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2. Kontrollintendierte Informationsbeschaffung der parlamentarischen Opposition
Bei genauer Betrachtung freilich steht die Kontrolldimension parlamentarischer
Anfragen ungeachtet ihrer auch unter strukturellen Gesichtspunkten grundlegenden
Bedeutung gewissermaßen in der zweiten Reihe. Die (verfassungs-)rechtliche Absicherung des Frage- bzw. Interpellationsrechts trägt nämlich vorrangig der Tatsache
Rechnung, dass effiziente parlamentarische Kontrolle nur dann geleistet werden
kann, wenn das die Regierung kontrollierende Parlament – in der politischen Realität mithin die parlamentarische Opposition – in die Lage versetzt wird, Kontrolle
auch tatsächlich auszuüben. Dies indes setzt voraus, dass das Parlament bzw. der
einzelne Abgeordnete die für verantwortliche Entscheidungen und Stellungnahmen
erforderlichen Kenntnisse und Informationen zunächst erst einmal erwerben und
zusammen tragen können muss.19
Ohne hinreichendes Wissen ist mit anderen Worten eine effiziente und im politischen Betrieb wirksame Kontrolle nicht möglich, woran deutlich wird, dass die
Informationsgewinnungsfunktion des parlamentarischen Fragerechts eine in letzter
Konsequenz der Kontrollfunktion dienende Funktion ist.
Nicht zu verwundern vermag es daher angesichts der im parlamentarischen
Regierungssystem typischen Konstellation, dass parlamentarische Kontrolle weniger von der oder den die Regierung tragenden Fraktionen, sondern insbesondere von
der oder den Fraktion(en) ausgeübt wird, die der parlamentarischen Opposition
angehören, dass in der heutigen politischen Praxis die Interpellation, die in den einzelnen Geschäftsordnungen v. a. als Befugnis eines einzelnen Abgeordneten oder
einer Gruppe von Abgeordneten ausgestaltet ist, in erster Linie als ein Instrument
der Opposition zu begreifen ist, das dem für die Oppositionsarbeit so unabdingbaren
Zweck der Informationsbeschaffung dient.
In diesem Verständnis ist die parlamentarische Interpellation darauf ausgerichtet,
jedenfalls in bestimmten Grenzen die Offenlegung der Politik der Regierung zu
erzwingen und die öffentliche Aussprache über politische Fragen zu sichern,20 auf
diese Weise Informationen insbesondere der und jedenfalls durch die Regierung zu
erhalten und ganz wesentlich mit Hilfe dieser von Regierungsseite gewährten Informationen eine wirksame parlamentarische Kontrolle ins Werk zu setzen. Mit Hilfe
dieser Informationsbeschaffung mag in der politischen Praxis der Opposition die
Möglichkeit gewährt werden, eine »politische Alternative« aufzuzeigen und durch
19 Vgl. W. Steffani, Formen, Verfahren und Wirkungen der parlamentarischen Kontrolle, in: H.-P.
Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 49, Rdnr. 13, 24 ff. Vgl.
hierzu auch BVerfG, NVwZ 2004, S. 1105/1107 f.
20 Vgl. in diesem Zusammenhang auch ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423, unter Bezugnahme auf
BVerfGE 70, 324/355, mit dem Hinweis darauf, dass das parlamentarische Fragerecht auch und
gerade in seiner Kontrollaufgabe als wichtiger Teil des politischen Diskurses zu begreifen ist. In
diese Richtung auch H. H. Klein, Stellung und Aufgaben des Bundestages, in: ders., Das Parlament
im Verfassungsstaat, 2006, S. 201/224.
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regierungsseitig gewährte Informationen ggf. die Chance zur »Profilierung« zu nutzen.21
Dass zu dieser Kontrolle die Regierung die Hand reichen muss, der zu Kontrollierende mithin dem »Kontrolleur« die für die Kontrolle notwendigen Informationen liefern muss, liegt ganz wesentlich im parlamentarischen Prinzip begründet.
