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Zweiter Teil:
Rechtsformenwahl als Problem der Aufgabenerfüllung
I. Kommunale Modernisierungsstrategien
Die Kommunen haben auf die ihnen durch Finanznot, Europäisierung und
Globalisierung gestellten Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen
reagiert, einmal durch eine materielle Privatisierung von Verwaltungsaufgaben (vgl. dazu die Darstellung im Ersten Teil), sodann durch eine Modernisierung der Verwaltungsorganisation. Verwaltungsorganisatorische Modernisierungsstrategien treten in zwei Formen auf: als Rationalisierung der kommunalen Binnenorganisation (Abschnitt I. 1.) und als organisatorische Dezentralisation durch die Ausgliederung von Verwaltungseinheiten (Abschnitt I. 2.). In
ihren beiden Varianten setzten sie an beim Zusammenhang von Aufgabenstruktur und Organisationsstruktur.243 Die zunehmende Vielfalt und Komplexität der Verwaltungsaufgaben kann – so lautet die inzwischen unbestrittene
Ausgangsthese – von einer strikt hierarchisch organisierten Verwaltung nicht
angemessen bewältigt werden.244 Erforderlich sind flexible und effektive Formen des Verwaltungshandelns, die sachnahe Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen institutionalisieren.
1. Modernisierung der Binnenorganisation
Die Modernisierung der Binnenorganisation muss hier nicht in der ganzen
Breite der seit den achtziger Jahren mit erhöhter Intensität diskutierten Verwaltungsreform,245 sondern nur für den kommunalen Bereich in ihren Grundzügen dargestellt werden. Hier ist es das sog. Neue Steuerungsmodell, das
zunehmend die kommunale Verwaltungswirklichkeit prägt. Das Neue Steue-
243 Vgl. dazu B. Becker, Die Verwaltung 9 (1976), S. 273 ff.; G. F. Schuppert, Die Erfüllung
öffentlicher Aufgaben (Fußn. 122), S. 191 ff., 210 ff., 306 ff., 319 ff.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 153 ff.; N. Müller, Rechtsformenwahl (Fußn. 97), S. 285 ff.;
244 Dazu grundlegend: H. Dreier, Hierarchische Verwaltung (Fußn. 243), S. 141 ff., 159 ff.,
211 ff., 270 ff.
245 Vgl. dazu den Überblick bei D. Budäus / S. Finger, Die Verwaltung 32 (1999), S. 313 ff.,
sowie die systematisierende Darstellung bei A. Voßkuhle, VerwArch 92 (2001), S. 184 ff.,
jeweils m. w. Nachw. – Ein Zwischenbericht über den Stand der Verwaltungsreform in:
Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Moderner Staat – Moderne Verwaltung, 2000.
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rungsmodell, das an die internationale Bewegung des »New Public Management«246 anknüpft und zu Beginn der neunziger Jahre von der Kommunalen
Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) für die deutschen
Verhältnisse aufbereitet worden ist,247 formuliert in deutlichem Kontrast zur
überkommenen hierarchisch-bürokratischen Vollzugsverwaltung das Leitbild
eines primär an den Bedürfnissen der Bü rger orientierten (»kundenorientierten«) Dienstleistungsunternehmens, das auf allen Ebenen auf seine Wettbewerbsfähigkeit achtet und so in einen marktmäßigen Zusammenhang gestellt
wird. Die angestrebte Dienstleistungsorientierung soll unterstützt werden
durch den Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und
Organisationsstruktur. Die entscheidenden Stichworte lauten: Kontraktmanagement, Output-/Produktorientierung, Budgetierung, dezentrale Ressourcenverantwortung und Controlling sowie Qualitäts- und Personalmanagement.
Die »Politik« in Gestalt des Gemeindeparlaments soll die Rahmenbedingungen festlegen und der Verwaltung Ziele in der Form von Leistungsaufträgen
setzen, sie soll den Fachbereichen die erforderlichen Budgets übertragen und
die Erfüllung der erteilten Leistungsaufträge kontrollieren sowie aufgrund der
Ergebnisse der Kontrolle gegebenenfalls die Leistungsaufträge anpassen.
Innerhalb des als »Rahmenkontrakt« fungierenden Haushaltsplans werden
auch innerhalb der Verwaltung Kontrakte zwischen den Fachbereichsleitungen und den verantwortlichen Mitarbeitern geschlossen, verbindliche Zielabsprachen, in denen die Leistungs- und Finanzziele festgelegt werden und das
erforderliche Budget vereinbart wird. Mit den in den Kontrakten zu treffenden
Zielvereinbarungen soll die Umstellung der Verwaltung von der bisherigen
Input-Steuerung über Haushaltstitel auf eine an den »Verwaltungsprodukten«
orientierte Output-Steuerung erreicht werden. Der damit dezentralisierten
Aufgabenveranwortung entsprechen ein stärker kooperatives und konsensuales Budgetierungsverfahren bei der Haushaltsaufstellung und eine dezentrale
Ressourcenverantwortung im Haushaltsvollzug.248 Als Ausgleich zur Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung soll die Einrichtung eines
effektiven Controllings die führende Rolle der Politik sichern.
