwertsicherung entsprechen. Das stieß – wegen der
damit in Verbindung gebrachten Zinsentwicklung – weder im In-noch im Ausland
stets auf Zuspruch, ist aber Beleg der tatsächlichen Unabhängigkeit. Bei den politi-
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schen Vorgaben zur Währungsumstellung wurde – entgegen der Empfehlung der Bundesbank – der sozialen Akzeptanz und der Schonung des Bundeshaushalts Vorrang
gegenüber der Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Unternehmen eingeräumt.
Bei der Umstellung der Altkredite wurde der Rat der Bundesbank, im Verhältnis 2:1
umzustellen, zwar befolgt. Jedoch dürfte es schwierig sein, diesen Rat mit der Ausgangsdiagnose zu begründen. So betonte die Bundesbank zum Beispiel, dass die Kreditinstitute in der DDR „Teil eines zentralisierten Zuweisungs-, Plafonierungs- und
Verrechnungssystems im Dienste der zentralen Wirtschaftsplanung mit institutsspezi-
? schen Aufgabenstellungen“ waren und dass das inländische „Firmengeschäft“ im
Wesentlichen bei der Staatsbank lag. Nach dieser Diagnose drängten sich Schlussfolgerungen hinsichtlich einer Konsolidierung der Kreditbeziehungen nahezu auf. Am
allerwenigsten ist damit die noch vor kurzem vertretene Auffassung vereinbar, ein einzelfallbezogener Schuldenerlass sei dem generellen Erlass vorzuziehen. Der Verweis
darauf, dass auch die Vermögenswerte durch Planbehörden willkürlich zugewiesen
wurden, kann nicht rechtfertigen, eine daran orientierte diskretionäre Schuldenzuweisung vorzunehmen. Das hieße nicht nur planwirtschaftliche Willkür mit neuer Willkür
beantworten, um wettbewerblich „vergleichbare Ausgangspositionen“ zu schaffen.
Vielmehr ist ein solches „level the playing ? eld“ unnötig; denn bei der Veräußerung
von Unternehmen schlagen sich marktrelevante Unterschiede im (Netto-) Vermögen
zwischen Unternehmen ohnehin in Kaufangeboten nieder.
Jeder Rat, der nicht von einer konsequenten Konsolidierung der Kreditbeziehungen
ausging, musste problematisch sein. Er hatte zur Folge, dass Altkredite unversehens
als marktwirtschaftliche Vermögenswerte zu beurteilen waren. Deshalb mussten sie
bei der Festlegung des Umstellungssatzes auf eine Werthaltigkeit überprüft werden,
die es nach ihrem Entstehen gar nicht geben konnte. Dazu gehörte auch, dass eine
sachlich unmögliche Verbindung herzustellen war. Monetäre Größen aus einem System, in dem eine Wertrechnung, die den Namen verdient, a priori unmöglich war,
mußten in solche eines marktwirtschaftlichen Systems verwandelt werden.
Die politischen Entscheidungsträger hatten die Umstellungsmodalitäten festzulegen und die Neuordnung des ostdeutschen Bankensystems in die Wege zu leiten. Dabei war auch über die planwirtschaftlichen Kreditver? echtungen zu be? nden. Die
Festlegung der Umstellungskurse beruhte auf politischen Erwägungen. Im Übrigen
wurde die Umstellung von der wenig überzeugenden Behandlung der planwirtschaftlichen Kreditver? echtungen geprägt. Es wurde durch unzulässige Gleichsetzungen
von plan- und marktwirtschaftlichen Größen der Eindruck erweckt, als stünden den
Einlagen der privaten Haushalte unmittelbar Forderungen der Banken an Unternehmen gegenüber. Das beschriebene Re? nanzierungskarussell war damit fast vorprogrammiert. Es zog beträchtliche Vermögensschäden für den Bund nach sich. Bei systemadäquater Behandlung der Kreditver? echtungen wäre es bei der zweiten, zuvor
diskutierten Variante lediglich darum gegangen, einen Umstellungskurs für das Finanzvermögen der privaten Haushalte der DDR festzulegen. Damit wären die Ausgleichsforderungen eindeutig bestimmt gewesen, die zur Fundierung des Finanzvermögens erforderlich waren. Die Transparenz dieses Vorgangs und damit verbundene
politische Diskussionen über die „Kosten der Einheit“ während der Wahlkämpfe von
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1990 mögen abschreckend gewirkt haben. Allerdings sind die Folgekosten der Altkreditregelung vom Steuerzahler zu tragen.
