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II. Beeinflussung der Parteifähigkeit durch die Entwicklung
der Prozessführungsbefugnis?
Der Übergang vom materiellen zum formellen Parteibegriff führte nicht dazu, dass
die materiell-rechtlichen Bezüge aus der Zulässigkeitsprüfung entfielen.265 Der Ausschluss der Popularklage wurde als vorheriges Element des Parteibegriffs auf das
Erfordernis der Prozessführungsbefugnis ausgelagert.266 Die Parteifähigkeit, die neben der Prozessführungsbefugnis in Anlehnung an HENCKELS Ausdrucksweise267
gleichsam als „drittes Element“ des Parteibegriffs aufgefasst werden kann, wurde
durch diese Verlagerung nicht in ihrer Funktion der Konkretisierung des Rechtsschutzbedürfnisses berührt.268 Es verwundert daher nicht, dass HELLWIG269 trotz seines Bekenntnisses zum formellen Parteibegriff weiter an dieser Funktion der Parteifähigkeit festhält.270 Die Ansicht, die die Parteifähigkeit allein dem Prozessrecht
unterstellt, geht hier einen Schritt weiter. Das Institut der Prozessführungsbefugnis
führe dazu, dass die Partei nicht selbst zur Sache legitimiert sein müsse. Sei jedoch
die Sachlegitimation nicht notwendig, so setze die Parteifähigkeit auch nicht die Eigenschaft als Rechtsträger voraus. Das Rechtsschutzbedürfnis könne nicht deshalb
bezweifelt werden, weil eine Partei ihrer Struktur nach nicht sachlegitimiert sein
kann.271
Dagegen spricht aber, dass es für die Prozessführungsbefugnis gerade darauf ankommt, dass die Partei nach materiellem Recht über den Streitgegenstand verfügen
kann.272 Diese Verbindung mit dem materiellen Recht hat ihre Ursache in der verfügungsgleichen Wirkung des Urteils.273 Ein Verfahrenssubjekt, welches keine Entsprechung im materiellen Recht hat, kann gerade keine materielle Verfügungsbefugnis innehaben. Die Prozessführung lässt sich somit als „Spiegelbild der Geschäftsführung“274 begreifen.
Misst man der Prozessführungsbefugnis trotzdem im Hinblick auf die Subjekteigenschaft eine Ausgleichsfunktion zwischen materiellem und prozessualem Recht
zu, stellen sich weitere Probleme. Unklar ist z.B., auf wen die Prozessführungsbefugnis verweisen soll, wenn ein teilrechtsfähiges Gebilde als materieller Rechtsträger zur Verfügung steht. Die Versagung der Parteifähigkeit ist hier nur eine Seite der
Medaille. Gleichzeitig muss auch die Frage beantwortet werden, wer an der Stelle
des „verhinderten“ Rechtsträgers prozessführungsbefugt sein soll. Ein Verweis auf
265 HÜFFER, FS Stimpel, S. 165, 170.
266 HÜFFER, FS Stimpel, S. 165, 170.
267 Vgl. HENKEL, Parteilehre, S. 17.
268 Hierzu schon unter Geltung des materiellen Parteibegriffs: WACH, HdB. CPR, § 46 I 2.
269 HELLWIG, Lehrbuch Bd. 1, § 68 I.
270 SCHEMMANN sieht dies als widersprüchlich an: Parteifähigkeit, S. 26.
271 So SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 26; zur „formellen Parteifähigkeit“ auch HUBER, ZZP
82 (1969), 241.
272 BGHZ 31, 279, 281.
273 HECKEL, Parteilehre, S. 107.
274 WERTENBRUCH, Haftung, S. 319.
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die Gesellschafter ist rechtfertigungsbedürftig,275 wenn man sie nicht mehr als Träger des streitbefangenen Rechtsverhältnisses ansieht. Mit anderen Worten haben die
Gesellschafter nicht schon deswegen die Stellung der richtigen Partei inne, weil die
Gesellschaft zwar teilrechtsfähig ist, es ihr aber andererseits an der Parteifähigkeit
mangelt.276
Paradigmatisch für diese Konstellation wäre die rechtsfähige Außen-GbR. Hier
ließe sich, zumindest bei Passivprozessen der GbR, eine Prozessführungsbefugnis
mangels eines Falles einer anerkannten gesetzlichen Prozessstandschaft nur auf eine
Rechtsanalogie stützen. Die gesetzlich geregelten Fälle der Prozessstandschaft sind
dadurch charakterisiert, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht bei einem Rechtsträger liegt.277 Eine solche Aufspaltung läge hier jedoch nicht vor.278
Die Regelung der materiellrechtlichen Verfügungsbefugnis würde im Prozess ebenfalls ignoriert und würde so einzelnen Gesellschaftern durch das Recht auf Vornahme von Prozesshandlungen Einfluss gewähren, der ihnen nach materiellem
Recht u.U. nicht in diesem Ausmaß zustünde. Eine Ausgleichsfunktion kann die
Prozessführungsbefugnis nicht Einnehmen. Sie vermag die aus der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit resultierenden Brüche nicht zu überbrücken.
Insbesondere die Anerkennung von Rechtsträgern jenseits der juristischen Personen
stellt diese Ansicht vor Probleme, die nicht mit der Prozessführungsbefugnis gelöst
werden können.
III. Schlussfolgerungen
Die materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit ist sowohl mit dem materiellen als auch formellen Parteibegriff zu vereinbaren. Das prozessuale Verständnis
der Parteifähigkeit, welches davon ausgeht, dass die Parteifähigkeit nicht die Rechtsträgerschaft voraussetzt,279 führt zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen materiellem und prozessualem Recht, die über die reine Formalisierung des Parteibegriffes
hinausgeht. Die materiellen Elemente des Parteibegriffes wurden innerhalb der Zulässigkeit zwar auf die Prozessführungsbefugnis verlagert. Es ist jedoch nicht denknotwendig, diese Verlagerung auch in Bezug auf die Subjekteigenschaft nachzuvollziehen.280 Vielmehr wird durch die prozessrechtliche Qualifikation eine Vielzahl
von Folgeproblemen geschaffen, die bisher keiner überzeugenden Lösung zugeführt
worden sind. Die materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit besinnt sich
wieder auf die ursprüngliche Aufgabe der Prozessführungsbefugnis, Popularklagen
275 HÜFFER, FS Stimpel, S. 165, 170.
276 HÜFFER, FS Stimpel, S. 165, 170.
277 HENCKEL, Parteilehre, S. 42ff.
278 HÜFFER, FS Stimpel, S. 165, 173.
279 So aber SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 26: „Partei, die ihrer Struktur nach schon nicht
sachlegitimiert sein kann“.
280 Entgegen SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 26.
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.