87
kapitalzinsen – nicht durch vertragliche Vereinbarungen bereits ex ante determiniert
werden kann (vgl. Geginat et al. 2006: S. 18 und Rehkugler 2007: S. 286).
5.2.2 Kapitalmarktorientierte Ermittlung der Eigenkapitalkosten
In der betrieblichen Finanzierungslehre (Corporate Finance) werden diverse kapitalmarktorientierte Methoden zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten diskutiert. Zu
den drei bekanntesten zählen die Dividend Discount-Methode, das Capital Asset
Pricing Model (CAPM) und die so genannten Mehrfaktorenmodelle.
Die Dividend Discount-Methode135 beruht auf dem oben in Abschnitt 5.2.1 dargestellten Zusammenhang zwischen Aktienkursen, erwarteten Dividenden und erwarteter Rendite. Das Grundprinzip dieser Methode lässt sich anhand des einfachsten
Falls mit konstanter Dividendenzahlung und konstanten Eigenkapitalkosten leicht
zeigen. Durch Umformung der oben dargestellten Formel für die ewige Rente (und
Verzicht auf die Indizes) ergibt sich:
P
DE
rE
)()( = .
Der Erwartungswert der periodisch wiederkehrenden Dividendenzahlung wird geschätzt und zur aktuellen Börsennotierung des Eigenkapitals in Beziehung gesetzt.
Der Quotient kann als die von den Investoren implizit erwartete Eigenkapitalrendite
interpretiert werden. Wenn die Annahme einer periodisch konstanten Dividende
ersetzt wird durch die Annahme einer mit konstanter Rate g < r periodisch wachsenden Dividende ("Dividend Growth Model"), dann impliziert dies die Renditeerwartung
g
P
DE
rE += )()( .
Das zentrale Problem bei der Anwendung der Dividend Discount-Methode ist die
Schätzung der zukünftigen Dividenden (vgl. Armitage 2005: S. 264-272 und Brealey/Myers 2003: S. 64-70).
Ausgangspunkt des Capital Asset Pricing Models (CAPM) ist der von den Investoren auf den Kapitalmärkten erwartete Ertrag für alternative Investitionen vergleichbaren Risikos. Gemäß CAPM gilt im Kapitalmarktgleichgewicht für jedes
Unternehmen i:
])([)( fmifi rrErrE ?+= ? .
Der erwartete Ertrag )( irE des Wertpapiers i wird bestimmt durch die Summe aus
dem Ertrag einer risikofreien Anlage fr und dem Ergebnis einer Multiplikation der
135 Häufig auch DCF-Methode genannt; DCF steht für 'Discounted Cash Flow' (vgl. z.B. Myers
1972: S. 66).
88
erwarteten Marktrisikoprämie fm rrE ?)( mit dem wertpapierspezifischen Risikofaktor i? ("Beta-Faktor"). Der Beta-Faktor ist ein Maß für die systematischen Risiken,
d.h. die nicht durch Portfoliobildung diversifizierbaren Risiken.136 Er ist bestimmt
durch
)(
),(
m
mi
i rVar
rrCov=? .
Entscheidend für die Höhe der Eigenkapitalkosten ist demnach die Relation der
systematischen Risiken zum Risiko eines voll diversifizierten Aktienportfolios (vgl.
Knieps 2003b: S. 999 und Megginson 1997: S. 109 f.).137
Das zentrale Problem bei der Anwendung des CAPM ist die zukunftsorientierte
Schätzung des Beta-Faktors (vgl. Rosenberg/Guy 1976 und Volkart 2006: S. 237 f.).
Bei der Bestimmung des Beta-Faktors spielt vor allem die Branchenzugehörigkeit
eine wichtige Rolle.138 In Abbildung 5.1 sind beispielhaft für ein Sample von 168
deutschen Aktiengesellschaften im Zeitraum 1988 bis 2000 die durchschnittlichen
Branchen-Betas zusammengestellt (vgl. Drukarczyk/Schüler 2003).
