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Zusammenfassung und Fazit
Insgesamt lässt sich die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von
Sozial- und Vergaberecht dahingehend beantworten, dass zwischen beiden Rechtsmaterien kein unauflöslicher Gegensatz besteht, sondern dass sie vielmehr ineinandergreifen und sich gegenseitig ergänzen.
Die einschlägigen Rechtsgrundlagen für soziale Dienstleistungen liegen in den
nationalen zwölf Büchern des Sozialgesetzbuches. Das Vergaberecht ist hingegen
im Unterschwellenbereich nationales Haushaltsrecht und im Bereich oberhalb der
Schwellenwerte in nationales Recht umgesetztes Gemeinschaftsrecht. Beide
Rechtsmaterien schließen sich nicht von vornherein aufgrund einander entgegenstehender Grundsätze aus.
Das Kartellvergaberecht findet immer Anwendung, wenn öffentliche Auftraggeber öffentliche Aufträge abschließen und diese die entsprechenden Schwellenwerte
erreichen oder übersteigen. Im Bereich des Sozialrechts ist der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts immer eröffnet, weil alle Sozialleistungsträger
öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sind. Im Ergebnis sind die
Bundesagentur für Arbeit, die Kreise, kreisfreien Städte und kreisangehörigen Gemeinden, die Krankenkassen, die Träger der Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung und dementsprechend auch die Rehabilitationsträger öffentliche Auftraggeber
im Sinne des Vergaberechts.
Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts ist im Rahmen der sozialrechtlichen Leistungserbringung allerdings nur teilweise in einigen Sozialleistungsbereichen eröffnet. Immer dann, wenn die Sozialleistungsträger entgeltliche Beschaffungsverträge und damit öffentliche Aufträge mit Sozialleistungserbringern
abschließen, sind sie zwingend an die Vorgaben des Kartellvergaberechts gebunden.
Indes schreibt das Gesetz nur an wenigen Stellen ausdrücklich vor, dass die Leistungserbringungsverträge zwingend entgeltliche öffentliche Aufträge sein müssen.
Insgesamt sind die Sozialleistungsträger immer dann an die Vorgaben des Kartellvergaberechts gebunden, wenn sie im Vorhinein eine feste Vergütung mit den Sozialleistungserbringern vereinbaren. Aber auch wenn ein Sozialleistungsträger auf
einen Sozialleistungsberechtigten dahingehend Einfluss ausübt, dass der Sozialleistungsberechtigte diejenige soziale Dienstleistung auswählt, die der Sozialleistungsträger vorgibt, findet das Kartellvergaberecht Anwendung.
Im Einzelnen sind folgende Leistungserbringungsverträge als öffentliche Aufträge im Sinne des Vergaberechts zu qualifizieren: Verträge mit Personal-Service-
Agenturen nach § 37 c SGB III, die Beauftragung Dritter nach § 37 SGB III, die
Beauftragung von Trägern nach § 421 i SGB III, Berufsbildungs- und Ausbildungsmaßnahmen sowie im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Verträge
nach § 17 Abs. 2 SGB II. Je nach konkreter Ausgestaltung sind die Hilfsmittelver-
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sorgung und die Individualverträge bei ärztlicher Versorgung ebenfalls als öffentliche Aufträge zu qualifizieren. Auch bei Rabattverträgen handelt es sich um einen
vergaberechtlichen öffentlichen Auftrag. Darüber hinaus liegen in den Leistungen
der Haushaltshilfe, der Soziotherapie, den sozialmedizinischen Nachsorgemaßnahmen, den Krankentransportleistungen und den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entgeltliche öffentliche Aufträge im Sinne des Vergaberechts vor.
Sind es hingegen die Sozialleistungsberechtigten, die den Leistungserbringer im
Einzelfall konkret auswählen und mit der Leistungserbringung beauftragen, erhalten
die Leistungserbringer ihre Vergütung erst nach tatsächlicher Inanspruchnahme
durch den Sozialleistungsberechtigten. Ein vergaberechtlicher öffentlicher Auftrag
liegt in solchen Fällen nicht vor, weil der Leistungserbringer selbst das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt und im Wettbewerb um die meisten Sozialleistungsberechtigten steht. Diese Konstellationen sind vielmehr als Dienstleistungskonzessionen zu beurteilen.
Dienstleistungskonzessionen liegen in folgenden sozialrechtlichen Fällen vor: Im
Rahmen der Arbeitssicherung werden lediglich bei Maßnahmen der beruflichen
Weiterbildungsförderung nach §§ 77 ff. SGB III Dienstleistungskonzessionen abgeschlossenen. Die Verträge nach §§ 77, 78 a ff. SGB VIII, 75 bis 81 SGB XII gestalten sich ebenfalls als Dienstleistungskonzessionen. Die Kollektivverträge im Rahmen der ärztlichen Versorgung, die Krankenhausbehandlung, die Arznei-, Verbandund Heilmittelversorgung, die Heilbehandlung nach §§ 27 ff. SGB VII und die Leistungen bei Pflege stellen schließlich ebenfalls Dienstleistungskonzessionen dar.
Die Vergabe von Dienstleistungskonzession findet außerhalb der EG-Vergaberichtlinien und des Kartellvergaberechts statt und richtet sich lediglich nach den
Vorgaben des Vergabeprimärrechts. Die sozialen Dienstleistungen, für die der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet ist, sind als nicht-prioritäre
Dienstleistungen in lediglich beschränktem Umfang an die vergaberechtlichen Vorgaben gebunden, weil für sie kein förmliches Vergabeverfahren vorgesehen ist. Die
Ausdehnung des Vergabeprimärrechts auf nicht-prioritäre Dienstleistungen, wie der
EuGH unter anderem in der Rechtssache Contse entschied, überzeugt jedoch nicht,
weil die Vergaberichtlinien abschließend die zu beachtenden Vorgaben nennen.
Eine Beachtung der vergaberechtlichen Vorschriften führt bei den betroffenen
Sozialleistungsträgern zu wirtschaftlicheren Verträgen, weil mit Hilfe des Vergaberechts das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis gefunden werden kann. Ohne die
Durchführung eines Wettbewerbes kann schließlich nur schwer die Wirtschaftlichkeit des Handelns überprüft werden. Die Gefahr, dass die Qualität der angebotenen
Leistungen aufgrund von Kosteneinsparungen sinkt, wird damit gemindert. Dafür
dürfen sich die Sozialleistungsträger jedoch bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen nicht ausschließlich am Preis der angebotenen Leistung orientieren. Auf diese
Weise können den Sozialleistungsberechtigten qualitativ zufrieden stellende soziale
Dienstleistungen zu optimalen Preisen angeboten werden. Die betroffenen Sozialleistungsträger müssen insgesamt nur geringfügige vergaberechtliche Vorgaben
beachten, so dass die Risiken bei Nichtbeachtung dieser Vorgaben um einiges höher
sind. Insgesamt ist daher den Sozialleistungsträgern zu empfehlen, die bei nicht-
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prioritären Dienstleistungen wenigen vergaberechtlichen Vorschriften einzuhalten,
damit sie nicht unnötigerweise die Wirksamkeit der abgeschlossenen Verträge riskieren. Bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen müssen die Sozialleistungsträger hingegen die Vorgaben des Vergabeprimärrechts beachten.
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References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.