A. Reguläre Besteuerung 247
Fall zunächst Kapitalertragsteuer einzubehalten ist und erst später im Rahmen des Erstattungsverfahrens die Kapitalertragsteuer vergütet wird.
Voraussetzung des Freistellungsverfahrens ist eine Bescheinigung des
BZSt, die dem Schuldner der Kapitalerträge, d.h. der Investmentgesellschaft, vorgelegt werden muss, § 50d Abs. 2 EStG. Die Entgegennahme
dieser Bescheinigungen und die damit verbundene Verwaltungstätigkeit
würden v.a. bei Publikums-Investmentvermögen ein erhebliches Ausmaß
annehmen, da alle ausländischen Anleger, denen eine Erstattung möglich
wäre, dann auf das Freistellungsverfahren zurückgreifen würden. Die sich
aus dem Erstattungsverfahren gegenüber dem Freistellungsverfahren ergebenden Zins- und Liquiditätsnachteile können eine derartige Erhöhung des
Verwaltungsaufwandes bei den Investmentgesellschaften nicht rechtfertigen. Der Ausschluss des Freistellungsverfahrens nach § 50d Abs. 2 EStG
ist daher zweckmäßig und rechtfertigt die Durchbrechung des Transparenzprinzips.
IX. Verlustverrechnung und negativer Zwischengewinn
Negative Erträge des Investmentvermögens werden nicht (mehr) an den
Anleger weitergeleitet, sondern auf Ebene des Investmentvermögens verrechnet und vorgetragen, § 3 Abs. 4 InvStG.1074 Dies gilt auch für negative
Zwischengewinne, die der Anleger bei der Veräußerung seines Investmentanteils realisiert. Ein negativer Zwischengewinn wird durch das Investmentvermögen mit null ausgewiesen. Auf Ebene des Investmentvermögens
wird der negative Zwischengewinn vorgetragen.1075
Die Beschränkung der Verrechnung negativer Erträge auf solche gleicher Art nach § 3 Abs. 4 Satz 1 InvStG wird in der Literatur nicht kritisiert.
Sie erscheint auch mit Hinblick auf das Symmetrieprinzip erforderlich,
denn ansonsten könnten Verluste, die beim Anleger nicht steuerpflichtig
wären, mit voll steuerpflichtigen positiven Erträgen verrechnet werden.
Problematisch ist jedoch die Behandlung überschießender negativer Erträge.
Dieser Systemwechsel, weg von der Durchleitung der Verluste zum Anteilseigner, hin zu einem Verlustvortrag auf Ebene des Investmentvermögens, verstößt gegen den Grundsatz der Transparenz, da hinsichtlich negativer Erträge das Investmentvermögen Abschirmwirkung gegenüber den
Anlegern hat. Darüber hinaus wird die Regelung verfassungsrechtlich insbesondere im Hinblick auf die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
