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die ihm unterworfenen Rechtsträger konstitutive, rechtsbegründende Wirkung.370
Das System der Normativbestimmungen erstreckt sich auf „körperschaftlich organisierte Personenverbindungen“ und den „einem besonderen Zwecke gewidmeten und
selbständigen Anstalten“. Art. 52 Abs. 1 ZGB fordert daher die Eintragung in das
Handelsregister.371 Bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten, Vereinen sowie kirchlichen Stiftungen und Familienstiftungen kommt hingegen das System der freien Körperschaftsbildung zur Anwendung.372 Das Fehlen der Publizität
führt zwar zur einschränkenden Auslegung der Vorschriften, die einen Weg zur Erlangung der Rechtspersönlichkeit über das System der freien Körperschaftsbildung
ermöglichen.373 Gleichwohl wird durch die - wenn auch begrenzte - Anwendung des
Systems der freien Körperschaftsbildung offenbar, dass die Publizität nicht immer
Voraussetzung der Rechtspersönlichkeit sein muss. Allein diese gesetzlichen Vorgaben führen schon zur Möglichkeit parteifähiger Gebilde auch ohne Handelsregistereintragung.
IV. Rechts- und Parteifähigkeit von Personengesellschaften
Für die wirtschaftlich bedeutsamen Gesellschaftsformen stellt das System der Normativbestimmungen hohe Hürden zur Erlangung der Rechtspersönlichkeit. Die Personengesellschaften erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Ihnen ist zwar die
Rechtspersönlichkeit in ihrem traditionellen Verständnis versagt, andererseits stellt
sich das Problem, in welcher Weise ihnen materiell Rechtsfähigkeit und prozessual
die Parteifähigkeit zukommt.
1. Kollektiv- und Kommanditgesellschaft
Als erstes soll auf die Kollektiv- und Kommanditgesellschaft eingegangen werden.
Die Frage der Rechtsfähigkeit hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt,374
369 WEBER, SPR II/4, S. 93.
370 WEBER, SPR II/4, S. 93 m.w.N.
371 Bei den „Personenvereinigungen“ i.S.v. § 50 Abs. 1 ZGB handelt es sich um die Körperschaften des Obligationenrechts (AG: Art. 643 Abs. 1 OR; Kommandit-AG: Art. 764 Abs. 2
OR; GmbH: Art. 783 Abs. 1 OR; Genossenschaft: Art. 838 Abs. 1 OR). Dazu WEBER, SPR
II/4, S. 93.
372 WEBER, SPR II/4, S. 94.
373 WEBER, SPR II/4, S. 95.
374 Das altOR von 1881 schwieg über die Frage der Rechtspersönlichkeit der Kollektivgesellschaft. Auch nach der Reform des Gesellschaftsrechts von 1936 wurde diese Frage nicht geregelt, obwohl der Entwurf Huber vorsah, die Kollektivgesellschaft ausdrücklich als Handelsgesellschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit zu bezeichnen. Vgl. hierzu MAYER-
HAYOZ/FORSTMOSER, GesR, § 13, Rz. 16ff.; sowie HOLENSTEIN, Stellung, S. 82.
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weswegen sie schon immer lebhaft umstritten gewesen ist.375 Während der überwiegende Teil der Literatur376 und die Rechtsprechung377 die Rechtsfähigkeit der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft verneint, gibt es auch Stimmen, die sich für eine
Art Teilrechtsfähigkeit aussprechen.378 Auch die Kategorie der „teilrechtsfähigen
Personengesellschaft“ ist äußerst streitig379 und wird zumeist abgelehnt. Würden
nichtrechtsfähige Gebilde aufgrund des Gesetzeswortlauts als berechtigt oder verpflichtet bezeichnet, so sei dies bloß eine besondere Art der Bezugnahme auf die
hinter den Gebilden stehenden Personen.380
Diese Unsicherheiten im materiellen Recht setzen sich auch im Prozessrecht fort.