Auch die Neuordnung des Bankensystems nach der Währungsunion kann nicht
überzeugen. Da ist zunächst die unwiderlegte Kritik des Bundesrechnungshofes, wonach vor allem Verkäufe unter Wert zum Schaden des Bundes vorgenommen und Geschäftsbesorgungsverträge zu teuer abgeschlossen wurden. Hinzukommen ordnungspolitische De? zite. Ein Großteil des Bankensystems der DDR wechselte lediglich den
staatlichen Eigentümer. Daran ändert auch die Formenvielfalt nichts, die das Engagement von Bund, Ländern, Gemeinden und staatlich kontrollierten Unternehmen im
Bankensektor der Bundesrepublik kennzeichnet. Ferner erlangten die Deutsche und
die Dresdner Bank durch die Joint-ventures erhebliche Vorteile beim Aufbau des Filialnetzes gegenüber potentiellen Konkurrenten, nicht zuletzt deshalb, weil für die Banken geeignete Immobilien in der fraglichen Zeit extrem knapp waren.
Schon Erhard vermutete erschütternde Verhältnisse
Die damit verbundene, temporäre marktzugangsbeschränkende Wirkung ist ordnungspolitisch bedeutsam, weil sie aus einer Sonderbehandlung der beiden Großbanken
durch die Deutsche Kreditbank (DKB) entstand. Schließlich fällt auf, dass sich ausländische Banken praktisch nicht engagierten, und zwar auch nicht in jenen Fällen, in
denen die Veräußerung ehemaliger DDR-Banken mehr Zeit erlaubte. Besondere Anstrengungen, neue Wettbewerber zu gewinnen, scheinen nicht unternommen worden
zu sein. Inwieweit generelle Marktzugangshemmnisse auf dem verkrusteten deutschen
Bankenmarkt wirksam waren, muss offenbleiben.
In der Summe sind kostspielige, von den politischen Entscheidungsträgern zu vertretende Fehlentscheidungen im Verlauf der Währungsunion zu konstatieren. Dem
kann entgegengehalten werden, dass viele Entscheidungen bei extrem schlechter Informationslage in sehr kurzer Zeit getroffen werden mussten. Ferner kann geltend gemacht werden, dass die zentrale Handlungsgrundlage – der Staatsvertrag – das Ergebnis eines schwierigen politischen Verhandlungsprozesses war, der nicht frei von Rücksichtnahmen auf Be? ndlichkeiten der Bevölkerung vor allem in Ostdeutschland
bleiben konnte.
Schließlich war der wissenschaftlich begründete Rat – wie dargelegt – nicht frei
von Fehlinterpretationen des mit der WWSU zu transformierenden Systems. Ähnliches dürfte für eine Reihe juristischer Schlussfolgerungen gelten, bei denen weder
den planwirtschaftlichen Abläufen noch dem Umstand Rechnung getragen wurde,
dass die gesamte Wirtschaftsordnung der DDR unterging, welche die Grundlage für
die vorgefundenen monetären Bestands- und Stromgrößen gebildet hatte. Insofern
dürfte der Befund eines Wegfalls der „großen Geschäftsgrundlage“ gerechtfertigt
sein. Andererseits gab es aber auch wissenschaftlich begründete Erkenntnisse und
Empfehlungen, die den Eigenschaften des DDR-Systems Rechnung trugen. Und
schon vor Zustandekommen der Währungsunion fehlte es nicht an Warnungen – auch
seitens der Bundesbank – vor wirtschafts- und lohnpolitischem Fehlverhalten in der
Zeit danach.
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All dies ändert zweifellos nichts an der Bedeutung der WWSU für die deutsche
Wiedervereinigung. Die hier kritisierten politischen Entscheidungen spiegeln jedoch
sowohl Fehlinterpretationen der Planwirtschaft der DDR als auch beschönigende Opportunismen wider. Es erscheint reizvoll, sie mit der analytischen und politischen Position zu kontrastieren, die Ludwig Erhard für den Fall einer Währungsunion eingenommen hatte. Nach dem Aufstand von 1953 in Ostdeutschland waren kurzfristig
Hoffnungen aufgekeimt, die Sowjetunion würde der Wiedervereinigung nach dem
Misserfolg des Ulbrich-Regimes eine Chance geben. Zu der von Erhard für diesen Fall
befürworteten Einbeziehung Ostdeutschlands in das westdeutsche Währungssystem
schrieb er: „Angesichts der völlig verzerrten Zwangswirtschaft und des Wirtschaftsterrors in der Sowjetzone kann über die echte Kaufkraft der Ostmark völlig unmöglich
etwas vorausgesagt werden. Mit diesem Prozess [der Währungsneuordnung; Anm. M.
