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D. Anlass für die Arbeit
Der Anlass für die Arbeit ergibt sich aus einer Entscheidung des XI. Zivilsenats des
BGH vom 23. April 2002 – XI ZR 136/0152 – und dem Urteil des 3. Zivilsenats des
OLG Celle vom 14. Februar 2001 – 3 U 251/94.53 In dem den Entscheidungen zugrunde
liegenden Sachverhalt ging es um die Haftungsverhältnisse einer aus einem deutschem
Ehepaar und seinem minderjährigen Sohn bestehenden New Yorker gewöhnlichen
Partnerschaft (general partnership), die im Jahre 1980 in eine Kommanditgesellschaft
(limited partnership) umgewandelt wurde. Der Kläger, Konkursverwalter eines deutschen Bankhauses, nahm die Beklagte, die Witwe des verstorbenen Komplementärs, als
Gesellschafterin der limited partnership auf Rückzahlung eines dieser Gesellschaft gewährten Darlehens nebst Zinsen sowie Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte berief
sich gegenüber dem Rückzahlungsanspruch auf den gesetzlichen Ausschluss ihrer
persönlichen und unbeschränkten Haftung als Kommanditistin (limited partner). Der
Kläger hingegen argumentierte unter anderem, die Beklagte habe derart in die
Geschäftsführung der limited partnership eingegriffen, dass sie für die Verbindlichkeiten der umgewandelten general partnership ungeachtet ihrer Stellung als limited
partner unbeschränkt und persönlich aufkommen müsse.54 Das Landgericht hatte die
Klage abgewiesen,55 das OLG Celle ihr hingegen im Wesentlichen stattgegeben.56 Die
Revision beim BGH führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückweisung an
das OLG.57 Zunächst bestätigte der XI. Zivilsenat ohne weitere Begründung, dass sich
aus Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
(FHSV) eine Pflicht ergibt, das Recht des Gründungsstaates auf den Fall anzuwenden.58
52 WM 2002, 1186-1190 = ZIP 2002, 1155-1159.
53 Entscheidung nicht veröffentlicht.
54 Dabei ging das Gericht nicht auf die Frage ein, inwieweit sich eine Haftung aufgrund eines
vormals bestehenden general partner status ergeben könnte. Da die general partnership niemals
wirksam beendet (dissolved) oder liquidiert (wounded-up) worden ist, spricht viel dafür, einen
Schuldnerwechsel (novation) anzunehmen, wodurch die limited partnership zum Darlehensnehmer
geworden ist.
55 LG Hannover, 29. Juli 1994, Az: 4 O 51/94 (nicht veröffentlicht).
56 Siehe WM 2002, 1186.
57 WM 2002, 1186, 1190. Die Restsache wurde später durch Vergleich beendet.
58 Dabei ist es seit langem umstritten, inwieweit der FHSV eine Verpflichtung deutscher Gerichte
begründet, das Personalstatut einer US-amerikanischen Gesellschaft nach dem Gründungsstaat zu
beurteilen, selbst wenn die Gesellschaft in Deutschland ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Es
geht um die Frage, ob Art. XXV Abs. 5 S. 2 FHSV einen kollisions- oder fremdenrechtlichen
Charakter aufweist. Die instanzlichen Rechtsprechung war bisher unheitlich. Für einen
kollisonsrechtlichen Gehalt vgl. OLG Düsseldorf, RIW 1995, 508; OLG Celle, OLG Zweibrücken,
NJW 1987, 2168; OLG Naumburg, 19.12.1995 – 7 U 146/95, juris. Für einen fremdenrechtlichen
Charakter siehe OLG München, ZIP 2002, 2132; OLG Hamm, OLGR Hamm, 2003, 9. Aus
amerikanischer Sicht gibt es bisher keine Stellungnahme. Vgl. Damman, RabelsZ 68 (2004), 609,
617. Der BGH hat jüngst in nunmehr drei Urteilen entschieden, dass die Bestimmung des Art.
XXV Abs. 5 S. 2 FHSV eine staatsvertragliche Kollisionsnorm darstellt, welche die Anknüpfung
an das Recht des Gründungsstaates festlegt. Siehe BGH, 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, RIW 2003,
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Insofern hatte das OLG zwar richtig festgestellt, dass die Haftung der beklagten
Kommanditistin sich nach dem Recht des Gründungsstaates der Gesellschaft,59 also
nach dem US-Bundesstaat New York richtet;60 das Gericht hatte das maßgebliche New
Yorker Recht aber unzureichend ermittelt:61 Denn obwohl die Richter die
entscheidungserhebliche Haftungsvorschrift des New York Limited Partnership Act für
die Haftung des limited partner bei Einflussnahme auf die Geschäftsführung „gefunden“ hatten (§ 96 NYPL), fehlten Ausführungen zur Auslegung und Anwendung
dieser Norm durch US-amerikanische Rechtsprechung und Rechtslehre völlig.62 In
diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich gemäß § 293 ZPO der Grundsatz
„iura novit curia“ nicht auf das ausländische Recht bezieht, da das Gericht das vom IPR
des Forums berufene Recht von Amts wegen anzuwenden hat63 und die tatrichterliche
Ermittlungspflicht somit auch das ausländische Recht umfasst. Darin inbegriffen ist
insbesondere die Ermittlung der ausländischen Rechtspraxis,64 wie sie in der
Rechtsprechung der Gerichte des betreffenden Landes zum Ausdruck kommt.65 Da die
Richter des OLG Celle der Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen waren,
war das Berufungsurteil insoweit fehlerhaft.66 Ob die beklagte Kommanditistin in die
Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft derart eingegriffen hatte, dass sie gemäß
§ 96 NYPL unbeschränkt und persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft
473; BGH 13.10.2004 – I ZR 245/01, RIW 2005, 147; BGH, 5.7.2004 – II ZR 389/02, RIW 2004,
787. Zu der Rechtsprechung des BGH siehe insbesondere Ebke, JZ 2005, 299, 300–303.; ders., FS
Hay, 119 ff. (2005). Paal, RIW 2005, 735, 736 ff.; Stürner, IPRax 2005, 305 f. Die Auffassung
des BGH, dass sich aus dem Art. XXV Abs. 5 Satz 2 eine Anwendung der Gründungstheorie
ergibt, war in der Literatur nicht unumstritten. Für einen rein fremdenrechtlichen Gehalt vgl.
Berndt, JZ 1996, 187, 191; Lehner, RIW 1988, 201, 208 f.; Walden, S. 163–64. Für einen
kollisionsrechtlichen Gehalt vgl. Beitzke, FS Luther, 1 f., 10 (2000); Bungert, DB 2003, 1043;
Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 f.; Sandrock, BB 1999, 1337, 1341. Ausführlich zur aktuellen
Diskussion siehe Ebke, JZ 2005, 299, 300. Zur „Anerkennungsproblematik“ insgesamt vgl.
Damman, RabelsZ 68 (2004), 607, 614–17; Ebke, RIW 2004, 740, 741; ders., JZ 2005, 299, 300;
allgemein aus historischer Sicht bereits Großfeld, RabelsZ 38 (1974), 344.
59 Die Haftungsverhältnisse einer Gesellschaft richten sich nach dem Personalstatut der Gesellschaft
(BGHZ 78, 318, 334).
60 Dabei war dies zur Zeit des Urteils überhaupt nicht eindeutig. Erst nunmehr kann davon
ausgegangen werden, dass der BGH dem FSHV grundsätzlich die Gründungstheorie entnimmt.
Vgl. Ebke, JZ 2005, 299, 303; ders., FS Thode, 593, 606 f. (2005); Paal, RIW 2005, 735.
61 Im vorliegenden Fall hätte der BGH sich jedoch gar nicht zwischen Gründungs- und Sitztheorie
festhalten lassen müssen, da die limited partnership nicht nur in New York gegründet wurde,
sondern auch dort ihren effektiven Verwaltungssitz hatte. Zutreffend Dörner, LMK 2003, 56.
62 Zu den Anforderungen der Ermittlungspflicht gem. § 293 ZPO siehe nur BGHZ 118, 151, 164.
63 Zöller/Geimer, ZPO, § 293 Rn. 9 ff; BGHZ 118, 151, 162 = ZIP 1992, 781, 784; BGH ZIP 2001,
675, 676 = WM 2001, 502, 503.
64 Prütting, in: MünchKomm ZPO, § 293 Rn. 57; BGHZ 118, 151, 164.
65 BGH WM 2001, 502, 503; WM 2002, 1186; auch Zöller/Geimer, ZPO, § 293 Rn. 24.
66 Der BGH wies wiederholt darauf hin, dass vom Revisionsgericht lediglich überprüft werden darf,
ob der Tatrichter sein pflichtgemäßes Ermessen zur Verschaffung der notwendigen Kenntnisse
fehlerfrei ausgeübt hat. Siehe BGHZ 118, 151, 163 = ZIP 1992, 781, 784; BGH ZIP 2001, 675,
676; BGH BGHReport 2001, 895.
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hätte haften müssen, musste aufgrund der Pflichtverletzung des OLG Celle in Bezug auf
seine tatrichterliche Ermittlungspflicht nicht mehr entschieden werden.
Die Entscheidungen geben Anlass für eine rechtsvergleichende Untersuchung, weil
sie Grundprobleme des Gesellschaftsrechts betreffen: Sie betreffen die Zweiteilung
zwischen Kapital- und Personengesellschaften und den damit zusammenhängenden
Grundsatz der Trennung von Inhaberschaft (ownership), Geschäftsführung (control)
und beschränkter Haftung (limited liability) in börsenunabhängigen Kleinunternehmen.
Eine Untersuchung der Problematik am Beispiel der Kommanditgesellschaft bietet
sich an, weil die Rechtsform historisch betrachtet die erste nicht börsennotierte Gesellschaft war, die einem Anteilseigner das Privileg der beschränkten Haftung gewährte.
Eine rechtsvergleichende Studie der Verbindung von Inhaberschaft, Geschäftsführung
und beschränkter Haftung anhand der Kommanditgesellschaft ist von Vorteil, weil die
Kommanditgesellschaft die erste und einzige US-amerikanische Gesellschaftsform darstellt, die vollständig aus Europa übernommen wurde. Mit dem gemeinsamen
Ausgangspunkt ist die Untersuchung der unterschiedlichen Vorgehensweisen beider
Rechtsordnungen von größtem Interesse.
Betrachtet man darüber hinaus die derzeitige Reformendebatte der europäischen
Gesetzgeber, ist die Untersuchung der Problematik aufgrund ihrer Aktualität relevanter
denn je. Denn fast alle europäischen Länder versuchen derzeit börsenunabhängige
Gesellschaftsformen für Kleinunternehmer zu kreieren, die eine Mischung aus
Personen- und Kapitalgesellschaften darstellen. Die neuen Gesellschaftsformen werden
zutreffend als hybride Rechtsformen bezeichnet, gewährleisten sie doch neben einem
beschränkten Haftungsregime die vollständige und flexible Verbindung von
Inhaberschaft und Geschäftsführungsmacht.67 Beispielhaft zu nennen sind nur die
englische Limited, die modernisierte französische SARL und die deutsche Unternehmergesellschaft UG (haftungsbeschränkt).68 Die ursprüngliche Zweiteilung der
Gesellschaftsformen wird derzeit regelrecht aufgehoben. Insofern bietet es sich an, die
Problematik am Beispiel der Urform aller hybriden, börsenunabhängigen Rechtsformen,
der atypischen Kommanditgesellschaft, aufzuarbeiten.
E. Erkenntnisziel der Arbeit
Durch das Urteil des OLG Celle wird deutlich, dass die Kenntnis einer fremden
Rechtsordnung und damit verbunden die Kenntnis der Auslegung und Anwendung der
entscheidungserheblichen ausländischen Vorschrift für den deutschen Juristen von
großer Bedeutung ist. Das US-amerikanische Recht ist trotz umfangreicher
67 Vgl. aus rechtsvergleichender Sicht Kulms, ZVglRWiss 102 (2003), 272 ff.
68 Vgl. zur UG u.a. Leyendecker, GmbHR 2008, 302; Drygala, NZG 2007, 561; Seibert, GmbHR
2007, 673; Wilhelm, DB 2007, 1510.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Einheit von Herrschaft und Haftung beherrschte in Deutschland wie in den USA lange Zeit die Diskussion über den Sinn und Unsinn der beschränkten Haftung im Gesellschaftsrecht. Um opportunistischem Handeln von herrschenden Gesellschaftern entgegenzuwirken, wurde die beschränkte Haftung nur gegen einen Verlust von Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschaft gewährt. Eine Trennung von Herrschaft und Haftung war nicht möglich. In Deutschland wurde dieses Dogma durch die atypische KG bereits frühzeitig durchbrochen. In den USA trat eine solche Entwicklung erst vollständig in den letzten Jahrzehnten ein. In jüngster Zeit entstand in den europäischen Rechtsordnungen ein neuer Reformprozess, der maßgeblich durch die Bestrebungen geprägt war eine mindestkapitallose Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zu kreieren, in der die Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben können.
Das Werk zeigt die die Ursachen für diese Entwicklung sowie die rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen einer Durchbrechung des Grundsatzes einer Einheit von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht auf und hinterfragt diese im Hinblick auf den weltweiten Markt der Gesellschaftsrechte.