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lösungsstichtag. Wird der erdiente Teilbetrag zu diesem Zeitpunkt herabgesetzt,
liegt ohne Rücksicht auf mögliche künftige Steigerungen ein Eingriff in den erdienten Teilbetrag vor. Das ist etwa bei reinen Leistungskürzungen der Fall oder, wenn
der Barwert der Versorgungsanwartschaft nicht erhalten bleibt, bei Änderungen der
Versorgungsstruktur. Ebenso wurde durch die Berechnung der Startgutschriften im
öffentlichen Dienst analog § 18 Abs. 2 BetrAVG in vielen Fällen in den bereits
erdienten Anwartschaftsteil eingegriffen.
III. Reduzierung des noch nicht erdienten Teilbetrags
Neuregelungen greifen in den zum Ablösungsstichtag noch nicht erdienten Teilbetrag ein, wenn sie die künftig vom Arbeitnehmer erdienbaren, dienstzeitabhängigen
Steigerungsraten herabsetzen oder die Anwartschaftsdynamik begrenzen. Ein Eingriff in dienstzeitabhängige Steigerungsraten ist dann gegeben, wenn das Versorgungssystem mit Wirkung für die Zukunft geschlossen wird, neben den bereits erdienten Anwartschaften also keine weiteren erworben oder durch Betriebstreue
künftig nur noch geringere Anwartschaften als nach der bisherigen Versorgungsordnung erdient werden können. Ein Eingriff in die Anwartschaftsdynamik, die, entgegen der Ansicht des BAG, zu dem noch nicht erdienten Teilbetrag zählt,367 liegt
dagegen etwa vor, wenn bei endgehaltsbezogenen Versorgungszusagen das für die
Höhe der Versorgungsrente maßgebliche Arbeitsentgelt auf den Ablösungsstichtag
festgeschrieben wird, künftige Gehaltserhöhungen sich also entgegen der ursprünglichen Versorgungszusage nicht mehr auf die Höhe der Versorgungsleistungen auswirken.
D. Zusammenfassung
Der dem Arbeitnehmer zustehende und gegenüber tariflichen Eingriffen grundsätzlich geschützte Besitzstand lässt sich aufgliedern in einen erdienten und in einen
noch nicht erdienten Teil. Den stärksten Bestandsschutz genießt der mit dem Versorgungsfall entstehende Versorgungsanspruch. Für ihn hat der Arbeitnehmer seine
Gegenleistung bereits vollständig erbracht. Ebenfalls zum erdienten Besitzstand
zählt der bis zum Ablösungsstichtag bereits erdiente Anwartschaftsteil. Dieser berechnet sich analog § 2 Abs. 1 BetrAVG nach dem sog. m/ntel-Verfahren und unterfällt, ebenso wie der Versorgungsanspruch, als vermögenswertes und im Kern bereits gewährleistetes Recht dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff. Erdienter
Anwartschaftsteil und Versorgungsanspruch sind daher durch Art. 14 GG gegen
ablösende Versorgungstarifverträge geschützt. Nicht zum erdienten Anwartschaftsteil, sondern zu dem vom Arbeitnehmer zum Ablösungsstichtag noch nicht erdienten
367
Oben A II 1 und 2, S. 71 f.
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Teilbetrag, zählt die Anwartschaftsdynamik. Da Versorgungstarifverträge grundsätzlich jederzeit gekündigt oder durch einen ablösenden Tarifvertrag ersetzt werden
können, ist sie, ebenso wie andere zugesagte, aber noch nicht erdiente, Anwartschaftsteile nur durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.
In den derart bestimmten Besitzstand wird eingegriffen, wenn der die bisherige
Versorgungsregelung ersetzende Tarifvertrag im Arbeits- und im Bezugsverhältnis
gilt und er die bislang zugesagten Versorgungsleistungen herabsetzt. Während die
Geltung im Arbeitsverhältnis meist kaum Probleme aufwirft, ist sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und für aus der Tarifvertragspartei ausgeschiedene
Arbeitnehmer fraglich. In diesen Fällen ergibt sich die Tarifgeltung aber richtigerweise kraft gesetzlicher Anordnung in § 17 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 5 BetrAVG. Im
Bezugsverhältnis werden die tariflichen Regelungen, wenn sie nach § 4 Abs. 2 TVG
nicht ohnehin normativ gelten, durch – regelmäßig wortgetreue – Übernahme in die
Satzungsbestimmungen wirksam. Sind die Tarifvertragsparteien an der Versorgungseinrichtung beteiligt, sind sie zu deren Übernahme durch die tarifvertragliche
Durchführungspflicht verpflichtet.
Änderungen, die nach Eintritt des Versorgungsfalls vereinbart werden, können
sich nachteilig auf den Versorgungsanspruch selbst oder eine zugesagte Rentendynamik auswirken, wobei letztere, anders als der Versorgungsanspruch, allerdings
nicht durch Betriebstreue erdient ist. Wird die Änderung bereits vor Eintritt des
Versorgungsfalls vereinbart, kann sie den erdienten Teilbetrag und/oder den noch
nicht erdienten Anwartschaftsteil betreffen. In den erdienten Teil wird eingegriffen,
wenn dessen analog § 2 Abs. 1 BetrAVG ermittelter Wert zum Ablösungsstichtag
herabgesetzt wird. Das kann auch durch die Wahl eines von § 2 Abs. 1 BetrAVG
abweichenden Berechnungsmaßstabs geschehen. Entscheidend für die Feststellung
eines Eingriffs sind die Verhältnisse zum Ablösungsstichtag. Die ergebnisbezogene
Betrachtungsweise des BAG ist abzulehnen.
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References
Zusammenfassung
Die gesetzliche Rente ist längst nicht mehr sicher. Schutz gegen drohende Versorgungslücken bieten Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Neben betriebsbezogenen Versorgungssystemen gewinnen in der Praxis auch solche auf tariflicher Grundlage zunehmend an Bedeutung. Doch wie verhält sich ein solches System im Krisenfall? In welchem Umfang sind Eingriffe in Versorgungsrechte zur Rettung von Unternehmen möglich?
Diesen in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf ablösende Versorgungstarifverträge übertragbar ist und welche Bedeutung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauensschutzgesichtspunkte haben. Auf der Grundlage staatlicher Schutzpflichten entwickelt der Autor ein eigenes Lösungsmodell.
Das Werk wurde mit dem Südwestmetall-Föderpreis 2008 ausgezeichnet.