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(2) Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die in Staat und Kommunen verfasste »Staatsgewalt« ist in der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes verfassungsgemäß nur als von der Mehrheit des Volkes anvertrautes
und legitimiertes, dem Volke verantwortliches Handeln.278 Die notwendige
sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation staatlicher und kommunaler
Aufgabenerfüllung bedarf klarer und effektiver Regelungen, durch welche die
allgemeine verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit in kontrollierbare und
sanktionierbare Verantwortung konkreter Akteure umgesetzt wird. Für die
Ausgliederung kommunaler Agenden auf verselbständigte Verwaltungseinheiten öffentlichen oder privaten Rechts bedeutet dies, dass die Gemeinde
ausreichende Einwirkungs- und Kontrollrechte gegenüber dem öffentlichen
Unternehmen besitzen und wahrnehmen muss (Ingerenz- und Kontrollpflicht).
(3) Schließlich bedürfen alle öffentlichen (staatlichen und kommunalen) Ent scheidungen der Rückführung auf das Volk, von dem gemäß Art. 20 Abs. 2
Satz 1 GG alle Staatsgewalt ausgeht. Die damit notwendige organisatorischpersonelle demokratische Legitimation muss auch bei ausgegliederter Aufgabenwahrnehmung in effektiver Weise institutionell gesichert sein.279
2. Einfachgesetzliche Rechtsformbestimmungen
Zusätzlich zur verwaltungsinternen Rechtsform des Regiebetriebs stellt das
Kommunalwirtschaftsrecht den Gemeinden für ihre ausgegliederte Aufgabenwahrnehmung sowohl den Eigenbetrieb und in einigen Ländern das selbständige Kommunalunternehmen (vgl. dazu ausführlich Dritter Teil
Abschnitt I.) als Organisationsformen des öffentlichen Rechts als auch die
gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen des Privatrechts (insbesondere
GmbH und AG) zur Verfügung. Über die für alle gemeindlichen Unterneh men unabhängig von ihrer Rechtsform geltenden allgemeinen gesetzlichen
Zulässigkeitsvoraussetzungen – öffentlicher Zweck; angemessenes Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde; Subsidiarität, wenn Private die
Aufgabe besser und wirtschaftlicher erledigen können; Örtlichkeitsprinzip
(vgl. z. B. Art. 87 GO Bay)280 – hinaus ergibt sich für die Wahl der Privat-
278 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (Fußn. 1), Rn. 153.
279 Zu den Modifikationen der personellen demokratischen Legitimation bei funktioneller
Selbstverwaltung und bei ausgegliederten Verwaltungseinheiten vgl. Dritter Teil Abschnitt
IV. 2. b).
280 Eine Übersicht über die Zulässigkeitsvoraussetzungen und ihre unterschiedliche Regelung
in den einzelnen Ländern bei M. Uechtritz / O. Otting, Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch
(Fußn. 249), S. 57 ff.
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rechtsform das zusätzliche Zulässigkeitserfordernis eines spezifischen öffentlichen Interesses, die Aufgabe gerade in gesellschaftsrechtlicher Form zu
erfüllen.281 Die Wahl der privatrechtlichen Organisationsform muss im Vergleich zu den zur Verfügung stehenden öffentlich-rechtlichen Organisationsformen unter Aspekten der kommunalen Gemeinwohlverantwortung gerechtfertigt sein. Diese rechtsformspezifische Zulässigkeit ergibt sich aus der
Gemeinwohlbindung jeder Verwaltungstätigkeit und gilt in allen Ländern
(vgl. dazu näher Abschnitt 4.).
Einige Länder haben diese Anforderung in besonderen organisationsformbezogenen Subsidiaritätsregelungen spezifiziert. Diese Regelungen verlangen
Vorteile oder wenigstens die Gleichwertigkeit der gewählten privatrechtlichen Form gegenüber öffentlich-rechtlichen Formen und dies entweder
generell282 oder in Bezug auf bestimmte privatrechtliche283 oder öffentlichrechtliche284 Gestaltungen. Ergänzt werden diese inhaltlichen Erfordernisse in
einigen Ländern durch prozedurale Regelungen, die eine sorgfältige Prüfung
vor einer Organisationsprivatisierung sicherstellen sollen. So verlangt § 108
Abs. 4 Satz 2 NGO, in einem Bericht zur Vorbereitung des entsprechenden
Ratsbeschlusses unter umfassender Abwägung der Vor- und Nachteile darzulegen, dass die Aufgabe in der gewählten gesellschaftsrechtlichen Form wirtschaftlicher durchgeführt werden kann als in einer Organisationsform des
öffentlichen Rechts. § 92 Abs. 1 Satz 1 GO RhPf fordert noch umfassender
eine Analyse »über die Vor- und Nachteile der öffentlichen und privatrechtlichen Organisationsformen im konkreten Einzelfall«.
3. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Wahl der Privatrechtsform
Nach überwiegender Lehrmeinung und herrschender Rechtsprechung hat die
öffentliche Verwaltung, soweit nicht spezielle Vorschriften entgegenstehen,
grundsätzlich das Recht, zur Erfüllung ihrer Aufgaben zwischen öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen Organisationsformen zu wählen. Für die
Gemeinden wird diese Wahlfreiheit aus der Selbstverwaltungsgarantie des
Art. 28 Abs. 2 GG und der auf dieser Garantie beruhenden Organisationshoheit hergeleitet.285 »Soweit ihr das Gesetz keine bestimmte Handlungsform
281 Vgl. zum Folgenden insbes. J. Oebbecke, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch
(Fußn. 249), S. 193 ff. Rn. 13 ff., m. w. Nachw.
282 § 108 Abs. 4 Satz 2 NGO, § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO SchlH.
283 Hinsichtlich der AG § 103 Abs. 2 GO BW, § 108 Abs. 3 GO NW, § 87 Abs. 2 GO RhPh.
284 Z. B. Vorrang des Eigenbetriebs und der Anstalt des öffentlichen Rechts: § 117 Abs. 1 Nr. 1
GO LSA. In Bayern galt bis zur Novellierung der Gemeindeordnung im Jahre 1995 ein
Eigenbetriebsvorrang.
285 J. Hellermann, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch (Fußn. 249), S. 125
Rn. 10 ff., m. w. Nachw.; R. Stober, § 91, Die privatrechtlich organisierte Verwaltung, in:
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.