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tungen. Wie bereits innerhalb dieser Untersuchung mehrfach erwähnt, ist eine sinnvolle Verwendung dieser speziellen Werke wegen ihrer spezifischen Unterstützungsfunktion fast ausschließlich im Rahmen des Unterrichts der privilegierten
Einrichtungen vorstellbar. Gleichfalls finden die wissenschaftlichen Fachzeitschriften erfahrungsgemäß ihren Abnehmerkreis weit überwiegend in Personen, die auf
jenem Gebiet tätig und folglich auf die betreffenden aktuellen Entwicklungen und
Geschehnisse angewiesen sind.821 Auch die Verwertungsbeschränkungen im ersten
Absatz helfen nicht wesentlich, diese essenzielle Gefahr für die wissenschaftlichen
Verlage auszuräumen. Gerade die wissenschaftlichen Zeitungen und Zeitschriften
leben von einer Ansammlung einzelner Beiträge verschiedener Bereiche innerhalb
einer Fachrichtung. Sobald die öffentliche Zugänglichmachung einzelner Beiträge
erlaubnisfrei möglich ist, wirkt sich dieser Umstand selbstverständlich auf die Absatzmarktstellung des betreffenden Verlages aus. Dies wird noch durch den Umstand bekräftigt, dass die betreffenden Nutzer nach allgemeiner Lebenserfahrung in
der Regel mit einem einzelnen Beitrag einer Zeitung/Zeitschrift auskommen werden.
Mit welcher verfassungsrechtlich tragbaren Begründung allein die für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werke in den Genuss einer Bereichsausnahme kommen, ist daher nicht nachvollziehbar.822
Die Sonderstellung der Filmwerke mit der Bereichsausnahme nach § 52 a Abs. 2
S. 2 UrhG im Vergleich zu den anderen Werkarten kann diesseits ebenfalls keiner
verständlichen Erklärung zugeführt werden. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot im Vergleich zu all den anderen Werkschöpfungen kann
nur schwer geleugnet werden. Allein die Besonderheit der Verwertungskaskaden bei
Filmwerken kann diese Sonderbehandlung nicht rechtfertigen. Poeppel ist insofern
beizupflichten, als die öffentliche Zugänglichmachung eines gesamten Filmwerkes
ohnehin nicht erforderlich scheint, um den Bedürfnissen der Bildung nach Anschaulichkeit gerecht zu werden. Das Schutzbedürfnis der Rechteinhaber von Filmwerken
ist dann aber augenscheinlich mit den Rechteinhabern anderer Werkarten gleichrangig, weil die werkartspezifischen Verwertungskaskaden in diesem Falle nicht beeinträchtigt würden.
C) Abschließende Gedanken zur Angemessenheit der Vergütung
I. Allgemeines
Sofern nicht die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in den Sektoren Bildung und Wissenschaft von Gesetzes wegen vollständig von einer Vergütungspflicht
freigestellt worden ist, wie beispielsweise bei § 52 Abs. 1 S. 3 UrhG oder unter den
821 V. Bernuth, in: ZUM 2003, S. 438, 444.
822 Vgl. auch die Ausführungen zu § 46 Abs. 1 S. 2 UrhG unter I. 3 d) bb) bbb), S. 128.
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engen Voraussetzungen des § 47 UrhG bei Einhaltung der Löschungsfrist, ist in den
einschlägigen Schranken zumindest geregelt, dass dem Urheber für die erlaubnisfrei
gestellte Nutzung eine angemessene Vergütung zu zahlen ist. Außer in den Fällen
der § 46 und § 47 UrhG ist zusätzlich die Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit aufgenommen, um den gesetzlichen Vergütungsanspruch geltend zu machen. Der Urheber ist mit der Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit in ein System der kollektiven
Rechtewahrnehmung unter Einbeziehung der festen Verteilungsregeln eingegliedert,
mit der Folge der Unmöglichkeit einer erfolgsbezogenen Vergütung.823 An einen
individuell ausgehandelten Vergütungsanspruch wird ein gesetzlicher daher nur
höchst selten heranreichen können. Zudem ist das Vorliegen der Voraussetzungen
des gesetzlichen Vergütungsanspruches bzw. die Angemessenheit der Vergütung in
der Praxis Quelle langwieriger Streitigkeiten.824 Der gesetzliche Vergütungsanspruch des Urhebers kann die Aufhebung des Verbotsrechts jedenfalls nicht kompensieren.825 Es erscheint insbesondere bei unkörperlichen Nutzungen fantasievoll
zu glauben, aussagekräftige Ansatzpunkte schätzungsweise ermitteln zu können, die
tatsächlich geeignet scheinen, angemessene Tarife in etwaigen Gesamtverträgen zu
bestimmen. In dieser Situation wird sich das Fehlen des Damoklesschwerts eines
Verbotsrechts für die Verhandlungsposition der Rechteinhaber unlängst bemerkbar
machen. Im Übrigen sollte an dieser Stelle abermals betont werden, dass gewichtige
Nutzerinteressen zur Rechtfertigung eines gesetzlichen Vergütungsanspruches eben
nur dann zum Tragen kommen können, wenn der Markt der individuellen Lizenzen
versagt und einer Korrektur aus tatsächlicher und technischer Sicht nicht zugeführt
werden kann.826
II. Wahrnehmungspraxis
Da es auch in den Fällen der §§ 46, 47 UrhG kaum denkbar erscheint, dass von den
Rechteinhabern die Vergütung selbst geltend gemacht werden kann, wirkt es nur
sinnvoll, diese im Rahmen von Gesamtverträgen mit den Schulträgern über die
Verwertungsgesellschaften (vgl. § 12 WahrnG) zu vereinbaren. So hat beispielsweise die VG Wort mit dem VdS Bildungsmedien e.V. für die Übernahme von Sprachwerken in Sammlungen einen Gesamtvertrag abgeschlossen, der das Meldever-
823 Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 44; Harder, in: UFITA
2004/III, S. 643, 651. Zu den Prinzipien der Verrechnung nach dem Verteilungsplan der
GEMA, eingehend: Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 139 ff.
824 Vgl. Schulze, in: GRUR 2005, S. 828, 831; Mit der Vergütungspflicht nichtkommerzieller
Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in öffentlichen Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen beschäftigten sich jüngst Pflüger und Heeg in: ZUM 2008, S. 649 ff. Sie
sprechen sich vor dem Hintergrund der Praktikabilität der Vergütunsgregelungen des UrhG in
ihrer Abhandlung insbesondere für einen einzigen und umfassenden sowie vergütungspflichtigen „Fair-use“ Tatbestand aus.
825 Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 44.
826 Hilty, in: GRUR 2005, S. 819, 822.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.