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4 Microfinance Investment Fonds – eine portfoliotheoretische
Betrachtung
Oliver C. Oehri, Henry Schäfer und Jürg Fausch
4.1 Einleitung
Unter dem Begriff Microfinance wird die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen (Kredite, Sparmodelle, Kapitaltransfers und Versicherungen) an
Kleinstunternehmen und Haushalte mit Niedrigeinkommen verstanden, denen die
Möglichkeit der Inanspruchnahme lokaler Bank- und Kreditinstitute ansonsten
verwehrt bleibt.171 In der heutigen Zeit existieren global 2,8 Mrd. von Armut
betroffene Menschen;172 davon sind laut Schätzungen rund 500 Mio. Menschen,
die zu den wirtschaftlich aktiven Armen zu zählen. Sie versuchen, in der Form
von Mikrounternehmen ihr Einkommen zu verbessern und haben folglich einen
Bedarf an Krediten und anderen Finanzdienstleistungen. Unter der Annahme,
dass 500 Mio. Kleinstunternehmen durchschnittlich pro Jahr einen Kredit im
Umfang von 500 US$ benötigen, liegt der Jahresbedarf bei 250 Mrd. US$;173
Expertenmeinungen zufolge werden nur 2-3% des heutigen Kreditbedarfs gedeckt. Das benötigte Kreditvolumen kann derzeit nicht durch die nationalen Kreditmärkte der Entwicklungsländer eigenständig erbracht werden, weshalb dem
Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten eine entscheidende Bedeutung
zukommt.174
Trotz des diskutierten Kapitalbedarfs sind Anlagemöglichkeiten in Microfinance für (kommerzielle) Investoren zum heutigen Zeitpunkt beschränkt: Ende
2007 existierten über 80 Microfinance-Investmentvehikel (MIV), wobei es sich
nur bei einem kleinen Teil um Micofinance-Investmentfonds (MFIF) handelt 175.
Diese Fonds investieren in der Regel direkt in Microfinance Institutes (MFI). Die
Investitionen können in Form von Eigen- oder Fremdkapital erfolgen. Erste
Untersuchungen zur Kapitalstruktur der MFIF zeigen, dass über 70% des Investitionsvolumens in Fremdkapital getätigt werden.176 Die MFI vergeben
Kredite von durchschnittlich 25 US$ bis 1.500 US$ an Microunternehmen in
Schwellen- und Entwicklungsländern.177 Aufgrund der Neuartigkeit der MFIF
sind deren Rendite- und Risikocharakteristika sowie die damit verbundenen
171 Vgl. Felder-Kuzu (2005: 20 f).
172 Vgl. Weltbank (2007).
173 Vgl. Dieckmann (2008: 12).
174 Vgl. Menichetti, Oehri und Fausch (2006: 2).
175 Vgl. dazu Goodman (2007).
176 Vgl. dazu Microrate (2006).
177 Vgl. Felder-Kuzu (2008: 18).
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portfoliotheoretischen Konsequenzen noch nicht ausreichend bekannt.178 Diese
Studie untersucht anhand ausgewählter MFIF das Rendite-Risiko-Profil sowie
den Wirkungszusammenhang einer Beimischung von MFIF zu klassisch
strukturierten Portfolios. Ziel ist es, den ökonomischen Nutzen von MFIF zu bewerten.
Die Untersuchung ist wie folgt aufgebaut. In Abschnitt 4.2 geben wir einen kurzen Überblick zur verwendeten Methodik, Abschnitt 4.3 beschreibt die für die
Fondsauswahl relevanten Selektionskriterien und bildet daraus die Untersuchungsstichprobe. Abschnitt 4.4 analysiert das Rendite-Risiko-Profil der ausgewählten MFIF und die sich daraus ergebenden portfoliotheoretischen Konsequenzen. Das Fazit in Abschnitt 4.5 schließt diese Untersuchung ab.
4.2 Methodik
Um den portfoliotheoretischen Einfluss der ausgewählten MFIF zu quantifizieren, wird nachstehender Modellrahmen gewählt: Zuerst erfolgt die Bildung
eines Basisportfolios, bestehend aus den Anlageklassen Aktien, Anleihen,
Hedge-Fonds und Geldmarkt. Dabei werden ein globaler Aktienindex (MSCI-
World), ein globaler Bondindex (JPM GBI), ein Hedge-Fonds-Index (Hedge
Fund Research Index HFRI) sowie ein Geldmarktfonds (UBS Money Market
Fund) herangezogen. Die Möglichkeit der risikolosen Anlage wird durch den 6-
Monats-LIBOR dargestellt.
In der Folge werden drei Investmentstrategien in Abhängigkeit unterschiedlicher Risikoneigungen bestimmt:
Tabelle 43: Basisportfolios – Investmentstrategien
Anlageklassen
Investmentstrategie MFIF Aktien Anleihen Hedge-Fonds Geldmarkt
Growth 0% 60% 10% 25% 5%
Balanced 0% 40% 30% 20% 10%
Defensive 0% 20% 50% 20% 10%
Abschließend erfolgt eine Veränderung der drei Basisportfolios „Defensive“,
„Balanced“ und „Growth“ durch eine MFIF-Beimischung. In diesem Zusammenhang soll die Frage beantwortet werden, welche Auswirkungen eine
5-prozentige bzw. 10-prozentige MFIF-Beimischung auf die drei Investmentstrategien (Defensive, Balanced, Growth) in Abhängigkeit der jeweiligen zu
substituierenden Anlageklasse besitzt. Insgesamt werden 24 Portfolios gebildet.
Der Effekt einer Beimischung wird pro substituierte Anlageklasse anhand der
Veränderung der erwarteten Portfoliorendite, des Portfoliorisikos sowie der
Sharpe-Ratio (risikoadjustierte Überrendite) untersucht.
178 Vgl. Menichetti, Oehri und Fausch (2007: 2).
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References
Zusammenfassung
In den letzten Jahren ist der Markt für nachhaltige Kapitalanlagen auch in Europa signifikant gewachsen. Besonders für Stiftungen können Kapitalanlagen, die nach ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien ausgewählt werden interessant sein, weil dadurch der Stiftungszweck auch im Rahmen der Vermögensanlage berücksichtigt werden kann. Im April 2008 wurde zur Analyse dieses Themas eine Konferenz unter dem Titel „Nachhaltige Kapitalanlagen für Stiftungen: Aktuelle Entwicklungen“ in Osnabrück bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) durchgeführt. Ziel der Konferenz war es, einen umfassenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen auf dem Markt für nachhaltige Kapitalanlagen zu geben und eine Bewertung, speziell aus der Perspektive von Stiftungen, durchzuführen.
Der vorliegende Konferenzband enthält als zentrales Kapitel die Studie „Nachhaltige Vermögensanlagen für Stiftungen“, die das ZEW zusammen mit der Universität Stuttgart durchgeführt hat. Die weiteren Beiträge befassen sich unter anderem mit dem noch relativ jungen Markt der Microfinance-Anlageprodukte, die als Teilgebiet der nachhaltigen Kapitalanlagen in Zukunft für Stiftungen eine ansteigende Bedeutung erlangen könnten.