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1. Teil: Änderungen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizitätspflicht
durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG)
I. Der Rechtsrahmen
A. Der europäische Rechtsrahmen
Auf europäischer Ebene ist Ausgangspunkt sämtlicher das Insiderrecht sowie die
Ad-hoc-Publizität betreffender Rechtsänderungen der Aktionsplan der Kommission
für Finanzdienstleistungen (Financial Services Action Plan, FSAP) vom 11.5.1999,41
den der Europäische Rat im März 2000 auf seiner Lissabonner Tagung gebilligt hat.
Die hier getroffene Zielsetzung, bis spätestens 2005 einen integrierten europäischen
Finanzmarkt zu schaffen, konkretisierte der Europäische Rat auf seiner Stockholmer
Tagung im März 2001 zeitlich dahingehend, dass eine Harmonisierung des Kapitalmarkt- und Wertpapieraufsichtsrechts schon bis Ende 2003 erreicht werden solle. 42
Ohne ein beschleunigtes Rechtsetzungsverfahren war dieses ambitionierte Ziel nicht
zu realisieren. Unter Beteiligung einer durch die Kommission eingesetzten Sachverständigenkommission unter Leitung von Baron Alexandre Lamfalussy vereinbarten
die Kommission und das Europäische Parlament für den Bereich des Kapitalmarktund Wertpapieraufsichtsrecht so ein neues, lediglich zum Teil an die herkömmlichen
Ausschussverfahren angelehntes Rechtsetzungsverfahren.43 Bei diesem so genannten
Lamfalussy-Verfahren sind vier verschiedene Stufen der Rechtsetzung vorgesehen.
Auf einer ersten Stufe werden vom Ministerrat und dem Europäischen Parlament im
Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG die politischen Kernprinzipien sowie
Art und Umfang der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Kommission
festgesetzt. Auf jener ersten Verfahrensstufe steht die Marktmissbrauchsrichtlinie.
Auf der Stufe zwei erlässt die Kommission in einem speziellen Ausschussverfahren
technische Durchführungsbestimmungen. Auf jener zweiten Stufe des Lamfalussy-
Verfahrens sind die Durchführungsrichtlinien 2003/124/ EG44, 2003/125/EG45 und
41 Mitteilung der Kommission vom 11.05.1999, KOM (1999) 232.
42 Entschließung des Europäischen Rates vom 23.03.2001 über eine wirksame Regulierung der
Wertpapiermärkte in der Europäischen Union, ABl. EU Nr. C 138 vom 11.05.2001, S. 1.
43 Allgemein dazu von Buttlar, BB 2003, 2133; Claßen/Heegemann, Kreditwesen 2003, 1200.
44 Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22.12.2003 zur Durchführung der Richtlinie
2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Begriffsbestimmung
und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, ABl. EU Nr. L 339 vom 24.12.2003, S. 70.
45 Richtlinie 2003/125/EG der Kommission vom 22.12.2003 zur Durchführung der Richtlinie
2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die sachgerechte Darbietung von Anlageempfehlungen und die Offenlegung von Interessenkonflikten, ABl. EU
Nr. L 339 vom 24.12.2003, S. 73.
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2004/72/EG46 sowie die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 2273/200347 erlassen
worden. Ferner spielen auf der dieser Verfahrensstufe zwei von der Kommission im
Juni 2001 eingesetzte Ausschüsse eine Rolle.48 Der Ausschuss der EU-Wertpapierregulierungsbehörden (Committee of European Securities Regulators, CESR) hat die
Aufgabe, die Kommission zu beraten, bevor jene einen offiziellen Vorschlag an den
EU-Wertpapierausschuss (European Securities Committee, ESC) richtet. In dem mit
hochrangigen Vertretern der Mitgliedstaaten besetzten ESC muss der unterbreitete
Vorschlag daraufhin eine qualifizierte Mehrheit finden. Bei der Auslegung der auf
Stufe zwei erlassenen Durchführungsbestimmungen können somit Rückschlüsse aus
den von CESR für die Kommission ausgearbeiteten Vorschlägen gezogen werden.49
Die Stufe drei des Verfahrens sichert unter erneuter Einbindung von CESR, welcher
hierbei Leitlinien und Empfehlungen aussprechen darf, eine einheitliche Umsetzung
der erlassenen Normen ab.50 Zudem ist auf dieser Stufe eine verstärkte Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden vorgesehen. Auf der vierten Verfahrensstufe wirkt
die Kommission auf die effektive Durchsetzung der Normen hin, erforderlichenfalls
auch durch Anstrengung einer Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 226 Abs. 2 EG.
Das gewählte Verfahren erschwert das Auffinden der einschlägigen europäischen
Bestimmungen zwar teilweise spürbar, dass es zur Beschleunigung der Rechtsetzung
in dem betroffenen Sektor beitragen konnte, ist allerdings nicht zu bestreiten.51
46 Richtlinie 2004/72/EG der Kommission vom 29.04.2004 zur Durchführung der Richtlinie
2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates – Zulässige Marktpraktiken, Definition von Insiderinformationen in Bezug auf Warenderivate, Erstellung von Insiderverzeichnissen, Meldung von Eigengeschäften und Meldung verdächtiger Transaktionen, ABl. EU Nr. L
162 vom 30.04.2004, S. 70.
47 Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 der Kommission vom 22.12.2003 zur Durchführung der
Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates – Ausnahmeregelungen für
Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen, ABl. EU Nr. L 336 vom 23.12.
2003, S. 33.
