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V. Das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz
Am 20.4.2007 ist das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz in Kraft getreten.109 Ein
Kernbestandteil dieses Gesetzes ist die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze
von 65 Jahren auf 67 Jahre. Es wird angenommen, dass diese Maßnahme zu einer
Entlastung der Beitragszahler um einen halben Prozentpunkt führen kann.110 Nach §
35 SGB VI wird das Eintrittsalter für alle Versicherten der Jahrgänge 1964 und
jünger im Jahr 2029 um 2 Jahre angehoben. Der Übergang erfolgt schrittweise: Bei
den Versicherten der Jahrgänge 1947 bis 1958 wird das Rentenalter zunächst um
jeweils ein Monat pro Geburtsjahrgang angehoben, so dass im Jahre 2023 das
Rentenalter bei 66 Jahren liegt. Ab 2024 erfolgt die Anhebung des Rentenalters in
Zweimonatsschritten je Geburtsjahrgang. Die Anhebung der Altersgrenze stellt
einen Versuch dar, bei grundsätzlicher Beibehaltung des Umlagesystems die
gesetzliche Rentenversicherung den demographischen Veränderungen anzupassen.
VI. Stellungnahme
Zweifelhaft ist, ob die dargestellten Reformen ausreichend sind, um insbesondere
die demographischen Veränderungen zu bewältigen. Dabei besteht zunächst die
Frage, welches Sicherungsziel das Alterssicherungssystem in Deutschland künftig
verfolgen sollte. Orientiert man sich an der bisherigen Konzeption der
Alterssicherung mit der gesetzlichen Rentenversicherung als ihrem zentralen
Bestandteil, so liegt dem Konzept das Prinzip einer Lebensstandardsicherung zugrunde.111 Das Alterseinkommen eines Individuums soll den Lebensstandard aufrechterhalten, den es im Laufe seines Erwerbslebens erreicht hat. Das Alter soll
keinen „Bruch“ in der Biographie dergestalt darstellen, dass das Individuum der
Armut verfällt oder zumindest seine Lebensweise aufgrund eines veränderten
Einkommens gravierend verändern muss. Bei einem wachsenden Anteil älterer
Menschen an der Gesamtbevölkerung erscheint es aus gesellschaftlichen und
sozialen Gründen weiterhin als ein erstrebenswertes Ziel, eine derartig hohe
Versorgung im Alter zu gewährleisten. Daneben sprechen aber auch ökonomische
Gründe für eine hohe Versorgung im Alter, die dem Einkommen zur Zeit des
Erwerbslebens entspricht. Denn so kann eine hohe Binnennachfrage nach
Konsumgütern bei einem wachsenden Anteil der alten Bevölkerung und einer
gleichzeitigen Abnahme der Gesamtbevölkerung aufrecht erhalten werden. Das Ziel
der Alterssicherung sollte damit weiterhin darin bestehen, die Menschen in die Lage
zu versetzen, im Alter den im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard aufrecht zu
109 Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demographische Entwicklung und zur
Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung, BGBl. I 2007,
S. 554.
110 Vgl. Reimann, DRV 2007, 181 (183, 193 f.).
111 Kreikebohm, SGB VI, § 63, Rn 3 und Einleitung, S. 10, vgl. bereits Fn. 13.
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References
Zusammenfassung
Das Buch thematisiert die Herausforderungen der Alterssicherung in Deutschland unter Berücksichtigung des Europarechts. Der Autor beurteilt das System der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Perspektive des Europarechts und kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund der demografischen Veränderungen das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung in einem größeren Maße als bislang auf ein kapitalgedecktes System umstellen muss. Dabei geht er auch auf die ökonomischen Möglichkeiten einer derartigen Umstellung ein. Er zeigt auf, welche Handlungsspielräume der Gesetzgeber hat und untersucht, welche Anforderungen hinsichtlich einer wettbewerblichen Ausgestaltung die kapitalgedeckte Vorsorge erfüllen muss. Mit seinem Werk gibt der Autor einen Einblick in die Probleme der Alterssicherung in Deutschland und kommt dabei zu neuen rechtlichen Schlussfolgerungen.