Die Parteifähigkeit wird der Kollektivgesellschaft- und Kommanditgesellschaft zwar
zugesprochen,381 doch ist man sich unschlüssig, ob es sich dabei um eine „materielle
oder bloß formelle“ Parteifähigkeit handelt.382
Bei Versagung der Rechtsfähigkeit wird eine „formelle Parteifähigkeit“383 konstruiert, die sich auf Art. 562 und 602 OR stützt.384 Wenn die Gesellschafter gemeinsam unter der Firma klagen oder beklagt werden, so nähmen sie nur „scheinbar“ eine Parteifähigkeit in Anspruch.385 Die Firma sei nur der Schild, unter dem sie vor
Gericht auftreten.386 Andererseits geht die formelle Parteifähigkeit über die reine
Parteibezeichnung hinaus. Eine bloße Parteibezeichnung würde eine notwendige
Streitgenossenschaft lediglich tarnen, da sich der Mitgliederwechsel der Gesellschaft
auf rechtshängige Prozesse nicht auswirkt und Prozesse zwischen der Gesellschaft
und den einzelnen Gesellschaftern möglich sind.387 Da man sich in der Frage der
Zuerkennung der Parteifähigkeit im Ergebnis weitgehend einig ist, wird die prakti-
375 MAYER-HAYOZ/FORSTMOSER, GesR, § 2, Rz. 59 m.w.N. u. § 13, Rz. 16ff.
376 MAYER-HAYOZ/FORSTMOSER, GesR, § 2, Rz. 58ff.; BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 49;
FRANK/STRÄULI/MESSMER, ZPO Zürich, §§ 27/28, Rz. 4a; STAEHELIN/SUTTER, ZPR Basel,
S. 78; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, ZPO St. Gallen, Art. 38, Rn. 4a.
377 BGE 95 II 549 f E 2 u. 116 II 652: „keine oder keine volle Rechtsfähigkeit als juristische
Person“.
378 GAUCH, Zweigbetrieb, Rz. 539; GUHL/KOLLER/SCHNYDER/DRUEY, OR, § 63, Rz. 30:
„…die Kollektivgesellschaft [ist] kein Rechtssubjekt.“; V. STEIGER, SPR VIII/1, S. 528ff.
379 MAYER-HAYOZ/FORSTMOSER, GesR, § 2, Rz. 58 m.w.N.
380 BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 65; WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, S.130.
381 BSK OR II-PESTALOZZI/WETTENSCHWILER, Art. 562, Rz. 5; BK-BUCHER, ZGB, Art. 11,
Rz. 81; GULDENER, Zivilprozessrecht, S. 125f.
382 HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 158.
383 Der Begriff der „formellen“ Parteifähigkeit wird im schweizerischen Schriftum wohl seit
SCHURTER/FRITZSCHE, Zivilprozessrecht, S. 486, gebraucht.
384 BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 81; Bühler/Edelmann/Killer-BÜHLER, ZPO Aargau, § 47,
Rz. 4.
385 WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, § 8, Rz. 1; Bühler/Edelmann/Killer-BÜHLER, ZPO
Aargau, § 47, Rz. 4.
386 WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, § 8, Rz. 1; Bühler/Edelmann/Killer-BÜHLER, ZPO
Aargau, § 47, Rz. 4.
387 Vgl. STRÄULI/MESSMER, Zivilprozessordnung, § 27/28, Rz. 2.
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sche Relevanz der Frage des Wesens der Parteifähigkeit jedenfalls bei der Kollektivund Kommanditgesellschaft als gering eingeschätzt.388
2. Einfache Gesellschaft
Die h.L. in der Schweiz spricht der einfachen Gesellschaft, sowohl in der Form der
Gesamthandschaft als auch der Bruchteilsgemeinschaft, die Rechtsfähigkeit gänzlich
ab.389 Die Zuerkennung der passiven Rechtsfähigkeit wäre aufgrund von
Art. 544 Abs. 3 OR wohl auch nicht möglich.390 Damit einhergehend versagt sowohl
die Literatur391 als auch die Rechtsprechung392 der einfachen Gesellschaft die aktive
und passive Parteifähigkeit. Eine Klage kann daher auch nicht im Namen der Gesellschaft oder gegen die Gesellschaft eingereicht werden.393
Die Problematik der formellen Betrachtungsweise tritt in der Entscheidung
ZR 81 Nr. 26394 deutlich zu Tage. Im Anschluss an ZR 58 Nr. 68 wird festgestellt,
dass es sich bei der Parteifähigkeit der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft um
eine rein formelle Parteifähigkeit im obigen Sinne handele. Infolgedessen trete auch
kein Parteiwechsel ein, wenn eine einfache Gesellschaft sich während eines rechtshängigen Prozesses in eine Kollektivgesellschaft umwandele. Vielmehr wechsle nur
der Name der Partei. Obwohl in einem obiter dictum die Parteiunfähigkeit der einfachen Gesellschaft als unbestritten bezeichnet wird, findet sich weiter die Formulierung, Rechtsträger und Prozesspartei bleibe die Gesellschaft zur gesamten Hand.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Konstruktion der h.L. auf Widerspruch
stößt, die für die Kollektiv- und Kommanditgesellschaft die Ablehnung der Rechtsfähigkeit mit einer formellen Parteifähigkeit kombiniert. Gefordert wird eine Anerkennung der teilweisen Rechtsfähigkeit der Gesellschaft zur ganzen Hand.395 Dies
ist die notwendige Konsequenz der Defizite, die der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit immanent sind.