48 Vgl. ABl. EU Nr. L 191 vom 13.07.2001; S. 43 (CESR) und S. 45 (ESC).
49 Beachtung müssen vier durch CESR veröffentlichte Papiere finden: CESR’s Advice on Level
2 Implementing Measures for the proposed Market Abuse Directive, CESR/02-089d; CESR
Market Abuse Consultation Feedback Statement, CESR/02-287b; Advice on the Second Set
of Level 2 Implementing Measures for the Market Abuse Directive, CESR/03-212c; Additional Level 2 Implementing Measures for the Market Abuse Directive Feedback Statement,
CESR/03-213b. Abrufbar sind diese Papiere unter www.cesr-eu.org.
50 Beachtung müssen zwei durch CESR veröffentlichte Papiere finden: Market Abuse Directive
Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the
Directive to the market, CESR/06-562b; Market Abuse Directive Level 3 – second set of
CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market
Feedback Statement, CESR/07-402. Abrufbar sind diese Papiere unter www.cesr-eu.org.
51 Schmolke, NZG 2005, 912, 915; Binder/Broichhausen, ZBB 2006, 85, 89. Überlegungen zu
einer weiteren Vertiefung sowie Verbesserung des Lamfalussy-Verfahrens finden sich in den
Zwischenberichten der Interinstitutionellen Überwachungsgruppe für Finanzdienstleistungen
(Inter-institutional Monitoring Group for financial services, IIMG) vom 22.03.2006 und vom
26.01.2007 sowie dem Abschlussbericht vom 15.10.2007. Diese Berichte sind abrufbar unter
http://ec.europa.eu/internal_market/finances/committees/index_de.htm#interinstitutional.
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B. Der nationale Rechtsrahmen
Mit Art. 1 des AnSVG wurden die Vorgaben der Marktmissbrauchsrichtlinie zum
ganz überwiegenden Teil in nationales Recht umgesetzt. Im Hinblick auf die Durchführungsbestimmungen auf der zweiten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens blieben
dagegen erhebliche Umsetzungsdefizite bestehen.52 Um diese Lücken zu schließen,
wurden entsprechende Verordnungsermächtigungen in das WpHG aufgenommen.
Ermächtigungen finden sich in § 10 Abs. 4 Satz 1 WpHG (Anzeige von Verdachtsfällen), § 15 Abs. 7 Satz 1 WpHG (Ad-hoc-Publizität), § 15a Abs. 5 Satz 1 WpHG
(Directors’ Dealing) und § 15b Abs. 2 Satz 1 WpHG (Insiderverzeichnisse). Mit der
Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung
– WpAIV) sind die genannten Verordnungsermächtigungen aufgegriffen worden.53
Die WpAIV setzt demnach durch das WpHG nicht geregelte Teile der Marktmissbrauchsrichtlinie, insbesondere aber der Durchführungsrichtlinien 2003/124/EG und
2004/72/EG in nationales Recht um.54
Die auf § 34b Abs. 8 Satz 1 WpHG beruhende Verordnung über die Analyse von
Finanzinstrumenten (Finanzanalyseverordnung – FinAnV)55 wie auch die auf § 20a
Abs. 5 Satz 1 WpHG gestützte Verordnung zur Konkretisierung des Verbotes der
Marktmanipulation (Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung – MaKonV)56
haben im Gegensatz zur WpAIV keinen speziellen Bezug zum Insiderrecht oder zur
Ad-hoc-Publizitätspflicht.
Nicht als Rechtsverordnung kann indes der Emittentenleitfaden der BaFin gelten.
Eine Einstufung des Emittentenleitfadens als Rechtsverordnung scheitert schon an
dem Fehlen einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage. Der Emittentenleitfaden
stellt lediglich eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift dar. Damit kann der
Emittentenleitfaden zwar eine Selbstbindung der Verwaltung bewirken, im Hinblick
auf die Judikative ist eine Bindungswirkung jedoch ausgeschlossen.57
52 Keiner Umsetzung in nationales Recht bedarf lediglich die Durchführungsverordnung (EG)
Nr. 2273/2003, da Verordnungen stets unmittelbare Wirkung entfalten.
53 BGBl. 2004 I, S. 3376.
54 Begründung WpAIV, S. 1 f., abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de.
55 BGBl. 2004 I, S. 3522. Mittels der FinAnV wird die Durchführungsrichtlinie 2003/125/EG
umgesetzt, vgl. Begründung FinAnV, S. 1, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de.
56 BGBl. 2005 I, S. 515. Die MaKonV ersetzt die KuMaKV, BGBl. 2003 I, S. 2300, welche die
Vorgaben der MMR sowie der Durchführungsrichtlinien 2003/124/EG und 2004/72/EG noch
nicht beachtete. In § 5 MaKonV findet sich ein Verweis auf die unmittelbar geltende Durchführungsverordnung (EG) Nr. 2273/2003.
57 Claussen/Florian, AG 2005, 745, 747; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729 f. Der Auffassung
von Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 8, dass die Judikative sich gleichwohl
an den Vorgaben des Emittentenleitfadens orientieren wird, kann nicht mehr uneingeschränkt
gefolgt werden, vgl. BGH ZIP 2008, 639, Rn. 24.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit stellt die Neuerungen, die das Anlegerschutzverbesserungsgesetz in den Bereichen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität gebracht hat, in ausführlicher Weise dar. Bei der Erörterung einzelner Fragestellungen wird auf die Dokumentation von Sinnzusammenhängen ebenso besonderer Wert gelegt wie auf ein rechtsdogmatisch fundiertes Vorgehen.
In einem gesonderten Teil zeigt der Autor praxisrelevante Problemfelder, denen in zunehmendem Maße öffentlicher Augenmerk zuteil wird, auf.
Das Werk ist damit nicht nur für Wissenschaftler oder Studenten, sondern auch für Praktiker interessant, um von einer fundierten Basis aus konkrete Lösungswege nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln.