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II. Altreifen-Anfall in Deutschland
In der Reifenbranche spricht man von einem Altreifen, wenn der Besitzer seinen Pneu
nicht mehr zu nutzen wünscht, und ihn deshalb – meist unter Zahlung eines Entgeltes
– an einen Dritten abgibt. Der Begriff des Altreifens ist damit sehr weit gefasst. Er
umfasst völlig unbrauchbare Reifen ebenso wie solche, die weiterhin verwendungsfähig oder lediglich reparaturbedürftig sind.
Dementsprechend handelt es sich bei den unter den Oberbegriff »Altreifen« fallenden
Produkten keinesfalls um eine homogene Masse Altgummi, die einer einheitlichen
Betrachtungsweise unterzogen werden kann. Vielmehr lassen sich Altreifen-Produkte
hinsichtlich ihrer Herkunft und des Fahrzeugtyps, auf dem sie verwendet wurden, vor
allem aber anhand ihres Zustandes und der damit verbleibenden Verwendungsmöglichkeiten unterscheiden. Diese, auch in der Praxis vorgenommene Differenzierung
dient dabei nur am Rande statistischen Zwecken. Sie ist vielmehr den tatsächlichen
Bedürfnissen des Altreifenmarktes geschuldet. Dieser nutzt die verschiedenen Produkte in unterschiedlicher Form.
Die am Ende dieses Kapitels vorzunehmende Kategorisierung von Altreifen wird die
beschriebenen Unterscheidungsmerkmale deshalb zu berücksichtigen haben.
Der Aufbau eines Reifens
Laufstreifen **
Gürtel
Gürtellage aus Nylon *
Entkoppelungsgummi
FlankeGürtellage aus Stahl
Radial liegende
Karkasslage
Wulst
zur Befestigung
auf der Felge
Verstärkung
Luftdichter
Innengummi
Wulstkern
Umschlag der
Karkasslage
* Auch Spulbandage genannt, bei Lkw aus Stahl
bestehend.
** Bestehend aus dem Untergummi und dem darüber
liegenden Profilband. Hierzwischen kann sich ein so
genannter Nachschneidegummi befinden.
LAUFBAND
KARKASSE
Quelle: Michelin Reifenwerke
AG & Co. KGaA, Karlsruhe
Abbildung Nr. 1: Der Aufbau eines Reifens
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Vorbereitend und zur späteren Bezugnahme soll an dieser Stelle nun ein allgemeiner
Überblick zum Thema Altreifen gegeben werden. Zudem werden die Anfallstellen
von Altreifen aufgezeigt. Schließlich wird eine Differenzierung nach dem Grund des
Anfalls vorgenommen.
1. Überblick
Im Jahr 2005 fielen bundesweit etwa 601.000 Tonnen Altreifen an.72
So entstanden 538.000 Tonnen durch den Reifenaustausch bei betriebsbereiten Fahrzeugen,73 54.000 Tonnen durch die Altfahrzeugverwertung74 und 9.000 Tonnen durch
den Import von Altreifen.
60.000 Tonnen der anfallenden Altreifenmasse konnten einer Wiederverwendung für
den ursprünglichen Zweck oder einer sonstigen Weiterverwendung zugeführt werden.
Dies entspricht einem Anteil von rund 10 %. So fanden 15.000 Tonnen eine Wiederverwendung im Inland (ca. 2 %) und 40.000 Tonnen (ca. 7 %) wurden zur Wiederverwendung exportiert75. 5.000 Tonnen (ca. 1 %) wurden fortan für andere Verwendungen in Landwirtschaft, Hafenanlagen oder sonstigen Bereichen genutzt (Weiterverwendung).
48.000 Tonnen Reifen wurden im Wege der Runderneuerung repariert (ca. 8 %).
131.000 Tonnen (ca. 22 %) wurden stofflich verwertet und zu diesem Zweck vorwiegend zu Gummimehlen und Granulat verarbeitet. Diese können in niederwertigen
Gummiprodukten wie Sportplatzbelägen, Gummirollen oder im Straßenbau verwendet werden.76
Einer energetischen Verwertung wurden 330.000 Tonnen zugeführt (also rund 55 %).
290.000 Tonnen wurden in der heimischen Zementindustrie zur Herstellung von
Zementklinker verbrannt, weitere 40.000 Tonnen zur energetischen Verwertung
exportiert.
Der Weg von 32.000 Tonnen und damit 5 % der anfallenden Altreifenmasse konnte
nicht sicher nachverfolgt werden. Ihre Verwertung ist damit ungewiss. Hinsichtlich
8.000 Tonnen darf angenommen werden, dass sie im Rahmen der Altautoentsorgung
eine Behandlung erfahren haben, weitere 24.000 Tonnen konnten statistisch gar nicht
erfasst werden.
