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A) Einleitung
Zahlreiche Aktiengesellschaften werden von Familien dominiert. Da die meisten
Familien ihre Beteiligung an ihre Nachkommen weitergeben wollen, haben sie gro-
ßes Interesse daran, den Wert der Beteiligung zu erhalten. Sie orientieren sich deshalb langfristig. Nicht stets, jedoch häufig führt ein solches Interesse gerade in mittelständischen Unternehmen in Form von („kleinen“) Aktiengesellschaften zum
Rückgriff auf die erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeit der Anordnung der Testamentsvollstreckung über den Nachlass gemäß §§ 2197 ff. BGB.
Für die Anordnung der Testamentsvollstreckung, insbesondere in Form der Dauervollstreckung gemäß § 2209 S. 1 BGB, gibt es verschiedene Gründe und Motive.
Besonders hervorzuheben sind die Wahrung der Unternehmenskontinuität sowie
darüber hinaus reichende wirtschaftliche, soziale oder rein persönliche Motive des
Erblassers.1 Vorrangiges Ziel der angeordneten Testamentsvollstreckung ist häufig
der Schutz des vererbten unternehmerischen Vermögens vor Zersplitterung. Jedoch
mag die Anordnung der Testamentsvollstreckung auch zum Schutz des Erben erfolgen, etwa weil dieser wegen seines geringen Alters, einer noch nicht abgeschlossenen Berufsausbildung oder wegen fehlender beruflicher Erfahrung als (noch) nicht
befähigt angesehen wird, die Leitung des Unternehmens zu übernehmen und sich
den mit dem Halten der Unternehmensanteile verbundenen Rechten und Pflichten zu
stellen.2 Durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung erhöht der Erblasser die
Chance, sein Lebenswerk als Einheit zu erhalten und nach von ihm aufgestellten und
bewährten Grundsätzen langfristig fortgeführt zu wissen.3 Dabei erfolgt eine strikte
Trennung zwischen Nachlass und Erbenvermögen. Diese Trennung beginnt nicht
erst mit Annahme des Testamentsvollstreckeramtes durch den Testamentsvollstrecker, sondern bereits zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Somit wird wirksam
verhindert, dass die Gläubiger eines verschuldeten Erben Zugriff auf das Sondervermögen „Nachlass“ bekommen.4 Damit ist der Erbe nicht von vornherein zu einer
unerwünschten Liquidation der ererbten Vermögenswerte gezwungen. Gemäß seinem „Auftrag“ verwaltet der Testamentsvollstrecker die Beteiligung mit allen Rechten und Pflichten für den Erben.5 Dabei nimmt der Testamentsvollstrecker aufgrund
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1 Hierzu sowie zu weiteren Motiven der Anordnung der Testamentsvollstreckung über unternehmerisches Vermögen ausführlich Lorz, Unternehmensrecht, S. 2 ff.
2 Lorz, Unternehmensrecht, S. 3
3 Baur, FS Dölle (1963), S. 249
4 §§ 2211, 2214 BGB, 863 Abs. 1 S. 2 ZPO; Staudinger/Reimann, BGB, § 2209 Rn 14
5 Bengel/Reimann/Bengel, Testamentsvollstreckung, 3. Aufl., Kap. 1 Rn 4
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seiner verdrängenden Rechtsmacht grundsätzlich sämtliche Verwaltungs- und Vermögensrechte aus der Beteiligung des Gesellschaftererben wahr.6
Nach wie vor begegnet die Frage nach der Zulässigkeit sowie ordnungsgemäßen
Durchführung der Testamentsvollstreckung an Unternehmensbeteiligungen ungeklärten Problemstellungen. Vor dem Hintergrund der sich überschneidenden und
teilweise – wenn auch häufig nur auf den ersten Blick – von Gesetzes wegen nicht
im Einklang stehenden Rechtsgebiete des Erb- und Gesellschaftsrechts, stellen sich
bei der Testamentsvollstreckung an Unternehmensanteilen viele offene Fragen. Je
nach Ausgestaltung der Gesellschaftsform ergeben sich unterschiedliche Ansätze
und Lösungen für die Beurteilung von Zulässigkeit, Inhalt, Umfang sowie ordnungsgemäßer Durchführung der angeordneten Testamentsvollstreckung an den
Unternehmensanteilen. Sowohl für den Testamentsvollstrecker als auch für den
Gesellschaftererben und dessen Mitgesellschafter ist es zu deren eigenem Schutz
von Interesse und Bedeutung, Umfang und Grenzen zulässigen Testamentsvollstreckerhandelns zu kennen. Diese Kenntnis ermöglicht es den Beteiligten, sich,
falls notwendig, einvernehmlich über bestimmte, dispositive Gesetzeshürden hinwegzusetzen. Nur so kann der Testamentsvollstrecker umfassend seiner ihm gemäß
§§ 2216 Abs. 1, 2206 Abs. 1 BGB auferlegten Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses nachkommen.
Im Recht der Personengesellschaften in Form einer OHG oder KG fand eine umfangreiche, wenn auch noch nicht abgeschlossene Diskussion sowohl über die Zulässigkeit angeordneter Testamentsvollstreckung an den Geschäftsanteilen als auch
über Inhalt und Umfang der Kompetenzen des Testamentsvollstreckers bereits statt.7
In einer Entscheidung vom 3. Juli 1989 hat der BGH die Dauertestamentsvollstreckung am Kommanditanteil für grundsätzlich zulässig erachtet mit dem Hinweis,
dass sich Einschränkungen insbesondere daraus ergeben könnten, dass der Testamentsvollstrecker nicht befugt ist, den Erben persönlich zu verpflichten.8 Was die
Testamentsvollstreckung am Anteil eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters
angeht, gilt nach wie vor das Urteil des BGH vom 14. Mai 1986,9 dass die Testamentsvollstreckung am Anteil eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters für die
„Außenseite“ des Geschäftsanteils mit dahingehenden Wirkungen anzuerkennen ist,
dass der der Testamentsvollstreckung unterworfene Geschäftsanteil jedenfalls nicht
frei zur Verfügung des Erben steht und nicht dem Zugriff der Eigengläubiger unterliegt (§§ 2205, 2214 BGB).
Bezüglich der Frage nach der Zulässigkeit sowie ordnungsgemäßen Durchführung der Testamentsvollstreckung an Aktien wird weitgehend und häufig sehr abs-
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6 §§ 2205, 2211 BGB
7 Vgl. hierzu ausführlich Bengel/Reimann/Mayer, Testamentsvollstreckung, 3. Aufl., Kap. 5
Rn 148 ff. m.N. zur Rechtsprechung; MünchKommBGB/Zimmermann, 4. Aufl., § 2205
Rn 29 ff; Staudinger/Reimann, BGB, § 2205 Rn 106 ff.
8 BGHZ 108, 187
9 BGHZ 98, 48
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trakt auf die Grundsätze einer Testamentsvollstreckung am GmbH-Anteil verwiesen.
Im Recht der GmbH wird die Testamentsvollstreckung am Gesellschaftsanteil
– soweit ersichtlich einvernehmlich – grundsätzlich für zulässig erachtet. Ein bloßer
Verweis auf die Grundsätze des GmbH-Rechts zur Beantwortung der Frage nach
Zulässigkeit, Umfang und Grenzen der Testamentsvollstreckung an Aktien wird der
besonderen Ausprägung der Unternehmensanteile in Form von Aktien sowie der
ihnen als solche innewohnenden Verwaltungs- und Vermögensrechte jedoch nicht
gerecht.
Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Testamentsvollstreckung an Aktien, insbesondere in Form der Dauervollstreckung gemäß
§ 2209 S. 1 BGB zulässig ist und der Testamentsvollstrecker befugt ist, die der
Aktie innewohnenden Verwaltungs- und Vermögensrechte für den Gesellschaftererben wahrzunehmen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, inwieweit der
Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung des Erben tätig werden darf. Dabei wird
zunächst auf die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers sowie die Rahmenbedingungen der Testamentsvollstreckung an Aktien wie beispielsweise deren Vererblichkeit näher eingegangen. Gegenstand der weiteren Untersuchung sind die gesellschaftsrechtlichen Schranken der Machtbefugnisse des Testamentsvollstreckers u.a.
vor dem Hintergrund der Kernbereichslehre sowie der gesellschafterlichen Treuepflicht. Daran anknüpfend werden die Machtbefugnisse des Testamentsvollstreckers
bei der Ausübung der der Aktie innewohnenden Verwaltungs- und Vermögensrechte
untersucht. In diesem Zusammenhang stellt sich u.a. die Frage, inwieweit der Testamentsvollstrecker an der Gründung einer AG, an deren Umwandlung in eine
GmbH sowie an einem Börsengang einer nicht konzernierten AG mitwirken kann,
ohne dass er dabei der Zustimmung des Gesellschaftererben bedarf.
Abschließend widmet sich die Arbeit der Fragestellung, inwieweit die Ämter des
Testamentsvollstreckers sowie dasjenige eines Mitglieds des Organs „Vorstand“
einer Aktiengesellschaft, deren Aktien der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker unterstellt sind, miteinander vereinbar sind. Diese Frage stellt sich in der
Praxis zum einen dann, wenn der vom Erblasser benannte Testamentsvollstrecker
bereits Mitglied des Vorstands der Aktiengesellschaft ist, deren Anteile vererbt und
der Dauertestamentsvollstreckung unterstellt werden sollen. Relevanz erlangt diese
Frage zum anderen aber auch dann, wenn der Testamentsvollstrecker nach dem
Erbfall zum Vorstandsmitglied einer AG bestellt werden soll, deren in den Nachlass
fallende Aktien bereits seiner Verwaltung als Testamentsvollstrecker unterstellt
sind. Weder das Erb- noch das Aktienrecht verbieten explizit die Vereinigung beider
Ämter in einer Person. Wenn der Testamentsvollstrecker seinen ihm durch das
Erbrecht auferlegten Pflichten ordnungsgemäß nachkommt, stellt sich die Frage, ob
die Vereinigung beider Ämter in einer Person mit den Grundsätzen des Aktienrechts
sowie allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinbar ist.
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References
Zusammenfassung
Das Werk untersucht die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung an Aktien sowie die Machtbefugnisse des Testamentsvollstreckers für den praktisch bedeutsamen Fall, dass seiner Verwaltung Aktien unterstellt sind. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, inwieweit der Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung des Erben tätig werden und beispielsweise an der Gründung einer AG, an deren Umwandlung in eine GmbH oder an einem Börsengang einer nicht konzernierten AG mitwirken kann. Abschließend widmet sich die Autorin der Frage, inwieweit die Ämter „Testamentsvollstrecker“ und „Vorstandsmitglied einer AG“, deren Aktien der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker unterstellt sind, miteinander vereinbar sind.