1074 Vgl. Kapitel 6 B.I.2.b.
1075 Vgl. Kapitel 6 B.I.1.d(3).
248 Kapitel 8 Durchbrechungen des Transparenzprinzips
und der Abschnittsbesteuerung als bedenklich erachtet.1076 Grund hierfür
ist, dass es bei Wechsel der Anteilseigner dazu kommen kann, dass die vorgetragenen Verluste nicht mehr von den Anteilseignern genutzt werden
können, die sie wirtschaftlich erlitten haben. Die Nutzung der Verlustvorträge bleibt bei den noch verbleibenden Anlegern und geht auf neue Anteilseigner über, obwohl die diese Verluste nicht wirtschaftlich erlitten haben. Dies würde zu einer interpersonellen Verlustverrechnung führen.1077
Diese Fallkonstellation dürfte v.a. bei Publikumsfonds auftreten, die regelmäßig eine sehr hohe Fluktuation von Anteilseignern aufweisen. Darüber
hinaus können sich dadurch Gestaltungsmöglichkeiten bei kleineren
Fonds, d.h. hauptsächlich Spezialfonds, ergeben.1078
Als Rechtfertigung für diese Regelung wird angeführt, dass es durch den
Verlustvortrag auf Ebene des Investmentvermögens zu einer Vereinfachung der Investmentbesteuerung zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit
kommen würde.1079 Allerdings ist fraglich, ob diese Regelung wirklich zu
einer Vereinfachung führt. Die Investmentvermögen müssen Verlustvorträge für verschiedene Ertragskategorien ermitteln und intertemporal fortführen. Dies erhöht den Verwaltungsaufwand bei den Investmentgesellschaften. Würde man die Verrechnung nur nach § 3 Abs. 4 Satz 1 InvStG
beschränken und eine Durchleitung der überschießenden negativen Erträge
an den Anleger zulassen, würde die Verpflichtung zur Fortführung von
Verlustvorträgen entfallen und die Investmentvermögen müssten bei der
Ermittlung der Erträge nicht auf Verlustvorträge der Vorjahre zurückgreifen.
Dadurch wäre ebenfalls die Problematik hinsichtlich der Wechsel der
Anteilseigner und dem damit verbundenen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip (interpersonelle Verlustverrechnung) begegnet, da der Anteilseigner die ihn wirtschaftlich betreffenden Verluste des Investmentvermögens im Zeitpunkt der Zurechnung der Erträge nutzen kann.
Dies würde auch nicht zu einer weiteren Komplizierung der Investmentbesteuerung führen, da die bereits vorhandenen Veröffentlichungspflichten
in § 5 Abs. 1 InvStG für die Besteuerung auch negativer Ertragbestandteile
1076 Kayser/Steinmüller, FR 2004, 137, 142; Lindemann, FR 2003, 890, 894; Harenberg in H/H/R, InvStG, Rn. J 03-13; Ebner, BB 2005, 295, 300; Kayser/Bujotzek,
FR 2006, 49, 61.
1077 Lindemann, FR 2003, 890, 894; Ebner, BB 2005, 295, 300.
1078 Sradj/Mertes, DStR 2003, 1681, 1683; Wagner, Stbg 2005, 298, 303.
1079 BT-Drs. 15/1553, S. 121; Kayser/Steinmüller, FR 2004, 137, 142; Harenberg in
H/H/R, InvStG, Rn. J 03-13. Allerdings ist an dieser Stelle durchaus zu Fragen,
warum an anderen Stellen in der Steuerrechtordnung der Gesetzgeber gerade versucht die Verschiebung von Verlusten einzudämmen, z.B. § 8 Abs. 4 KStG a.F.
bzw. § 8c KStG n.F., Sradj/Mertes, DStR 2003, 1681, 1683.
B. Pauschalierte laufende Besteuerung 249
ausreichend sind. Einziges »Kuriosum« wäre der mögliche Ausweis negativer Beträge bei den einzelnen Bestandteilen der Veröffentlichung.1080
§ 3 Abs. 4 Satz 2 InvStG verstößt gegen das Transparenzprinzip und gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Eine weitaus bessere und auch praktikablere Lösung ist die
Zurechnung auch negativer Erträge an den Anleger, wobei auf Ebene des
Investmentvermögens nur diejenigen Erträge miteinander verrechnet werden können, die hinsichtlich Steuerbarkeit, Umfang der Steuerpflicht und
Erfassungszeitpunkt beim Anleger gleich sind.
