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besitzer, die Reifen ablagern, werden regelmäßig keine eigene Anlage zur Ablagerung von Abfällen unterhalten.
Selbst für diesen Fall ist eine Ablagerung von Reifen aber mittlerweile unzulässig. So
ist die Deponierung von Altreifen seit dem 31. Mai 2005 gemäß den Vorgaben der an
die EG-Richtlinie 1999/31 vom 26. April 1999 angepassten Deponieverordnung
(DepV) vollständig untersagt. Dies folgt aus § 7 Absatz 1 Nr. 5, Absatz 2 Nr. 1 iVm
§ 25 Absatz 3 DepV.295
6. Zwischenergebnis
Die Untersuchung zur abfallrechtlichen Qualifizierung der verschiedenen, in
Deutschland praktizierten Behandlungen von Altreifen hat gezeigt, dass für sie
sowohl abfallvermeidende Maßnahmen im Sinne von § 4 Absatz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG,
als auch stoffliche und stofflich-energetische Verwertungen gemäß § 4 Absatz 1 Nr.
2, Absätze 3 und 4 KrW-/AbfG in Betracht kommen. Ablagerung und Deponierung
im Sinne des §10 KrW-/AbfG werden zwar betrieben, sind jedoch nicht, beziehungsweise nicht mehr erlaubt.
Die praktizierten, legalen Behandlungen lassen sich rechtlich wie folgt qualifizieren:
Bei Wieder- und Weiterverwendung von Altreifen handelt es sich um Maßnahmen zur
Abfallvermeidung im Sinne des § 4 Absatz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG. Gleiches gilt für die
Reparaturverfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung.
Das Granulieren von Reifen ist eine stoffliche Verwertung im Sinne von § 4 Absatz 3
Satz 1 Alt. 1 und 2 KrW-/AbfG, während die Verbrennung in Zementwerken eine
echte Doppelnatur als sowohl stoffliche wie energetische Verwertung im Sinne von
§ 4 Absätze 3 und 4 KrW-/AbfG aufweist.
III. Marktstromregelnde, gesetzliche Vorgaben
Deutschland verfügt über einen verhalten reglementierten Altreifen-Markt. Spe ziell für Altreifen geschaffene Regelungen existieren fast nicht. Im Umgang mit
Altreifen sind deshalb lediglich die allgemein für Abfälle geltenden Rechtsvorschriften zu beachten und dies auch nur insoweit, als Altreifen überhaupt Abfälle
darstellen.
So existieren in Deutschland insbesondere keine die ordnungsgemäße Entsorgung
von Altreifen gewährleistenden, besonderen Sammel- oder Entsorgungsverpflichtungen der Hersteller. Diese gibt es jedoch in zahlreichen anderen Ländern der EU, so
295 Gemäß den zitierten Normen durften auch vorher schon, nämlich seit dem 15. Juli 2003, nur noch
unzerteilte Reifen von Fahrrädern bzw. solche mit größerem Außendurchmesser als 1400 Millimeter
deponiert werden.
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beispielsweise in Frankreich.296 Weiterhin werden auf Reifen auch keine speziellen
Steuern erhoben, mit denen eine spätere Entsorgung finanziell sichergestellt oder
bestimmte Kaufanreize gesetzt werden sollen. Solche Steuern auf Reifen gibt es hingegen zum Beispiel in Dänemark.
Lediglich eine die Marktströme von Altreifen in Deutschland regelnde Vorschrift ist
zu nennen: Gemäß Nr. 3. 2. 3. 3. des Anhangs zur »Verordnung über die Überlassung, Rücknahme und umweltverträgliche Entsorgung von Altfahrzeugen« (AltfahrzeugV) müssen Betreiber von Demontagebetrieben für Altfahrzeuge vor der Überlassung der Restkarossen an Schredderanlagen oder sonstige Anlagen zur Altfahrzeugbehandlung Reifen von Altfahrzeugen entfernen und vorrangig der Wiederverwendung oder der stofflichen Verwertung zuführen. Eine energetische Verwertung soll
also verhindert werden. Zu hinterfragen ist deshalb, ob die angeführte Norm die Verbrennung von Altreifen in Zementwerken für ihren Regelungsbereich auszuschließen
vermag.
Hiergegen könnte sprechen, dass die Verbrennung in Zementwerken, wie bereits
gesehen, nicht nur eine energetische, sondern auch eine stoffliche Verwertung darstellt. Zudem spricht die Norm nur von vorrangig, nicht von ausschließlich zu wählenden Verfahren bei der weiteren Behandlung der Reifen.
Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Normierung der betreffenden Regelung sicherlich nicht erkannt, dass die Verbrennung in Zementwerken eine Doppelnatur aufweist. Er kennt eine solche nämlich schon gar nicht. Zudem ist die Verbrennung in
Zementwerken jedenfalls auch eine energetische Verwertung, die gerade verhindert
werden soll.
Weiterhin muss das Wort vorrangig, das die AltfahrzeugV selbst nicht näher definiert,
so verstanden werden, dass eine energetische Verwertung nur unter bestimmten, den
Vorrang der beiden anderen Verfahrensarten ausschließenden Bedingungen in Frage
kommen kann. Bei der Bestimmung dieser Bedingungen hilft ein Rückgriff auf § 5
KrW-/AbfG und hier insbesondere auf Absatz 2 S. 2 und Absatz 4. Danach kann nur
technische Unmöglichkeit oder wirtschaftliche Unzumutbarkeit gegen den Vorrang
einer Entsorgungsart sprechen. Die stoffliche Verwertung und die Wiederverwendung von Altreifen sind zurzeit jedoch, wie bereits gesehen, technisch wie wirtschaftlich völlig problemlos möglich.
Nr. 3. 2. 3. 3. des Anhangs zur AltfahrzeugV verbietet die Verbrennung von Altreifen
in Zementwerken deshalb für ihren Regelungsbereich.
Abgesehen von dieser Spezialvorschrift der AltfahrzeugV wird die ordnungsgemäße
Entsorgung von Altreifen durch die gesetzliche Inpflichtnahme der Erzeuger und
Besitzer sichergestellt. Gemäß § 5 Absatz 2 Satz 1 KrW-/AbfG haben die Erzeuger
und Besitzer von als Abfall einzustufenden Altreifen diese einer stofflichen oder energetische Verwertung im Sinne von § 6 KrW-/AbfG zuzuführen. Da eine Verwertung
von Altreifen, wie oben gesehen, technisch einwandfrei möglich und wirtschaftlich
absolut zumutbar ist, dürfen Reifen gemäß § 5 Absatz 2 Satz 2, Absatz 4 Satz 1 KrW-
/AbfG keinesfalls beseitigt werden. Die Verwertung genießt Vorrang.
296 Vergleiche hierzu auch Fußnote 604.
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Ausnahmen hiervon sind allenfalls in der Zukunft denkbar. So könnte beispielsweise
bei Wegfall erheblicher Entsorgungskapazitäten in der Zementindustrie eine Verwertung von Altreifen wirtschaftlich unzumutbar werden. Absatz 4 würde dann eine
Beseitigung erlauben. Weiterhin könnte eine bisher noch unentdeckte Beseitigungsmaßnahme, die sich gegenüber den heutigen Verwertungsmaßnahmen als die
umweltverträglichere Entsorgungslösung herausstellt, gemäß Absatz 5 den Vorrang
der Verwertung entfallen lassen.
IV. Zusammenfassung und Ergebnis
Das hiermit abzuschließende, dritte Kapitel der Arbeit hat die technischen und ökonomischen Grundlagen des deutschen Altreifenmarktes von ihrer rechtlichen Seite her
beleuchtet.
Dabei konnten die vier in Kapitel B. der Arbeit benannten Altreifen-Kategorien unter
den Abfallbegriff des § 3 KrW-/AbfG subsumiert werden. Es wurde bestimmt, ob und
wie lange das Abfallrecht auf sie Anwendung findet. Rechtlich interessant und
bedeutsam war dabei vor allem der Umstand, dass die zu den Runderneuerern gelangenden Karkassen ebenso wie Reifen zum Nachschneiden keine Abfälle sind.
Sodann wurden die verschiedenen Verwendungen von Altreifen einer rechtlichen
Würdigung unterzogen. Insbesondere das Nachschneiden und die Runderneuern
konnten dabei als Maßnahmen zur Abfallvermeidung im Sinne des § 4 Absatz 1 Nr. 1,
Absatz 2 KrW-/AbfG identifiziert werden.
Hinsichtlich der Untersuchung der marktstromregelnden, gesetzlichen Vorgaben
konnte als Ergebnis schließlich festgehalten werden, dass Deutschland über einen nur
verhalten reglementierten Altreifen-Markt verfügt.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wie kann abfallrechtliche Produktverantwortung dazu beitragen, das in Reifen verborgene Abfallvermeidungspotential auszuschöpfen? Welche Regelungen sind hierfür sinnvoll und rechtmäßig?
Das moderne Abfallrecht verfolgt das Ziel, den Stoffeinsatz bei der Produktherstellung durch ressourcensparendes Produktdesign möglichst zu minimieren und Stoffe durch lange Benutzungsdauer und mehrfache Verwendung über große Zeiträume im Umlauf zu halten. Die Entstehung von Abfall soll vermieden werden.
Bei Reifen lässt sich dies im Wesentlichen auf drei Arten erreichen. So kann zunächst die Kilometerlaufleistung erhöht werden, so dass ein Reifenwechsel und damit ein Altreifenanfall verzögert werden. Weiterhin können Reifen durch die Anwendung der Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung „weitere Leben“ gegeben werden, so dass die aus dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringert werden kann.
Das Buch zeigt auf, wie Reifenhersteller zur Anwendung dieser Verfahren und damit zur Wahrnehmung ihrer abfallrechtlichen Produktverantwortung gebracht werden können. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Berücksichtigung von Vorsorgeprinzip und Lebenszykluskonzept gelegt.