In der Finanzmarkttheorie gibt es große Vorbehalte gegenüber dem CAPM. Drehund Angelpunkt der Kritik ist die zentrale Annahme, dass die Investoren sich damit
zufrieden geben, letztlich nur in eine sehr begrenzte Auswahl von Benchmark-
Portfolios zu investieren. Im einfachen Grundmodell sollen die Investoren nur noch
eine Mischung zwischen risikolosen Anlagen (Staatsanleihen als Benchmark) und
dem Marktportfolio (Aktienindex als Benchmark) auswählen, die ihren individuellen Risikopräferenzen entspricht (vgl. Brealey/Myers 2003: S. 203). Immobilien und
andere Vermögenswerte, die üblicherweise nicht direkt auf Kapitalmärkten gehandelt werden, bleiben weitgehend ausgeblendet (vgl. Rehkugler 2007: S. 149). Insbesondere R. Roll hat die zentrale Rolle eines umfassend definierten Marktportfolios
hervorgehoben und darauf aufbauend die empirische Testbarkeit des CAPM grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. Roll 1977). Zu trennen von den Problemen der Testbarkeit des CAPM, die in der Finance-Literatur ausführlich erörtert wurden (vgl.
Megginson 1997: S. 110-123), ist die Frage der Anwendbarkeit des CAPM. Hier
stellt sich insbesondere die Frage nach der Anwendbarkeit in Entscheidungskontex-
136 Das CAPM baut auf dem Ansatz von Markowitz auf. Wie bei Markowitz spielen die Varianz
und die Kovarianz als Risikomaße eine zentrale Rolle (vgl. Abschnitt 5.1.2). Es gilt jedoch
grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Messung und der Bewertung von Risiken (vgl.
Gleißner 2006 und Morin 2006: Kap. 3). Der Fokus des CAPM liegt auf der Bewertung von
Risiken. "There is an unfortunate tendency to refer to any use of beta as 'an application of the
CAPM.' Actually, one can get a good deal of mileage out of modern portfolio theory without
ever using the CAPM formula for cost of equity capital estimates" (Myers 1978: S. 67). Die
komparative Eignung von Risikomaßen, z.B. dem Beta-Maß, hängt von der jeweiligen Fragestellung ab (vgl. Ebert 2005).
137 Zur Synthese des CAPM und des WACC-Konzepts vgl. Copeland/Weston/Shastri (2005: S.
574-579). Zur Problematik der empirischen Differenzierung zwischen Änderungen der
Marktrisikoprämie und Änderungen des Beta-Faktors vgl. Hern/Zalewska (2003).
138 Zu den realen Determinanten des Beta-Faktors vgl. auch Chung (1989).
89
ten, die nicht dem postulierten Referenzpunkt eines wohl-diversifizierten Investors
entsprechen:
"[Es] ist auch fraglich, ob ein für den Kapitalmarkt und die dort typische Verhaltensweise der
breiten Streuung der Kapitalanlagen entwickeltes Modell ohne Schwierigkeiten auf reale Investitionen und Investoren übertragen werden kann, bei denen dieser Diversifikationseffekt der
Vernichtung der investitionsspezifischen Risiken nicht oder nur ansatzweise gegeben ist"
(Rehkugler 2007: S. 149).
Abbildung 5.1: Beta-Faktoren deutscher Aktiengesellschaften nach Branchen
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Drukarczyk/Schüler (2003: S. 344, Abb. 4)
Mehrfaktorenmodelle sind aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem CAPM
entstanden. Das CAPM erklärt Preis- bzw. Renditedifferenzen am Kapitalmarkt
allein über unterschiedliche Kovarianzen mit dem Marktportfolio. So gesehen ist es
ein Einfaktorenmodell. Bei Mehrfaktorenmodellen werden weitere Risiko-Faktoren
als erklärende Variable einbezogen (vgl. Armitage 2005: S. 52-59). Eines der bekanntesten Mehrfaktorenmodelle ist die von Ross (1976) entwickelte Arbitrage
Pricing Theory (APT). Genauso wie das CAPM geht das APT davon aus, dass der
Kapitalmarkt nur die systematischen Risiken vergütet. Während aber beim CAPM
die unternehmensspezifische Risikoprämie ])([ fmi rrE ?? nur von einem eindimensionalen Faktor i? und einer ein-dimensionalen Marktrisikoprämie abhängt,
ist sie beim APT abhängig von n Faktoren niii ,2,1, ,,, ??? K mit n marktseitigen
Nahrung/Getränke
Transport/Logistik
Pharma/Gesundheit
Versorgung
Handel
Konsum/Haushalt
Bau
Chemie
Maschinenbau
Rohstoffe
Marktportfolio
Industrie
Technologie
Telekommunikation
Auto
Software 1,27
1,10
1,09
1,09
1,06
? = 1
0,88
0,87
0,86
0,85
0,79
0,79
0,72
0,72
0,64
0,62
90
(Teil-)Risikoprämien für die einzelnen Risikofaktoren (vgl. Volkart 2006: S. 247 f.).