B. Pauschalierte laufende Besteuerung
Bereits § 18 Abs. 3 AuslInvestmG – als Vorgängerregelung und Vorbild für
§ 6 InvStG1081 – sah sich erheblicher Kritik in der Literatur ausgesetzt. Es
wurde kritisiert, dass die Regelung gegen die Kapitalverkehrsfreiheit und
das Verfassungsrecht verstoße. Kritik wurde im Einzelnen geübt an der
zwingenden Bestellung eines inländischen Steuervertreters, an der Höhe
der Bemessung des Anteils am jährlichen Wertzuwachs (90 %) und insbesondere an der Höhe des Mindestertrages (10 %) und der pauschalierten
Schlussbesteuerung.1082 § 6 InvStG ist sowohl bei ausländischen als auch
bei inländischen Investmentvermögen anzuwenden, so dass insoweit keine
Diskriminierung ausländischer Investmentvermögen mehr vorliegt. Auch
die Bestellung eines inländischen Steuervertreters ist nicht mehr Voraussetzung für eine reguläre Besteuerung nach §§ 2 und 4 InvStG. Ebenso ist
die pauschale Schlussbesteuerung entfallen.1083 Der Gesetzgeber hat versucht die Höhe der pauschal ermittelten Erträge zu verringern und dadurch
der Kritik an der Vorbildregelung des § 18 Abs. 3 AuslInvestmG entgegen-
1080 Beispiel: Zinserträge: -10, Mieterträge: 50, Dividenden: -20 (Werbungskosten-
Überschuss). Bei Direktanlage sind 30 (50 + (-10) + ½ x (-20)) als Einkünfte steuerpflichtig. Bei Anwendung des § 3 Abs. 4 InvStG werden auf Ebene des Investmentvermögens Miet- und Zinserträge miteinander verrechnet. Die negativen
Dividenden Erträge werden vorgetragen. Beim Anleger sind 40 voll steuerpflichtig. Würde man die negativen Erträge mit einbeziehen, würden dem Anleger 20
(50 + (-10) + (-20)) als ausgeschütteter/ausschüttungsgleicher Ertrag bekannt
gemacht. Darüber hinaus würden Erträge i.S.d § 3 Nr. 40 EStG in Höhe von –20
bekannt gemacht. Der Anleger hätte 30 (50 + (-10) + ½ x (-20)) als Einkünfte aus
der Investmentanlage zu versteuern.
1081 So die Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/1553, S. 126; Lübbehüsen/Schmitt, DB
2003, 1696, 1698; Sradj/Mertes, DStR 2003, 1681, 1684.
1082 Plewka/Watrin, DB 2001, 2264, 2265 ff.; Schmitt, DStR 2002, 2193, 2196 ff.; Hundertmark, BB 1969, 1262, 1263 f.; Brinkhaus in Brinkhaus/Scherer, Ausl-
InvestmG, § 18 Rn. 41 ff.; Baur, AuslInvestmG, § 18 Rn. 30; Wassermeyer, IStR
2001, 193, 196.
1083 Lübbehüsen/Schmitt, DB 2003, 1696, 1698; Köndgen/Schmies, WM Sonderbeilage 1/2004, 2, 23; Lindemann, FR 2003, 890, 902.
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References
Zusammenfassung
Diese Arbeit enthält eine umfassende Analyse der Besteuerung von Erträgen aus Investmentvermögen, die sowohl dem Praktiker als auch dem Wissenschaftler einen detaillierten Einblick in die Materie verschafft.
Die Besteuerung der Investmentanlage ist im InvStG speziell geregelt. Anleger, die ihre Investments über ein Investmentvermögen tätigen, sollen möglichst so behandelt werden, als ob sie direkt in die zu Grunde liegenden Anlagegegenstände investiert hätten (sog. Transparenzprinzip). Dieses Prinzip ist jedoch insbesondere aus Vereinfachungsgesichtspunkten im InvStG nicht vollumfänglich umgesetzt. Der Autor arbeitet die Durchbrechungen des Transparenzprinzips heraus und entwickelt Vorschläge zu einer weitergehenden Umsetzung desselben. Dabei legt er besonderes Augenmerk auf die Vereinfachung der Besteuerung.
Darüber hinaus werden der Anwendungsbereich sowie die pauschale Besteuerung bei intransparenten Investmentvermögen eingehend auf ihre Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Europarecht untersucht. Der Autor schlägt Änderungen für die pauschale Besteuerung vor, die diese auf ein verfassungs- und europarechtskonformes Maß reduziert.