31
stellen, werden im ersten Teil der Befragung diese Daten überprüft. Sofern alle
Daten ähnliche Merkmale bei Tatverdächtigen und Widerstandssituationen erkennen
lassen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ursache für die unterschiedlichen
Tatzahlen im polizeilichen Etikettierungsverhalten liegt.
Es werden zunächst die bisher zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorhandenen polizeiwissenschaftlichen Studien, sodann die Zahlen der
Polizeilichen Kriminalstatistiken und anschließend die Ergebnisse der Befragung
dargelegt.
III. Aktueller Forschungsstand
Die Anzahl der bereits vorhandenen Abhandlungen zum Themenkomplex Gewalt
gegen Polizeibeamte ist relativ überschaubar. Zu nennen sind: Jäger *3;::+<" ãIewalt und Polk¦gkÐ. Falk *4222+<" ãYkfgtuvcpf" igigp" Xqnnuvtgemwpiudgcovg" - ein
rtczkudg¦qigpgu" HqtuejwpiurtqlgmvÐ." fkg" MHP-Studie29 von Ohlemacher et. al.
*4225+<" ãIgycnvcpygpfwpigp" igigp" Rqnk¦gkdgcovkppgp" wpf" -beamte 1985-4222Ð"
sowie die aktuellste Abhandlung von Philipsen *4227+<"ãYkfgtuvcpf"igigp"Rqnk¦gibeamte in Lübeck - Ursachen und Erklärungen, ein Vergleich der Phänomene in den
TgikqpgpÐ030
Diese Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Tatverdächtige eines Widerstandes
oftmals jung, männlich, deutsch, vielfach bereits vorbestraft und während der Tat,
zum Teil erheblich, alkoholisiert sind.31 Es folgt eine inhaltliche Zusammenfassung
der wichtigsten polizeiwissenschaftlichen Studien zum Thema, ein Blick auf deren
Vorgehensweise und die wesentlichen Ergebnisse.
1. Jäger: Gewalt und Polizei
Jäger studierte zwischen 1957-1970 Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg,
München, Berlin und Kiel und schloss dieses Studium nach der Referendarzeit mit
der großen Juristischen Staatsprüfung ab. Es folgte eine zweijährige Tätigkeit als
stellvertretender Leiter der Justizvollzugsanstalt Neumünster. Nach einem Zweitstudium mit den Schwerpunkten Stadtsoziologie, Methoden der empirischen Sozialforschung, Kriminalpsychologie und Bevölkerungswirtschaft war er wissenschaftlicher Assistent am Kriminologischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität
zu Kiel bei Prof. Hellmer. Im Jahre 1975 trat er seinen Dienst bei der Polizei-
Führungsakademie als Referent für kriminalistisch-kriminologische Forschung an.
29 Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.
30 Ferner existieren weitere Untersuchungen, etwa: Stührmann (1965); Sessar/Baumann/
Müller, (1980).
31 Die Einzelnachweise werden in den folgenden Abschnitten ausgeführt.
32
Im Juli 2003 ist er nach über 28-jähriger Tätigkeit bei der Polizei-Führungsakademie
aus dem Dienst ausgeschieden.32
Für die Bundesrepublik Deutschland stellen die unter Leitung von Jäger in den
Einzeljahrgängen 1977-1994 durchgeführten polizeiinternen Untersuchungen zum
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte das umfangreichste Projekt seiner Art dar.
In diesen Zeiträumen befragte er jährlich 500 bis 800 Polizeibeamte, die nach einem
Angriff für zumindest sieben Tage dienstunfähig waren. Seine umfassende Ver-
öffentlichung „Gewalt und Polizei“ aus dem Jahre 1988, zugleich Dissertation an
der Universität Freiburg (Breisgau), will den Interaktionsprozess in der Polizei-
Bürger-Begegnung und hierin entstehende Konflikte, die in Widerstandshandlungen
gegen Vollstreckungsbeamte münden können, aufhellen33 und dabei den Versuch
einer Kausalinterpretation unternehmen34. Jäger betrachtet das Zustandekommen
von Widerständen aus Polizeisicht und untersucht regelmäßig wiederkehrende
Merkmale bei Widerstandsübenden und sonstige die Widerstandsgenese begünstigenden Faktoren.
a) Inhalt
Im ersten Teil seiner Studie fasst Jäger den Inhalt bereits vorhandener ausländischer
und deutscher Forschungsbeiträge zum Thema Widerstand gegen die Staatsgewalt
zusammen. Er stellt den Stand der Forschung und wichtige Ergebnisse aus Hamilton
- Neuseeland, Dalley - Kanada sowie verschiedene Untersuchungen aus den USA,
aus Japan, Schweden und Großbritannien vor und widmet sich im Anschluss den
inländischen Untersuchungen von Mangelkammer35, Martin36 und Stührmann37. Die
in diesen in- und ausländischen Untersuchungen gewonnenen Ergebnisse lassen
nach Jägers Auffassung auf grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Erhellung des
Dunkelfelds38 von Widerstandshandlungen schließen.39 Diese Problematik wird laut
Jäger in den bereits vorhandenen Untersuchungen lediglich undifferenziert dargestellt und liefert keinerlei Befunde darüber, nach welchen Kriterien Konflikte
später über § 113 StGB angezeigt werden. Dieses Forschungsdefizit wählt er als
Ausgangspunkt für seine Untersuchung.
32 Lebenslauf aus: Neidhardt/Schröder (2003), S. 5.
33 Jäger (1988), S. 3.
34 Jäger (1988), S. 21.
35 Mangelkammer (1938).
36 Martin (1951).
37 Stührmann (1965).
38 Jäger geht bei seiner Abhandlung zunächst davon aus, dass Konflikte, die sich unter § 113
StGB subsumieren lassen, in ein Hell- und Dunkelfeld unterteilt werden können. Im Verlaufe
der vorliegenden Arbeit wird eine andere Sichtweise vertreten.
39 Jäger (1988), S. 152 f.
33
Er bedient sich der Forschungsmethode der Befragung. Diese richtete sich
deutschlandweit40 an Polizeibeamte, die bei einem Widerstand verletzt wurden und
daraufhin für zumindest sieben Tage dienstunfähig waren. Trotz dieses Einstiegsfilters geht Jäger von einer allgemeingültigen Stichprobe aus, da es seiner Ansicht
nach vom Zufall abhänge, ob ein Widerstand eine Verletzung zur Folge habe oder
nicht. Auch gebe es für die Entscheidung des Arztes über die Dauer einer Dienstunfähigkeit keinerlei logische Gesetzmäßigkeiten. Insofern wirke sich dieses Einstiegskriterium nicht messbar auf das Ergebnis aus.41
Die von Jäger erhobenen Daten beziehen sich teilweise auf unterschiedliche Untersuchungszeiträume, die hier fortfolgend jeweils in Jahreszahlen unter Angabe der
absoluten Zahl der Befragten (n) bei den einzelnen Erhebungsdaten genannt werden.
Bei der jahreszeitlichen Häufigkeitsverteilung (1983, n = 500) zeigen sich erhöhte
Werte für die Sommermonate, insbesondere für den Monat Mai. Dieses Bild
relativiert sich in einem Mehrjahresvergleich, der eine verhältnismäßig konstante
Verteilung auf alle Monate erkennen lässt.42 Bei der Verteilung nach Wochentagen
(1982, n = 685) zeichnet sich für Freitage, Samstage und Sonntage mit einem
Gesamtanteil von mehr als 50 Prozent eine, verglichen mit den anderen Wochentagen, viel höhere Belastung ab.43 Weiterhin stellt Jäger fest, dass Widerstände
überwiegend in den Nachtstunden, zwischen 21.00 und 3.00 Uhr stattfinden (1983, n
= 500).44 Bezogen auf die Tatörtlichkeiten (1983, n = 500) dominieren mit 44,2 Prozent öffentliche Straßen, Wege und Plätze, gefolgt von Wohnungen mit 18,2 Prozent, Polizeidiensträumen mit 13,2 Prozent sowie Lokalen, Diskotheken und Festzelten mit insgesamt 8,2 Prozent.45
Die Verteilung nach Aufgabenbereichen (1983, n = 500) zeigt, dass annähernd 70
Prozent der von Widerständen betroffenen Polizeibeamten dem Streifendienst angehören.46 Mit 71 Prozent der Nennungen (1977, n = 693) sind oftmals Beamte mit
einer Diensterfahrung von vier bis vierzehn Jahren von Widerstandshandlungen betroffen. Das durchschnittliche Lebensalter der betroffenen Beamten liegt bei 32,1
Jahren.47 Die Selbsteinschätzung des eigenen Ausbildungsstandes (1983, n = 500),
unterteilt in die Bereiche Rechtskunde, Gebrauch der Dienstwaffe, waffenlose
Selbstverteidigung / praktische Anwendung körperlicher Gewalt und Polizeipsychologie, zeigt eine nur ausreichende Einstufung des Kenntnisstandes für Rechtskunde
40 Gkpdg¦qigp"ywtfgp"pwt"fkg"ãcnvgp"Dwpfgun“pfgtÐ"fgt"Dwpfgutgrwdnkm"Fgwvuejncpf0
41 Jäger (1988), S. 170.
42 Jäger (1988), S. 171.
43 Jäger *3;::+." U0"393=" ukgjg" jkgt¦w" cwej"fkg" mtkokpqnqikuejgp"Gtmn“twpiucpu“v¦g"ãTqwvkpg-
Activity-CrrtqcejÐ."ãQrrqtvwpkv{-RgturgevkxgÐ"wpf"ãNkhguv{ng-Opportunity-RgturgevkxgÐ"dgk"
Kunz (2004), § 24 Rn. 46.
44 Jäger (1988), S. 171.
45 Jäger (1988), S. 174.
46 Jäger (1988), S. 176.
47 Jäger (1988), S. 177, wobei sich das Lebensalter auf seine Untersuchungen auf das Jahr 1977
bezieht.
34
(0,2 Prozent), Gebrauch der Dienstwaffe (5,6 Prozent), Selbstverteidigungsfähigkeit
(26,8 Prozent) und Polizeipsychologie mit 17,2 Prozent.48 Erhebliche Einschätzungsunterschiede gibt es in den Bereichen der Selbstverteidigungsfähigkeit
und der Polizeipsychologie.
In 80,2 Prozent der Fälle (1983, n = 500) sehen sich die Beamten eigenen Angaben zufolge einem Einzeltäter, in 8,2 Prozent zwei Tätern und in 11,6 Prozent
zumindest drei Tätern gegenüber.49 Das Durchschnittsalter der Widerstandsübenden
liegt bei 28,5 Jahren (1977, n = 693), 93,2 Prozent von ihnen sind männlich und
84,4 Prozent sind deutsche Staatsangehörige.50 Ein beachtlicher Anteil der Täter
steht während des Konfliktes unter zum Teil erheblichem Alkoholeinfluss (1983,
n = 500). Bei 6,6 Prozent liegt die Blutalkoholkonzentration unter 0,8 Promille, bei
8,2 Prozent zwischen 0,8 und 1,3 Promille, bei 3,8 Prozent zwischen 1,3 und 1,5
Promille und bei fast 30 Prozent über 1,5 Promille. In 54,6 Prozent der untersuchten
Fälle ist entweder die Blutalkoholkonzentration nicht gemessen oder das Ergebnis
als unbekannt angegeben worden.51 Widerstandsrelevante Einsatzanlässe sind häufig
(1983, n = 500) Verkehrsdelikte und „sonstiges“ (je 23,4 Prozent), wobei dieser Begriff von Jäger nicht weiter aufgeschlüsselt wird, sowie Schlägereien mit 16,2 Prozent der Nennungen.52 In 39,4 Prozent (1983, n = 500) der Fälle sind die Polizeibeamten im Auftrag der Einsatzleitstelle53 tätig geworden, in 27,2 Prozent aufgrund
eigener Initiative und in 14,2 Prozent der untersuchten Fälle auf Anordnung eines
Vorgesetzten.54 Überwiegend, nämlich in 75,2 Prozent der Fälle, setzt der Widerstandsübende körperliche Tatmittel ein (1983, n = 500).55
Im Anschluss an die Darstellung des Zahlenmaterials veranschaulicht Jäger diese
abstrakten Befunde anhand von Fallbeispielen56, die von den Befragten freiwillig
und in eigener Darstellung dem Fragebogen hinzugefügt werden konnten.57 Auf die
Darstellung der einzelnen und nicht systematisch kategorisierbaren Fallbeispiele
wird an dieser Stelle wegen fehlender Repräsentativität verzichtet.
48 Jäger (1988), S. 179.
49 Jäger (1988), S. 181.
50 Jäger (1988), S. 182.
51 Jäger (1988), S. 184.
52 Jäger (1988), S. 186.
53 Der Begriff „Funkbetriebszentrale“ wurde durch „Einsatzleitstelle“ ersetzt.
54 Jäger (1988), S. 186.
55 Jäger (1988), S. 193.
56 Jäger (1988), S. 198-214: Fallbeispiele Nr. 11-50.
57 Jäger (1988), S. 194-196.
35
b) Untersuchungsertrag
Jäger zieht zahlreiche Erkenntnisse aus seiner Studie. Widerstandsübende sind
demnach zumeist ledige, junge Männer, die häufig vorbestraft sind. Er stellt diese
Erkenntnis in Zusammenhang mit den typischen Lebensgewohnheiten dieser Bevölkerungsgruppe und mutmaßt, dass ein Großteil der Aktivitäten im Außenbereich
bei erhöhter sozialer Sichtbarkeit stattfindet.58 Einen Zusammenhang zwischen Vorstrafe59 des Widerstandsübenden und der Widerstandshandlung sieht er als naheliegend an, weil einer vormaligen Sanktion in der Regel polizeiliche Ermittlungen
zugrunde liegen, die mit einer negativen Einstellung des Vollstreckungsadressaten
belastet sein können.60 Existiert insofern eine schlechte Erfahrung, kann diese bei
späteren Begegnungen in Aversion und Auflehnung münden.61 Diese Vermutung
kann Jäger allerdings nicht belegen, da im Rahmen seiner Befragung der Begriff
Vorstrafe nicht operationalisiert wird und eine weitergehende Definition als
kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten wahrscheinlich ist.62
Viele Widerstandsübende, nämlich zwei Drittel, stehen zum Zeitpunkt der Widerstandshandlung unter Alkoholeinfluss.63 Dieser Zustand führt bekanntlich zu Persönlichkeitsveränderungen, Lockerung der Charakterstruktur und Enthemmungen, die
in einer Konfliktsituation mit der Polizei in Ab- und Auflehnung münden können
oder diese verstärken.64 Weitere Gründe für das Zustandekommen von Widerstandshandlungen sieht Jäger aufseiten der Polizeibeamten. Nach seinen Erkenntnissen
sind häufig junge und männliche Beamte, 49 Prozent sind 30 Jahre alt oder jünger
(1977, N = 693), in Widerstandshandlungen verwickelt.65
Jäger führt auch die Ausbildung der Polizeibeamten als mögliche Ursache für das
Zustandekommen von Widerständen ins Feld. Er geht von einem vorbildlichen
Höchststand der Ausbildung hinsichtlich der Rechtsfächer aus, beanstandet aber Defizite im Bereich der verbalen Konfliktvermeidung und -bewältigung in der Aus-
58 Jäger (1988), S. 241.
59 Der Begriff Vorstrafe ist hier weit in dem Sinne auszulegen, als sämtliche polizeilichen
Registrierungen hierunter fallen. Dies hängt damit zusammen, dass die Polizeibeamten die
Informationen über die Tatverdächtigen von ihrer Einsatzleitstelle erhalten. Dort werden aber
sämtliche polizeilichen Registrierungen einer Person, unabhängig von einer späteren Verurteilung und einer Vorstrafe, erfasst.
60 Jäger (1988), S. 244.
61 Jäger (1988), S. 244.
62 Jäger (1988), S. 245.
63 Fkg"Cpicdg"ã¦ygk"FtkvvgnÐ"igjv"cwej"mqnform zu der oben getroffenen Feststellung, dass in
54,6 Prozent der untersuchten Fälle entweder die Blutalkoholkonzentration nicht gemessen
oder das Ergebnis als unbekannt angegeben wurde. In diesen Fällen wurde keine Messung
durchgeführt, sondern der Alkoholeinfluss durch den Beamten offenbar lediglich zur Kenntnis genommen.
64 Jäger (1988), S. 250, 253 f.
65 Jäger (1988), S. 257.
36
und Fortbildung.66 Ob diese Erkenntnisse auch heute, 30 Jahre nach Jägers Untersuchung, noch zutreffend sind, wird sich im Verlaufe der vorliegenden Arbeit
zeigen.
Weiterhin wird das Zustandekommen der Polizei-Bürger-Begegnung durchleuchtet. In 27,2 Prozent der Fälle (1983, n = 500) sind die Beamten nicht im Auftrag der Einsatzleitstelle oder auf Anordnung eines Vorgesetzten, sondern eigeninitiativ tätig geworden. Insofern könnte nach Jägers Ansicht, das Negativextrem
unterstellt, in einem Drittel aller untersuchten Fälle die Bürger ausschließlich zum
Zwecke der Disziplinierung oder zur selektiven Kriminalisierung von den Beamten
ausgewählt worden sein.67 Diese Vermutung wird jedoch geschmälert, wenn man
beachtet, dass in vielen Fällen andere Bürger als Teil der informellen Sozialkontrolle
den Anstoß für den polizeilichen Erstkontakt geben und somit eine gezielte selektive
Kriminalisierung durch die Polizeibeamten unwahrscheinlich ist.68
Jäger widmet sich auch Aspekten der häuslichen Gewalt, ohne diese vertieft zu
untersuchen. Er macht deutlich, dass die Polizei zwar vielfach einen, wenn auch nur
vorübergehenden Beitrag zur Konfliktregelung leisten kann.69 Einen weitergehenden
Bezug zu Widerstandshandlungen stellt er allerdings nicht her.
Ferner untersucht er den Aspekt der sogenannten Situationsdefinition, und zwar
aus unterschiedlichen Perspektiven: einerseits aus Sicht des von einer polizeilichen
Maßnahme betroffenen Bürgers und andererseits aus der des handelnden Polizeibeamten. Dabei grenzt er folgende Konstellationen ab: (1) Es besteht bereits ein
Konflikt zwischen zwei oder mehreren Bürgern, bevor die Polizeibeamten eintreffen
bzw. (2) der Konflikt entsteht erst mit dem Eintreffen der Beamten.70 Beide
Positionen sind zumeist durch beiderseitige eigene Erfahrungen oder durch entsprechende Berichte bezogen auf die jeweils andere Seite stereotypisch geprägt.71
Wenn Konfliktsituationen bis hin zur Gewaltanwendung eskalieren, so stehe dies
qhvocnu"okv"fgpgp"kp"fkg"ãUkvwcvkqpufghkpkvkqpÐ"gkpigdtcejvgp"pgicvkxgp"Gthcjtwpgen
mit der jeweiligen Gegenseite im unmittelbaren Zusammenhang.72 Eine strikte
Rollenaufteilung zwischen Täter und Opfer in der Abfolge von (1) Interaktion, (2)
Konflikt und (3) Gewalt gibt es nach Jägers Ansicht nicht. Nach seiner Auffassung
lassen sich die durch negative Erfahrungen geprägten Situationen zwischen Bürger
und Polizei fast ausschließlich mit verbaler Konfliktregelungstechnik auflösen.73
Dabei zielt Jäger lediglich auf die in der polizeilichen Ausbildung erworbenen
Konfliktlösungstechniken ab, übersieht jedoch, dass grundsätzlich kein Interesse der
66 Jäger (1988), S. 270.
67 Jäger (1988), S. 276.
68 Jäger (1988), S. 277.
69 Jolin: Domenstic Violence Legislation: an Impact Assessment, Journal of Police Science and
Administration Vol. 11 No. 4/1983, S. 451-456 (452) zitiert über Jäger (1988), S. 278.
70 Jäger (1988), S. 287.
71 Jäger (1988), S. 288.
72 Jäger (1988), S. 294.
73 Jäger (1988), S. 310.
37
Polizeibeamten daran besteht, Konflikte außergesetzlich auszutragen, sondern dass
in bestimmten Situationen das Gesetz aus taktischen, generalpräventiv-normstabilisieren-den Überlegungen heraus mobilisiert werden soll.
Seine erste Annahme „Das Dunkelfeld ist beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte minimal“ sieht Jäger als falsifiziert an. § 113 StGB ist seiner Ansicht nach ein Kontrolldelikt74, dessen Erfassung durch Amtsanzeigen erfolgt.75
Somit ließe sich das Dunkelfeld zwar theoretisch auf null reduzieren, jedoch werden
in der Praxis nach Jägers Erkenntnissen häufig prophylaktische Anzeigen gefertigt.
Der Beamte bringt also einen Konflikt deswegen zur Anzeige, weil er eine Gegenanzeige durch den Widerstandsübenden etwa wegen Körperverletzung im Amt befürchtet und dieser Anzeige zuvorkommen möchte. Sofern man diese Art von Anzeigen dem Dunkelfeld zurechnet, würde sich dieses bei gleichzeitiger Minimierung
des Hellfelds vergrößern.76
Seine zweite Annahme „Das Delikt des Widerstandes gegen Polizeivollzugsbeamte ist Resultat eines Interaktionsprozesses, in dem das Definitionsverhalten des
Opfers entscheidende Bedeutung hat“ kann nach Jäger allenfalls neu formuliert als
nicht falsifiziert angesehen werden, und zwar: „Der Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte im Einzeldienst ist überwiegend das Resultat eines Interaktionsprozesses“, da die Untersuchungen von Jäger zeigen, dass nicht jeder Fall von
Widerstand gegen Polizeibeamte das Ergebnis eines „Interaktionsprozesses“ ist,
sondern auch Fälle zu verzeichnen sind, in denen Beamte entweder aus dem Hinterhalt angegriffen werden oder sich einer unmittelbaren Konfrontation im Rahmen erheblicher Kriminalität gegenübersehen, also Situationen, in denen eine als solche zu
bezeichnende Interaktion erst gar nicht stattfindet.77 Die in diesem Zusammenhang
formulierte Subthese: „Je mehr Negativerfahrungen aus vorhergegangenen Polizei-
Bürger-Begegnungen die Interaktionsbeteiligten in die Situation einbringen, um so
wahrscheinlicher wird die Eskalation eines Konflikts zur Gewalt“ sieht Jäger als
nicht empirisch geprüft an, da sein erhobenes Basismaterial keine repräsentativ
gültige Stichprobe aller Begegnungssituationen darstelle. Dennoch stuft er die Annahme aufgrund seines Datenmaterials sowie durch seine Literaturanalyse als hinreichend plausibel ein.78 In diesem Zusammenhang stellt er eine weitere Subthese
zur Eingangsthese 2 auf: „In der Entstehung des Widerstandes gegen Polizeivollzugsbeamte im Einzeldienst hat das Definitionsverhalten des Interaktionsbeteiligten
74 In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass § 113 StGB gerade kein Kontrolldelikt ist, da Opfer und die zur Entgegennahme der Strafanzeige befugte Stelle bei diesem
Delikt personenidentisch sind. Ausführlich hierzu in diesem Kapitel unter B.
75 Jäger (1988), S. 326. Nicht ganz nachvollziehbar ist, warum Jäger ohne Weiteres davon
ausgeht, dass die Erfassung „fast ausschließlich durch Amtsanzeigen erfolgt“. Sofern man
Jägers Ansicht zustimmt und § 113 StGB als Kontrolldelikt einordnet, müsste der Widerstandsparagraf richtigerweise als absolutes Kontrolldelikt angesehen werden.
76 Jäger (1988), S. 326.
77 Jäger (1988), S. 327.
78 Jäger (1988), S. 328.
38
P79 entscheidende Bedeutung“. Diese These sieht er als hinreichend geprüft an und
stützt sich dabei auf seine Ausführungen zum Definitionsverhalten von Polizeibeamten im Rahmen der Feststellung eines Rechtsbruchs, wobei die Maßstäbe über
die Einstufung bestimmter Konflikte als Widerstand individuell geprägt seien.80
Die dritte und letzte Annahme Jägers „Widerstandsdelikte gegen Polizeivollzugsbeamte gefährden die polizeiliche Aufgabenerfüllung“ sieht er als falsifiziert
an.81 Die Eskalation zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung im Bürger-Polizei-
Verhältnis ist vorherrschend das Ergebnis eines Geschehens, das grundsätzlich nicht
auf einem gezielten Vorgehen des Widerstandsübenden beruhe. Gestützt sieht er
seine Vermutung von der Erkenntnis, dass in 75,2 Prozent der untersuchten Fälle der
Widerstandsübende nur körperliche Tatmittel einsetzt.82
2. Falk: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
Ekkehard Falk untersucht in seiner im Jahr 2000 veröffentlichten Studie „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - ein praxisbezogenes Forschungsprojekt“ die
Gründe für die Entstehung von Widerstandshandlungen in Baden-Württemberg.
Falk war bereits in verschiedenen Bereichen der Polizei tätig, unter anderen als
Ausbildungsleiter, als Leiter der Schutzpolizei, als Dozent an der Fachhochschule
Villingen-Schwenningen mit dem Schwerpunkt Einsatzlehre und Polizeitechnik.
Vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2005 leitete er als Polizeidirektor den Führungs- und
Einsatzstab der Polizeidirektion Ravensburg. Seit dem Jahr 2006 ist er Leiter der
Polizeidirektion Sigmaringen. Auch er betrachtet das Phänomen „Widerstand gegen
Polizeibeamte“ aus Sicht der Polizei, wobei sein Ansatz auf der primärpräventiven
Ebene anzusiedeln ist. Er nähert sich dem Thema insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der polizeilichen Ausbildung.
a) Inhalt
Falk will mit seiner Studie Erkenntnisse über Situationen, Tatverdächtige und Geschädigte und hieraus resultierende Möglichkeiten zur Vermeidung von Widerstandshandlungen sowie Möglichkeiten zur Verringerung von Gefahren beim Einschreiten der Polizeibeamten gewinnen.83 Diese sollen in der Aus- und Fortbildung,
insbesondere im Einsatztraining sowie in der Konflikthandhabung eingebracht und
umgesetzt werden. Ebenso will er eine Sensibilisierung der Einsatzkräfte, aber auch
79 P = Polizist.
80 Jäger (1988), S. 329.
81 Jäger (1988), S. 330.
82 Jäger (1988), S. 356.
83 Falk (2000), S. 8.
39
der Bevölkerung hinsichtlich der Bewältigung polizeilicher Alltagslagen erreichen
sowie polizeiliche Ausstattung und Führungs- bzw. Einsatzmittel überprüfen.84
Zunächst gibt Falk eine kurze rechtliche Einführung in den Tatbestand des § 113
StGB und einen Überblick über die bisher vorhandenen Untersuchungen sowie die
Entwicklung der Fallzahlen bundesweit und in Baden-Württemberg im Zeitraum
von 1993 bis 1998 bezogen auf sämtliche Straftaten sowie im Speziellen bezogen
auf die Delikte Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt.85
Forschungsmethodisch bedient er sich einer Inhaltsanalyse von Justizakten, die
Widerstandsanzeigen aus dem Jahre 1997 mit rechtskräftig abgeschlossenen Fällen
beinhalten. Bei der Auswahl seiner Untersuchungskategorien lehnt er sich an denen
von Jäger an. Ergänzend führt er eine schriftliche Befragung mit z.T. freien
Antwortmöglichkeiten durch. Von den 2.703 versandten Fragebögen wurden bei
einer Rücklaufquote von 48,8 Prozent insgesamt 1.318 (Zusammensetzung: 99 Beamtinnen, 1.219 Beamte) als auswertbar angesehen.86
aa) Inhaltsanalyse von Justizakten
Die Inhaltsanalyse der Justizakten ergibt, dass mit 825 Fällen ein erheblicher Anteil
der Widerstandshandlungen an öffentlichen Plätzen, Wegen und Straßen verübt
wird, gefolgt von Wohnungen/Privathäusern mit einer absoluten Anzahl von 267,
Polizeidiensträumen mit 139, Gaststätten und Lokalen mit 103 sowie Privatgrundstücken mit 47 Taten. Als Örtlichkeit zu vernachlässigen sind Krankenhäuser, Arzträume87 und Dienstfahrzeuge.88 Die zeitliche Belastung unterteilt nach Monaten
weist einen Anstieg hin zu den Sommermonaten und einen Rückgang während der
Wintermonate auf.89 Betrachtet man die Verteilung nach Wochentagen, so lässt sich
ein Anstieg der Fallzahlen zum Wochenende hin feststellen. Auch der Montag ist
stärker belastet als die übrigen Wochentage, da sich offenbar noch zahlreiche
Widerstandshandlungen in der Nacht von Sonntag auf Montag ereignen.90 Bei der
Untergliederung der Widerstandszeit nach Stunden dominiert der Zeitraum zwischen
16 Uhr und 3 Uhr, wobei ein deutlicher Anstieg zwischen 16 Uhr und 18 Uhr,
zwischen 21 Uhr und 23 Uhr sowie ein Höhepunkt zwischen 1 Uhr und 3 Uhr zu
erkennen ist.91 Knapp 50 Prozent aller untersuchten Taten ereignen sich in der Zeit
von 20 bis 4 Uhr. Falk mutmaßt, dass der Zeitpunkt des Konfliktes eng mit solchen
Aktivitäten verknüpft ist, denen typischerweise in diesen belasteten Zeitspannen
84 Falk (2000), S. 8.
85 Falk (2000), S. 4 ff.
86 Falk (2000), S. 10.
87 Jeweils im Rahmen von angeordneten Blutproben.
88 Falk (2000), S. 14 (Tabelle 4).
89 Falk (2000), S. 14 f.
90 Falk (2000), S. 15.
91 Falk (2000), S. 16 (Tabelle 7.1.2.3).
40
nachgegangen wird, nämlich der Besuch von Festlichkeiten und Diskotheken.92 Das
Zusammentreffen vieler Leute sowie der Genuss von Alkohol bieten einen Nährboden für Konflikte, die sich in das Polizei-Bürger-Verhältnis verlagern können.93
Bei den ursprünglichen Einsatzanlässen, in deren Verlauf es zu Widerstandshandlungen gekommen ist, stehen an erster Stelle mit einem Anteil von 19 Prozent Verkehrsdelikte, gefolgt von Familien-, Haus- und sonstigen Streitigkeiten mit einem
Anteil von 14 Prozent.94 Bei den Einsatzmaßnahmen, die sich nahezu immer gegen
den späteren Widerstandsübenden richten, dominiert die (vorläufige) Festnahme mit
384 Fällen, gefolgt von Personalienfeststellung und Ingewahrsamnahme mit 278 und
268 sowie Personenkontrolle und Blutprobe mit 153 und 131 Fällen.95
Die Widerstandsübenden setzen oftmals körperliche Tatmittel ein.96 Zum Einsatz
von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen kommt es in den von Falk untersuchten
Fällen nur gelegentlich. Scharfe Schusswaffen dienen nur sehr selten als Angriffsmittel.97 Nicht nachvollziehbar ist es, warum Falk die passive Verweigerung (205
Nennungen) als Tathandlung auflistet98, die nach ganz herrschender Ansicht99 ohne
den Einsatz von körperlicher Kraft gerade nicht tatbestandsmäßig ist. Es steht zu
vermuten, dass Falk von einer passiven Weigerung unter Einsatz körperlicher Kraft
ausgeht.
Die Beamten setzen während des Widerstandes und danach sehr häufig die Handschließe ein, von ihrer Dienstwaffe machen sie lediglich in 22 Fällen Gebrauch,
wobei den Ergebnissen von Falk nicht die Art des Gebrauchs entnommen werden
kann100, nämlich wie oft nur Warnschüsse oder auch gezielte Schüsse in den Beinbereich oder gar auf den Oberkörper des Gegenübers abgegeben werden.
Nach seinen Erkenntnissen sind Widerstandsübende oft junge, männliche, zumeist alkoholisierte Einzelpersonen. Dies belegen die von ihm erhobenen Zahlen: In
etwa 90 Prozent der ausgewerteten Akten haben es die Polizeibeamten mit einzelnen
Personen zu tun, in nur 8,6 Prozent sind diese weiblich.101 Der Widerstandsübende
ist in 52,9 Prozent aller untersuchten Fälle nicht älter als 30 Jahre, wobei die Altersgruppe der 21- bis 25-Jährigen dominiert, obwohl deren Anteil an der Wohnbe-
92 Falk (2000), S. 16.
93 Siehe hierzu auch die kriminologischen Erklärungsansätze „Routine-Activity-Approach“,
„Opportunity-Perspective“ und „Lifestyle-Opportunity-Perspective“ bei Kunz (2004), § 24
Rn. 46.
94 Ausführlich: siehe Falk (2000), S. 17 (Tabelle 7.1.3).
95 Falk (2000), S. 19 (Tabelle 6).
96 Falk (2000), S. 21.
97 Falk (2000), S. 21.
98 Falk (2000), S. 21 (Tabelle 7.1.5).
99 Fischer (2008), Schönke/Schröder-Eser (2006), § 113 Rn. 40; LK-StGB/Bubnoff (1994),
§ 113 Rn. 13a, Lackner/Kühl (2007), § 113 Rn. 5; NK-StGB/Paeffgen (2005), § 113 Rn. 26;
Kindhäuser (2006), § 36 Rn. 17, § 113 Rn. 23, Ostendorf (1987), S. 336.
100 Falk (2000), S. 34.
101 Falk (2000), S. 22.
41
völkerung zum Zeitpunkt der Untersuchung mit nur 4,8 Prozent relativ gering ist.102
In der Regel sind die Widerstandsübenden deutsche Staatsangehörige.103 63,8 Prozent stehen während der Tat unter dem Einfluss von Alkohol, wovon 72 Prozent
eine beträchtliche Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille aufweisen.104
Bei seiner Untersuchung erhebt Falk auch Daten zur Sachbearbeitung der
Beamten: 66,8 Prozent fertigen noch am Tag des Widerstandes oder spätestens am
darauf folgenden Tag eine Widerstandsanzeige an.105 Diese Vorgehensweise entspricht auch den polizeilichen Dienstvorschriften des Landes Baden-Württemberg.106 Eine Anzeige wird bei 24,1 Prozent der untersuchten Fälle erst sieben Tage
nach dem Widerstand oder noch später gefertigt. Ursächlich hierfür sind wohl die
Modalitäten des Wechselschichtdienstes, die es dem Beamten dienstbedingt nicht
immer erlauben, Anzeigen zeitnah zu erstellen.107 Die Endsachbearbeitung der Anzeige wird in 91 Prozent der Fälle von einem Beamten der Stammdienststelle übernommen.108
Als Indikatoren für möglicherweise unzulässige Gewaltanwendungen durch die
Beamten, aber auch gegebenenfalls für das Vorhandensein prophylaktischer Widerstandsanzeigen, zieht Falk die Anzahl der von den Widerstandsübenden gestellten
Gegenanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden heran.109 In nur 47 von insgesamt
1.336 auswertbaren Fällen wird eine Gegenanzeige und in 21 von 1.326 auswertbaren Fällen eine Dienstaufsichtsbeschwerde durch den Widerstandsübenden getätigt. Ein weiterer Indikator ist der Ausgang des Verfahrens. In 51 von insgesamt
1.044 auswertbaren Fällen kommt es zu einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO,
in 62 Fällen zu einer Einstellung nach § 153 StPO, in 31 Fällen zu einer Einstellung
nach § 153a StPO, in 33 Fällen zu einer Einstellung nach § 154 StPO und in 796
Fällen endete das Verfahren mit einer Verurteilung.110 Aus diesen Ergebnissen
folgert Falk, dass es sich bei dem von Jäger ins Feld geführten Phänomen der prophylaktischen Widerstandsanzeige um Einzelfälle und Ausnahmen handelt.111
102 Falk (2000), S. 23, wobei Falk keine weiteren Aspekte der Problematik der verzerrenden polizeistatistischen Registrierung von Nichtdeutschen berücksichtigt. Ausführlich dazu in
diesem Kapitel unter A. III. 2b.
103 Falk (2000), S. 24.
104 Falk (2000), S. 26.
105 Falk (2000), S. 42.
106 Falk (2000), S. 43.
107 Falk (2000), S. 43.
108 Falk (2000), S. 43 f.
109 Falk (2000), S. 45.
110 Falk (2000), S. 45.
111 Falk (2000), S. 45.
42
bb) Befragung
Aus den ergänzend durchgeführten schriftlichen Befragungen bei insgesamt 1.318
Beamten, die in den Ermittlungsakten als Geschädigte aufgeführt sind, resultieren
folgende wichtige Erkenntnisse: Mehr als ein Drittel der betroffenen Polizeibeamten
befindet sich zum Zeitpunkt der Schädigung durch den Widerstandsübenden
weniger als fünf Jahre in der derzeitigen Verwendung, nämlich überwiegend im
Streifendienst.112 Junge Beamte mit wenig Diensterfahrung sind häufiger in Widerstände verwickelt. 15,6 Prozent der Befragten geben an, dass in ihrer Ausbildung
mit der Praxis vergleichbare Widerstandssituationen behandelt worden sind, 36,9
Prozent sehen dies nur als teilweise zutreffend an und beachtliche 34,3 Prozent verneinen dies.113 Die Frage nach der Selbsteinschätzung bezüglich bestimmter Wissensgebiete, die für die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung von elementarer Bedeutung sind, enthüllt eine gute oder zumindest ausreichende Einstufung der Rechtsund Einsatzlehre sowie des Umgangs mit Einsatzmitteln.114 Ebenso wie bei Jäger115
schätzen auch bei Falk eine hohe Anzahl der Befragten ihre Kenntnisse im Bereich
der Selbstverteidigungsfähigkeit als nur ungenügend ein. Als Ursache wird angeführt, dass die Selbstverteidigungsfähigkeit zwar während der Ausbildung vermittelt, allerdings im späteren Polizeidienst nur noch unzureichend trainiert wird.116
Ein weiterer Grund kann nach Falk der mangelnde Transfer zwischen Ausbildung
und Praxis sein.117
Aus polizeitaktischer Sicht bemängeln die befragten Beamten, dass zu Beginn
von Einsatzsituationen zum Teil erhebliche Informationsdefizite über den Einsatzort, über das Gegenüber sowie die sonstigen Rahmenbedingungen vorhanden
sind.118 Insgesamt 46 Prozent monieren, überhaupt nicht, oft ungenügend oder nur
teilweise zu Beginn des Einsatzes über die Einsatzmodalitäten informiert zu
werden.119 Einen hinreichenden Informationsaustausch in der Vorbereitungsphase
des Einsatzes erachtet Falk als wesentlich zur vorherigen Beurteilung und
Minimierung des Gefahrenpotenzials.120 In 35 Prozent der untersuchten Fälle stellt
der handelnde Beamte eigeninitiativ den Kontakt zum Bürger her.121 Falk sieht an
dieser Stelle von einer Beurteilung über das Vorhandensein einer gezielten polizei-
112 Falk (2000), S. 12.
113 Falk (2000), S. 45.
114 Falk (2000), S. 45 f.
115 Jäger (1988), S. 179.
116 Falk (2000), S. 46.
117 Falk (2000), S. 46.
118 Falk (2000), S. 29.
119 Dabei drängt sich die Frage auf, woher ausführliche Informationen über den Widerstands-
übenden kommen sollen. Die bei der Einsatzleitstelle erfassten Daten sind nur teilweise aussagekräftig.
120 Falk (2000), S. 29. Diese Ansicht stützt er auch auf ein internes Polizeieinsatzmodell aus
dem Leitfaden 371 „Eigensicherung im Polizeidienst“.
121 Falk (2000), S. 29.
43
lichen selektiven Kriminalisierung ab und verweist lediglich auf die Ausführungen
von Jäger, ohne jedoch eine eindeutige Stellung zu beziehen122.
Die eingesetzten Beamten gehören zu fast 79 Prozent dem Streifendienst an und
sind in etwa der Hälfte der untersuchten Fälle zu zweit im Dienst, was der üblichen
polizeilichen Vorgehensweise entspricht, routinemäßige und gezielte Einsatzfahrten
mit zwei Beamten durchzuführen.123 Nur etwa 15 Prozent der Befragten teilen die
Ansicht, dass in ihrer Ausbildung Widerstandssituationen, die mit denen der Praxis
vergleichbar sind, behandelt worden sind. Die restlichen Beamten verneinen dies
oder sehen dies als nur teilweise zutreffend an.124 Bei der Selbsteinschätzung in
Bezug auf bestimmte Wissensgebiete zeigt sich, dass sich die Beamten in den Bereichen Recht und Taktik tendenziell als gut ausgebildet ansehen. Hingegen stufen
666 ihre eigene Selbstverteidigungsfähigkeit als nur ausreichend und 298 sogar als
ungenügend ein. Falk sucht die Ursache für diese negative Beurteilung grundsätzlich nicht in der polizeilichen Ausbildung, sondern kritisiert die Tatsache, dass das
Thema Selbstverteidigung nach dem Eintritt in den Polizeieinzeldienst zumeist
keine Beachtung mehr findet, sowie die mangelnde Verknüpfung zwischen
theoretischer Ausbildung und späterer Berufspraxis.125
81,4 Prozent der Beamten fühlen sich eigenen Angaben zufolge der konkreten
Einsatzlage gewachsen, 14 Prozent stimmen dem nur teilweise und 1,9 Prozent gar
nicht zu. Diejenigen, die angeben überfordert gewesen zu sein, begründen dies mit
der Überzahl oder der besonderen Aggressivität des Gegenübers. Ebenso nimmt die
überraschende Eskalation der Lage, die Tatsache, dass kein Funkkontakt zur Einsatzleitstelle zur Anforderung von Verstärkung besteht sowie die körperliche Überlegenheit der Widerstandsübenden in diesem Zusammenhang einen wichtigen
Stellenwert ein.126 Bezüglich der Altersstruktur der eingesetzten Beamten zeigt sich,
dass die jüngeren Jahrgänge bis maximal 40 Jahre, im Vergleich zur allgemeinen
Altersstruktur der baden-württembergischen Polizei bezogen auf das Jahr 1997,
überproportional häufig mit Widerständen belastet sind. Dies liegt Falks Auffassung
zufolge daran, dass gerade diese Jahrgänge üblicherweise im Streifendienst eingesetzt werden.127
122 Jäger (1988), S. 276 ff.
123 Falk (2000), S. 31.
124 Falk (2000), S. 45.
125 Falk (2000), S. 46.
126 Falk (2000), S. 32.
127 Falk (2000), S. 34.
44
b) Untersuchungsertrag
Falk gelangt in seiner Studie zu einigen wichtigen Ergebnissen, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. Demnach ereignen sich Widerstandshandlungen oftmals auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen. Die Sommermonate
sind stärker belastet als die Wintermonate, ebenso die Wochenenden und die Nachtstunden. Einsatzanlässe, in deren Folge es zu Widerstandshandlungen kommt, sind
insbesondere Verkehrsdelikte und Streitigkeiten. Die ursprüngliche Vollstreckungsmaßnahme richtet sich nahezu immer gegen den späteren Widerstandsübenden.
Dieser setzt häufig nur körperliche Mittel ein, was auf Spontanhandlungen und
gerade nicht auf zuvor geplante Angriffe und Widerstände schließen lässt. Er tritt
zumeist einzeln auf, ist männlich und oftmals bereits polizeilich erfasst. Es handelt
sich mehrheitlich um deutsche Staatsangehörige und um solche Personen, die zum
Zeitpunkt der Widerstandshandlung häufig alkoholisiert und teilweise sogar erheblich alkoholisiert sind. Die vom Widerstand betroffenen Polizeibeamten gehören
zumeist dem Streifendienst an. Sie sind häufig jung und verfügen über eine nur
kurze bis mittlere Diensterfahrung.
Falks Ergebnisse sind mit Einschränkungen zu betrachten, soweit sie aussagen,
Widerstände würden zumeist von Deutschen geleistet. Ein unmittelbarer Vergleich
zwischen der deutschen und der nichtdeutschen Bevölkerungsstruktur ist aus
kriminologischer Sicht wegen der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur problematisch.128 Die Bevölkerungsstatistik erfasst bestimmte Ausländergruppen nicht,
wie etwa sich illegal aufhaltende Personen, Touristen, Durchreisende, Besucher,
Grenzpendler und Stationierungsstreitkräfte. Zudem gibt es deutliche strukturelle
Unterschiede zwischen Deutschen und Nichtdeutschen: Die sich in Deutschland
aufhaltenden Personen nichtdeutscher Herkunft sind durchschnittlich jünger und
häufiger männlichen Geschlechts als die deutsche Bevölkerung. Sie leben eher in
Städten, gehören zu einem größeren Anteil unteren Einkommens- und Bildungsschichten an und sind häufiger arbeitslos, was insgesamt zu einem höheren Risiko
führt, als Tatverdächtiger polizeiauffällig zu werden.129 Falks Erkenntnisse beruhen
auf einer polizeilichen Befragung. Ob seine Erkenntnis, dass Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte häufiger von Deutschen verübt werden, zutreffend ist,
kann hier zunächst dahinstehen, sofern man den Kontext klarstellt. Die Polizeibeamten wissen aus ihrer täglichen Arbeitsroutine um die abweichende sozialstrukturelle Verteilung von Nichtdeutschen und die Auswirkung auf die polizeistatistische Erfassung. Wenn wir uns die Tatsache verdeutlichen, dass von
82.351.000 Einwohnern deutschlandweit 6.751.000130 Nichtdeutsche sind, was
einem Anteil von 8,2 Prozent entspricht, so leuchtet es ein, dass Nichtdeutsche an
registrierten Straftaten absolut gesehen unterrepräsentiert sind. Aus diesem Kontext
128 Siehe hierzu bereits Abbildung 5.
129 Bundes-PKS (2007), Berichtsjahr 2006, 2.3.3.
130 Statistisches Bundesamt (2007), Berichtsjahr 2006, 2.1.1.
45
heraus ist Falks Ergebnis wie folgt zu präzisieren: Nach polizeilicher Einschätzung
ist der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen bei § 113 StGB geringer als bei
anderen (Gewalt-)Delikten. Ob sich dieser Befund mit den Daten der Polizeilichen
Kriminalstatistik und des Zweiten Periodischen Sicherheitsberichts decken, wird
noch zu prüfen sein. Es ist an dieser Stelle zumindest fraglich, ob eine quantitative
Verzerrung bei der subjektiven Einschätzung der Beamten gegeben ist. Ausgehend
von der dargelegten Bevölkerungsstruktur ist es zwingend logisch, dass mehr
Deutsche als Nichtdeutsche Widerstände begehen; insoweit können nur Verhältniszahlen aussagekräftig sein.
3. KFN-Studie: Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte 1985-2000
Die KFN131-Studie von Thomas Ohlemacher, Arne Rüger, Gabi Schacht und Ulrike
Feldkötter unter Mitarbeit von Simone Quellmalz, Kenan Alkan und Nicole Lederle:
ãIgycnv" igigp"Rqnk¦gkdgcovkppgp"wpf" -beamte 1985-4222Ð." xgt…hhgpvnkejv" ko" Lcjt"
2003, untersucht die Merkmale von Widerstandssituationen. Es wird der Frage
nachgegangen, wann und unter welchen sozialen Kontextbedingungen sich diese
ereignen.132
Ohlemacher ist promovierter und habilitierter Philosoph und war von 1993-2002
als leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kriminologischen Forschungsinstitut
Niedersachsen (KFN) in Hannover tätig. Seit 2002 ist er Professor für Kriminalwissenschaften mit dem Schwerpunkt Kriminologie an der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Hildesheim, Hochschule für den
Öffentlichen Dienst, Fakultät der Polizei. Seit 2007 ist er Professor an der Norddeutschen Hochschule für Rechtspflege. Sein Forschungsschwerpunkt ist unter
anderem der Bereich der empirischen Polizeiforschung.133
a) Inhalt
Die KFN-Studie beleuchtet die im Jahr 2000 aufgetretene Häufung von Angriffen,
durch die Polizeibeamte getötet wurden, aus wissenschaftlicher Sicht. Dabei beschränkt sich die Studie auf zwei Fallkonstellationen: einerseits mit Tötungsabsicht
oder -vorsatz ausgeführte Angriffe gegen Polizeibeamte (untersuchter Zeitraum:
01.01.1985 bis 15.07.2000) und andererseits Angriffe, die ohne Tötungsabsicht ver-
übt wurden und eine Dienstunfähigkeit des/r Beamten für zumindest sieben Tagen
zur Folge hatten (untersuchter Zeitraum: 1.01.1995 bis 15.07.2000). Zur Daten-
131 Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.
132 KFN-Studie (2003), S. 8.
133 Siehe unter URL: http://www.uni-hildesheim.de/media/magazin/kurzinfo_ohlemacher_10_
2007.pdf. (zuletzt aufgerufen am 19.11.2007).
46
erhebung wurden 2.187 Fragebögen deutschlandweit per Zufallsstichprobe an geschädigte Polizeibeamte versandt. Die Auswertung bezieht sich auf 1.152 zurückgesandte Bögen, was einer Rücklaufquote von 52,7 Prozent entspricht.134
Trotz des Eingangsfilters „sieben Tage Dienstunfähigkeit“135 ist ein repräsentativer Durchschnitt von Angriffssituationen zu unterstellen, da es oftmals vom
Zufall abhängt, ob eine Angriffshandlung zur Dienstunfähigkeit führt und ferner ob
der behandelnde Arzt den betroffenen Beamten tatsächlich für sieben Tag als dienstunfähig einstuft.
Die zweite von der KFN-Studie untersuchte Fallgruppe „Angriffe, die ohne
Tötungsabsicht vorgenommen werden“ interessiert im hier behandelten Kontext und
wird daher nachfolgend vorgestellt. Es ist anzumerken, dass die KFN-Studie sich
generell mit Gewalthandlungen gegen Polizeibeamte beschäftigt und sich nicht nur
auf von § 113 StGB erfasste Tathandlungen beschränkt. Dennoch gibt es eine
wesentliche Schnittmenge, da Angriffe auf Polizeibeamte auch sehr häufig den Tatbestand des § 113 StGB erfüllen.
Bezogen auf diesen Teil der Studie beläuft sich der Rücklauf auf insgesamt
598.136 Die Auswertung zeigt, dass Widerstandshandlungen mehrheitlich (36 Prozent) an Wochenenden verübt werden.137 Nach Monaten betrachtet liegt eine
Gleichverteilung über alle Monate vor, eine Ausnahme bildet der Sommermonat
Juli, der mit 10 Prozent nach oben heraus sticht.138 In 56 Prozent der Fälle erfolgen
die Angriffe in tageszeitbedingter Dunkelheit139, wobei zumeist öffentliche Orte, wie
Straßen, Wege, Plätze oder Parkplätze dominieren. 16 Prozent der Angriffe finden in
Wohnungen statt.140 Die Beamten gehören in zwei Drittel aller Fälle dem Streifendienst an.141 Der Anlass des Einschreitens ist in 53 Prozent der Fälle eine versuchte
Straftat, in rund 20 Prozent eine Festnahme, in rund 19 Prozent die Störung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung, in rund 18 Prozent die Überprüfung verdächtiger Personen bzw. Sachen, in 15 Prozent eine Streitigkeit oder eine Schlägerei
ohne familiären Hintergrund, in rund 12 Prozent eine Familienstreitigkeit, in rund 11
Prozent ein Verkehrsdelikt und in rund 9 Prozent eine Verkehrskontrolle.142
Der Informationsstand der Beamten zu Beginn des Einsatzes ist nach Erkenntnissen der Erhebung lediglich bezüglich der Beteiligten, der Art des Vorfalls, des
erforderlichen polizeilichen Handelns sowie bezüglich der örtlichen Gegebenheiten
relativ umfassend. Im Übrigen bestehen Informationsdefizite, und zwar vor allem
134 KFN-Studie (2003), S. 70.
135 Einstiegsfilter wie bei Jäger (1988).
136 KFN-Studie (2000), S. 51.
137 KFN-Studie (2000), S. 53.
138 KFN-Studie (2000), S. 53.
139 KFN-Studie (2000), S. 53.
140 KFN-Studie (2000), S. 54.
141 KFN-Studie (2000), S. 54.
142 KFN-Studie (2000), S. 55.
47
hinsichtlich der polizeilichen Erkenntnisse über Bewaffnung und Gewaltpotenzial
des Gegenübers.143
Die Widerstandsübenden handeln mehrheitlich einzeln, sind häufig männlich und
zwischen 21 und 30 Jahre alt. Der Anteil der über 40-Jährigen ist relativ gering.144 In
etwa 72 Prozent der untersuchten Fälle sind die Angreifer nach polizeilichen Angaben mit Sicherheit Deutsche.145 Mehr als die Hälfte der Angreifer sind zum Zeitpunkt des Widerstandes - teilweise auch erheblich - alkoholisiert.146
Aus Sicht der befragten Beamten erfolgt der Widerstand in 80 Prozent der Fälle
unvorhersehbar und überraschend, lediglich in 26 Prozent bejahten die Befragten die
Gelegenheit einer vorherigen Androhung von Zwangsmaßnahmen.147 Oftmals erfolgen Angriffe beim Verhindern von Fluchtversuchen, bei Zugriffen oder Festnahmen, wobei insgesamt folgende Tätigkeiten mit Körperkontakt dominieren:
Unterbinden einer Handlung (17 Prozent aller Fälle mit vorherigem Körperkontakt),
Anlegen von Handschellen (15 Prozent), Verhindern oder Beenden einer Flucht (15
Prozent), das Abführen eines Beschuldigten (14 Prozent), Durchsuchen von Personen (13 Prozent) und Bringen in ein Polizeifahrzeug (10 Prozent).148
Die Befragung berücksichtigt auch, inwieweit es möglich ist, die Richtlinien zur
Eigensicherung in konkreten Situationen einzuhalten. Folgendes Bild zeichnet sich
ab: Besonders schlechte Einhaltungschancen bestehen bei Schlägereien (71 Prozent), bei alleiniger Suche oder alleinigem Einschreiten (60 Prozent), bei einer Vereinzelung des Beamten infolge gemeinsamen Einschreitens (50 Prozent), wenn der
Anlass des Einschreitens eine Demonstration (53 Prozent) oder eine Ausschreitung
(46 Prozent) ist, wenn der Angriff überraschend kommt (46 Prozent), bei einer
Suche zu Fuß (45 Prozent), bei der Schlichtung eines Streits (43 Prozent), bei der
Verfolgung zu Fuß (43 Prozent), bei Angriffen während der Kontaktaufnahme, beim
Ansprechen einer Person (41 Prozent) oder beim Einschreiten gegen eine Straftat
(41 Prozent). Das letztgenannte Kriterium lässt sich wie folgt noch weiter nach der
Art der Straftaten untergliedern: Schlägereien (49 Prozent), Tötungsdelikte (46 Prozent), Bedrohung (44 Prozent), Einbrüche (43 Prozent), Sachbeschädigung (43 Prozent), Raubdelikte (39 Prozent), im Kontext von Streitereien (37 Prozent), Körperverletzung (37 Prozent) und Nötigung (37 Prozent).149
Die Befragten sahen überwiegend ein Verbesserungspotenzial in folgenden Bereichen: Training zur körperlichen Abwehr (20 Prozent) und bessere Ausbildung in
143 KFN-Studie (2000), S. 55. Diese Feststellung mag zwar zutreffend sein, jedoch stellt sich die
Frage, woher diese Informationen kommen sollen.
144 KFN-Studie (2000), S. 57.
145 KFN-Studie (2000), S. 58. Der Anteil der Deutschen dürfte in Wirklichkeit noch weitaus
höher sein. Siehe zur statistischen Erfassung und deren Aussagekraft von Nichtdeutschen als
Tatverdächtige bereits oben unter A. III. 2b.
146 KFN-Studie (2000), S. 58.
147 KFN-Studie (2000), S. 61.
148 KFN-Studie (2000), S. 62.
149 KFN-Studie (2000), S. 66.
48
Selbstverteidigung und Kampfsport (16 Prozent), Schusswaffentraining (41 Prozent), Schießtraining mit realistischen Szenarien (23 Prozent)150, Beschaffung von
Schutzwesten und zeitgemäßer Munition (25 Prozent), ein regelmäßiges Angebot
von Lehrgängen im Bereich der Rechtsbeurteilung (18 Prozent) sowie verbesserte
Anlass- und Praxisbezogenheit von Aus- und Fortbildungsinhalten (13 Prozent)151,
mehr Seminare im psychologischen Bereich (20 Prozent) und besseres Training zur
Konflikthandhabung (13 Prozent)152. Überaus bemerkenswert ist die sich hier abzeichnende Meinung der Befragten, die folgende deutlich sichtbare Gewichtung erkennen lässt. Die Beamten sahen vor allem Verbesserungsbedarf in aktiven Verteidigungsmitteln, insbesondere im Schusswaffentraining oder der Beschaffung
besserer Munition. Die praxisbezogenen Inhalte und das Training zur Konflikthandhabung werden hingegen vergleichsweise selten genannt.
Der Fragebogen enthielt auch Fragen mit offenen Antwortmöglichkeiten. Von
dieser Möglichkeit, den Angriff in eigenen Worten wiederzugeben, haben weniger
als ein Drittel der Befragten Gebrauch gemacht. Auf eine Darlegung der nicht
systematisch darstellbaren Einzelfälle wird an dieser Stelle verzichtet.153
Die Ergebnisse aus der Befragung werden durch die Analyse von Justizakten, die
Angriffe mit Tötungsabsicht oder -vorsatz zum Nachteil von Polizeibeamten beinhalten, ergänzt. Diese Ergebnisse sind auszuklammern, da hier lediglich die
Aspekte der Tötung genauer beleuchtet werden. In einem dritten Teil der Studie
wird auf den polizeilichen Schusswaffengebrauch zur Abwehr von Angriffen eingegangen, der im hier behandelten Kontext nicht relevant ist.
b) Untersuchungsertrag
Die KFN-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Angriffe gegen Polizeibeamte überwiegend bei Dunkelheit und im öffentlichen Raum stattfinden, wobei die Mehrzahl
der Orte zuvor polizeilich als ungefährlich eingeschätzt wurde.154 Die Angriffe
gehen mehrheitlich von Deutschen aus155, die Angreifer sind ganz überwiegend
männlich und handeln häufig einzeln. Oftmals sind sie zum Tatzeitpunkt - teilweise
auch erheblich - alkoholisiert und knapp die Hälfte von ihnen ist vor dem Angriff
schon polizeibekannt, jedoch den handelnden Polizeibeamten persönlich unbekannt.156 Die Angriffe werden häufig spontan und für die Polizeibeamten über-
150 KFN-Studie (2000), S. 67.
151 KFN-Studie (2000), S. 68.
152 KFN-Studie (2000), S. 69.
153 Siehe zu den Einzelfällen: KFN-Studie (2000), S. 77 ff.
154 KFN-Studie (2000), S. 198.
155 Diese Aussage wurde in der KFN-Studie ebenso wie bei Falk undifferenziert dargestellt und
war daher auch hier zu präzisieren. Siehe bereits oben unter A. III. 2b.
156 KFN-Studie (2000), S. 198.
49
raschend verübt.157 Die KFN-Studie kommt weiterhin zu dem Ergebnis, dass der
polizeiliche Ausbildungsstand nach Einschätzung der Befragten auf einem hohen
Niveau ist.158
4. Philipsen: Widerstand gegen Polizeibeamte in Lübeck
Kriminalkommissaranwärter Lars-Christian Philipsen untersucht in seiner Diplomarbeit im Rahmen der Laufbahnprüfung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst im
Land Schleswig-Holstein, betreut von Oberregierungsrat Koberstein und eingereicht
am 30.09.2005 beim Fachbereich Polizei der Fachhochschule für Verwaltung und
Dienstleistung: „Widerstand gegen Polizeibeamte in Lübeck – Ursachen und Erklärungen, ein Vergleich der Phänomene in den Regionen“ die Hellfeldunterschiede
registrierter Widerstandshandlungen in den Städten Kiel und Lübeck bezogen auf
das Jahr 2003.
a) Inhalt
Ziel seiner Untersuchung ist es, die Widerstandsgenese begünstigende Umstände zu
analysieren.159 Das Datenmaterial basiert auf einer Aktenanalyse und einer schriftlichen Befragung von Polizeibeamten.
aa) Inhaltsanalyse von Justizakten
Philipsen bezieht 58 von der Staatsanwaltschaft Lübeck und 54 von der Staatsanwaltschaft Kiel zur Verfügung gestellte Akten in seine Untersuchung ein, die
jeweils Widerstände nach § 113 StGB zum Inhalt haben. Zur Auswertung wählt er
die Vergleichskriterien: Tatzeitpunkt, Täter, Einsatzmodalitäten, Merkmale der eingesetzten Beamten sowie die anschließende Sanktionierung des Täters.
Philipsen führt anhand grundlegender sozialstruktureller Merkmale einen Städtevergleich zwischen Kiel und Lübeck durch. Er stellt für das Jahr 2003 die Merkmale
Wohnfläche, Einwohner, Einwohner nichtdeutscher Herkunft, Anzahl der Polizeireviere und Kriminalitätsbelastung einander gegenüber, teilt dem Leser allerdings
weder den Grund für diesen Vergleich noch ein inhaltliches Ergebnis mit.
Bei einer nach den täterbezogenen Merkmalen Geschlecht, Alter, Nationalität,
Wohnort, Einträge im Bundeszentralregister sowie Alkoholeinwirkung katego-
157 KFN-Studie (2000), S. 198.
158 KFN-Studie (2000), S. 199.
159 Philipsen (2005), S. 2.
50
risierten Auswertung der Akten ergibt sich eine deutlich erhöhte Belastung der
männlichen Tatverdächtigen (81 Prozent in Kiel, 90 Prozent in Lübeck).160 In Kiel
sind mit 80 Prozent und in Lübeck mit ca. 85 Prozent viele der registrierten Widerstandsübenden deutsche Staatsangehörige161, wobei diese Aussage wegen der strukturellen Unterschiede der beiden Vergleichsgruppen unpräzise ist.162 Sofern es sich
um Nichtdeutsche handelt, sind diese in beiden Städten mehrheitlich türkischer beziehungsweise osteuropäischer Herkunft.163 In Kiel haben knapp 92 Prozent und in
Lübeck knapp 86 Prozent der Widerstandsübenden ihren Wohnsitz in derselben
Stadt, in der auch die Tat registriert wurde.164 Bei einigen Widerstandsübenden
(Lübeck 69 Prozent; Kiel 76 Prozent) liegt zum Zeitpunkt des Konfliktes zumindest
eine Eintragung im Bundeszentralregister vor.165
In knapp der Hälfte der untersuchten Fälle gehören die Widerstandsübenden zur
Altersgruppe der 18- bis 28-Jährigen, an zweiter Stelle und mit einem Anteil von
etwa 35 Prozent folgen die 29- bis 39-Jährigen.166 Für Kiel zeichnet sich insoweit
ein etwas abweichendes Bild ab. Hier sind ebenfalls die Jahrgänge von 1975 bis
1985 stark vertreten, mit knapp 30 Prozent jedoch nicht so zahlreich wie in
Lübeck.167 Auffällig ist, dass im Gegensatz zu Lübeck die Jahrgänge 1970 bis 1975
in Kiel relativ häufig bei Widerstandshandlungen in Erscheinung treten168, wobei
Philipsen an dieser Stelle auf eine präzise Darstellung seiner Daten verzichtet. In
den darauf folgenden älteren Jahrgängen ist eine Abnahme und erst ab dem Jahrgang
1955 wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Insgesamt lässt sich die deutliche Tendenz
erkennen, dass mehrheitlich jüngere Menschen bis 30 Jahre als Täter registriert
werden.169
Philipsen geht weiterhin der Frage nach, ob die Widerstandsübenden während des
Konfliktes typischerweise unter Alkoholeinfluss stehen und findet anhand der Akten
heraus, dass der Anteil alkoholisierter Täter in Lübeck 83 Prozent und in Kiel 77
Prozent beträgt.170 In Lübeck haben 33 Prozent der Widerstandsübenden zum Zeitpunkt der Tat eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille und
42 Prozent sogar eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 2 Promille. In Kiel betragen die Anteile 23 Prozent bzw. 27 Prozent.171 Der Einfluss von Betäubungsmitteln wird in der Untersuchung nicht angesprochen.
160 Philipsen (2005), S. 8 f.
161 Philipsen (2005), S. 9 f.
162 Siehe zur statistischen Erfassung und deren Aussagekraft von Nichtdeutschen als Tatverdächtige bereits oben unter A. III. 2b.
163 Philipsen (2005), S. 10.
164 Philipsen (2005), S. 10.
165 Philipsen (2005), S. 11.
166 Philipsen (2005), S. 12.
167 Philipsen (2005), S. 12.
168 Philipsen (2005), S. 13.
169 Philipsen (2005), S. 13.
170 Philipsen (2005), S. 13 f.
171 Philipsen (2005), S. 13 f.
51
Philipsen findet heraus, dass die Widerstandsübenden in Lübeck in 91 Prozent
der untersuchten Fälle einzeln handeln. In Kiel ist dieser Anteil mit 78 Prozent etwas
geringer als in Lübeck.172 Bezüglich der Widerstandszeiten zeigt sich eine erhöhte
Belastung für die Sommermonate Mai bis August, die übrigen Monate sind gleichmäßig belastet.173 Freitage und Sonntage sind in beiden Städten stärker belastet als
die restlichen Wochentage.174 Philipsen kommt ferner zu dem Ergebnis, dass
Polizeibeamtinnen deutlich seltener in Widerstandshandlungen verwickelt sind als
männliche Beamte175, wobei unklar bleibt, ob diese Feststellung die unterschiedliche
Geschlechterstruktur berücksichtigt.176
In Lübeck ist der ursprüngliche Einsatzanlass, in dessen weiteren Verlauf es zu
Widerstandshandlungen gekommen ist, häufig ein vorangegangenes Gewaltdelikt,
gefolgt von Trunkenheitsfahrten sowie infolge der Durchsetzung von Platzverweisen. Auch in Kiel sind häufig Gewaltdelikte Anlass für Widerstandshandlungen.
Weitaus häufiger als in Lübeck kommt es in Kiel zu Widerständen anlässlich
routinemäßiger Streifenfahrten sowie Ruhestörungen.177
Bezüglich der rechtlichen Folgen findet Philipsen heraus, dass in Lübeck die
Widerstandsübenden mit einem Anteil von 84 Prozent ganz überwiegend mit einer
Geldstrafe sanktioniert werden und in Kiel häufiger mit einer Freiheitsstrafe zur
Bewährung.178
bb) Befragung
Die Erkenntnisse der Aktenanalyse ergänzte Philipsen mit einer schriftlichen Befragung bei Kieler und Lübecker Polizeibeamten aus dem Streifendienst. Insgesamt
werden 200 Fragebögen an Polizeireviere verteilt, in denen die Befragten Angaben
bezüglich der eigenen rechtlichen Kenntnisse, der eigenen Selbstverteidigungsfähigkeit, der Effektivität von Kommunikationstechniken, der Vor- und Nachbereitung
von Einsätzen, der Vorgehensweise ihrer Dienststelle bei Widerständen sowie
bezüglich ihrer Ausstattung zur Bewältigung von Konflikten machen sollten. Die
Rücklaufquote beträgt 41,5 Prozent.179 Die zurückgesandten Fragebögen sind überwiegend von männlichen Polizeibeamten aus dem Schicht- und Streifendienst beantwortet worden, die zwischen 25 und 35 Jahren alt sind und die mehrheitlich über
eine Diensterfahrung von maximal fünf Jahren verfügen. Nur wenige Befragte sind
172 Philipsen (2005), S. 14 f.
173 Philipsen (2005), S. 16 f.; Jäger (1988), S. 171.
174 Philipsen (2005), S. 17 f.
175 Philipsen (2005), S. 21.
176 Siehe zur unterschiedlichen Geschlechterstruktur Abbildung 5.
177 Philipsen (2005), S. 23 f.
178 Philipsen (2005), S. 24.
179 Philipsen (2005), S. 25.
52
älter als 45 Jahre oder haben eine Diensterfahrung von mehr als 10 Jahren180, wobei
dies auch an der Altersstruktur der Befragten liegen könnte.
Die Beamten in Kiel und Lübeck schätzen ihre rechtlichen Kenntnisse bezogen
auf § 113 StGB mehrheitlich als sehr gut (Lübeck: 32 Prozent, Kiel: 42 Prozent)
oder gut (Lübeck: 57 Prozent, Kiel: 47 Prozent) und in keinem Fall als mangelhaft
ein.181 Die Ausstattung und Einsatzmittel werden, abgesehen von zwei Ausnahmen,
in beiden Städten als im Mindestmaß ausreichend, vielfach auch mit gut oder sehr
gut bewertet. Insbesondere Tränengas wird als wirksames Einsatzmittel angesehen,
Mängel bestehen nach Einschätzung der Befragten lediglich im Bereich der Funktechnik.182
Weiterhin wurde nach der Wichtigkeit von Kommunikationstechniken zur Bewältigung von Widerstandssituationen gefragt. 55 Prozent der Befragten in Lübeck
und 41 Prozent in Kiel stuften in diesem Zusammenhang Kommunikationstechniken
als sehr wichtig ein. Mehr als die Hälfte (Lübeck: 51 Prozent, Kiel: 69 Prozent) bezeichnen ihren diesbezüglichen Ausbildungsstand als gut, während die Vorbereitung
auf Widerstandshandlungen in der Ausbildung nur teilweise als gut, zumeist hingegen als ausreichend, teilweise sogar als mangelhaft eingeschätzt wurde.183
In Kiel und Lübeck divergiert das Antwortverhalten bei der Frage nach dem allgemeinen Verhältnis zwischen Polizei und Bürger. Ein Teil bewertete dieses Verhältnis als respektlos, ein anderer Teil dagegen auch als respektvoll oder gut.184
Philipsen vermutet, dass zwar grundsätzlich ein gutes Polizei-Bürger-Verhältnis
vorhanden sei, Widerstandssituationen jedoch gerade eine große Respektlosigkeit
des Widerstandsübenden zum Ausdruck bringen und die Beamten daher von einem
tendenziell schlechten Polizei-Bürger-Verhältnis ausgehen.
b) Untersuchungsertrag
Philipsen gelangt zu dem Ergebnis, dass es äußert schwierig sei, Gründe für die
unterschiedliche185 polizeistatistische Registrierung von Widerständen zu finden und
führt dies im Gegensatz zum Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit auf die nahezu
identischen Vergleichskriterien der beiden Städte zurück.186 Mit anderen Worten: Es
können keine Unterschiede für die unterschiedliche Registrierung gefunden werden,
weil die Sozialstruktur nicht unterschiedlich ist. Diese auf den ersten Blick nicht
folgerichtige Schlussfolgerung von Philipsen ist jedoch das konsequente Ergebnis
180 Philipsen (2005), S. 26.
181 Philipsen (2005), S. 27 f.
182 Philipsen (2005), S. 28, 30.
183 Philipsen (2005), S. 28, 30.
184 Philipsen (2005), S. 29, 31.
185 Philipsen (2005), S. 32, der von ansteigenden Fallzahlen spricht, sich jedoch auf den Städtevergleich bezieht und wohl unterschiedliche Fallzahlen meint.
186 Philipsen (2005), S. 38.
53
seiner Vorgehensweise. Er knüpft bei der Suche nach dem Grund für die divergierenden Widerstandszahlen aufseiten der Täter bzw. Tatverdächtigen an, was
allerdings zu keinem Ergebnis führt, da die Sozialstruktur und damit auch die
Struktur der Widerstandsübenden in Lübeck und Kiel vergleichbar sind.
Philipsen kann keine kausalen, sondern nur die Widerstandsgenese begünstigenden Faktoren benennen. Demnach sind Widerstandsübende häufig männlich, im Alter zwischen 18 und 35 Jahren alt und vielfach zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert. Sie treten häufig einzeln auf. Nach Aussage der Befragten ist eine
Kommunikation mit einem alkoholisierten Täter nur eingeschränkt möglich. Setzt
man diesen Befund in Korrelation zu der Erkenntnis, dass Kommunikationstechniken häufig eingesetzt werden, um Konflikte deeskalierend zu bewältigen, so
ist hierin auch ein die Widerstandsgenese begünstigender Umstand zu sehen.
Philipsen vertritt ferner den nicht weiter erläuterten Erklärungsansatz, dass das Verhalten der einschreitenden Beamten vor Ort bzw. eine durch das Auftreten der einschreitenden Beamten verursachte Eskalation maßgebender Auslöser für Widerstandshandlungen sein könnte.187 Ebenso führt er die These ins Feld, dass prophylaktische Anzeigen ein möglicher Grund für eine unterschiedliche polizeistatistische Registrierung von Widerständen im Sinne des § 113 StGB sein könnten,
ohne dies jedoch zu überprüfen.188 Als letzte mögliche Ursache zieht er den Polizeibeamten in Betracht und spielt in diesem Zusammenhang auf mögliche Defizite in
der polizeilichen Aus- und Fortbildung an. Diese verwirft er allerdings, da sich
weder durch die Aktenanalyse noch anhand der Befragung stützende Hinweise für
diese Annahme ergeben.189
5. Ertrag für die vorliegende Arbeit
Die vorgestellten polizeiwissenschaftlichen Studien zum Thema kommen zu einigen
übereinstimmenden Ergebnissen, die nachfolgend kurz zusammengefasst werden.
a) Jäger
Jäger schreibt dem Definitionsverhalten der Beamten für die Registrierung eines
Konflikts als Widerstand entscheidende Bedeutung zu190 und führt damit bereits
einen ausbaufähigen Ansatzpunkt an. Er geht von einer Definitionsmacht191 der
187 Philipsen (2005), S. 32.
188 Philipsen (2005), S. 38.
189 Philipsen (2005), S. 36 f.
190 Jäger (1988), S. 311 ff., 328 f.
191 Der Begriff "Definitionsmacht" scheint Jäger von Feest (1972) übernommen zu haben. Geprägt wurde die Terminologie maßgeblich von Feest/Blankenburg (1970).
54
Polizei als Instanz der strafrechtlichen Sozialkontrolle in doppelter Hinsicht aus.
Erstens definiert der Beamte, was ein tätlicher Angriff oder ein Widerstandsleisten
mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt ist, das heißt, von ihm so definiert wird.
Zweitens entscheidet er über Anzeige oder Nichtanzeige eines von ihm als Widerstand eingestuften Verhaltens.192 Dieser Ansatzpunkt gliedert sich wie folgt (Abbildung 6).
Abbildung 6: Definitionsmodell bei Konfliktsituationen nach Jäger
Die polizeiliche „Definitionsmacht“ erstreckt sich auf die Definition eines Verhaltens als Konflikt oder Widerstand (1. Stufe der „Definitionsmacht“) und auf die
Verrechtlichung i.S.d. § 113 StGB (2. Stufe der „Definitionsmacht“). Dieser Ansatz
unterstellt durch die Verwendung des Begriffs „Definitionsmacht“ eine willkürliche
polizeiliche Vorgehensweise. Nur unzureichend wird berücksichtigt, dass die
polizeiliche Reaktion strategischen Überlegungen folgen kann, wobei grundsätzlich
zu unterstellen ist, dass sich Polizeibeamte an gültiges Recht halten und demzufolge
Nachstehendes zutrifft: Ein Widerstand ist, sofern er von einem Polizeibeamten als
objektiv tatbestandsmäßig subsumiert wird, dem Legalitätsprinzip unterworfen. Das
Legalitätsprinzip ist in § 152 Abs. 2 StPO normiert und besagt Folgendes: Die
Staatsanwaltschaft ist in ihrer Funktion als Strafverfolgungsbehörde grundsätzlich
verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, soweit sie Kenntnis von einer
192 Jäger (1988), S. 311.
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55
Straftat erlangt. Den Gegensatz zum Legalitätsprinzip bildet das sog. Opportunitätsprinzip, nach dem es den Strafverfolgungsbehörden unter den Voraussetzungen der
§§ 153 ff. StPO ausnahmsweise freisteht, bestimmte Straftaten zu ahnden oder auf
eine Bestrafung des Täters zu verzichten.193 § 163 StPO verpflichtet die Behörden
und Beamten des Polizeidienstes, Straftaten zu erforschen.
Jäger geht davon aus, dass dieses für die Polizei uneingeschränkt geltende
Legalitätsprinzip von subjektiven Entscheidungskriterien durchbrochen wird, wie
etwa der festgestellte Grad der Deliktsverwirklichung, die Höhe des eingetretenen
Schadens, sei es gesundheitlicher oder materieller Art, externe Einflüsse sowie
mittelbare und unmittelbare Einflüsse von Vorgesetzten, und dass ferner der erwartete Erfolg einer Anzeige eine wesentliche Rolle spielt.194 Auch wenn unterstellt
werden kann, dass die Polizeibeamten in der Regel dem Legalitätsprinzip folgen, so
ist die Sichtweise Jägers nicht ganz von der Hand zu weisen. Bereits 1975 konnte
Feest im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung eine durchgehende Tendenz zur
Untersanktionierung durch die Polizei im Bagatellbereich feststellen und fand
heraus, dass einige charakteristische ökonomische Überlegungen im Bereich der
Bagatelldelikte dazu führen, dass Verstöße gar nicht oder milder als im Gesetz vorigugjgp"igcjpfgv"ygtfgp0"Gkpg"uqnejg"ãWpvgtucpmvkqpkgtwpiÐ"yktf"fgopcej"dggknflusst durch die soziale Schwierigkeit bei der Legitimierung des Einschreitens, den
antizipierten Arbeitsaufwand und durch einen ergebnisorientierten Blick.195 Auch
aktuellere Untersuchungen gehen teilweise davon aus, dass die Einhaltung des
Legalitätsprinzips in der polizeilichen Strafverfolgungspraxis zahlreiche Probleme
aufwerfe, insbesondere im Hinblick auf den von der Polizei zu bewältigenden
Kriminalitätsumfang.196 Kürzinger nimmt im Bereich der Aufnahme von Strafanzeigen für die Polizei an, dass sie sich nicht ausschließlich an die Richtschnur des
Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung halte, sondern sich vielmehr von
eigenen Einschätzungen der Strafwürdigkeit einzelner Delikte leiten lasse (sog.
ãUgeqpf-EqfgÐ+0197
Die vorgebrachten Zweifel mögen zutreffend sein, allerdings kann diese
Problematik auch von einem anderen Standpunkt aus betrachtet werden. Im hier behandelten Kontext geht es nicht nur um die Frage, ob ein Polizeibeamter einen beuvkoovgp"Mqphnkmv"ko"Tcjogp"gkpgt"ãFghkpkvkqpuocejvÐ198 als Widerstandshandlung
gemäß § 113 StGB subsumiert und eine dementsprechende Anzeige veranlasst. Die
zentrale Frage ist vielmehr, welche Gründe es für eine abweichende Registrierung
geben kann. Es geht im Kern nicht darum, ob das Legalitätsprinzip eingehalten wird,
sondern vielmehr um die Frage, ob und warum ein Konflikt über eine Mobilisierung
193 Beulke (2006), Rn. 17.
194 Jäger (1988), S. 312 ff.
195 Feest (1975), S. 56 ff. Erste Ansätze bereits bei Feest (1972), S. 11 ff.
196 Dölling (1999), S. 41.
197 Kürzinger (1978), S.162, 244 ff. Lesenswert zur polizeilichen Vorausberechnung der
Kriminalität: von der Heide (2007), S. 330 ff.
198 Feest (1972,1977), Jäger (1988).
56
des § 113 StGB verrechtlicht wird. Sofern ein Verhalten als rechtlich nicht relevant
wahrgenommen und thematisiert wird, kann eine Nichtmobilisierung des § 113
StGB kein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip sein. Es ist daher zutreffend nicht
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sprechen. Behr etwa formuliert dieses Phänomen wie folgt:
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Entscheidungsmächtigkeit im Bezeichnen einer Handlung als Straftat (das Nichtverfolgen
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ko" CovÐ" wpf" ocp" ouss einige Schutzmaßnahmen treffen, um dieses Risiko abzuwenden).
Umgekehrt gilt, dass Polizisten erst strafprozessual aktiv werden können, wenn es ihnen gelingt, eine Handlung unter einen Straftatbestand zu subsumieren. Polizisten verfügen dabei
über einen ziemlich weiten Spielraum *È+0"Qd"fcu."ycu"ocp"igtcfg"igugjgp"jcv."kttgngxcpv."
eine Ordnungswidrigkeit, ein Vergehen oder ein Verbrechen darstellt, ist nicht selten eine
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von Wirklichkeitsrezeption hin, das für polizeiliche Handlungsstrategien weitgehend bestimmend ist: Die Wirklichkeit wird (oft unterbewusst) in Kategorien des (Straf-) Rechts
wahrgenommen bzw. uminterpretiert0Ð199
Ferner geht Jäger unzutreffend und ohne weitere Begründung zunächst davon
aus, dass es bei Widerstandshandlungen ein Dunkelfeld gäbe.200 Auf Grundlage
dieser Sichtweise versucht er herauszufinden, nach welchen Kriterien Widerstandshandlungen später zur Anzeige gebracht werden. Diesem Ansatzpunkt ist zu widersprechen. Es ist, wie noch auszuführen sein wird, zu unterstellen, dass die
herkömmliche Einteilung in ein Hell- und ein Dunkelfeld im Rahmen des
Widerstandsparagrafen gerade kein taugliches Abgrenzungskriterium ist.201
Auch Jäger zweifelt im Endergebnis seine eigene Sichtweise an, indem er darauf
hinweist, dass diese begriffliche Konstruktion noch insofern unbefriedigend sei, als
der Beamte selbst in seiner Eigenschaft als Interaktionsbeteiligter den Widerstand
feststelle202, geht aber dennoch von dem Vorhandensein eines Dunkelfelds aus.
Jäger bezieht in seine Studie auch prophylaktische Anzeigen ein und beziffert
deren Anteil auf mehr als die Hälfte aller Widerstandsanzeigen.203 Dabei bezieht er
sich ohne Angabe von Quellen auf Schätzungen von Praktikern.204 Prophylaktische
Anzeigen werden demnach als Mittel gewählt, um der sog. Normenfalle205 zu entgehen: Eine Verhaltensweise wird auch bzw. nur deswegen zur Anzeige gemäß
§ 113 StGB gebracht, um einer Gegenanzeige durch den als tatverdächtig
Etikettierten z. B. wegen Körperverletzung im Amt (§ 340) zuvorzukommen, die im
Falle der Nichtanzeige des Widerstands auch eine Strafvereitelung im Amt nach sich
199 Behr (2000), S. 190 f.
200 Etwa Jäger (1988), S. 152 f.
201 Siehe unter B. II.
202 Etwa Jäger (1988), S. 152 f.
203 Jäger (1988), S. 316, 326.
204 Jäger (1988), S. 316, Fn. 2.
205 Siehe hierzu auch: Behr (2000), S. 190 f.
57
ziehen kann.206 Die vorgestellten polizeiwissenschaftlichen Studien widmen sich
dem Phänomen der prophylaktischen Anzeigen entweder gar nicht oder nur unzureichend, so dass dieses in der folgenden Studie untersucht wird.
In seiner Befragung konnte Jäger einige die Widerstandsgenese begünstigende
Faktoren ausfindig machen, an die in der vorliegenden Arbeit anzuknüpfen sein
wird. Der Widerstandsübende tritt häufig als Einzelpersonen in Erscheinung. Er ist
mit einem Durchschnittsalter von 28,5 Jahren relativ jung und ist oftmals während
des Widerstandes alkoholisiert, teilweise sogar erheblich. Nichtdeutsche sind bei
diesem Delikt etwas seltener belastet als bei vergleichbaren Delikten. Weiterhin
werden Widerstandshandlungen oft in den Sommermonaten, an Wochenenden, in
den Nachtstunden und vielfach an öffentlichen Orten, aber auch in Wohnungen und
in Veranstaltungszentren verübt.
Der betroffene Polizeibeamte ist im Schnitt nicht älter als 32 Jahre und überwiegend männlich. Bezüglich der Widerstandsmodalitäten findet Jäger heraus, dass
die Einsatzanlässe an zweiter Stelle mit sonstiges, direkt nach Verkehrsdelikten angegeben werden. Daraus lässt sich schließen, dass Konflikte, die als Widerstände
subsumiert werden können, in beliebigen Situationen auftreten. Dafür spricht auch
die Tatsache, dass die Widerstandsmittel häufig körperliche sind, was auf eine gewisse Spontaneität schließen lässt. Nur ein planender Täter führt in der Regel
Waffen mit sich und bringt diese gezielt in seiner Tat zum Einsatz, was allerdings
nicht für Taschenmesser und andere alltagstaugliche Gegenstände gilt.
Bezüglich der polizeilichen Ausbildung geht Jäger von einem vorbildlichen
Höchststand hinsichtlich der Rechtsfächer aus. Er beanstandet jedoch Defizite im
Bereich der verbalen Konfliktvermeidung und -bewältigung in der Aus- und Fortbildung.207 Ob diese Defizite auch heute noch bestehen, ist fraglich. Immerhin liegen
die Erhebungen von Jäger schon mehr als 20 Jahre zurück. Daher werden in der
vorliegenden Arbeit auch aktuelle Daten zur Einschätzung der polizeilichen Ausbildung erhoben.
b) Falk
Der Untersuchungsansatz von Falk ist primärpräventiv. Er benennt einige die
Widerstandsgenese begünstigende Umstände und leitet hieraus Verbesserungsvorschläge für die polizeiliche Aus- und Fortbildung her.
Nach seinen Erkenntnissen finden Widerstandshandlungen häufig auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen oder an sonstigen Orten - insbesondere der Freizeitgestaltung - statt. Zeitlich gesehen sind zumeist Sommermonate, Wochenenden und
die späten Nachmittage bis hin zu den Nachtstunden belastet. Als Einsatzanlässe
werden häufig Verkehrsdelikte, Familien-, Haus- und sonstige Streitigkeiten ge-
206 Jäger (1988), S. 316.
207 Jäger (1988), S. 270.
58
nannt. Die Widerstandsübenden sind zumeist Adressaten der vorangegangenen
Vollstreckungshandlung, nahezu immer männlich, oftmals nicht älter als 30 Jahre,
vielfach - zum Teil auch erheblich - alkoholisiert und handeln überwiegend einzeln.
Die Polizeibeamten sind zumeist nicht älter als 40 Jahre und verfügen häufig über
keine langjährige Streifendiensterfahrung.
Falk stellt ebenso wie Jäger fest, dass die Polizeibeamten oft eigeninitiativ tätig
werden und daher eine polizeiliche Selektion stattfinden könnte. Er geht auch auf
das von Jäger ins Feld geführte Phänomen prophylaktischer Widerstandsanzeigen
ein, misst diesen aber nur eine untergeordnete Bedeutung bei und mutmaßt, dass es
sich um Einzelfälle handeln dürfte. Ob diese Vermutung zutreffend ist, werden die
Ergebnisse der eigenen Studie zeigen.
c) KFN-Studie
Die KFN-Studie ist eine umfassende und aktuelle Erhebung. Zum einen bestätigt sie
die Ergebnisse von Jäger und Falk: Angriffe gegen Polizeibeamte finden oftmals an
Wochenenden, bei tageszeitbedingter Dunkelheit, im öffentlichen Raum, aber auch
in Wohnungen und an Orten statt, die zuvor als ungefährlich galten. Die Widerstandsübenden sind mehrheitlich männlich, zum Teil erheblich alkoholisiert, vielfach bereits polizeibekannt, zwischen 21 und 30 Jahren alt und handeln häufig
einzeln. Nichtdeutsche sind bei Widerstandshandlungen etwas weniger stark belastet
als bei vergleichbaren Delikten. Die Angriffe erfolgen in den meisten Fällen überraschend.208
d) Philipsen
Auch die Studie von Philipsen gelangt zu einigen Erkenntnissen, die für den hier
behandelten Untersuchungsgegenstand von Bedeutung sind. Zunächst stellt er ebenso wie Jäger, Falk und die Autoren der KFN-Studie - fest, dass Widerstandshandlungen vielfach von männlichen Einzelpersonen verübt werden, die zum Zeitpunkt des Konfliktes oftmals unter - teilweise sogar erheblichem - Alkoholeinfluss
standen. Die in den Konflikt verwickelten Polizeibeamten sind überwiegend männlich, wobei diese Feststellung die polizeiliche Personalstruktur nicht berücksichtigt.
Nichtdeutsche sind etwas seltener belastet als bei vergleichbaren Delikten. Es gibt
keine bestimmten Situationen, in denen typischerweise Widerstände verübt werden,
vielmehr kommen alle möglichen Situationen in Betracht. Widerstände finden
häufig unvorhersehbar statt. Insofern werden die Erkenntnisse von Jäger, der KFN-
Studie und Falk bestätigt.
208 KFN-Studie (2003), S. 198.
59
In Abweichung zu den vorherigen Abhandlungen findet Philipsen heraus, dass
die Befragten ihre Ausbildung überwiegend als zufriedenstellend einschätzen.
Fast beiläufig weist er auf die unterschiedliche Verfahrenseinstellungspraxis der
Staatsanwaltschaft in Kiel und Lübeck hin. Von 223 Anzeigen wegen Widerstandes
gegen Vollstreckungsbeamte in Lübeck bezogen auf das Jahr 2003 kommt es dort
nur zu 61 Verurteilungen. In Kiel hingegen folgen im selben Jahr auf 96 Anzeigen
mit einer Anzahl von 58 nahezu gleich viele Verurteilungen.209 Zu unterscheiden
sind zwar einerseits die polizeiliche Mobilisierungsentscheidung und andererseits
die staatsanwaltschaftliche Einstellungspraxis, die nicht Untersuchungsgegenstand
ist. Dennoch ist die Erkenntnis von Philipsen ein wichtiger Ansatzpunkt für die vorliegende Arbeit und wird nachfolgend in der Fragestellung näher betrachtet.
e) Zusammenfassende Synopse zum Stand der Wissenschaft
Die Abbildung 7 gibt eine abschließende Übersicht über die wichtigsten Merkmale
und Inhalte der vorgestellten Abhandlungen.
209 Philipsen (2005), S. 38.
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IV. Zusammenfassung und Ergebnis
Die sozialstrukturellen Daten der untersuchten Städte unterscheiden sich nur teilweise und geringfügig, es liegen keine erheblichen Abweichungen vor, die eine
Vergleichbarkeit abwegig erscheinen lassen.
Die vorgestellten Abhandlungen gehen ätiologisch vor. Es werden nahezu
identische, die Widerstandsgenese begünstigende Faktoren herausgearbeitet. Widerstandsübende sind demnach häufig jung, männlich, während des Tatzeitpunktes, zum Teil auch erheblich - alkoholisiert und vielfach bereits vorbestraft oder zumindest polizeilich in Erscheinung getreten.210 Die Befunde der dargelegten Abhandlungen deuten darauf hin, dass Nichtdeutsche etwas seltener belastet sind als
bei vergleichbaren Delikten. Diese übereinstimmenden Ergebnisse stützen die
eigene Annahme, dass Widerstandsübende im Allgemeinen oftmals wiederkehrende
Merkmale aufweisen und daher auch in allen drei untersuchten Städten als
vergleichbar anzusehen sind. Diese Merkmale werden auch anhand des eigenen
Fragebogens überprüft, so dass ein regionaler Bezug hergestellt wird. Dass sich
diese Erkenntnisse auch zum Teil aus der Polizeilichen Kriminalstatistik und dem
Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht ergeben, wird bei der Auswertung der
eigenen empirischen Ergebnisse im 3. Kapitel unter B. VI. dargelegt.
Die bisherigen Abhandlungen haben hauptsächlich die Ätiologie des Deliktes,
nicht aber die Etikettierung bestimmter Verhaltensweisen untersucht. Insbesondere
bleibt unklar, warum in verschiedenen Städten eine unterschiedlich hohe Belastung
im Hellfeld gezählt wird.
B. Rechtliche Grundlagen zu § 113 StGB
Der Straftatbestand des § 113 StGB ist im sechsten Abschnitt des StGB Widerstand
gegen die Staatsgewalt eingegliedert. Er wurde durch das 3. Strafrechtsreformgesetz
vom 20.5.1970 neu gefasst. Nach § 113 Abs. 1 StGB macht sich derjenige strafbar,
der einem Amtsträger oder einem Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung
von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer Vollstreckungshandlung mit Gewalt
oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder den Amtsträger tätlich angreift. Wer Amtsträger in diesem Sinne ist, ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB
und wer Soldat ist aus § 1 Abs. 1 Soldatengesetz. § 114 StGB erweitert den persönlichen Schutzbereich des § 113 StGB, indem er Vollstreckungshandlungen von
Personen gleichstellt, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder
solchen Personen, die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne jedoch
210 Siehe zu den Tatverdächtigenmerkmalen bei Widerstandsübenden auch Schmickler (1996),
S. 7 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit knüpft an das irritierende Faktum an, dass in der Hansestadt Lübeck zumindest in den Jahren 1999 bis 2004, aber auch noch aktuell, deutlich mehr Delikte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB registriert worden sind als in Kiel. Dennoch ist die Zahl der Verurteilten nahezu gleich. Es liegt die Vermutung nahe, dass nur mehr Widerstände thematisiert werden als verurteilt.
Bisher vorhandene Studien zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen zumeist ätiologisch vor. Sie liefern keine Erklärung für das unterschiedliche Registrierungsverhalten, aber wichtige Vorerkenntnisse über die zu erwartenden Konflikte und sozialen Besonderheiten der „widerständigen“ Personen.
Die Arbeit knüpft an diese Erkenntnisse an, überprüft sie bezüglich ihrer Aktualität und stellt einen eigenen vollständigen theoretischen Ansatz auf. Dieser kriminalsoziologische Ansatz unterscheidet zwischen Wahrnehmung eines Konfliktes, Thematisierung des Konfliktes und Mobilisierung des Widerstandsparagrafen. Die Datenerhebung erfolgte per schriftlicher Befragung mit Interviews bei 300 Polizeibeamtinnen und -beamten. Einbezogen wurden Kiel, Lübeck und – des regionalen Vergleichs wegen – die sozialstrukturell vergleichbare Stadt Mannheim. Abgefragt wurden zahlreiche Konfliktkonstellationen und Einflussfaktoren, solche wie Geschlecht, Diensterfahrung und Dienstgrad. Die Arbeit wertet die Daten umfangreich auf unterschiedliche Reaktionsmuster hin aus.