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C. Zum Verhältnis von Gesetzgeber und Rechtsprechung bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten
Ausgeklammert wurde bislang die Frage nach den Adressaten der grundrechtlichen
Schutzverpflichtung und ihrem Verhältnis zueinander; sie ist von Bedeutung, weil
der Gesetzgeber die Grenzen ablösender Versorgungstarifverträge nicht gesetzlich
geregelt, sondern es der Rechtsprechung überlassen hat, einen hinreichenden Schutz
der Arbeitnehmer zu gewährleisten.662
I. Verfassungsmäßige Zuständigkeit des Gesetzgebers
Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ist es in erster Linie der Gesetzgeber, der die Einhaltung des grundrechtlich gebotenen Schutzminimums zu gewährleisten hat. Grundsätzlich obliegt es ihm, die Privatrechtsordnung durch gesetzliche Regelungen auszugestalten und Schutzvorschriften für den im Rechtsverkehr
Schwächeren zu schaffen.663
II. „Subsidiäre“ Zuständigkeit der Gerichte
Gerichte sind nach Art. 1 Abs. 3 GG allerdings ebenfalls Adressaten grundrechtlicher Schutzgebote. Demgemäß sind sie verpflichtet, einen hinreichenden Schutz der
gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer zu schaffen, wenn der Gesetzgeber selbst
keine Schutzvorkehrungen trifft. Wie auch der Gesetzgeber können sie dabei über
das verfassungsrechtlich geforderte Mindestmaß hinausgehen.664 Ihre Befugnis unterliegt zugleich einer formellen Schranke. Die Gerichte sind nicht nur an das Recht,
sondern zugleich auch an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Sie müssen die
vom Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidungen daher beachten, dürfen diese
insbesondere weder auf ihre Zweckmäßigkeit überprüfen noch durch eigene ersetzen.665 Hat der Gesetzgeber einen an sich zu regelnden Lebensbereich aber nicht
662
BT-Drs. 7/1281, S. 24.
663
Vgl. BVerfG 16.7.2005, E 114, 73, 90; BVerfG 19.10.1993, E 89, 214, 232 ff.; BVerfG
7.2.1990, E 81, 242, 254 ff.; Badura, FS Molitor, S. 1, 5; Burkiczak, RdA 2007, 17, 19;
ErfK/Dieterich, Einl. GG Rn. 43 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1577; A. Wiedemann, Bindung, S. 111.
664
A.A. A. Wiedemann, Bindung, S. 123 f., nach dem Gerichte auf die Statuierung von Mindestanforderungen beschränkt sind.
665
Allg. Meinung, BVerfG 22.8.2006, NJW 2006, 3409; BVerfG 12.11.1997, E 96, 375, 394;
BAG 10.6.1980, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 (A II 4); Badura, FS Molitor, S. 1, 5;
ErfK/Dieterich, Einl. GG Rn. 44; Redeker, NJW 1972, 409, 412 f.; Stein, NJW 1964, 1745,
1747 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1582 f.; A. Wiedemann, Bindung, S. 112 f.; vgl. auch
v. Hoyningen-Huene, FS 600 Jahre Universität Heidelberg, S. 353, 356, wonach weder ein
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References
Zusammenfassung
Die gesetzliche Rente ist längst nicht mehr sicher. Schutz gegen drohende Versorgungslücken bieten Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Neben betriebsbezogenen Versorgungssystemen gewinnen in der Praxis auch solche auf tariflicher Grundlage zunehmend an Bedeutung. Doch wie verhält sich ein solches System im Krisenfall? In welchem Umfang sind Eingriffe in Versorgungsrechte zur Rettung von Unternehmen möglich?
Diesen in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf ablösende Versorgungstarifverträge übertragbar ist und welche Bedeutung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauensschutzgesichtspunkte haben. Auf der Grundlage staatlicher Schutzpflichten entwickelt der Autor ein eigenes Lösungsmodell.
Das Werk wurde mit dem Südwestmetall-Föderpreis 2008 ausgezeichnet.