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III.) Die High Level Group of Company Law Experts (HLG)
1.) Abschlussbericht der HLG
Im Herbst 2001 setzte die Europäische Kommission die High Level Group of Company Law Experts (HLG) ein, die sich umfassend mit den Prioritäten für eine Modernisierung des EU-Gesellschaftsrechts auseinandersetzte. Auf der Basis eines
umfassenden Fragenkatalogs und hierzu eingegangener Stellungnahmen1140 veröffentlichte die HLG im November 2002 ihren Abschlussbericht. Hierin wurde die
Konzentration des europäischen Gesellschaftsrechts auf den Schutz von Gesellschaftern und Dritten sowie auf die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen
betont1141. In dem Kapitel zum Thema „Kapitalbildung und -erhaltung“1142 befasst
sich der Bericht auch mit dem Erwerb eigener Aktien. Der Aktienrückerwerb solle
nicht auf einen „völlig willkürlichen“ Prozentsatz des gezeichneten Kapitals begrenzt, sondern vielmehr innerhalb der Grenzen der ausschüttungsfähigen Rücklagen erlaubt werden1143. Jedoch betonte die HLG auch, dass eine Deregulierung auch
die Notwendigkeit der Verhinderung von Marktmanipulationen hervorrufe; dieser
Gefahr solle im Zusammenhang mit der (zu diesem Zeitpunkt noch in der zweiten
Lesung im Parlament befindlichen) Marktmissbrauchsrichtlinie entgegengewirkt
werden1144.
2.) Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law
Der Aufforderung der Kommission zur Abgabe von Stellungnahmen zum Bericht
der HLG folgte auch die deutsche Expertengruppe1145. Zum Erwerb eigener Aktien
führte sie aus, dass sich eine Aufgabe der geltenden 10 %-igen Erwerbs-
Höchstgrenze vorerst nicht empfehle1146. Zwar sei die Volumengrenze angesichts
der Pflicht zur bilanzrechtlichen Neutralisierung weder zum Schutz der Gläubiger
notwendig, noch könne sie kaum mehr als nur ansatzweise eine Gleichbehandlung
der Aktionäre gewährleisten. Es sei jedoch zu bedenken, dass der Aktienrückerwerb
1140 So auch „Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Stellungnahme der Group
of German Experts on Corporate Law zum Konsultationsdokument der High Level Group of
Experts on Corporate Law“, abgedruckt in ZIP 2002, Seite 1310 ff.
1141 Bericht der HLG, S. 4.
1142 Primär ging es in diesem Zusammenhang um die Frage nach einer Modifizierung des geltenden Mindestnennbetrag-Systems.
1143 Bericht der HLG, S. 91 f.
1144 Bericht der HLG, S. 92.
1145 Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Stellungnahme der Arbeitsgruppe
Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of Experts on Corporate Law) zum Report of the
High Level Group of Company Law Experts on a modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, ZIP 2003, 863 ff.
1146 Stellungnahme der deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG, ZIP 2003, 863, 873.
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über ein hohes Kurs- und Marktpreis-Manipulationspotential verfüge, gegenüber
dem die Volumengrenze einen nicht zu unterschätzenden Schutzwall bilden könne.
Außerdem müsse sich die (in diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht erlassene)
Marktmissbrauchsrichtlinie durch eine enge Ausgestaltung des safe harbour den
Manipulationsgefahren annehmen, welche sich in jüngerer Zeit insbesondere in
Fällen belegen ließen, in denen Vorstandsmitglieder durch Aktienoptionsprogramme
persönlich von hohen Kursen profitieren würden. Eine Beibehaltung der 10 %-
Grenze zum Erwerb eigener Aktien empfehle sich in wertender Abstimmung mit
einer solchen kapitalmarktrechtlichen Wertung. Statt einer Aufgabe der Volumengrenze seien vielmehr einheitliche Verfahrensvorschriften zum Erwerb und zur
Wiederveräußerung zu erwägen1147.
IV.) Aktionsplan der EU zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts
Im Mai 2003 verabschiedete die Kommission schließlich ihren Aktionsplan zur
Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance1148. Das zugrunde liegende Konzept basiert auf zwei zentralen politischen Zielen,
namentlich der Stärkung der Aktionärsrechte und Verbesserung des Schutzes Dritter
sowie der Förderung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen1149.
In Bezug auf den Erwerb eigener Aktien enthielt der Aktionsplan jedoch keine weiteren wesentlichen neuen Gedanken. Durch die Umsetzung der diesbezüglichen
Vorschläge der SLIM-Arbeitsgruppe sowie der ergänzenden Vorschlägen der HLG
(„SLIM-Plus“) könne wesentlich zur Förderung von Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beigetragen werden, ohne dass dabei der Aktionärs- und
Gläubigerschutz verringert werde1150. Bemerkenswerter Weise wurde jedoch in
einigen Stellungnahmen zum Aktionsplan der Kommission Vorsicht gegenüber
einer Liberalisierung des Erwerbs eigener Aktien angemahnt, da eine solche auch
mit bedeutenden Nachteilen verbunden sei1151.
1147 Stellungnahme der deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG, ZIP 2003, 863, 873.
1148 DOK KOM (2003), 284 endgültig.
1149 DOK KOM (2003), 284 endgültig, S. 9 f.
1150 DOK KOM (2003), 284 endgültig, S. 20 f. Mittelfristig solle zudem eine Studie über die
Realisierbarkeit des von der HLG vorgeschlagenen alternativen Kapitalsystems angeregt
werden.
1151 Zusammenfassung der Antworten auf die Mitteilung der Kommission an den Rat und das
Europäische Parlament, S. 19 (veröffentlicht von der Generaldirektion Binnenmarkt im November 2003 und erhältlich im Internet unter http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/modern/ index_de.html).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.