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tigen Situation gestellt sind, in einer Situation, die durch einen scharfen Qualitäts- und Kostenwettbewerb gekennzeichnet ist.
2. Untersuchungsmethode
Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Rechtstatsachenuntersuchung durchgeführt worden. Bewusst wird der möglicherweise ein wenig altmodisch klin gende Begriff »Rechtstatsachenuntersuchung« gewählt und nicht von einer
empirischen Untersuchung gesprochen, weil nicht Repräsentativität, sondern
Exemplarietät angestrebt wird. Es geht um das schlichte Vorhaben darzustellen, wie in der Praxis von dem organisatorischen Instrumentarium des Kommunalunternehmens Gebrauch gemacht wird. Für die Beantwortung dieser
Frage kommt es nicht auf Vollständigkeit und nicht auf Prozentzahlen an,
sondern auf möglichst aussagekräftige Beispiele.
Methodisch ist das Untersuchungsfeld in einem Dreischritt erkundet worden.
a) Unternehmenssatzungen
In einem ersten Schritt wurden die Unternehmenssatzungen gesammelt und
ausgewertet. Dabei wurden möglichst auch die Satzungen der Kommunalunternehmen berücksichtigt, die sich nicht an der Erhebung beteiligt haben.
Bemerkenswert ist, dass die Satzungen sich in einem hohen Maße an einer
Mustersatzung des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbands orientieren.636
b) Pilotstudie
Nach einer Durchsicht der Satzungen wurden in einem zweiten Schritt die
Organisationsentscheidungen von zwei Großkliniken genauer untersucht, um
die Fragestellungen der Rechtstatsachen-Erhebung präzisieren zu können.
Ausgewählt wurden das Klinikum Nürnberg als Beispiel eines Kommunalunternehmens und die Zentralkrankenhäuser der Stadt Bremen als Beispiel einer
zivilrechtlichen Organisation. In beiden Fällen stellten sich weitgehend übereinstimmende Strukturfragen, die aber jeweils mit unterschiedlichen Lösungen beantwortet wurden. Zusätzlich zur Sichtung schriftlicher Materialien
636 Muster einer Unternehmenssatzung für ein Krankenhaus in der Rechtsform des Kommunalunternehmens, in: Bayerischer Kommunaler Prüfungsverband – Geschäftsbericht 1998,
S. 19 ff.; vgl. auch M. Wagner, Muster einer Unternehmenssatzung für Kommunalunternehmen, in: Bayerischer Kommunaler Prüfungsverband, Geschäftsbericht 1996, S. 71 ff.;
Muster einer Organisationssatzung für Kommunalunternehmen (Anstalt des öffentlichen
Rechts), Bekanntmachung des Innenministeriums vom 31.10.2003 (Amtsbl. Schl-H. 2003,
S. 856).
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wurden zu beiden Kliniken Gespräche mit bestinformierten Führungspersonen geführt.637
(1) Für das zunächst als Regiebetrieb und seit Herbst 1995 als »Optimierter
Regiebetrieb« geführte Klinikum Nürnberg stellte sich in der zweiten Hälfte
der neunziger Jahre die Frage, mit welcher Struktur den durch die Gesundheitsreform und durch den zunehmenden Kostendruck gestellten Anforderungen entsprochen und wie die seit Jahrzehnten von der Stadt Nürnberg getragenen Verluste vermieden werden könnten.638 Es war deutlich, dass eine klarere
Abgrenzung gezogen werden musste zwischen den Grundsatzentscheidungen
des Trägers bzw. der politischen Gremien einerseits und den Entscheidungen,
die den laufenden Betrieb betreffen, andererseits. Als mögliche Rechtsform
kamen seit dem 1. Januar 1998 die gemeinnützige GmbH und das selbständige Kommunalunternehmen in Frage. Nach einer ausführlichen Diskussion,
die durch eine aus Vertretern des Klinikums und der Stadt bestehende Projektgruppe mit Unterstützung durch externe Beratungsfirmen vorbereitet wurde,
und in die alle Beschäftigtengruppen des Klinikums sowie die Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen einbezogen waren, beschloss der Stadtrat
der Stadt Nürnberg 1997 die Umwandlung des Klinikums in ein Kommunalunternehmen ab dem 1. Januar 1998. Gewählt wurde diese öffentlich-rechtliche Organisationsform, weil sie drei der für die Neuorganisation vorgegebenen zentralen Voraussetzungen erfüllt: 1. die Konzentration der politischen