388 Vgl. HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 158 m.w.N.
389 BSK OR II-HANDSCHIN, Art. 530, Rz. 6 m.w.N.; MAYER-HAYOZ/FORSTMOSER, GesR,
§ 12, Rz. 15; VOGEL/SPÜHLER, Grundriss, § 25, Rz. 13 GAUCH, Zweigbetrieb, Rz. 539; aA
HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 146
390 HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 146.
391 VONZUN, Rechtsnatur, S. 222; VOGEL/SPÜHLER, GRUNDRISS, § 25, Rz. 13; WALDER-
BOHNER, Zivilprozessrecht, § 8, Rz. 5; MAYER-HAYOZ/FORSTMOSER, GesR, § 12, Rz. 15.
392 BGE 96 III 100f.; ZR 81 Nr. 26; vgl. auch FRANK/STRÄULI/MESSMER, ZPO Zürich,
§§ 27/28, Rz. 17ff.
393 BGE 100 Ia 392ff.: Keine Legitimation einfacher Gesellschaften zur staatsrechtlichen Beschwerde.
394 ZR 81 Nr. 26.
395 HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 162.
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3. Würdigung
Auch in der Schweiz wird eine Fortentwicklung der Gesamthandsgesellschaften
sichtbar, die immer mehr von einer Verselbständigung ausgeht. Besonders interessant ist der unterschiedliche Einfluss von materiellem und prozessualem Recht auf
diese Rechtsentwicklung. In der Schweiz scheint die Akzeptanz der Parteifähigkeit
von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften das ausschlaggebende Moment der
Fortentwicklung zu sein, während im Gegensatz zu Deutschland das materielle
Recht sich als eher bremsender Faktor erweist. Es ist im Schwerpunkt die Frage der
Rechtsfähigkeit von Gesellschaften zur gesamten Hand, die Unsicherheiten erkennen lässt.
Aus dem Umstand, dass es überhaupt erst zu einem Auseinanderfallen der
Rechts- und Parteifähigkeit kam und die Zusammenhänge zwischen Sachlegitimation und Parteifähigkeit dabei keine Beachtung fanden, schließt HÄFLIGER,396 dass
sich der Kreis der von materiellem Recht bestimmten Rechtssubjekte, nämlich natürlichen und juristischen Personen, für die Bedürfnisse des Prozessrechts als zu eng
erwiesen habe. Der Parteifähigkeitsbegriff sei aus praktischen Gründen auf nicht
rechtsfähige Gebilde erstreckt worden.397 Bei diesem Vorgang der Emanzipation habe das Prozessrecht auf ein „widerspruchsloses Begriffsystem verzichtet.“398 Der
status quo ist daher durch Brüche zwischen prozessualem und materiellem Recht
gekennzeichnet.
IV. Kapitalgesellschaften im Gründungsstadium
Mit Errichtung der Kapitalgesellschaft, tritt diese in das so bezeichnete Entstehungsstadium ein.399 Die Rechtspersönlichkeit wird ihr noch nicht zugestanden, vielmehr
fehlt es insbesondere noch an der Eintragung im Handelsregister.400
1. Rechtsfähigkeit und Wesen
Solange das Gesetz nicht besondere Normen für das Gründungsstadium von juristischen Personen bereithält, geht die h.L.401 und die Rechtsprechung402 davon aus,
dass die juristische Person in Gründung als einfache Gesellschaft besteht. Nur für
den Verein ist die Anwendung des Rechts der einfachen Gesellschaft während des
396 HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 10.
397 BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 32.
398 HÄFLIGER, Parteifähigkeit, S. 10.
399 FORSTMOSER/MAYER-HAYOZ/NOBEL, Schweizer Aktienrecht, § 13, Rz. 24.
400 Vgl. hierzu FORSTMOSER/MAYER-HAYOZ/NOBEL, Schweizer Aktienrecht, § 16.
401 FORSTMOSER/MAYER-HAYOZ/NOBEL, Schweizer Aktienrecht, § 13, Rz. 25.
402 BGE 85 I 131; BGE 102 II 423.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.