72 Diese und die unter der Überschrift dieses Abschnitts folgenden Massenangaben entstammen einer
Mitteilung der GAVS an den Autor. Im Jahr 2004 lag das Altreifenaufkommen gemäß GAVS noch bei
585.000 Tonnen, 2003 bei 583.000 Tonnen und 2002 bei 573.000 Tonnen.
73 Gemäß Mitteilung der GAVS hat Deutschland einen Ersatzbedarf an Reifen von 598.000 Tonnen.
Abzüglich 60.000 Tonnen Reifenverschleiß ergibt sich ein Altreifenanfall durch betriebsbereite Fahrzeuge von 538.000 Tonnen.
74 Laut GAVS ist diese Zahl so gering, da viele Altfahrzeuge samt ihrer Reifen exportiert werden.
75 Vergleiche hinsichtlich des Exports auch GAVS (Hrsg.), Altgummientsorgung in Deutschland, Statusbericht 2001, S. 7.
76 Vergleiche hierzu unter B. III. 3. Stoffliche Verwertung.
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Abbildung Nr. 2: Die Verwendungen von Altreifen in Deutschland
2. Differenzierung nach Anfallstellen77
Altreifen werden an rund 60.000 verschiedenen Orten in Deutschland, so genannten
Anfallstellen, gesammelt.78 Diese befinden sich in erster Linie bei den Reifenhändlern, die Altreifen gegen ein an sie zu zahlendes Entgelt von den ursprünglichen Besitzern – Private wie Unternehmer – übernehmen.79 Reifenhandel findet dabei nicht nur
durch die großen Ketten statt, sondern auch durch kleinere Fachhändler, Kfz-Werkstätten und Tankstellen.
Zudem finden sich Anfallstellen dort, wo größere Fuhrparks unterhalten werden, etwa
bei Spediteuren, Behörden, Unternehmen mit eigener Fahrzeugflotte und Autovermietungen. Betreiber solcher Fuhrparks beziehen ihre Reifen direkt über die Hersteller. Diese aber bieten, anders als die Reifenhändler, keinen Altreifenrücknahmeservice an.
Größere Mengen Altreifen fallen außerdem bei den Reifenherstellern selbst an. Es
handelt sich hierbei zumeist um Fehlproduktionen. Rund jeder 50. bis 100. Reifen
misslingt und wird aus Sicherheitsgründen gebrauchsunfähig gemacht.
Auch jede Altfahrzeugverwertung ist eine Anfallstelle für Altreifen.
Weiterhin sind die Betriebshöfe der Altreifenentsorger als Anfallstelle anzusehen.
Diese idealer Weise nach DIN ISO 9001:2000 zertifizierten Entsorgungsfachbetriebe
übernehmen die Altreifen an den verschiedenen Primär-Anfallstellen und stellen das
77 Vergleiche zum Ganzen auch Brinkmann, Stoffliche Verwertung von Altreifen, S. 15.
78 Gemäß einer Schätzung aus dem Jahr 1998, aufgeführt in: Landesanstalt für Umweltschutz Baden-
Württemberg, Entsorgung von Altreifen in Baden-Württemberg, S. 3.
79 Ebenso Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg, Entsorgung von Altreifen in Baden-
Württemberg, S. 3.
Ausführlich hierzu B. IV. Marktströme im deutschen Altreifenhandel.
1%5%
8%
7%
2%
55% 22%
Wiederverwendung im
Inland
Weiterverwendung im Inland
(Landwirtschaft, Häfen, etc.)
Wiederverwendung im
Ausland
Runderneuerung
Stoffliche Verwertung
Energetische Verwertung
Statistisch nicht erfasst
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wie kann abfallrechtliche Produktverantwortung dazu beitragen, das in Reifen verborgene Abfallvermeidungspotential auszuschöpfen? Welche Regelungen sind hierfür sinnvoll und rechtmäßig?
Das moderne Abfallrecht verfolgt das Ziel, den Stoffeinsatz bei der Produktherstellung durch ressourcensparendes Produktdesign möglichst zu minimieren und Stoffe durch lange Benutzungsdauer und mehrfache Verwendung über große Zeiträume im Umlauf zu halten. Die Entstehung von Abfall soll vermieden werden.
Bei Reifen lässt sich dies im Wesentlichen auf drei Arten erreichen. So kann zunächst die Kilometerlaufleistung erhöht werden, so dass ein Reifenwechsel und damit ein Altreifenanfall verzögert werden. Weiterhin können Reifen durch die Anwendung der Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung „weitere Leben“ gegeben werden, so dass die aus dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringert werden kann.
Das Buch zeigt auf, wie Reifenhersteller zur Anwendung dieser Verfahren und damit zur Wahrnehmung ihrer abfallrechtlichen Produktverantwortung gebracht werden können. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Berücksichtigung von Vorsorgeprinzip und Lebenszykluskonzept gelegt.