Einflussnahme auf unternehmenspolitische Grundsatzfragen, 2. die Entflechtung des Klinikums von der Stadtverwaltung sowie 3. die Schaffung einer
effizienten Leitungsstruktur. Politisch war die Neuorganisation von dem Willen getragen, das Klinikum dauerhaft in kommunaler Trägerschaft zu halten,
um die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags auf hohem Niveau nachhaltig
gewährleisten zu können sowie »einer eventuellen Vernachlässigung der Allgemeinversorgung zugunsten finanziell lukrativer Versorgungsbereiche«639
entgegenzuwirken. Dabei ist bei den Akteuren das Motiv erkennbar, mit einer
formellen Privatisierung nicht den ersten Schritt zu einer materiellen Privatisierung zu tun. Allerdings wird eine hier nicht zu leistende Gesamtwürdigung
des »Nürnberger Modells« zu berücksichtigen haben, dass durch die Aus gründung privatrechtlicher Tochtergesellschaften systeminterne Privatisie-
637 Für die Bereitschaft zu diesen Gesprächen danke ich dem Vorstand des Klinikums Nürnberg, Herrn Klaus Wambach, und dem Abteilungsleiter der Abteilung »Gesundheit« beim
Senator für Arbeit, Gesundheit, Frauen und Soziales der Freien Hansestadt Bremen, Herrn
Dr. Gruhl.
638 Vgl. dazu die Selbstdarstellung des Klinikums Nürnberg auf der Internetseite http://klinikum.nuernberg.de unter »Strukturreform« sowie K. Wambach, Das Kommunalunternehmen Klinikum Nürnberg, in: M. Wambach (Hrsg.), Die AöR (Fußn. 310), S. 306 ff.
639 K. Wambach, Das Kommunalunternehmen Klinikum Nürnberg (Fußn. 638), S. 308.
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rungselemente vorhanden sind (vgl. weitere Einzelheiten im Abschnitt II.
7. e)).
(2) Bei den vier kommunalen Zentralkrankenhäusern in Bremen640 ist die
Ausgangslage der Organisationsreform zwar im Allgemeinen (Gesundheitsreform, Wettbewerbs- und Kostendruck) dieselbe wie in der Bundesrepublik
insgesamt, dies allerdings mit einigen Besonderheiten. Die seit 1989 als
Eigenbetriebe geführten Kliniken erzielten (bis einschließlich 2002) mit ihren
ca. 3.300 Betten und 7.000 Beschäftigten ein Erlösvolumen von ca. 250-270
Millionen Euro pro Jahr. Die zentralen Motive für eine Strukturänderung
waren deshalb hier (zunächst noch) nicht so sehr die Finanznot, sondern die
Verbesserung der Kooperation unter den Zentralkrankenhäusern und – in der
besonderen Situation des Stadtstaates im niedersächsischen Umland – die
Verbesserung der Expansionsmöglichkeiten. Ein Gutachten der Ernst &
Young Consulting GmbH, das im Frühjahr 2000 die Umwandlung der Zentralkrankenhäuser in gGmbHs unter einer Holding GmbH vorschlug, führte
zu einer intensiven Debatte. In diese Debatte wurde von der Arbeitnehmerseite der Vorschlag einer Kommunalunternehmen-Struktur entwickelt und
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als Vorschlag in die Beratungen der
Stadtbürgerschaft eingebracht.641 Dafür, dass dort im Frühjahr 2003 das
modifizierte privatrechtliche Holdingmodell642 verabschiedet worden ist,643
wurden von den Befürwortern dieser Lösung folgende Gründe als ausschlag gebend genannt: Die gemeinnützige GmbH biete – erstens – die dem Kommunalunternehmen nur über stille Gesellschafter eröffnete Möglichkeit der
Beteiligung von und an anderen kommunalen oder gemeinnützigen Gesellschaften. Die gGmbH habe – zweitens – den Vorteil, dass sie ohne rechtliche
Schwierigkeiten über die Landesgrenzen hinaus aktiv werden könne. 644 Der
640 Vgl. zum Folgenden M. Gruhl, Vom Zentralkrankenhaus zur Gesundheit-Nord GmbH,
AKP, 2003, S. 52 ff.; Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen, Jahresbericht 2004, im
Internet unter http://www.gesundheitnord.de/internet/holding/de/
641 Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft), Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Ortsgesetz über die Satzung für das Kommunalunternehmen Bremer Krankenhaus Holding
(Anstalt des öffentlichen Rechts) der Stadtgemeinde Bremen, Drucks. 15/709 S vom
31.03.2003; Ortsgesetz über die Satzungen der kommunalen Krankenhäuser in der Stadtgemeinde Bremen, Drucks. 15/710 S vom 31.03.2003.