Das zentrale Problem bei der Anwendung von Mehrfaktorenmodellen ist die Identifikation der relevanten Risikofaktoren und die Schätzung der Risikoprämien für
diese spezifischen Risikokategorien. Aufgrund ihrer großen Informationsanforderungen spielen Mehrfaktorenmodelle in der Praxis bislang kaum eine Rolle (vgl.
Armitage 2005: S. 294-299 und Volkart 2006: S. 245-260).
Im Hinblick auf die Anwendbarkeit in der Praxis kann zusammenfassend festgestellt werden, dass sich – trotz aller Kritik – bislang keine überlegene Alternative
zum CAPM herauskristallisiert hat.139 Neuere empirische Untersuchungen kommen
denn auch übereinstimmend zu dem Schluss, dass sich die Anwendung des CAPM
mittlerweile auch in der europäischen Unternehmenspraxis durchgesetzt hat (vgl.
Brounen/de Jong/Koedijk 2004: S. 84 f. und Geginat et al. 2006: S. 13 f.).
5.3 Zinskostenermittlung in regulierten Netzbereichen
5.3.1 Regulatory Finance
In Abschnitt 2.3.1 wurde dargelegt, dass es auch in liberalisierten Netzindustrien
noch Bereiche mit stabiler Marktmacht gibt. Zur Regulierung dieser Netzbereiche
sind gewisse Kosteninformationen unumgänglich; in Art und Umfang abhängig vom
jeweils eingesetzten Regulierungsinstrumentarium. Ein wichtiger Informationsinput
für Regulierungsbehörden sind die Zinskosten (vgl. Abschnitt 3.3.2).
Zum juristischen Referenzpunkt der Zinskostenermittlung im US-Regulierungskontext entwickelte sich die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall 'Hope'
im Jahr 1944:
"From the investor or company point of view it is important that there be enough revenue not
only for operating expenses but also for the capital costs of the business. These include service
on the debt and dividends on the stock. (...) By that standard the return to the equity owner
should be commensurate with returns on investments in other enterprises having corresponding risks. That return, moreover, should be sufficient to assure confidence in the financial integrity of the enterprise, so as to maintain its credit and to attract capital" (U.S. Supreme Court
1944: Textziffer 603).
Es stellt sich die Frage, was unter "corresponding risks" zu verstehen ist, und wie
eine hinreichende Kompensation dieser Risiken ermittelt werden kann. Lange Zeit
wurde in der US-Regulierungspraxis der Comparable earnings-Ansatz verfolgt (vgl.
139 "[W]e adopt the attitude (as do most textbook writers) that "you can't beat someone with no
one," and will continue to use the CAPM as our principal model for determining financial risk
until a challenger is unambiguously crowned as the new champion" (Megginson 1997: S. 13).
An dieser Einschätzung Megginsons hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert: "Trotz
der (...) Kritikpunkte und der sehr restriktiven Annahmen, die in der Realität nur partiell erfüllt werden, gilt das CAPM als weithin anerkanntes Modell zur Berechnung der Eigenkapitalkosten einer Unternehmung und wird in der Praxis auch vielfach angewendet" (Rehkugler
2007: S. 286).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für die in liberalisierten Netzindustrien aktiven Unternehmen sind Kosteninformationen insbesondere bei Preis- und Investitionsentscheidungen von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus interessieren sich in zunehmendem Maße die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger für die Kosten der Netze, vor allem bei der Regulierung von Marktmacht und der Bestellung defizitärer Netzleistungen. Dies erfordert eine auf anerkannten ökonomischen Prinzipien basierende entscheidungsorientierte Kostenermittlung, die durchgängig und konsistent in allen Netzbereichen – seien sie nun wettbewerblich, reguliert oder subventioniert – anwendbar ist. Die vorliegende Habilitationsschrift will hierfür eine systematische methodische Grundlage legen.
Im Mittelpunkt steht die disaggregierte Ermittlung der Kapitalkosten. Es wird aufgezeigt, dass das Deprival value-Konzept bei der Kapitalkostenermittlung eine zentrale Rolle spielt. Darauf aufbauend wird ein analytischer Rahmen entwickelt, der das Zusammenspiel von Regulierung und Subventionierung (z.B. bei defizitären Eisenbahninfrastrukturen) normativ begründen kann.