246 Vgl. W. Damkowski, / C. Precht (Hrsg.), Verwaltung in Deutschland – Public Management
in der Praxis, 1998; Chr. Reichard, »New Public Management« als Auslöser zunehmender
Ökonomisierung der Verwaltung, in: J. Harms / Chr. Reichard (Hrsg.), Die Ökonomisierung
des öffentlichen Sektors, 2003, S. 119-143.
247 Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt), Das neue Steuerungsmodell. Begründungen, Konturen, Umsetzungen, KGSt-Bericht 5/1993. – Vgl. dazu
H.-P. Bull, Neue Steuerungsmodelle als Teil der Verwaltungsreform? in: J. Ipsen (Hrsg.),
Verwaltungsreform – Herausforderung für Staat und Kommunen, 1996, S. 69 ff.; V. Mehde,
Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000; A. v. Mutius, Neues Steuerungsmodell in der Kommunalverwaltung, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, 1997,
S. 685 ff.; K. Weisel, Privatisierung und Beleihung (Fußn. 82), S. 19 ff.
248 Nach KGSt-Bericht Nr. 5/1993, S. 13 ff., 19 ff..
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2. Ausgliederung auf verselbständigte Verwaltungseinheiten
Die Ausgliederung auf verselbständigte Verwaltungseinheiten249 ist ein von
den Kommunen seit langem praktiziertes Mittel bei der Durchführung ihrer
Selbstverwaltungsaufgaben und dies sowohl bei wirtschaftlicher als auch bei
nichtwirtschaftlicher Betätigung. Wurden kommunale Unternehmen, insbesondere Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, in der zweiten Hälfte des 19.
und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen in der Organisationsform des Regiebetriebs250 und damit im Rahmen der allgemeinen Kommunalverwaltung geführt, so stand den Gemeinden mit dem auf Vorarbeiten
während der Weimarer Zeit beruhenden, durch die Gemeindeordnung von
1935 eingeführten und durch die Eigenbetriebsverordnung von 1938 ausgeformten Eigenbetrieb251 die Rechtsform eines gegenüber der Trägerkörper schaft partiell verselbständigten kommunalen Unternehmens zur Verfügung,
von der vor allem für wirtschaftliche Unternehmen reger Gebrauch gemacht
worden ist. In der Weimarer Zeit nur vereinzelt, seit dem Ende der 50er Jahre
deutlicher zeichnet sich ein Trend zur Wahl privater Rechtsformen (AG und
GmbH) ab. Die Gründe für die Verselbständigung sind durchweg pragmati scher Art.252 Im Vordergrund stehen die Steigerung der Wirtschaftlichkeit
und Effektivität der Leistungserbringung und der Flexibilität der Unternehmensführung. Diese Ziele sollen vor allem durch eine größere Eigenverant wortlichkeit der Unternehmensleitung, durch eine Reduzierung der politischen Einflussnahme und durch eine Ablösung der kameralistischen durch
eine betriebswirtschaftliche Rechnungsführung bewirkt werden.
Schon diese Skizze macht wesentliche Übereinstimmungen der mit dem
Neuen Steuerungsmodell einerseits und mit der Verselbständigung von Verwaltungseinheiten andererseits verfolgten Reformstrategien deutlich. In beiden Fällen geht es der Zielsetzung nach um eine Steigerung der Flexibilität
und Effektivität des Verwaltungshandelns. In beiden Fällen ist Dezentralisie-
249 Vgl. zum Folgenden die Übersicht bei J. Hellermann, Handlungsformen und -instrumentarien wirtschaftlicher Betätigung, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, 2004, S. 115 ff.; aus der älteren Literatur die Beiträge von R. Diekmann
und F. Wagener, in: F. Wagener (Hrsg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976,
S. 19 ff., 31 ff.
250 Zum Regiebetrieb J. Hellermann, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch (Fußn.
249), S. 130 Rn. 22 ff., m. Nachw.
251 Zum Eigenbetrieb J. Hellermann, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch (Fußn.
249), S. 134 Rn. 31 ff, m. Nachw.
252 Vgl. die Unterscheidung der Kooperations-, Distanzierungs- und Praktibilitätsfunktion der
Verselbständigung von Verwaltungseinheiten bei H. Dreier, Hierarchische Verwaltung
(Fußn. 243), S. 277 ff. Bei der im Text im Vordergrund stehenden kommunalen Daseinsvorsorge geht es vor allem um Praktibilitätsfragen. Umfassendere Kataloge von Verselbständigungsmotiven bei F. Wagener, in: ders. (Hrsg.), Verselbständigung (Fußn. 249), S. 31 ff.,
45 ff.;
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.