Dieses hat das parlamentarische Fragerecht darauf ausgerichtet, dass in einem
übertragenen Bild die Regierung der Opposition selbst die »Waffen« liefern muss,
mit denen sie, die Regierung, später u. U. konfrontiert und politisch bekämpft
wird.22
Damit wird nicht nur der Tatsache Rechnung getragen, dass nur der informierte
Abgeordnete bzw. die informierte Opposition und damit das informierte Parlament
die Regierung wirksam kontrollieren kann; gleichzeitig wird auf diese Weise auch
der politische Diskurs befördert, den Art. 48 Abs. 2 ThürVerf auch mit Blick auf das
Demokratieprinzip gewährleistet, denn mit dem fundierten Diskurs sichert das Fragerecht der Abgeordneten die Chance der parlamentarischen Minderheiten, bei
künftigen Wahlen die Mehrheit zu erringen.23
In einem engen Zusammenhang mit diesem Gedanken der Förderung des politischen Diskurses steht schließlich auch die Erwägung, dass das Interpellations- und
Fragerecht der Opposition die Möglichkeit bietet, auf politisch relevante Sachverhalte aufmerksam zu machen, was ebenfalls der Kontroll- und Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments entspricht.24
Jedenfalls erfährt das parlamentarische Fragerecht in der politischen Praxis vornehmlich durch das ihm innewohnende Informationsgewinnungsbedürfnis des einzelnen Abgeordneten und damit zugleich der parlamentarischen Opposition seine in
letzter Konsequenz auf Ausübung der parlamentarischen Kontrolle gerichtete
Rechtfertigung, und zwar dadurch, dass es ganz wesentlich dazu bestimmt und auch
geeignet ist, ein strukturelles Wissensdefizit des Parlaments, insbesondere der Parteien, welche in Opposition zu der oder den die Regierung tragenden Partei(en) stehen, zu beseitigen und damit den unterschiedlichen Kenntnisstand von Parlament
und Exekutive durch Hergabe tatsachenorientierter Sachinformationen auszugleichen.25
21 In diesem Sinn K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, § 26, S. 56;
ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, § 22, S. 998.
22 S. Hölscheidt, Frage und Antwort im Parlament, 1992, S. 28.
23 So der Hinweis in ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
24 H.-A. Roll, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 2001, vor §§ 100 – 105, Rdnr. 2.
25 Vgl. ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
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3. Das Fragerecht als Status- und Teilhaberecht des Abgeordneten
Freilich darf eine an den faktischen Bedingtheiten des politischen Prozesses im parlamentarischen Regierungssystem ausgerichtete Analyse des parlamentarischen
Fragerechts, das – wie dargestellt – in der politischen Praxis vielfach als ein Recht
des Parlaments und damit letztlich der parlamentarischen Opposition begriffen
wird, nicht darüber hinweg täuschen, dass das Fragerecht in grundlegender Weise
auch den Abgeordnetenstatus kennzeichnet. Es spricht sogar vieles dafür, das Frageund Informationsrecht als ein Statusrecht des einzelnen Abgeordneten zu begreifen,26 das dieser freilich zum überwiegenden Teil aufgrund verfassungsrechtlich
zulässiger, durch das parlamentarische Geschäftsordnungsrecht bewirkter Einschränkungen nur in Gemeinschaft mit anderen Abgeordneten wahrnehmen kann.
Das Interpellations- bzw. Fragerecht des einzelnen Abgeordneten, das diesem zum
Zwecke der Informationsgewinnung und letztlich Regierungskontrolle zugewiesen
ist, stellt neben dem Rederecht und den diversen Antragsbefugnissen ein wesentliches Teilhaberecht des einzelnen Abgeordneten dar. Es ist unmittelbar mit dem parlamentarischen Status des Abgeordneten verbunden;27 dessen Bedeutung für das
parlamentarische Regierungssystem ist daher auch bei jeder Einschränkung des Fragerechts in den Blick zu nehmen.
26 BVerfGE 80, 188/218; H. H. Klein, Status des Abgeordneten, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.),
HdbStR III, 3. Aufl., 2005, § 51, Rdnr. 33. Grundlegend hierzu auch H.-U. Geck, Die Fragestunde
im Deutschen Bundestag, 1986, S. 98 ff.
27 Vgl. nur BayVerfGH, BayVBl. 1998, S. 11/12; BayVerfGH, NVwZ 2007, S. 204/205; C. Gusy,
Frage und Antwort als Instrumente parlamentarischer Kontrolle, JuS 1995, S. 878/878 f.; H.-U.
Geck, Die Fragestunde im Deutschen Bundestag, 1986, S. 98.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Autor lotet das Verhältnis von parlamentarischem Fragerecht und Antwortverweigerungsrecht der parlamentarisch verantwortlichen Regierung näher aus. Er analysiert die Legitimation wie auch die Grenzen des Fragerechts der Abgeordneten, betont aber zugleich das Recht der Regierung, in bestimmten Fällen, namentlich bei einer missbräuchlichen Handhabung des Fragerechts, die Antwort auf parlamentarische Anfragen verweigern zu können. Das Werk dient zugleich als Leitfaden für die parlamentarische Praxis.
Nach der Einbettung des parlamentarischen Fragerechts in den Kontext des Kontrollfunktion des Parlaments untersucht der Verfasser mit einem ausführlichen Blick auf die Rechtslage im Freistaat Thüringen zunächst die inneren und äußeren Grenzen des parlamentarischen Fragerechts, bevor er die Antwortverpflichtung der Regierung näher konturiert. Anschließend werden die geschriebenen wie auch die ungeschriebenen Grenzen der Antwortpflicht der Regierung ausführlich behandelt, wobei der Aspekt der Funktionsfähigkeit der Regierung eine intensive Beachtung erfährt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Beantwortung der Frage gelegt, wann eine missbräuchliche Inanspruchnahme des parlamentarischen Fragerechts angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch der Grundsatz der Organtreue näher erläutert.