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tere Kriterien werden in der Literatur die Entstehung eines neuen Absatzmarktes181, das Ansprechen neuer Verbraucherkreise182, die Schaffung neuer Vertriebswege183, die verbesserte wirtschaftliche Ausnutzbarkeit184, eine Intensivierung
der Nutzung185 sowie die Vertragspraxis selbst186 vorgeschlagen. Anknüpfend an
das vom BGH verwendete Kriterium des signifikanten, neuen Marktes wurde
auch eine Heranziehung des im Kartellrecht anwendbaren Bedarfsmarktkonzepts
vorgeschlagen.187
Nach Einführung der §§ 32, 32 a UrhG sowie mit Blick auf § 32 c UrhG ist
zuletzt auch vertreten worden, die Komponente der wirtschaftlichen Eigenständigkeit gänzlich fallen zu lassen.188 Durch die genannten Vorschriften werde die
angemessene wirtschaftliche Beteiligung des Urhebers hinreichend sichergestellt. Maßgeblich für den Umgang mit neuen Nutzungsarten müsse demnach
künftig nicht mehr der Beteiligungsgrundsatz und damit verbunden die wirtschaftliche Eigenständigkeit einer Verwertungsform sein, sondern ausschließlich
der Autonomiegrundsatz und somit allein die technische Eigenständigkeit.189
Diese Ansicht übersieht jedoch offenbar, dass das Vorliegen einer neuen Nutzungsart gerade die Voraussetzung dafür ist, dass § 32 c UrhG anwendbar ist und
der Urheber hierüber an der Werknutzung beteiligt wird. An der Komponente der
wirtschaftlichen Eigenständigkeit ist somit auch in Zukunft festzuhalten.
II. Bekanntheit
Die Anwendung des § 31 Abs. 4 UrhG a.F. setzte weiter voraus, dass die Nutzungsart zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannt gewesen ist.190 Maßstab
dafür, wann eine Nutzungsart als noch nicht bekannt anzusehen ist, war der
Schutzzweck des § 31 Abs. 4 UrhG a.F., der den Urheber davor bewahren sollte,
Geschäfte abzuschließen, deren wirtschaftliche Tragweite er noch nicht abschätzen konnte.191 Dieser Schutz des Urhebers wird nach Abschaffung des § 31 Abs.
181 Zscherpe, S. 87 ff.; Reber, GRUR 1998, 792, 793; Straßer/Stumpf, GRUR Int. 1997, 801,
805.
182 Reber, GRUR 1998, 792, 793; Castendyk, ZUM 2002, 332, 338; Katzenberger, AfP 1997,
434, 440.
183 Reber, GRUR 1998, 792, 793.
184 Reber, GRUR 1998, 792, 793; Castendyk, ZUM 2002, 332, 338.
185 Donhauser, S. 125 f.; so auch: Zscherpe, S. 87 ff.; Stieper/Frank, MMR 2000, 643, 645;
kritisch: Castendyk, ZUM 2002, 332, 338.
186 Castendyk, ZUM 2002, 332, 340.
187 Fitzek, S. 63 ff.; zustimmend: Zscherpe, S. 90; kritisch: Castendyk, ZUM 2002, 332, 338f.
188 Kitz, GRUR 2006, 548, 551.
189 Kitz, GRUR 2006, 548, 551.
190 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 41; Fromm/Nordemann/Hertin,
§§ 31/32 UrhG Rn. 10.
191 Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn. 26; Castendyk, ZUM 2002, 332, 341.
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4 UrhG a.F. nunmehr durch das Schriftformerfordernis und das Widerrufsrecht192
in § 31 a Abs. 1 UrhG sowie den Vergütungsanspruch in § 32 c UrhG verwirklicht. Die zum Begriff der Bekanntheit nach alter Rechtslage vertretenen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung besitzen deshalb nach wie vor Gültigkeit, da
die genannten neuen Schutzmechanismen ebenfalls nur dann gerechtfertigt sind,
wenn der Urheber die Tragweite der Rechtseinräumung bei Vertragsschluss noch
nicht abschätzen kann.
Nach weit überwiegender Auffassung ist im Hinblick auf die Bekanntheit die
Perspektive des durchschnittlichen Urhebers193 bzw. des durchschnittlichen Urhebers einer Werkgattung194 entscheidend. Die Sicht der konkreten Vertragsparteien
bzw. des konkreten Urhebers könne dagegen nicht maßgeblich sein, da aus Gründen der Rechtssicherheit eine gewisse Typisierung erforderlich sei.195 Auch die
Perspektive der Allgemeinheit sei ungeeignet, da diese über bestimmte technische Entwicklungen oftmals weniger informiert sei als die betroffenen Verwerter
und Urheber.196 Da § 31 Abs. 4 UrhG a.F. dem Schutz des Urhebers diene, könnten als Maßstab ebenso wenig »die Fachwelt197« oder »technisch informierte
Fachkreise« gelten, da ein Urheber nicht Märkte analysiere und einschlägige
Fachzeitschriften lese.198
Auch die Frage, auf welche Kriterien sich die Bekanntheit erstrecken müsse,
ist umstritten.199 Der BGH und ihm folgend die überwiegende Auffassung in der
Literatur gehen grundsätzlich davon aus, dass eine Nutzungsart nicht bereits dann
bekannt ist, wenn sie sich als technisch möglich abzeichnet200, sondern erst dann,
192 Das Widerrufsrecht in § 31 a Abs. 1 Satz 3 UrhG soll dabei jedoch primär urheberpersönlichkeitsrechtliche Belange und nur in zweiter Linie wirtschaftliche Interessen schützen
(Schwarz/Evers, ZUM 2005, 113, 114, siehe auch Teil 3/B/IV/1).
193 Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 66; Fromm/Nordemann/Hertin, §§ 31/32 UrhG
Rn. 10; Donhauser, S. 138 f.; Drewes, S. 68.
194 Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn. 27 (»einschlägige Urheberkreise«); Schack, Rn. 550a
(»einschlägige Urheber- und Verwerterkreise«); Fitzek, S. 167 f.; Castendyk, ZUM 2002,
332, 342. Der BGH hat diese Frage bisher offen gelassen (BGH, GRUR 1991, 133, 136 -
Videozweitauswertung I).
195 Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn. 27; Donhauser, S. 138 f.; Fitzek, S. 167 f.; a.A. der
Professorenentwurf, abgedruckt in: GRUR 2000, 765, 766, 773; Zscherpe, S. 112 (die primär auf die Sicht des konkreten Urhebers abstellt).
196 Castendyk, ZUM 2002, 332, 342; a.A. von Gamm, § 31 UrhG Rn. 15, der allein die objektiven Umstände für maßgeblich hält.
197 BGH, GRUR 1982, 727, 731 – Altverträge.
198 OLG Hamburg, NJW-RR 2001, 123 – Einstellen von Publikationen ins Internet; Wandtke/
Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 42; Donhauser, S. 138; Fitzek, S. 160, 206;
a.A. Rehbinder, Rn. 545 (»betroffene Wirtschaftskreise«).
199 Ausführlich zum Streitstand: Reber, GRUR 1997, 162.
200 Nach a.A. soll es ausreichen, wenn sich die Bekanntheit allein auf die technische Möglichkeit bezieht (von Gamm, § 31 UrhG Rn. 15).
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wenn sie sich als wirtschaftlich bedeutsam und verwertbar darstellt.201 Wann dies
angenommen werden kann, wird wiederum uneinheitlich beantwortet. Der BGH
ging zunächst davon aus, dass eine Nutzungsart erst dann bekannt sei, wenn die
Auswertung als Massengeschäft betrieben werde.202 Mittlerweile lässt er es
jedoch ausreichen, dass sich ein solches Massengeschäft bereits abzeichnet.203
Innerhalb der Literatur werden sowohl sehr frühe als auch sehr späte Bekanntheitszeitpunkte vertreten. Zum Teil wird angenommen, dass schon die Kenntnis
von der grundsätzlichen Realisierbarkeit der neuen Nutzungsart in technischer
und wirtschaftlicher Hinsicht genüge.204 Eine andere Ansicht verlangt, dass die
betroffene Nutzungsart bereits praktiziert werden müsse und somit Erfahrungen
mit der wirtschaftlichen Seite dieser Nutzungsart gesammelt werden konnten
(z.B. bezüglich der üblichen Vergütungshöhe, der Konkurrenzlage gegenüber
anderen Nutzungsarten oder dem Adressatenkreis etc.).205 Es müsse bereits
erkennbar sein, auf welche Weise mit der Nutzungsart überhaupt Einnahmen
erzielt werden.206 Nach einer weiteren Ansicht soll entscheidend sein, dass die
maßgeblichen Verkehrskreise mit der Realisierung der neuartigen Auswertung
beginnen, indem sie die entsprechenden Absatzwege eröffnen und ihre Vertragsgestaltung darauf einrichten.207
Im Professorenentwurf zum Urhebervertragsgesetz war vorgeschlagen worden, eine Definition der Bekanntheit ins Gesetz aufzunehmen, nach der die Nutzungsart technisch realisierbar sein und sich als wirtschaftlich bedeutsam darstellen müsse.208 Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht in den späteren Referentenentwurf übernommen.
Ebenfalls umstritten ist, ob es für die Bekanntheit ausreichen könne, dass eine
Nutzungsart im Ausland (z.B. in den USA oder Asien) bereits in wirtschaftlich
bedeutender Weise praktiziert wird, in Deutschland jedoch noch nicht. Nach einer
Auffassung sollen unter Hinweis auf das Territorialitätsprinzip nur Entwicklungen in Deutschland maßgeblich sein.209 Dagegen lässt sich allerdings einwenden,
dass die einschlägigen Urheberkreise in der Regel auch Entwicklungen im Ausland wahrnehmen und diese als Vorboten für eine weltweite Marktentwicklung
201 BGH, GRUR 1986, 62, 65 – GEMA-Vermutung I; BGH GRUR 1988, 296, 299 – GEMA-
Vermutung IV; BGH, GRUR 1991, 133, 136 – Videozweitauswertung I; Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn. 27; Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 66; Fromm/Nordemann/
Hertin, §§ 31/32 UrhG Rn. 10; Möhring/Nicolini/Spautz, § 31 UrhG Rn. 43; Wandtke/
Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 42.
202 BGH, GRUR 1986, 62, 65 – GEMA-Vermutung I.
203 BGH, GRUR 1995, 212, 213 f.- Videozweitauswertung III.
204 Schweyer, S. 90.
205 Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 66; Zscherpe, S. 107 (»Einsatz der Nutzungsart
in erheblichem Umfang«). Nach Schricker soll es unschädlich sein, dass die Praktizierung
erst in den Anfängen steckt (Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn. 27); so auch Donhauser,
nach der Testprodukte und Pilotprojekte ausreichen sollen (S. 134 ff.).
206 Castendyk, ZUM 2002, 332, 342.
207 Fromm/Nordemann/Hertin, §§ 31/32 UrhG Rn. 10.
208 GRUR 2000, 764, 773.
209 Fitzek, S. 195 f.; Donhauser, S. 138.
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sehen.210 Die wirtschaftliche Tragweite entsprechender Vertragsabschlüsse ist in
diesem Fall durchaus erkennbar, so dass ein Schutz der Urheber durch die
Begrenzung auf innerdeutsche Entwicklungen nicht notwendig ist.
III. Risikogeschäfte
Unter engen Voraussetzungen ließ die jüngere Rechtsprechung Verträge über
technisch zwar bekannte, wirtschaftlich jedoch zunächst (noch) bedeutungslose
Nutzungsarten zu.211 Diese sollten nicht unter das Verbot des § 31 Abs. 4 UrhG
a.F fallen. Mit der Zulassung solcher sogenannten Risikogeschäfte wollte der
BGH die Möglichkeit eröffnen, unter bestimmten Voraussetzungen bereits im
Vorfeld einer sich erst abzeichnenden Entwicklung zu einer wirtschaftlich eigenständigen Verwertungsform Verträge zu schließen, aufgrund derer mit dem Einsatz der neuen Technik begonnen werden konnte.212 Ein Risikogeschäft sollte dabei nur unter der Voraussetzung wirksam sein, dass die neue, wirtschaftlich noch
bedeutungslose Nutzungsart konkret benannt, ausdrücklich vereinbart und von
den Vertragsparteien erörtert und damit erkennbar zum Gegenstand von Leistung
und Gegenleistung gemacht wurde.213 Diese Anforderungen mussten zur Wahrung der Interessen des Urhebers kumulativ erfüllt sein. Die Rechtsprechung des
BGH zu Risikogeschäften wurde von der Literatur zum Teil kritisiert.214 Es zeige
sich eine bedenkliche Tendenz zur einschränkenden Auslegung des § 31 Abs. 4
UrhG a.F., die dessen Schutzzweck widerspreche.215 Teilweise wurden Risikogeschäfte nur bei restriktiver Auslegung der vom BGH aufgestellten Kriterien für
zulässig erachtet.216 Von anderer Seite wurde die Risikogeschäftslehre dagegen
als zweckorientierter Ausgleich zwischen den Interessen der Verwerter und Urheber begrüßt.217 Zum Teil wurden die Voraussetzungen für die Wirksamkeit von
Risikogeschäften sogar als zu eng kritisiert.218
In jedem Fall hat die Risikogeschäftslehre des BGH eine wirksame Rechtseinräumung erst ab dem Zeitpunkt ermöglicht, ab dem der BGH »diese Tür geöffnet
hat«. Für Altfälle kam sie dagegen zu spät.219
210 Castendyk, ZUM 2002, 332, 343.
211 BGH, GRUR 1991, 133, 136 – Videozweitauswertung I; BGH, GRUR 1995, 212, 214 –
Videozweitauswertung III. So bereits: von Gamm, § 31 UrhG Rn. 15.
212 BGH, GRUR 1995, 212, 214 – Videozweitauswertung III.
213 BGH, GRUR 1995, 212, 214 – Videozweitauswertung III.
214 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 43; Schricker/Schricker, § 31
UrhG Rn. 27; Schulze, GRUR 1994, 855, 864.
215 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 43; Schricker/Schricker, § 31
UrhG Rn. 27.
216 Fromm/Nordemann/Hertin, §§ 31/32 UrhG Rn. 11; Fitzek, S. 199 ff.
217 Reber, GRUR 1997, 162, 168; Flechsig, ZUM 2000, 484, 489; Schack, ZUM 2001, 453,
456.
218 Hoeren, CR 1995, 710, 714.
219 Castendyk, ZUM 2002, 332, 342.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („Zweiter Korb“) am 1.1.2008 können Urheber nunmehr auch die Rechte zur Nutzung ihrer Werke in unbekannten Nutzungsarten wirksam übertragen.
Das Verbot solcher Verträge wurde ersetzt durch Bestimmungen zum Vertragsschluss und durch Einführung eines Widerrufsrechts sowie eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs zum Schutz der Urheber. Die Verfasserin stellt die Neuregelung sowie ihre Auswirkungen auf die Vertragspraxis vor. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Verwertungshemmnisse, die nach alter Rechtslage bestanden, im Wesentlichen überwunden sind, dass dabei aber auch die Interessen der Urheber aufgrund der neuen Bestimmungen angemessen gewahrt werden. Abschließend werden die Punkte zusammengefasst, an denen noch eine Nachbesserung des Gesetzgebers erfolgen sollte.
Die Autorin ist derzeit Mitglied der Kammer für Urhebersachen am LG Hamburg.