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Umsetzung des 2001er CARDS-Programms erst im Jahr 2003 (statt 2002) und des
2002er CARDS-Programms erst 2004 (statt 2003) (vgl. European Commission o.J. a).
Die Evaluierung der EU-Programme von 1996–2001 vermisste 2001 eine Anerkennung der institutionellen Schwäche der albanischen öffentlichen Verwaltung
durch die Europäische Kommission – und auch ihrer eigenen Schwäche – und die
Implikationen, die beides für die Umsetzung der EU-Programme hatte. „In addition,
the serious lack of realism implied by proposing a major programme of EU harmonisation of structures, laws and standards in a country virtually without a functioning public administration is astonishing“ (IDC/DS 2001: 25).226
4.2.2. Der Wandel der EU-Delegation vom „stummen“ zum „sichtbaren“ Akteur
In den ersten Jahren ihrer Präsenz in Albanien diente die Delegation im wesentlichen zur Betreuung der Kooperationsprojekte der EU. Ihre politische Sichtbarkeit
war in der albanischen Öffentlichkeit gering. Das hatte zum einen damit zu tun, dass
sich der größte Teil der Projekte auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die
Wiederherstellung der Infrastruktur bezog und daher nicht im Mittelpunkt der politischen Diskussion stand. Darüber hinaus war der Ruf der EU nicht zum Besten gestellt, denn „the EU’s image has been affected by the slow pace of implementation
and poor project management of Phare interventions“ (IDC/DS 2001: 33).
Zum anderen trat die Delegation vor Ort nicht mit politischen Statements hervor
(anders, als das z.B. der amerikanische Botschafter tat). Die Evaluierung der
Tätigkeiten der Delegation in Tirana kommt im Jahr 2001 zum Ergebnis, dass „(t)he
EC has maintained a low profile in Albania in promoting democracy, the rule of law
and the fight against corruption (…). Despite its key role, both political and as the
largest donor, the EC Delegation does not take a high-profile position on important
political issues: the promotion of dialogue with opposition parties, regional stability,
or corruption“ (ebd.: 43). So schenkte die albanische Presse zum Beispiel in den
1990er Jahren im Kontext der albanischen Wahlen den Ansichten des US- Botschafters wesentlich mehr Aufmerksamkeit als denen des Leiters der Delegation.
Ein großes Problem stellte für die Delegation in dieser Zeit die mangelnde Fähigkeit der EU dar, schnell auf kritische Entwicklungen in Albanien eine politische
Reaktion zeigen zu können. Im Gegensatz zur OSZE-Präsenz in Albanien konnte die
Delegation nicht autonom und ohne Rücksprache mit den Kommissionsstellen in
Brüssel (DG RELEX) und den Mitgliedsstaaten eine politische Botschaft an die
albanische Regierung senden. Sie war in dieser Hinsicht wesentlich unflexibler als
die OSZE-Präsenz. Gleichzeitig verursachten die komplexen EU-internen Abstimmungsprozesse hohe Reibungsverluste. Außerdem war es für die EU-Delegation
226 Für Beispiele der Interaktion der Europäischen Kommission mit den albanischen Partnern
vgl. Kapitel 4.3.2.2.
178
sehr schwer, der albanischen Bevölkerung die Mechanismen und Verfahren der EU
verständlich zu machen.227
Das folgende Beispiel verdeutlicht dieses Problem: Die Vielzahl der involvierten
Akteure der EU und die teilweise fehlende Absprache zwischen Brüssel und Tirana
führten zu Widersprüchlichkeiten und falschen Aussagen. So berichtete z.B. die
albanische Presse im Jahr 2003 über einen angeblich „geheimen Report“ der EU
über kritische Entwicklungen in Albanien, u.a. im Bereich der Justiz (vgl. Delegation of the European Commission in Albania 2003). Das führte zu aufgebrachten
Diskussionen in Tirana, da die Nachricht über einen „geheimen“ Bericht sofort negative Assoziationen mit den Überprüfungen durch das kommunistische Regime in
Albanien auslöste. In dieser Situation erklärte die Delegation in Albanien, dass die
EU keine geheimen Berichte über Albanien verfasse und dass der Bericht nur intern
sei, aber die albanische Regierung alle genannten Probleme und Details bereits kenne. In demselben Kontext behauptete die Pressesprecherin von Chris Patten, dass es
sich in der Tat um einen Geheimbericht der EU handeln würde, was erneute Unruhe
in der politischen Landschaft in Tirana auslöste. Das Beispiel verdeutlicht, wie
wichtig eine richtige „Verortung“ einer Nachricht im lokalen Kontext für das Image
der EU in Albanien sein kann.228 Die geringe Wahrnehmung der Delegation in der
albanischen Öffentlichkeit verwandelte sie nach Aussagen von einem albanischen
Experten gleichsam in eine „stumme“ Institution.229
Die politische Sichtbarkeit der Delegation erhöhte sich erst, als die EU mit der
Initiierung des SAA und des Stabilitätspakts für den Westlichen Balkan insgesamt
eine größere Bedeutung als politischer Akteur in der Region erhielt. Erst mit den
Vorbereitungen für die Verhandlungen über ein SAA mit Albanien in den Jahren
2001/2002, die mit einem intensiven Monitoring der Entwicklungen in Albanien
durch die EU verbunden waren, gewann die EU insgesamt mehr Aufmerksamkeit in
der albanischen Öffentlichkeit. Auch die jährlichen Fortschrittsberichte, die seit
2002 zum Monitoring der Fortschritte Albaniens von der Kommission erstellt werden, sind Anlass zu einer öffentlichen Diskussion in Albanien.
4.3. Die Instrumente der europäischen Integration Albaniens
Im Folgenden werden die beiden zentralen Instrumente betrachtet, mit denen die EU
die Länder des Westlichen Balkans näher an ihre Strukturen heranzuführen versuchte. Das erste Instrument besteht im politischen Dialog und in den Verhandlungen
über ein SAA zwischen Albanien und der EU. Das zweite Instrument ist die finanzielle und technische Hilfe der Kommission der Europäischen Union, die vor allem
227 Interview mit einem Vertreter der Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, am
10.3.2003 in Tirana.
228 Ebd.
229 Interview mit einem Vertreter der albanischen Zivilgesellschaft, am 22.1.2003 in Tirana.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.