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4. Verstoß gegen § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch Weitergabe von Geheimnissen
der Gesellschaft
Gemäß § 93 Abs. 1 S. 3 AktG hat der Vorstand über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die
ihm durch seine Tätigkeit im Vorstand bekannt geworden sind, Stillschweigen zu
bewahren. Frank gibt zu bedenken, dass § 93 Abs. 1 S. 3 AktG der Vereinbarkeit
von Vorstandsamt und Testamentsvollstreckeramt entgegen stehen könnte, da aufgrund der Personenidentität zwangsläufig Geheimnisse der AG an einen – juristisch
gesehenen – Dritten in Person des Testamentsvollstreckers weitergegeben werden.684
Zweifel an dieser Argumentation liegen bereits darin begründet, dass es für die
„Weitergabe von Geheimnissen der Gesellschaft“ an einem Adressaten fehlt, setzt
doch die Weitergabe von Geheimnissen tatsächlich eine zweite Person voraus. Ließe
man dieser Argumentation Raum, dürfte auch das Vorstandsmitglied selbst keine
Anteile der von ihm geführten Aktiengesellschaft halten. Allerdings ist der Testamentsvollstrecker dem Erben gegenüber an die Pflicht zur Verschwiegenheit des
§ 93 Abs.1 S. 3 AktG gebunden. Mit der Gefahr, dass diese Pflicht möglicherweise
im Einzelfall verletzt wird, kann die Unzulässigkeit der Doppelfunktion aber nicht
begründet werden.685
Eine Verletzung der Pflicht des Vorstandsmitglieds zur Verschwiegenheit führt
zu einer Schadensersatzpflicht des Vorstands nach § 93 Abs. 2 AktG. Darüber hinaus kann die unbefugte Offenbarung eines Geheimnisses der Gesellschaft nach
§ 404 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 AktG eine Strafbarkeit des Vorstandsmitglieds begründen. Selbst wenn man also unter der Pflicht zur Bewahrung von Stillschweigen
gemäß § 93 Abs. 1 S. 3 AktG auch die Pflicht des Vorstandsmitglieds verstehen
möchte, vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft im Rahmen der
Ausführung seines Testamentsvollstreckeramtes gänzlich unberücksichtigt zu lassen, was im Ergebnis möglich ist, besteht zugunsten der Gesellschaft und damit auch
der übrigen Gesellschafter ausreichend Sicherheit dahingehend, dass das Vorstandsmitglied vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft nicht
pflichtwidrig verwendet. Besonders vor dem Hintergrund der Regelung des § 93
Abs. 2 S. 2 AktG, wonach die Beweislast für die Anwendung der Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters beim Vorstandsmitglied liegt,
wird ein besonnenes, auf seine dienstvertragliche Zukunft sowie persönliche Existenz bedachtes Vorstandsmitglied von der missbräuchlichen Verwendung vertraulicher Angaben und / oder Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der Ausführung des
Verwaltungsvollstreckeramtes absehen.
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684 Frank, Die „kleine“ AG, S. 271
685 Grunsky, ZEV 2008, 1, 3
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5. Missbrauch der Vertretungsmacht
Auch der Umstand, dass ein Vorstandsmitglied als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft bewusst missbräuchlich Handlungen vornehmen könnte, die ihm als Testamentsvollstrecker zugute kommen,686 steht der Ämterhäufung per se nicht entgegen.687 Ein Missbrauch liegt aus gesellschaftsrechtlicher Sicht erst vor, wenn das
Handeln als Testamentsvollstrecker zugleich einen Verstoß gegen die gesellschaftlichen Regelungen des Aktienrechts bildet.
Es geht nicht an, dem Vorstandsmitglied einen missbräuchlichen Willen allein
vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Bekleidung des Testamentsvollstreckeramtes zu unterstellen. Hierfür findet sich in der Rechtsordnung kein Stütze. Die Kontrolle der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat sowie eine mögliche Haftung des
Vorstandsmitglieds für Pflichtverletzungen aus § 93 Abs. 2 AktG gewährleisten,
dass eine Art „kollusives Handeln in einer Person“ im Ergebnis unterbleibt. Dem
steht auch nicht entgegen, dass die Personenidentität zur Folge hat, dass die einzelnen Handlungen des Betreffenden schwer isolierbar sind und somit bei einer späteren Rechtsverfolgung Beweisprobleme zum Nachteil der AG, die die Darlegungsund Beweislast für die schädigende Handlung des Vorstandsmitglieds trägt, auftreten könnten.688 Eine Pflichtverletzung und damit messbar pflichtwidriges, vorwerfbares Vorstandshandeln liegt erst vor, wenn die Grenzen einer am Gesellschaftswohl
orientierten Leitung der Gesellschaft überschritten werden und damit im Ergebnis
ein unverantwortliches, ganz und gar unvernünftiges Vorstandshandeln gegeben
ist.689
6. Informationspflicht aufgrund gesellschafterlicher Treuepflicht
Aufgrund der gesellschafterlichen Treuepflicht ist ein Gesellschafter grundsätzlich
verpflichtet, seine Mitgesellschafter über Vorgänge, die deren mitgliedschaftliche
Vermögensinteressen berühren und ihnen nicht bekannt sein könnten, vollständig
und zutreffend zu informieren. Unterlässt er dies, kann sich daraus ein Schadensersatzanspruch ergeben.690
In seiner Funktion als Testamentsvollstrecker nimmt das Vorstandsmitglied sämtliche gesellschafterlichen Rechte und Pflichten für den Gesellschaftererben wahr,
weshalb er auch als Verwaltungsvollstrecker an die gesellschafterliche Treuepflicht
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686 Frank, Die „kleine AG“, S. 271
687 Im Ergebnis auch Grunsky, ZEV 2008, 1, 3 mit der Argumentation, dass „Mauscheleien“ auch
bei eigenen Aktien des Vorstandsmitglieds denkbar sind.
688 So die Bedenken von Frank, Die „kleine“ AG, S. 271, der im Ergebnis die Möglichkeit der
Ämterhäufung u.a. vor diesem Hintergrund verneint.
689 Keul, DB 2007, 728
690 BGH BB 2007, 285 (für den GmbH-Anteil)
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References
Zusammenfassung
Das Werk untersucht die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung an Aktien sowie die Machtbefugnisse des Testamentsvollstreckers für den praktisch bedeutsamen Fall, dass seiner Verwaltung Aktien unterstellt sind. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, inwieweit der Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung des Erben tätig werden und beispielsweise an der Gründung einer AG, an deren Umwandlung in eine GmbH oder an einem Börsengang einer nicht konzernierten AG mitwirken kann. Abschließend widmet sich die Autorin der Frage, inwieweit die Ämter „Testamentsvollstrecker“ und „Vorstandsmitglied einer AG“, deren Aktien der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker unterstellt sind, miteinander vereinbar sind.