E. S] wird dann naturgemäß die wirtschaftliche Lage der Sowjetzone schonungslos
offengelegt, und es kann kein Zweifel bestehen, dass das Resultat betrüblich, ja, vielfach sogar erschütternd sein wird. Das heißt mit anderen Worten, dass wir mit einem
starken Leistungsgefälle zwischen Ost und West rechnen müssen, und dass sich daraus
schwerwiegende Konsequenzen für die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung ergeben müssen. Dennoch müssen wir den Mut zur Klarheit und zur Wahrheit aufbringen,
weil erst dann die Mittel der Heilung eingesetzt und wirksam werden können.
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10. Demokratischer Sozialismus – eine ordnungspolitische
Illusion
von Manfred E. Streit (F.A.Z. vom 26.10.2007)
Ein Slogan irrlichtert durch die ordnungspolitischen Erklärungen politischer Parteien
in Deutschland: demokratischer Sozialismus. Wie jede Werbebotschaft ist er suggestiv, lässt Fragen offen und nährt Illusionen. Die Initiatoren der Begriffskombination
haben sich noch nicht einmal um ihre inhaltliche Klärung bemüht, so dass unklar
bleibt, was politisch überhaupt damit gewollt wird. Genaugenommen dürfte das Begriffselement Demokratie durch anhaltende Propaganda der politischen Klasse (Gaetano Mosca) in eigener Sache eine eher positive Konnotation erhalten haben. Mit
dem Begriff Sozialismus soll wohl an ein Vorurteil appelliert werden, nach dem er als
vielversprechende Alternative zum unverstandenen marktwirtschaftlichen Geschehen
zu sehen wäre. Von der deutschen Sozialdemokratie wird darauf verwiesen, die Begriffskombination stehe, „in der stolzen Tradition der Partei“. Damit soll wohl an das
Godesberger Programm der Partei von 1959 erinnert werden, dessen ordnungspolitische Konzeption als „freiheitlicher Sozialismus“ (G. Weiser) gedeutet wurde. Karl
Schiller umschrieb ihn mit dem Motto „Wettbewerb so weit als möglich, Planung so
weit wie nötig“.
Wird die Umschreibung der Konzeption wörtlich genommen, so steht Sozialismus
für gesamtwirtschaftliche Planung. Es ist der Versuch einer Planung des Unplanbaren,
nämlich des gesellschaftlichen, arbeitsteiligen Wirtschaftens. Bei unvermeidlichen
Planungsmängeln wird nach aller Erfahrung mit derartigen Wirtschaftssystemen die
staatliche Planung durch Zwang ersetzt und damit zu Lasten der Freiheit. Die Erfahrungen, die gerade in Deutschland mit dem demokratischen Sozialismus gemacht werden mussten, sind erschreckend. In der vormaligen DDR wurde er zum Slogan einer
anhaltenden politischen Propaganda gemacht. Seine konkrete Umsetzung hinterließ
ein bedrückendes Erbe an ökonomischer Auszehrung und verbreiteter Armut, das erst
nach dem politischen und ökonomischen Zusammenbruch der DDR im Verlauf der
deutschen Vereinigung erkennbar wurde und nunmehr milliardenschwer durch den
„Aufbau Ost“ und den Solidarzuschlag bewältigt werden muss.
Wenn der Betonung von Demokratie in der Begriffskombination nachgegangen
wird, sind ebenfalls die Erfahrungen bedeutsam, die in Deutschland mit dieser Staatsform gemacht wurden. Gerade das vergangene Jahrzehnt beleuchtet ihren Mangel
schlaglichtartig. Die quälende Diskussion von Reformen des schwächelnden, von
Dauerarbeitslosigkeit geprägten marktwirtschaftlichen Systems förderte bei genauerem Hinsehen ordnungspolitische Altlasten zutage, die Reformen als dringlich nahelegten. Ob in der Strukturpolitik oder in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, stets ging
es bei den Reformen um die Rücknahme von marktwidrigen Privilegien, welche von
den vorangegangenen Parlamentsmehrheiten den Interessengruppen auf Druck ihrer
Verbände eingeräumt wurden. Die Privilegien waren insofern marktwidrig, als sie den
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Band 11 der Reihe enthält im ersten Teil Reflexionen des Autors zu Themen, die in seinem in 6. Auflage 2005 erschienenen Lehrbuch zur Theorie der Wirtschaftspolitik auftreten.
Im zweiten Teil findet sich eine Reihe von Kommentaren des Autors zur Ordnungspolitik in Deutschland, die zwischen 1987 und 2008 in überregionalen Tageszeitungen erschienen sind.
Der Autor ist Professor Emeritus am Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena.