V. Ergebnis – Umweltverträglichkeit als Programmsatz
Das Umweltverträglichkeitsziel wie auch die anderen Ziele des § 1 EnWG sind
mehr als nur politisches Ziel, sie sind ein Zweckprogramm. Da die Ziele möglichst
weitgehend zu verwirklichen sind, verkörpern sie Optimierungsgebote. Dabei stehen
die Mittel zur Zweckerreichung nicht frei, sondern der Anwender kann über den
Auslegungsspielraum der speziellen Normen des EnWG nicht hinausgehen. Die Ziele des § 1 EnWG lassen sich auch als Rechtsprinzipien des EnWG einordnen.
D. Rechtswirkung im Rahmen von Ermessensentscheidungen
§ 1 EnWG selbst bietet keine Grundlage für Entscheidungen der öffentlichen Gewalt, weil keine Rechtsfolge bestimmbar ist, die eine Entscheidung zugunsten oder
zulasten von Einzelpersonen ermöglichen könnte.140 Fraglich ist, in welcher Weise
das Umweltverträglichkeitsziel Ermessensentscheidungen im Rahmen des EnWG
beeinflussen kann. Hier sollen zunächst das einfache Verwaltungsermessen (II.) untersucht werden und dann die Sonderformen Planungsermessen (III.) und Verordnungsermessen (IV.). Da die Ermessensentscheidungen im Rahmen des EnWG auch
die Netzregulierung betreffen, muss auch untersucht werden, inwieweit im Rahmen
der Regulierung das Gesetzesziel Umweltverträglichkeit beachtet werden muss
(V.).141
I. Einfaches Verwaltungsermessen
Wesentliches Merkmal einer Ermessensnorm ist ihre partielle Offenheit auf der
Rechtsfolgenseite.142 Durch Einräumen eines Ermessens ermöglicht der Gesetzgeber,
der nur abstrakt-generelle Normen schaffen kann, billige konkrete Entscheidungen,
das heißt Einzelfallgerechtigkeit.143 Wird einer Behörde das einfache Ermessen er-
öffnet, so kann sie im Rahmen der Vorgaben des gesetzlichen Tatbestands zwischen
mehreren Rechtsfolgen die sachgerechteste wählen. Die Behörde ist bei der Aus-
140 Siehe S. 144 unter Nr. II.
141Darüber hinaus gibt es zahlreiche andere Formen der Ermessensausübung wie zum Beispiel das
Gesetzgebungsermessen, das richterliche Ermessen oder das Vollzugsermessen. Dazu Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10 Rn. 10;
Schmidt-Aßmann, Allg. Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 53.
142Hain/Schlette/Schmitz, Ermessen und Ermessensreduktion, AöR 122, S. 33, 39; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 7. Kritisch Jestaedt, in: Erichsen/Ehlers (Hg.), Allgemeines
Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 55, demnach unter Ermessen die „rechtsfolgenbezogene Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung“ zu verstehen sei. In diesem Zusammenhang entsteht
durch die Definition allerdings kein Widerspruch. Lediglich die Perspektive ist eine andere, indem das Ermessen von der gerichtlichen Überprüfbarkeit aus definiert wird. Siehe dazu S. 157
unter Nr. 3.
143Hain/Schlette/Schmitz, Ermessen und Ermessensreduktion, AöR 122, S. 33, 35.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit dem Gesetzesziel „Umweltverträglichkeit“ des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Autor reduziert das Gesetzesziel auf eine Definition mit wenigen Kriterien. Ferner wird die Rechtsqualität von Ziel- und Zweckbestimmungen untersucht. Umwelteinwirkungen der Energieversorgung werden aufgezeigt – insbesondere in welchem Umfang Netztechnik, Struktur und Steuerung der Netze Auswirkungen auf die Umwelt haben. Umweltverträglicher Netzbetrieb bedeutet so beispielsweise die möglichst weitgehende Einbindung dezentraler Erzeuger und eine effiziente Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Schließlich werden Beispiele gebildet, um zu zeigen, inwieweit „Umweltverträglichkeit“ in Abwägung mit den anderen Zielbestimmungen des EnWG Auswirkung bei der Auslegung des Energiewirtschaftsrechts haben kann. So wird unter anderem deutlich, dass „Netzausbau“ unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit nicht nur den Bau neuer Leitungen, sondern auch das Überwachen der Temperatur der bestehenden Leitung bedeuten kann.