642 Dem lag ein weiteres Gutachten zugrunde: Büsing, Müffelmann & Theye, Rechtsanwälte
und Notare, FIDES Treuhandgesellschaft Reifenrath & Co., Rechtliche Bewertung einer
möglichen Umwandlung der Krankenhausbetriebe der Freien Hansestadt Bremen in »privatrechtlich konstruierte« Kommunalunternehmen unter einem rechtlich selbständigen
Dach, 12.02.2002.
643 Ortsgesetz zur Umwandlung der Krankenhausbetriebe der Stadtgemeinde Bremen in privatrechtliche Unternehmen und zur Errichtung einer Holding- und einer Grundstücksgesellschaft (Krankenhausunternehmens-Ortsgesetz – KHUG –) vom 08.04.2003 (BremGBl.
S. 175).
644 Vgl. dazu die Debatte in der 45. Sitzung der Stadtbürgerschaft vom 01.04.2003, S. 2108,
2113, 2115.
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Übergang in die Privatrechtsform wurde für die Arbeitnehmer abgefedert: Die
tarifvertraglichen Arbeitnehmerrechte bleiben bestehen; die bisherigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind unkündbar; auf den Tendenzschutz wird verzichtet und eine paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten gewährleistet.
c) Erhebungsbogen
Auf der Grundlage der so gewonnenen Informationen ist dann in einem dritten Schritt ein Erhebungsbogen entwickelt worden, auf den an dieser Stelle
verwiesen wird (vgl. Anhang III).645 Die Erhebungsbogen sind den Vorständen der Kommunalunternehmen mit einem Empfehlungsschreiben aus dem
Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und
Frauen646 zugesandt worden.
II. Die Ergebnisse im Einzelnen
1. Gründung der Krankenhaus-Kommunalunternehmen
Wie im Dritten Teil Abschnitt I. 4. ausgeführt worden ist, ist die Unkompliziertheit der Umwandlung von Regie- und Eigenbetrieben in Kommunalunternehmen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ein Aktivposten dieser
Rechtsform. Alle Krankenhaus-Kommunalunternehmen sind auf dem Wege
der Umwandlung entstanden. Von den 23 Kommunalunternehmen, die sich
an der Erhebung beteiligt haben, sind 11 aus einem Regiebetrieb (darunter die
Großkliniken Augsburg und Nürnberg), 12 aus einem Eigenbetrieb in ein
Kommunalunternehmen umgewandelt worden. In der ganz überwiegenden
Zahl wird die Umwandlung vom Vorstand des Kommunalunternehmens als
problemlos bezeichnet. Nur in fünf Fällen werden Probleme angedeutet,
davon in drei Fällen mit einem Personalbezug. Leider war es aus technischen
Gründen nicht möglich, auch die jeweiligen Personalräte nach ihrer Sicht der
Dinge zu befragen.
645 Für seine hilfreiche Beratung bei der Abfassung des Erhebungsbogens danke ich Herrn Stefan Nickel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizin-Soziologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.
646 Für seine freundliche Unterstützung des Forschungsprojekts und die Abfassung eines Empfehlungsschreibens danke ich dem Leiter der Krankenhausabteilung Herrn Ministerialdirigenten Dr. Gerhard Knorr.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.