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werbs.396 Die Schaffung eines Monopols sei jedenfalls dann rechtfertigungsbedürftig, wenn es sich dabei um ein Dienstleistungsmonopol handelt.397
cc. Stellungnahme
Die besseren Argumente sprechen dafür, die Schaffung eines Monopols als Maßnahme i.S.d. Art. 86 Abs. 1 EG anzusehen. Zentral ist der Gedanke der Schaffung
eines wettbewerbsfreien Raumes durch die Schaffung eines Monopols. Der Wettbewerb wird nicht lediglich beschränkt, sondern von Anfang an gar nicht zugelassen.
Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die Schaffung eines monopolisierten
Bereiches ist damit höher als bei einer bloß beschränkenden Maßnahme. Für die
Überprüfung der Schaffung (oder Beibehaltung) eines Monopols am Maßstab des
Art. 86 EG spricht im übrigen auch das Effektivitätsgebot (effet utile) des Art. 10
Abs. 2 EG. Denn nach Art. 10 Abs. 2 EG haben die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrags gefährden
könnten Die Schaffung oder Beibehaltung eines Monopols und der Ausschluß von
Wettbewerb als stärkste Form der Einschränkung widerspricht diesen Zielen, wie sie
in den Regelungen des Art. 4 Abs. 1 und Art. 98 EG, aber auch den Wettbewerbsregeln selbst, Art. 81 ff. EG, ihren Niederschlag finden. Aus diesen Gründen muss
die Schaffung eines monopolisierten Bereiches unter den Begriff der „Maßnahme"
des Art. 86 Abs. 1 EG subsumiert werden, wie es der EuGH in seiner Entscheidung
in der Rechtssache Corbeau getan hat. Durch die §§ 1-3 SGB VI wird den Trägern
der gesetzlichen Rentenversicherung ein Monopol eingeräumt.398 Die Anordnung
der Versicherungspflicht stellt damit eine "Maßnahme" dar i.S.d. Art. 86 Abs. 1 EG.
4. Zwischenergebnis
Die Einräumung eines Monopols für die gesetzliche Rentenversicherung verstößt
auf der Tatbestandsebene gegen Art. 86 Abs. 1 EG.
III. Verstoß des Rentenversicherungsmonopols gegen Art. 49 Abs. 1 EG
Ein wesentlicher Teil der Diskussion um Sozialversicherungsmonopole beschäftigt
sich mit der Frage, ob die Schaffung von Monopolen gegen Art. 86 Abs. 1 EG ver-
396 Fesenmair, S. 115.
397 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. II, Art. 86 EG,
Rn. 46; Ehlermann, ECLR 1993, S. 61 ff (66 f.), der die Rechtfertigungsbedürftigkeit
allerdings ausdrücklich lediglich für Dienstleistungsmonopole auf den Märkten für
Telekommunikation, Elekrtizität, Gas und Postdienstleistungen fordert (S. 67).
398 Siehe oben unter F. II.
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stößt oder gegen Art. 49 EG. Auch von einem Teil derjenigen, die es ablehnen, die
Schaffung eines Monopols nach den Maßstäben des Art. 86 Abs. 1 EG zu prüfen,
wird anerkannt, dass sie die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 Abs. 1 EG verletzen
kann.399
Art. 49 EG schützt den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Die Norm erfasst jene Dienstleistungen, bei denen Dienstleistungserbringer und
Dienstleistungsempfänger in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässig sind.400 Die Schaffung von Dienstleistungsmonopolen ist durch die
Dienstleistungsfreiheit nicht von vornherein ausgeschlossen, allerdings stellt sie einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit dar.401 Bezogen auf das System der gesetzlichen Rentenversicherung wird die Dienstleistungsfreiheit dadurch verletzt,
dass es Versicherungen aus anderen Mitgliedstaaten aufgrund des Monopols der gesetzlichen Rentenversicherung unmöglich ist, in dem Bereich, der durch die gesetzliche Rentenversicherung erfasst ist, Leistungen zur Altersvorsorge anzubieten. Bezogen auf die Beitragsbelastung, die sich für die Versicherten aus der Versicherungspflicht ergibt, ist es den Versicherten verwehrt, diese Geldbeträge an einen anderen Anbieter eines Altersvorsorgevertrages zu zahlen. Sie können sich zwar neben
der gesetzlichen Rentenversicherung auch privat gegen das Risiko des Alters absichern, jedoch nicht in Bezug auf die Pflichtbeiträge, die der Versicherte nur an die
dem System der gesetzlichen Rentenversicherung angehörenden Rentenversicherungsträger entrichten darf. In diesem Bereich besteht für die gesetzliche Rentenversicherung ein Dienstleistungsmonopol, welches einen Eingriff in Art. 49 EG darstellt.402
IV. Rechtfertigung des Monopols der gesetzlichen Rentenversicherung
Zu klären ist, inwieweit das Monopol der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt werden kann. Die Rechtsprechung des EuGH führt bei vergleichbaren Versicherungssystemen im Rahmen der Prüfung, ob ein Unternehmen vorliegt, eine Reihe
von Gründen an, nach denen das Monopol der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt sein könnte.403 Zunächst ist zu klären, nach welcher Norm und aus welchen Gründen Dienstleistungsmonopole gerechtfertigt sein können.
399 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. II, Art. 86 EG,
Rn. 46; Ehlermann, ECLR 1993, S. 61 ff (66 f.).
400 Die „Dienstleistungsfreiheit“ ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht körperliche,
selbständige Leistung zum Gegenstand hat, vgl. Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/ Hilf, Bd.
I, Art. 49/50 EGV, Rn. 25-33. Bei den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung
handelt es sich um Dienstleistungen.
401 Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/ Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV, Rn. 101; Kluth in:
Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 49, 50 Rn. 88 f.
402 Vgl. auch Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 129 f.
403 Siehe oben unter F. II. 1.
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References
Zusammenfassung
Das Buch thematisiert die Herausforderungen der Alterssicherung in Deutschland unter Berücksichtigung des Europarechts. Der Autor beurteilt das System der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Perspektive des Europarechts und kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund der demografischen Veränderungen das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung in einem größeren Maße als bislang auf ein kapitalgedecktes System umstellen muss. Dabei geht er auch auf die ökonomischen Möglichkeiten einer derartigen Umstellung ein. Er zeigt auf, welche Handlungsspielräume der Gesetzgeber hat und untersucht, welche Anforderungen hinsichtlich einer wettbewerblichen Ausgestaltung die kapitalgedeckte Vorsorge erfüllen muss. Mit seinem Werk gibt der Autor einen Einblick in die Probleme der Alterssicherung in Deutschland und kommt dabei zu neuen rechtlichen Schlussfolgerungen.