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4. Kapitel: Urheberrechtliche Relevanz von Nutzungen geschützter
Werke in den Bereichen Bildung und Wissenschaft
A) Unterscheidung zwischen körperlicher und unköperlicher Verwertung
Die Werknutzungen in körperlicher sowie in unkörperlicher Form bilden in der Addition die Gesamtheit der urheberrechtlichen Werkverwertung. Die Verwertungsrechte knüpfen dabei an die dem Werkgenuss vorgelagerten Nutzungshandlungen
an.289 Den Verwertungsrechten sind aber auch Grenzen gesetzt, so dass nicht jede
Nutzung gleichzeitig urheberrechtliche Relevanz aufweist. Insbesondere unterscheiden sich hier Werknutzungen in körperlicher sowie in unkörperlicher Form. Aus
diesem Grunde erscheint es erforderlich, beide Nutzungsformen in ihrem Erscheinungsbild im Folgenden kurz zu beleuchten.
I. Körperliche Verwertung
Der Urheber hat gemäß § 15 Abs. 1 UrhG das ausschließliche Recht, sein Werk in
körperlicher Form zu verwerten. Dieses Recht umfasst insbesondere das Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG, das Verbreitungsrecht nach § 17 UrhG und das Ausstellungsrecht nach § 18 UrhG. Jede körperliche Verwertung im Sinne des § 15 Abs.
1 UrhG setzt dabei eine körperliche Festlegung des Werkes voraus, die geeignet ist,
das Werk – mittelbar oder unmittelbar – den menschlichen Sinnen zugänglich zu
machen.290 Unter mittelbarer Zugänglichkeit ist dabei die Festlegung des Werkes auf
einem Speichermedium, wie beispielsweise auf einer DVD, Videokassette, CD, CD-
ROM, Diskette oder auch der Festplatte, zu verstehen.291 Das körperliche Verwertungsrecht liegt ausschließlich beim Urheber bzw. im Falle entsprechender Übertragung beim derivativen Rechteinhaber.
Eine Verwertung in körperlicher Form entfaltet immer urheberrechtliche Relevanz. Dritten ist die Verwertung eines geschützten Werkes daher stets nur gestattet,
wenn sie vom Berechtigten eine Erlaubnis erlangt haben oder sich ihre Verwertung
im Rahmen einer urheberrechtlichen Schrankenregelung befindet. Innerhalb der
Anwendungsbereiche der §§ 44 a UrhG entfällt das Verbotsrecht der Berechtigten
289 Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 15, Rn. 3.
290 Vgl. amtliche Begründung, BT-Drs. IV/270, S. 46; abgedruckt in: UFITA 45 (1965), S. 240,
260; Schulze, Materialien zum UrhG, Bd. 1, S. 349, 439; St. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil v.
01.07.1982 – I ZR 119/80, in: GRUR 1983, S. 28, 29 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II.
291 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn. 8.
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und die Nutzung des Dritten ist von Gesetzes wegen, gegebenenfalls gegen Zahlung
einer Vergütung, gestattet.
II. Unkörperliche Verwertung
Bei der Verwertung in unkörperlicher Form steht dem Urheber gemäß § 15 Abs. 2
UrhG das ausschließliche Verwertungsrecht zu, sein Werk in unkörperlicher Form
wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Im Umkehrschluss bedeutet
dies, dass die unkörperliche Verwertung die nichtöffentlichen Werkwiedergaben als
urheberrechtsirrelevant von der Ausschließlichkeit ausnimmt.292
Das Recht der öffentlichen Wiedergabe des Urhebers umfasst gemäß § 15 Abs. 2
S. 2 UrhG insbesondere das Vortrags-, das Aufführungs- und das Vorführungsrecht
nach § 19 UrhG, das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19 a UrhG,
das Senderecht nach § 20 UrhG, das Recht der Wiedergabe durch Bild- und Tonträger nach § 21 UrhG und letztlich das Recht der Wiedergabe von Funksendungen
und von öffentlicher Zugänglichmachung, geregelt in § 22 UrhG. Die unkörperliche
Verwertung ist kurz gefasst jede Wiedergabe des Werkes, die nicht mit einer körperlichen Festlegung einhergeht.
B) Bedeutung der Öffentlichkeit
I. Überblick über die Bedeutung der Öffentlichkeit im Rahmen urheberrechtlicher
Fallgestaltungen
Auf das Entstehen des Urheberrechts an dem Werk selbst hat die Öffentlichkeit keinen Einfluss. Das Urheberrecht entsteht ex lege zusammen mit dem Werk, so dass
es für die Schutzfähigkeit unerheblich ist, ob und wann das Werk mit der Öffentlichkeit in Berührung kommt. Die Öffentlichkeit ist aber entscheidendes Kriterium,
wenn es um die Frage der urheberrechtlichen Relevanz der Verwertung von Werken
sowie um die Bestimmung von Inhalt und Umfang des Urheberschutzes geht.
292 Die urheberrechtliche Irrelevanz der privaten Wiedergabe eines an sich geschützten Werkes
beginnt erst, nachdem der Berechtigte das Werk aus seiner Geheimsphäre in die Öffentlichkeit entlassen hat, vgl. § 12 UrhG. Vgl. zum Begriff und zur Bedeutung der Öffentlichkeit die
nachfolgenden Ausführungen unter B).
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References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.